Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 1

Kapitel 1 - About friends ...

Nächster Tag; Middleton High, spätnachmittags
„Kim!“, schrie Bonnie quer durch den leeren Schulgang, als der Rotschopf gerade die Middleton High durch den Haupteingang verliess. Das Cheerleader-Training dauerte heute wesentlich länger, die Cheerregionals standen wieder einmal vor der Tür, also hatte Kim noch einige weitere Schrittfolgen in ihre neue Kür eingebaut und trainiert.
Nun wollte sie, geschafft von den jüngsten Ereignissen, allerdings so schnell wie möglich nach Hause und war dermassen in Gedanken, dass sie Bonnies Geschrei nicht bemerkte. Am Fusse der Eingangstreppe blieb sie schliesslich stehen und schaute einige Male beunruhigt nach links und rechts, als ob sie jemanden suchen würde, schien die Person jedoch, zu ihrer Enttäuschung, nicht zu sehen. Sie strich sich langsam eine Strähne aus dem Gesicht, legte den Kopf nach hinten, schloss ihre Augen und liess sich kurz die wunderbar warmen Strahlen der sehr tiefstehenden Sonne auf das Gesicht scheinen, reckte und streckte sich dabei, lächelte sogar kurz. Für einen einzigen Augenblick konnte sie alle Gedanken abschütteln, konnte abschalten, kam in Einklang mit sich selbst und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frei.
Inzwischen hatte Bonnie die Eingangstüre erreicht, stiess sie genervt auf und rief ebenso genervt nochmals nach Kim. Diese drehte sofort erschrocken den Kopf zur Lärmquelle. Ihre Laune änderte sich durch die Störung wieder schlagartig, Bonnie hatte den ganzen Tag noch kein Wort mit ihr gesprochen, sie noch nicht einmal wegen Ron versucht runterzumachen, auch nicht im Training. Also würde sie wohl jetzt ihre Packung bekommen, dachte die Teenagerin in böser Erwartung für sich, während ihre Rivalin die Stufen herunterging und vor ihr stehen blieb.
„Was ist mit dir los, ich hab dich vorhin schon mal gerufen.“, fuhr Bonnie sie lauthals an und stemmte dabei beide Hände in die Hüfte. Kim schaute zum Boden, dann direkt in Bonnies Augen.
„Ich ... tut mir leid, ich hab dich nicht gehört.“, gab sie sanft zurück. „Du siehst schlecht aus K, möchtest du morgen nicht lieber frei nehmen? Ich könnte das Team übernehmen.“, sagte die braunhaarige Teenagerin nun fürsorglich, schon beinahe freundlich klingend.
Entnervt antworte Kim: „Bonnie, das hatten wir schon mal, wenn du meinen Posten willst, dann frag das Team, ich hab im Moment keinen Nerv für dein ...“
„So wars nicht gemeint, komm mal wieder runter, Kim.“, unterbrach Bonnie sie gelassen. Die blauäugige Teenagerin schaute verlegen zum Boden und versteckte, irgendwie nervös wirkend, ihre Hände hinter ihrem Rücken, ehe sie, offensichtlich peinlich berührt, fortfuhr: „Ich ... ich wollte mich bei dir, nun ja, ... entschuldigen. ich war wohl nicht immer sehr fair zu dir und R.“
Diese absolut unerwartete Entschuldigung traf Kim mit der Heftigkeit eines Vorschlaghammers, sie war dermassen überrascht worden, dass ihr die Worte im Halse stecken blieben. Die Teenagerin dachte, sie hätte sich verhört und schaute Bonnie nur ungläubig mit grossen Augen an.
Diese winkte schliesslich ab, um die, auf sie peinlich wirkende Stille zu überwinden: „Schon gut, du brauchst dich nicht zu bedanken. Übrigens wo ist der Spassvogel überhaupt? Er lässt sich doch sonst kein Training entgehen, die Mädchen haben sich auch schon nach ihm erkundigt.“
Bonnie schaute dabei ebenfalls umher, als ob sie Ron wirklich suchen würde und musste sich schliesslich mit einem schwachen Schulterzucken von Kim als Antwort begnügen.
„Na dann, bis morgen.“, antwortete sie mit einem zufriedenen Lächeln, bevor sie Kim wie einen begossenen Pudel stehen liess.
Als sie an der Eingangstüre angekommen war, blieb Bonnie stehen, drehte sich noch einmal um und rief Kim ruhig, aber mit ernster Miene zu: „Wenn du irgendjemandem von diesem Gespräch erzähltst, mach ich dir dein Leben zur Hölle, versprochen.“. Sie schloss dabei ihre Augen, als ob sie sich und Kim in besagter Situation vorstellen würde, und grinste, dann verschwand sie durch die Eingangstüre.
„Ich glaub nicht, was mir gerade passiert ist.“, sagte Kim nach einigen Sekunden laut zu sich selbst und schüttelte dabei nur ungläubig den Kopf. Auf einen Aussenstehenden musste es so wirken, wie wenn sich die Teenagerin in einem Albtraum befinden würde, aus dem sie unbedingt aufwachen wollte. Sie war drauf und dran sich selber zu kneifen, als sie von Monique, die heute offensichtlich auch etwas länger in der Middleton High blieb, aus ihren Tagträumen gerissen wurde.
„Hat dich Bonnie wieder geärgert?“, fragte sie grinsend, bekam aber nur eine stotternde Antwort: „Ich glaubs wirklich nicht.“ Monique schaute ihr Gegenüber leicht verwirrt an und hob fragend eine Augenbraue, während sie Kim mit beiden Händen an den Schultern nahm und diese durch sanften Druck förmlich dazu zwang, sich auf die Stufe der Eingangstreppe zu setzen. Schliesslich setzte Monique sich neben sie und sah diese mit einem frechen Blick an.
„Erklärung.“, sagte die Afroamerikanerin langsam, als sie bemerkte, dass sich ihr Gegenüber allmählich erholte und ihre Fassung wieder zu gewinnen schien.
Die rothaarige Teenagerin erzählte ihrer besten Freundin, was gerade vorgefallen war. Kims Gedanken kreisten, natürlich war Bonnies Einsicht überraschend gekommen, aber dass sie davon derart geschockt sein würde, hätte sie selbst nicht erwartet.
„Sie hat sich also bei dir entschuldigt. Und das ist was Schlimmes?“, fragte die Schwarzhaarige etwas zögerlich.
Kim zog ihre Knie an und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, als sie, sehr zu Moniques Erstaunen, leise in Tränen ausbrach. Die vergangenen 24 Stunden waren definitiv zu viel für sie. Drakkens neusten, hinterlistigen Plan und die daraus resultierende Verwirrung konnte sie zwar, auch dank Ron, unter grössten Mühen verarbeiten, aber Bonnies Eingeständnis, diese Demut in dem Moment Kim gegenüber, liessen die aufgestauten Gefühle Überhand nehmen. Erinnerungen kamen brutal in ihr hoch, Erinnerungen an Drakken und Shego, an den Abschlussball und schliesslich an diese verdammte künstliche Drohne Eric. Kim hatte sich so leicht täuschen, so einfach hintergehen lassen. Ihr Erzfeind hatte ihr mit gnadenloser Effizienz ihre grösste Schwäche aufgezeigt und dafür gesorgt, dass sie dies nie im Leben wieder vergessen würde. Das Schlimmste jedoch, war für Kim die daraus resultierenden Gedanken. Sie fühlte sich schwach, leer und verlassen, obwohl sie wusste, dass ihre Freunde immer für sie da sein würden. Und doch fühlte sie eine unerträgliche Leere in sich. Sie schämte sich deswegen, weil sie auch wusste, dass diese Gedanken vor allem Ron gegenüber alles andere als fair waren, sie damit seine Zuneigung und Bemühungen mit den Füssen trat, was dem Ganzen die eigentliche Krone aufsetzte. Sie begann am ganzen Körper zu zittern, es kam ihr vor, als würde ihr Magen Achterbahn mit ihr fahren.
Monique lehnte sich zu ihrer besten Freundin rüber, umarmte sie und liess sie an ihrer Schulter ausweinen. Sie wusste um Kims Verunsicherung, seit dem Abschlussball war die Teenieheldin immer etwas gedankenverloren und passiv aufgetreten, als wäre sie nicht mehr sich selbst. Zwar hatte Kim ihr nichts Konkretes erzählt, aber wenn die schwarzhaarige Teenagerin schon nicht den genauen Grund für den Gefühlsausbruch ihrer besten Freundin kannte, wollte sie wenigstens zeigen, dass sie immer für Kim da wäre. „Geht’s besser?“
Kim löste die Umarmung, nickte schwach und musste sich zu einem Lächeln zwingen. Monique reichte ihr ein Taschentuch. Die Teenagerin trocknete ihre Tränen und schnäuzte sich, während sie sich langsam aber sicher wieder erholte, dann stand sie auf und fragte Monique, noch etwas zittrig klingend: „Gehen wir ein Stück?“ Monique zwinkerte ihr lächelnd zu, stand ebenfalls auf und hakte sich bei ihr ein.
Also nahmen sie den üblichen Weg nach Hause, als die Sonne langsam unterging und alles in ein oranges Licht hüllte. Es gelang Monique Kim in ein Gespräch zu verwickeln und diese wenigstens so auf andere Gedanken zu bringen. Sie unterhielten sich über ihre Ferien und über bereits wieder anstehende Tests, schliesslich konnte sie Kim sogar auf den Abschlussball und Ron ansprechen, ohne dass diese gleich wieder in Tränen ausbrach.
Die Afroamerikanerin meinte, sie wäre stolz auf sie beide und würde sich riesig freuen, merkte aber ein wenig kritisierend an, dass es auch lange genug gedauert habe, bis sie endlich gemerkt hätten, dass sie zusammen gehörten.
Kim wurde krebsrot, sagte aber nichts darauf, sondern lächelte nur verlegen zurück. Die grünäugige Teenagerin hatte diese Worte heute nicht zum ersten Mal gehört. Im Allgemeinen wurde ihre Beziehung von den Mitschülern toleriert, im Speziellen waren alle entzückt und hellauf begeistert, beinahe euphorisch. Den ganzen Tag durch wurde ihr gratuliert und auf die Schulter geklopft. Es schien, als würde die gesamte Schule hinter dem Pärchen stehen, was sie zwar nicht über ihr derzeitiges Tief hinwegtröstete, aber trotzdem ein schönes Gefühl hinterliess.
„Wo steckt er eigentlich, hab ihn den ganzen Tag nicht gesehen.“, stellte Monique schliesslich fragend fest.
Kim wollte gerade antworten, als Besagter die Beiden keuchend erreichte, er war offensichtlich gerannt, und völlig erschöpft vor den beiden Mädchen auf die Knie ging. Rufus hing, ebenfalls total geschlaucht wirkend, aus Rons Hosentasche und gab nur ein leises Stöhnen von sich.
Kim hakte sich aus, ging in die Hocke, um ihrem Freund direkt in die Augen schauen zu können. „Wo warst du? Wir haben dich im Cheerleader-Training vermisst.“, gab sie mit einem beunruhigten Ton von sich.
Ron hob seine Hand, wohl um zu signalisieren, dass er noch ein paar Sekunden der Erholung brauche, bevor er dann atemlos eine Antwort gab: „Ich war beschäftigt KP und wurde den ganzen Tag gejagt und gestresst, jeder will was von mir, zuerst das Jahrbuchkomitee, dann sollte ich irgendwelche Farben für irgendwelche Plakate aussuchen helfen, die Pixies brauchten Verkaufstipps, Ron hier, Ron da, dort Schulterklopfer, hier Gratulationen, seit ich mit dir zusammen bin kennt mich plötzlich ganz Middleton, sogar Mr. Barkin hat mir persönlich gratuliert.“ Er musste zwischendurch immer wieder eine kleine Verschnaufpause einlegen.
Es klang schon fast vorwurfsvoll, aber er konnte Kim nichts vormachen, in seinem tiefsten Herzen genoss auch er diesen Rummel um seine Person, sie nahm ihn also nicht zu ernst, gab ihm einen Kuss auf die Wange und stand wieder auf.
„Jetzt weiss ich wie du dich die ganze Zeit fühlen musst.“, doppelte Ron hartnäckig nach, als auch er wieder auf die Beine fand.
Kim hob eine Augenbraue und antwortete darauf: „Das hast du doch schon mal. Schon vergessen? Wir haben mal den Körper getauscht ... oder waren es die Gehirne?“ Eigenartigerweise musste sie an den Hackbraten ihrer Mutter denken, worauf ihr kalte Schauer über den Rücken liefen.
Der blonde Teenager legte sein übliches, peinlich berührtes Grinsen auf und lachte laut heraus, bevor er meinte: „Oh, eine Neuauflage, interessant.“
„Apropos neu, habt ihr schon den Neuen gesehen?“, warf schliesslich Monique ein, „Er macht einen auf Obermacker, war keine fünf Minuten hier und hat sich schon mit Barkin angelegt.“ Ron zuckte sofort zusammen, als Monique diesen, ihm offensichtlich vertrauten Kerl ansprach.
„Der Mantelträger?“, fragte Kim unsicher und blickte dann irritiert zu ihrem Freund, der gerade eine seiner Panikattacken bekam, wie ein kleiner Junge nervös herumzappelte und von einem Bein auf das andere sprang, als ob er ein dringendes Geschäft verrichten müsste. „Was denn mit dir los, hast du nen Affen gesehen?“
Der blonde Teenager unterbrach seinen kleinen Affentanz und blickte Kim mit sehr ernster Mine an, ehe er in einem ironischen Unterton antwortete: „Haha, sehr komisch. Mit deinem sogenannten Mantelträger stimmt irgendetwas nicht, er ist mir sehr verdächtig, ausserdem hatte ich das Gefühl als würde er mich ständig beobachten.“
„Ja, klar, Mr. Important.“, antwortete nun Kim sehr ironisch klingend. „Ich hab da so ne Vorahnung bei dem Typen, wie damals bei Lord Monkey Fist.“, gab ihr Freund beleidigt zurück und fuhr mit Nachdruck fort, „Glaub mir KP, der Mantelträger wandert auf den Pfaden des Bösen.“
Die Sonne war gerade ganz untergegangen, als ein Motorrad genau bei dem Trio anhielt, worauf sich alle überrascht zum Fahrer drehten. Kim konnte sich nicht helfen, aber der Helmträger kam ihr äusserst bekannt vor. Sie war dann auch die Erste, die ihn erkannte und überrascht feststellte: „Brick?“
„Hallo Kim.“, gab dieser erfreut zurück, nachdem er seine Maschine abgeschaltet und den Helm abgezogen hatte. Mit einem Lächeln streckte er Kim seine Hand entgegen um zu gratulieren, für Ron gab es einen High Five, den dieser natürlich gerne entgegen nahm.
„Ich wollte euch zwei gerne persönlich gratulieren, heute hatte ich Zeit, College geht erst in ein paar Wochen los ...“, erklärte er, dann sah er Monique an, „ ... können wir?“
Er gab Monique einen Helm, den diese sofort dankend aufsetzte, ehe sie aufs Motorrad stieg, machte es sich darauf bequem und zwinkerte, soweit man das unter dem Visier sehen konnte, ihrer besten Freundin zu. Diese lächelte gerührt zurück. „Noch viel Spass euch beiden, wir reden morgen.“, rief sie Kim und Ron zu, bevor Brick sein Motorrad startete und davonbrauste.
Ron schaute etwas verwirrt wirkend zu seiner Freundin, bevor er diese ebenso verwirrt fragte: „Hab ich was verpasst?“ Kim schüttelte nur den Kopf, wobei Ron nun nicht ganz klar war, ob er dieses Kopfschütteln als Antwort oder als Beleidigung auffassen sollte.
„Na komm, wir gehen nach Hause. Du bist zum Essen eingeladen, du armer geplagter Mensch.“, sagte die Rothaarige dann mit gespieltem Mitleid, wandte sich zu Ron und nahm sanft dessen Hand.
Dieser Satz liess Rufus, der immer noch schlapp aus Rons Hosentasche hängte, sofort aufhorchen, mit erwartungsfrohem Gesichtsausdruck blickte er zu Kim, bevor er mit einem lauten, zufriedenen Quieken in seiner Tasche verschwand.

Haus der Possibles, abends
Nach einem genüsslichen Abendessen liessen sich die beiden Teenager im Wohnzimmer nieder. Wade wollte die von Kim mitgebrachten Drohnenrückstände sofort versuchen zu untersuchen, da diese eventuell Rückschlüsse auf Drakken geben könnten, und die beiden Teenager noch an diesem Abend wieder kontaktieren.
Kim machte es sich mit angezogenen Beinen auf der Couch bequem und blätterte in einem Magazin, während Ron auf dem Sessel, welcher der Couch gegenüber stand, Platz genommen hatte und nun auf der Suche nach einem geeigneten Programm, gelangweilt sämtliche Sender am TV durchzappte, um die lästige Wartezeit möglichst schnell zu überbrücken.
Kims Eltern unterhielten sich in der Küche über einen anstrengenden Tag, tranken Kaffee und assen Kuchen. Die Beziehung ihrer Tochter mit Ron hatte, nach anfänglichem Unbehagen und endlos scheinenden Debatten mit Rons Eltern, mittlerweile auch Mr. Dr. Possible akzeptiert. Kim war es nicht wirklich recht, dass ihr Vater, wie sie sagte, ein Riesentheater veranstaltete. Ron jedoch nahm ihm sein Verhalten in keiner Art übel, Kims Vater war ihm sehr ähnlich, im Endeffekt wollten sie beide nur das Beste für ihre Kim.
Kims Mutter, wie auch Rons Eltern, hatten die Beziehung von Anfang an unterstützt, sie vertrauten ihren Kindern blind und mit grösster Demut.
Was die Zwillinge anbelangte, die hatten so lange ihre üblichen Sprüche und Witze abgeleiert, bis auch dies langweilig wurde und wandten sich nach und nach wieder ihren Basteleien zu. So lautete jedenfalls ihre offizielle Version. Wie sich herausstellte hatten die Beiden schon seit Jahren eine Wette im Internet darüber laufen, wie lange es noch dauern würde, bis Kim und Ron endlich zusammenkommen würden. Mrs. Dr. Possible war eher durch Zufall auf das ’Wettbüro’ ihrer Söhne gestossen und war darüber so entrüstet, dass sie den Beiden, unter Androhung von etwas Schlimmeren als Hausarrest, jeglichen schnippischen Kommentar zu Kim und Rons Beziehung auf Lebenszeit verboten hatte. Diese Drohung hatte offenbar eine sehr nachhaltige Wirkung auf Jim und Tim, denn seither waren sie ihrer Schwester gegenüber die reinsten Engel.
„Och Menno, es läuft wieder gar nichts.“, sagte Ron überaus genervt. Kurz blickte Kim auf ihren Ersatz-Kimmunicator auf dem Tisch vor ihr, wandte sich wieder ihrem Magazin zu und meinte nur: „Wir sind ja auch nicht zum Fernsehen hier.“
Diese Ansage ignorierend, zappte Ron ungeduldig weiter und kommentierte schliesslich nach einiger Zeit jeden Knopfdruck: „Langweilig, ... langweiliger, ... noch langweiliger, ... intere ... langweilig, ... Nachrichten, ah, Jack Hench ...“
Dieser, ihr wohlbekannte Namen liess Kim augenblicklich von ihrem Artikel aufblicken. „Moment Ron, lauter bitte.“ – „Ich dachte wir sind nicht zum ...“, Ron verschluckte den Rest des Satzes, als er den eiskalten, blutrünstig wirkenden Blick von Kim sah, grinste unterwürfig und tat wie ihm gesagt.

„ ...scheint die Übernahme von Hench Industries durch Ccorp beschlossene Sache.“, konnte man von dieser blonden Journalistin vernehmen. Sie fuhr fort: „Leider konnten wir Mr. Hench zu keinem Interview bezüglich der scheinbar beschlossenen Zukunft seiner Firma überreden. Unbestätigten Meldungen zufolge, wird Henchs Firma nach der Übernahme ausgeweidet und in eine reine Forschungsanstalt umgebaut. Ccorp, unter der Leitung von Dr. Chen, ist vor wenigen Wochen ein Durchbruch auf dem Gebiet der Bioelektronik gelungen. Er hat sich der Bekämpfung von Armut und Krankheiten verschrieben und würde nun mit der Aufkaufung und Auflösung von Hench Industries, der dubiose Geschäfte mit Superschurken nachgesagt wurden, einen weiteren noblen Schritt gehen ...“

„Es geschehen noch Zeichen und Wunder!“, schrie Ron freudig erregt, als plötzlich der Kimmunicator mit dem wohl vertrauten Piepton klingelte. Kim griff sofort danach, während Ron den Fernseher ausschaltete und sich neben seine Freundin setzte.
„Was steht an Wade?“ – „Ich musste die Probe der synthetischen Biomasse ans Labor des NGG weiter leiten. Sie werden die Analyse übernehmen, die Ergebnisse stehen aber frühstens morgen fest.“, erklärte Wade mürrisch und mit ernster Miene.
„Was hast du rausgekriegt?“ Der schwarzhaarige Junge gab schwer beeindruckt wirkend Antwort: „Soweit ich das beurteilen kann, war dieses Labor vollgestopft mit jeder Menge digitalem Material. Die verschmorten Projektoren für die Hologramme zum Beispiel, waren auf dem neusten Stand der Technik, ausgerüstet mit Sensoren, welche die unmittelbare Umgebung scannen und die Projektion so auf unterschiedlichste Situationen einstellen können, wie Shegos Ausrutscher beispielsweise. Jedes Hologramm wurde von vier solchen Apparaten projiziert, was zu dieser verblüffenden Echtheit führte. Es handelte sich also praktisch um eine selbstdenkende Simulation. Hier steckt eindeutig ein Genie dahinter.“
„Warum hat sich dann Drakkens Hologramm nicht auf den Drohnenkopf eingestellt?“, fragte Ron, dem die Begegnung mit besagtem Stück Plastik in bester Erinnerung geblieben war.
Knapp antwortete Wade: „Wahrscheinlich Absicht, zu dem Zeitpunkt hattet ihr ihn ja eingekreist, also wäre seine Täuschung sowieso aufgeflogen.“
Obwohl Kim die Antwort auf ihre nächste Frage bereits kannte, fuhr sie weiter: „Konntest du irgendwelche Daten isolieren? Irgendetwas, das uns auf Drakkens Spur bringen könnte?“
Enttäuscht schüttelte er den Kopf: „Tut mir leid, aber da war nichts mehr zu retten, weder die Computer, noch irgendwelche Daten, noch nicht einmal dein alter Kimmunicator. Die Projektoren führen ebenfalls in eine Sackgasse, da sie Drakken offensichtlich selbst gebaut und nicht irgendwo käuflich erworben hat. Ich gebs nur ungern zu, aber dieses Mal war er sogar mir zwei Schritte voraus.“ – „Halt uns auf dem Laufenden.“
Geschockt von Wades Machtlosigkeit, schaltete die Teenieheldin den Kimmunicator aus, sank, wieder den Tränen nahe, in sich zusammen und seufzte verzweifelt. Wenn nicht einmal Wade etwas ausrichten konnte, wer dann?
Ron stand auf, kniete sich vor Kim und legte seine Hände auf ihre. Er wollte gerade etwas Aufmunterndes sagen, als er Kims Gesichtsausdruck bemerkte, der ihm den Atem stocken liess. Noch nie hatte er bei ihr einen solch verzweifelten Blick gesehen, nicht einmal an diesem schicksalsträchtigen Abend in der Hauptfiliale von Bueno Nacho, wo er der Teenagerin seine Liebe gestand. Dieser Blick war voller Angst, Verwirrung und Hoffnungslosigkeit und jagte Ron kalte Schauer über den Rücken. Es schien ihm, als ob Kim in dem Moment den Glauben an sich selbst verloren und sich aufgegeben hätte.
„Ich glaube wir müssen uns dringend unterhalten.“, sagte Ron nach einer kurzen Zeit des Schweigens mit einem sehr ernsten Ton und fragte schliesslich, „Gehen wir aufs Dach?“

Von Kims Zimmer aus konnte man durch das Fenster aufs schwach abfallende Vordach oberhalb der Eingangstüre gelangen. Ron hatte dort eine grosse Decke ausgebreitet. Sie legten sich nebeneinander darauf und sahen beide, vorerst schweigend, in den nächtlichen, wolkenlosen Sternenhimmel. Es war eine wunderschöne Nacht, der Mond war gerade aufgegangen, von überall her konnte man das leise Zirpen der Grillen wahrnehmen. Langsam erwärmte sich die Decke durch das, über den Tag aufgewärmte Vordach und sorgte bei beiden Teenagern für grösstes Wohlbefinden. Sie kamen oft hier hoch, um zu reden oder einfach nur um abzuschalten und einige Stunden frei von den Alltagssorgen zu verbringen, hier hatten sie auch die Nacht nach dem Abschlussball verbracht.
Für Ron war dieser Platz ein kleines Stück Himmel, hier hatte er etwas unendlich Wertvolles entdeckt. Etwas, was er nie gedacht hätte je zu finden, und er würde alles dafür tun, es nicht wieder zu verlieren. Seit er mit Kim zusammen war hatte er so viel gelernt über tiefste Demut, innigstes Vertrauen, über das Leben und nicht zuletzt über sich selbst. Er war an diesen Erfahrungen gewachsen, ohne seine kindliche Begeisterung, wie Kim es immer ausdrückte, jemals zu verlieren. Gerade diese Gedanken halfen ihm durch schlechte Momente und vermochten es ein Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, wie sie es in genau diesem Moment wieder taten. Er verdankte Kim vieles in seinem Leben, natürlich hatten sie auch Meinungsverschiedenheiten, aber schliesslich war sie immer für ihn da, hielt zu ihm und gab ihm neuen Mut und Hoffnung, nun war es Zeit ein wenig, und wenn auch nur ein kleines Bisschen davon zurückzugeben.
Ron verschränkte langsam die Hände hinter seinem Kopf und nahm einen tiefen Atemzug, bevor er fragte: „Du fühlst dich also einsam und verlassen?“
Kim setzte sich sofort erschrocken auf, wie ein kleines Schulkind, das man gerade beim Abschreiben erwischt hatte, und sah mit grossen Augen auf ihren Freund herab. Er hatte es also gemerkt, dachte sie bei sich, bevor sie sich mit Tränen in den Augen von ihm wegdrehte.
Ron setzte sich daraufhin ebenfalls auf, umschloss von hinten mit beiden Armen Kims Bauch und legte sein Kinn auf ihre Schulter. Anfänglich wehrte sie sich ein wenig gegen Rons Umarmung, doch ergab sich schliesslich in seine Zuneigung und lehnte ihren Kopf gegen seinen. Sie schloss dabei ihre Augen, worauf eine Träne über ihre Wange kullerte, sie erinnerte sich wieder an den Abschlussball und die Stunden danach, in denen sie hier oben einfach nur geredet hatten.
„Ich weiss, dass diese Gedanken, die du im Moment mit dir herumschleppst, nicht gegen mich gerichtet sind. Auch wenn ich es nicht verstehen mag, so ist es dein Recht dich so zu fühlen, aber dein Blick vorhin, diese Hoffnungslosigkeit, als ob du dein ganzes Selbstvertrauen verloren hättest. Ich will nie wieder einen solchen Blick von dir sehen, nie wieder!“, sagte er mit ruhiger, sehr ernsthafter Stimme, aber gleichzeitig mit dem grössten Respekt. Nach einer kurzen Pause fuhr der blonde Teenager fort: „Was auch immer passieren mag, ich bin immer für dich da, immer, das darfst du niemals vergessen.“
Kim war überwältigt, so hatte sie ihren Freund noch nie sprechen gehört. „Ach Ron.“, erwiderte sie nur bevor sie ein weiteres Mal in Tränen ausbrach. Sie drehte dabei wieder zu Ron, umarmte ihn und heulte sich lange an seiner Schulter aus, bis sie schliesslich erschöpft einschlief. Wie ein kleines Kind hatte sie sich an ihn angeschmiegt, hielt sich fest an seinem Pulli, als ob sie den Teenager nie wieder loslassen möchte. Dieser strich ihr sanft übers Haar und lächelte, er würde die ganze Nacht über sie wachen.

Nächster Tag; Middleton High, morgens
In den Gängen der Middleton High herrschte das übliche Durcheinander, nachdem die Klingel gerade die zweite Stunde beendet hatte. Überall konnte man die gestressten Teenager dabei beobachten, wie sie versuchten ihren Schulalltag halbwegs zu überleben, die Pause überbrückten oder einfach verzweifelt den Weg zur nächsten Schulstunde suchten.
Barkin hatte sich wieder Mal ein Opfer ausgesucht, das ihm offensichtlich negativ aufgefallen war und das er jetzt mit seinen moralischen und ethnischen Ansichten zudichtete. Allerdings schien der Mantelträger von Barkins Standpauke nicht sonderlich beeindruckt. Er musste mehrmals ein uninteressiertes Gähnen unterdrücken, was Barkin selbstverständlich bemerkte und schliesslich dazu veranlasste sein Gegenüber wegen mangelndem Respekt und Disziplinlosigkeit zum Nachsitzen zu verdonnern. Aber nicht einmal diese Massnahme schien den Neuen in irgendeiner Weise zu stören.
Nicht weit davon entfernt standen Kim und Monique in der Eingangstüre zur Abstellkammer, in der Ron einst für einige Zeit eingesperrt gewesen war. Die beiden Mädchen hatten sich jeweils am Türrahmen angelehnt und beobachteten lächelnd Ron, der es sich bereits vor der ersten Stunde in der Besenkammer auf einem Stuhl bequem gemacht hatte und dort eingeschlafen war.
„Er war also die ganze Nacht wach und hat auf dich aufgepasst?“, fragte Monique schwer beeindruckt, aber auch etwas überrascht.
Kim nickte nur. „Er hat mich heute früh geweckt, ich hab noch nie einen so schönen Sonnenaufgang erlebt.“, antwortete sie stolz und kam beinahe nicht mehr aus dem Schwärmen heraus, „Er hat es sich sofort in der Besenkammer bequem gemacht, als wir hier angekommen sind, und ist auf der Stelle eingeratzt.“
Fasziniert schaute Kim zu ihrem Freund, irgendwie schaffte er es immer wieder sie aufzuheitern. Die Teenieheldin fragte sich häufig woher er diesen unermüdlichen Willen hernahm, um schwierige Situation derartig gelassen anzugehen und zu meistern. Nach einer kurzen Pause fragte sie lächelnd: „Wie lief es gestern eigentlich mit Brick?“
Mit dieser Frage nahm Kim ihren Rucksack, drehte sich von der Besenkammer weg, wartete bis sich auch Monique von Rons Anblick losreissen konnte und schloss schliesslich die Türe. Sie schaute dabei zu Barkin, der mittlerweile brüllend und mit den Händen wild gestikulierend auf den Mantelträger einredete. So wies aussah würde Barkin noch einige Zeit beschäftigt sein und nicht nach Ron suchen. Und wenn doch, dann sicher als Letztes in der Abstellkammer. Hier würde Ron also seine wohlverdiente Ruhe haben.
Die rothaarige Teenagerin schlug den Weg zu ihrem Schrank ein, sie brauchte noch ein Buch für die nächste Stunde. Monique begleitete sie und antwortete endlich als die Beiden an Kims Schrank angekommen waren: „Er mag vielleicht nicht immer der Hellste sein, aber er ist sehr zuvorkommend und nett.“
Kim grinste sie an, während sie ihren Schrank öffnete, den Rucksack absetzte und besagtes Buch suchte. Monique wollte schon mal vorgehen, sie kam allerdings nicht weit. Bereits an der nächsten Ecke krachte sie mit einer Person zusammen, weil sie nicht richtig darauf achtete, wohin sie ging.
„Pass doch auf!“, fuhr Monique die Person an, allerdings stockte ihr recht schnell der Atem, als sie bemerkte, wogegen sie gerade gelaufen war.
Erschrocken ging sie einige Schritte zurück und rief lauthals nach ihrer besten Freundin. Diese, immer noch mit ihrer Büchersuche beschäftigt, blickte sich sofort nach ihrer besten Freundin um und war vom Anblick, welcher sich ihr bot, ebenfalls geschockt.
Da standen doch tatsächlich zwei Shegodrohnen in einer Art Kampfformation, hintereinander und seitlich etwas versetzt. Monique hatte keine Chance zu reagieren, die vordere Drohne holte zum Schlag aus und traf das Mädchen mit voller Wucht am Gesicht, so dass sie hart an gegen die Wand geschleudert wurde und sofort KO ging. Danach setzten sich die beiden Drohnen langsam in Bewegung und kamen direkt auf Kim zu, welche dem Geschehen tatenlos zuschauen musste. Wohl oder übel musste sie nun zuerst die beiden Drohnen ausschalten, bevor die ihrer besten Freundin zur Hilfe eilen könnte, da sich die künstlichen Angreifer bereits zwischen ihr und der schwarzhaarigen Teenagerin befanden.
In grösster Sorge um Monique ging sie in Kampfstellung, als sie hinter sich plötzlich ein, ihr sehr vertrautes Zischen wahrnahm. Intuitiv zog sie ihren Kopf ein und stiess sich seitlich von der Wand weg. Über ihrem Kopf schlug eine dritte Shegodrohne wuchtig auf die offene Schranktüre und riss diese so aus den Scharnieren, auf dass sie durch den Gang segelte, genau auf die anderen beiden Drohnen zu. Die Vordere liess ihre künstlichen Hände augenblicklich aufglühen, zerfetzte die verbeulte Schranktüre im Flug, als wenn sie aus Papier bestanden hätte, und hielt weiter unbehindert auf die Teenieheldin zu.
Diese konnte zwar gerade die dritte Drohne von ihren künstlichen Beinen holen und wollte, am Boden kriechend, in ihrem Rucksack nach dem Laserlippenstift suchen, wurde aber von einer vierten, ebenso lautlos auftauchenden Drohne heftig am Hals gepackt und an die, den Schränken gegenüberliegende Wand gedrückt. Sofort bekam Kim den Ernst der Lage zu spüren, ihre Füsse berührten den Boden nicht mehr und die Drohne drückte ihr langsam aber sicher die Luft ab. Kim schrie lauthals und verzweifelt, bis ihre Stimme wegen des Würgegriffs versagte. Sie bohrte ihre Fingernägel in den künstlichen Arm ihres Gegners und trat, soweit möglich, wild um sich, allerdings ohne die erwünschte Wirkung, denn die Drohne lockerte ihren Griff in keiner Weise, ganz im Gegenteil.
Die anderen drei Drohnen, welche anfänglich die Geschehnisse zu beobachten schienen, setzten sich wieder in Bewegung, als ob sie auf der Suche nach jemandem wären, und entfernten sich vom Schauplatz.
„Wahrscheinlich suchen sie nach Ron.“, dachte Kim entsetzt und sie würde ihm nicht helfen können. Die Teenagerin wurde schnell müde und ergab sich, mittlerweile kraftlos geworden, in ihr Schicksal. In dem Moment wusste sie, dass es vorbei war. Sie schaute der Shegodrohne panisch direkt in deren neongrünen, starren Augen. So hatte sie sich ihr Ende sicher nicht vorgestellt.
Langsam wurde der Teenieheldin schwarz vor Augen, sie konnte aber noch schemenhaft erkennen, wie die Drohne ihre linke Hand aufglühen liess und scheinbar zum entscheidenden Schlag ausholte, als ob es ihr nicht gut genug erschien ihr Opfer einfach nur zu erwürgen.
Plötzlich blitzte kurz etwas auf, dann flog die eben noch aufglühende Drohnenhand quer durch den Gang und Kim nahm erneut ein Bad im Bioschleim. Die Drohne drehte den Kopf sofort nach links, von woher sie angegriffen wurde, bekam aber allerdings keine Gelegenheit mehr den Angriff zu erwidern, denn der Angreifer trennte ihr blitzschnell den künstlichen Kopf von den Schultern ab, worauf sie ihr Opfer augenblicklich fallen liess.
Kim schlug hart auf, fasste sich augenblicklich an ihren Hals, setzte sich auf und holte dabei röchelnd und mit geschlossenen Augen tief Luft und hustete schliesslich. Ihr Retter griff die Shegodrohne an der Schulter und schleuderte ihren leblosen, künstlichen Körper an die gegenüberliegende Wand, wo sie ihren Inhalt unter einem widerlichen Geräusch quer über die Schränke verteilte.
Nun erkannte die rothaarige Teenagerin auch endlich, wer ihr das Leben gerettet hatte. Er trug einen langen, schwarzen Mantel, der beinahe den Boden berührte, über schwarzen Hosen und, soweit es Kim erkennen konnte, einem schwarzen Hemd. Sein mittellanges Haar war ebenfalls schwarz, seine linke Wange wurde von vier schmalen, langen Narben geziert. In seiner rechten Hand hielt er ein wunderschönes, gebogenes Schwert, von dem noch Biomasse tropfte. Die Klinge und der Holzgriff waren mit fremdartigen Zeichen verziert.
Der Mantelträger half Kim auf die Beine, sagte aber nichts dabei, er zeigte auch keine Emotionen. Kim bekam eine Gänsehaut, dieser Typ hatte eine gewaltige Ausstrahlung. Er war einen guten Kopf grösser als sie selber, wirkte schlank und doch sehr muskulös und hatte ein eigenartiges Feuer in seinen sehr dunklen Augen.
„Danke.“, sagte Kim, beeindruckt wirkend, mit noch etwas schwacher Stimme. Der Mantelträger erwiderte nichts darauf, setzte sich mit der freien Hand eine Sonnenbrille auf und deutete danach auf die regungslose schwarzhaarige Teenagerin. Kim holte ihren Kimmunicator hervor und rief den Notruf, ehe sie zu Monique rannte, die immer noch bewusstlos an der Wand lag, und sich zu ihr runter beugte, um sich um sie zu kümmern.
Währenddessen ging der Mantelträger an den Beiden vorbei und pfiff den restlichen drei Drohnen, die gerade hinter der nächsten Ecke verschwinden wollten, laut nach. Diese drehten sich langsam synchron um und rannten schliesslich auf den Typen zu, als sie begriffen, dass ihr Auftrag noch nicht beendet war.
Unter Kims erstaunten Augen ging ihr Retter den Drohnen völlig gelassen wirkend entgegen, schleifte dabei die Klingenspitze leicht am Boden nach, was ein Geräusch erzeugte, welches vielen Menschen zusammenzucken lassen würde. Im ersten Augenblick schien der Unbekannte sehr langsam zu sein, griff aber mit einer unglaublichen Schnelligkeit und Präzision an. Die erste Drohne konnte noch nicht einmal zu einem Schlag ausholen, schon hatte sie ihren künstlichen Kopf verloren.
Die Nächste sprang mit einem Salto über den Schwarzhaarigen hinweg und brachte sich hinter seinem Rücken in Kampfposition, um die numerische Überlegenheit richtig ausnutzen zu können. Dann kreisten sie langsam um ihren Gegner, während dieser ruhig stehen blieb, um im richtigen Moment zum Angriff überzugehen. Als die Drohnen nahe genug waren, drehte er sich um seine eigene Achse und erwischte die Erste auf Bauchhöhe, halbierte diese beinahe und trennte ihren rechten Unterarm vollständig ab. Der Zweiten schlitzte er die Brust schräg von unten nach oben auf und blieb schliesslich mit ausgestrecktem rechten Arm stehen. Im nächsten Moment fielen die starr gewordenen Drohnen um, wobei sie ihre übliche Schweinerei hinterliessen.

„So, Sie haben alle genug gesehen, gehen Sie wieder in ihre Klassen!“, schrie Barkin stinksauer die vielen Schaulustigen an. Man konnte ihm seine schlechte Laune nicht übel nehmen, denn er wurde beim Angriff der Shegodrohnen ebenfalls verletzt. Der rechte Ärmel seines Anzugs war zerfetzt worden und er hatte einige Schnittwunden erleiden müssen. Offenbar wollte er sich aber trotzdem um keinen Preis untersuchen lassen. Jeder Arzt, der sich ihm auf weniger als einen Meter näherte, wurde gnadenlos angebrüllt und wieder vertrieben.
Monique, die mittlerweile aufgewacht war, wurde gerade in den Krankenwagen verladen. Der Arzt sagte, sie hätte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, würde es aber überleben.
Kim war im ersten Augenblick sehr erleichtert, bevor ihre Erleichterung in abgrundtiefen Hass umschlug. Bisher hatte Drakken nicht zu derartig aggressiven Mitteln gegriffen oder jedenfalls nur ihr Gegenüber. Er hielt sich doch sonst immer an den Schurkenkodex, aber wie es schien, hatte er seinen Feindeskreis ausgeweitet, wenn er nun schon ihre Freunde und Lehrer tätlich angreifen liess. In diesem Moment ging der Kimmunicator los, worauf Kim wie üblich sofort ranging.
Wade sagte triumphierend mit einem breiten Grinsen auf den Lippen: „Ich habe Drakken. Er lässt sich immer noch seine Post nachschicken. Ich geb dir seine genaue Position durch.“
Als Wade die frischen Drohnenrückstände bemerkte, fragte er überrascht: „Was ist denn mit dir passiert, du siehst übel aus.“
„Das ist eine lange Geschichte.“, seufzte Kim und stellte mit einem bösen, zufriedenen Grinsen fest, „Du hast Drakken? Das trifft sich gut, wir werden ihm einen Besuch abstatten, den er nie vergessen wird.“
Mit diesen Worten schaltete sie den Kimmunicator aus, verstaute ihn in ihrer Tasche und wollte Ron holen, als dieser gerade, etwas verschlafen wirkend, durch den Haupteingang auf sie zukam, als ob er Kims Gedanken gelesen hätte, und sich gähnend den Nacken kratzte.
„Was ist das für ein Lärm hier, hab ich was verpasst?“, fragte er verlegen. Kim blieb am Fusse der Ein-gangstreppe stehen und schaute ihn mit grossen Augen an, ehe sie genervt antwortete: „Allerdings, ich erklärs dir auf dem Weg.“
Sie sprang auf Ron zu, zog ihn heftig am Ärmel und wollte so schnell wie möglich los, als sich plötzlich Barkin mit verschränkten Armen vor ihr aufstellte.
„Possible!“, schrie er stinksauer, „Vielleicht könnten Sie mir einiges von dieser Schweinerei da drinnen erklären, zum Beispiel, wie ich verletzt werden konnte.“
Er wies dabei auf seinen Arm und schaute Kim böse an, fuhr aber sofort Ron an, als er diesen sah. „Stoppable, wo waren Sie heute morgen?“, fragte er zischend und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort, „Wir sprechen uns noch! Big Mike und Co. werden sich freuen Sie wieder zu sehen. Und was Sie betrifft ... “, dabei wandte sich der Lehrer schliesslich zum Mantelträger, welcher schweigend die ganze Zeit angelehnt neben der Eingangstüre gestanden war, „ ... sollte ich Sie jemals wieder mit einer Waffe in meiner Schule erwischen, werde ich Ihnen persönlich den ***** aufreissen! Und nun verschwindet alle drei, ich will für heute noch mal Gnade vor Recht ergehen lassen, schliesslich habt ihr Schlimmeres verhindert.“ Der Lehrer schnaubte wie ein zorniges Nashorn, als er den Dreien den Rücken zukehrte und durch die Eingangstüre verschwand.
Kim und Ron wischten sich den Schweiss von der Stirn und atmeten erleichtert aus, sie dachten schon es wäre um sie geschehen, der Mantelträger schlenderte einige Schritte und lehnte sich schliesslich gleichgültig an eine der Eingangssäulen.
Kim beobachtete den Kerl und geriet in Gedanken ins Schwärmen. Seine Vorstellung vorhin hatte sie tief beeindruckt. So ruhig und konzentriert, so gründlich, beinahe perfekt und immer wohl überlegend war er vorgegangen und liess den Shegodrohnen nicht den Hauch einer Chance. Der Kampf war entschieden, bevor er überhaupt begann. Dieser Kampfstil kam ihr irgendwie bekannt vor, sie erinnerte sich aber nicht woher sie ihn kannte.
„Du hast mir das Leben gerettet, ich schulde dir was.“, rief sie ihm respektvoll lächelnd zu. Der Unbe-kannte antwortete knapp, immer noch absolut desinteressiert scheinend, mit einer rau, beinahe rauchig klingenden Stimme: „Wenn du meinst.“
„Der hat dir das Leben gerettet?“, fragte Ron flüsternd und verunsichert, sichtlich von dieser Tatsache getroffen.
Kim flüsterte, ohne den Mantelträger aus den Augen zu lassen, schnell zurück: „Das kannst du ja noch gar nicht wissen. Er wandert wohl doch nicht auf den Pfaden des Bösen.“
Ron fiel der anhimmelnde Blick, der seine Freundin diesem Typen zuwarf, als ob sie hypnotisiert worden wäre, und dieser Blick gefiel ihm ganz und gar nicht. Der Teenager war in dem Moment nicht eifersüchtig, eher besorgt. In Kims derzeitigen Zustand könnte man sie so einfach manipulieren und beeinflussen. Also selbst wenn dieser Typ seiner Freundin das Leben gerettet hatte, er traute ihm immer noch nicht über den Weg.
„Gibst du mir bitte deinen Kimmunicator?“, Fragte Ron mit einem aufgelegten Grinsen. Dieses Mal wandte sich Kim dem blonden Teenager zu, lächelte zurück, nickte schliesslich und gab ihm den Kimmunicator. Als sie sich wieder umdrehte, musste sie enttäuscht feststellen, dass der Unbekannte in Schwarz verschwunden war, also wandte sie sich wieder ihrem Freund zu.
„Ich geh jetzt nach Hause, ziehe mich um, danach jagen wir Drakken.“, sagte Kim mit einem sehr ernsten Unterton.
Ehe Kim ihren Freund verliess, nickte dieser lächelnd und gab als Antwort: „Geh du nur vor, ich hole dich gleich ab.“
Es war offensichtlich und nicht nur, weil ihr Gesicht gerade die Farbe ihrer Haare annahm. Der Rotschopf kochte vor Wut. Drakken würde für diesen schändlichen Angriff heute bezahlen, dafür würde sie Sorge tragen. Er würde es bereuen, dass seine Drohne sie nicht getötet hatte.
Als er Kim nicht mehr sehen konnte, kontaktierte Ron sofort Wade. Da sie seine Warnung bezüglich des grossen Unbekannten, wie es schien, nicht beachten wollte, musste er das eben selbst in die Hand nehmen. Kim wanderte auf einem gefährlich schmalen Grat, aber Ron würde ihr, wenn nötig, gar gegen ihren Willen den Rücken freihalten.
Wade schlürfte gerade einen Schluck aus einem seiner Getränkebecher, blickte etwas überrascht und fragte dementsprechend zögerlich: „Ron? Was kann ich für dich tun?“
Der blonde Teenager verzog eine Miene und antwortete sehr ernst: „Kannst du jemanden für mich überprüfen?“

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