Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 3

Kapitel 3 – Phoenix

Nächster Tag; Bueno Nacho, abends
„Wie hast du Barkin dazu gebracht dich in Ruhe zu lassen?“, fragte Kim ihr Gegenüber. Dieser war ein wenig überrascht, wies schien hatte sich seine kleine Vorstellung gestern schnell herumgesprochen. Er blickte nur kurz auf, ehe er grinsend antwortete: „Ich habe ihn vor eine Wahl gestellt, die sogar er verstanden hat.“
Die Teenieheldin sass auf ihrem üblichen Platz im Bueno Nacho und löcherte ihren Lebensretter seit einer geschlagenen Stunde mit allen möglichen Fragen, welche er, wenn überhaupt, nur widerwillig und knapp beantwortet hatte. Dabei hatte er beide Beine auf den Sitzbank hochgelegt und sich mit verschränkten Armen gegen die Fensterscheibe gelehnt, sich gelegentlich einen Schluck aus seinem Trinkbecher genehmigt, desinteressiert mit ihm gespielt, die Tortur aber ansonsten wort- und regungslos über sich ergehen lassen. Das schien die rothaarige Teenagerin in ihrer Schwärmerei reichlich wenig zu stören, eher im Gegenteil fühlte sie sich dadurch sogar angespornt.
Sie hatte den Schwarzhaarigen, wie sie sagte, dafür ins Bueno Nacho eingeladen, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Obwohl dieser eigentlich nicht auf diesen Fastfood stand, willigte er dankend ein, aber mittlerweile ging ihm diese ständige Bohrerei doch allmählich auf die Nerven.
Plötzlich stöhnte er laut auf, fasste sich augenblicklich krampfartig mit der rechten Hand an die linke Seite, als ein stechender Schmerz durch seinen Körper fuhr, der ihm den Atem einschnürte. Nach einigen Sekunden war der Spuk bereits wieder vorbei, erleichtert entspannte sich der Schwarzhaarige wieder und fasste sich vorsichtig an seine linke Wange, eine seiner Narben war aufgegangen und ein Bluttropfen lief in Richtung seines Kinns. Unter den besorgten Augen von Kim wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, nahm einige Eiswürfel aus seinem Getränk wickelte sie in eine Serviette und legte sich den improvisierten Eisbeutel auf die Wange.
„Nur ein altes Leiden, das sich hin und wieder meldet.“, erwiderte er auf den sorgenvollen Blick seines Gegenübers. Kim kreuzte die Hände, lehnte sich vornüber und fragte, beinahe flüsternd: „Darf man fragen, woher du diese Narben hast?“
Sofort merkte die Teenagerin, dass sie dieses Thema besser nicht angeschnitten hätte. Sein Blick veränderte sich, wurde eiskalt und brutal, seine fast schwarzen Augen durchbohrten Kim und jagten ihr kalte Schauer über den Rücken. Giftig, aber sich beherrschend, fragte er zurück: „Darf man fragen, wo dein Freund ist?“
Er wusste genau, wo er die Teenieheldin am Schlimmsten treffen konnte. Dieser stockte der Atem, es lag soviel Hass in seiner Stimme, dass sich ihr Herz zusammenzog, dann meldete sich ihr schlechtes Gewissen, denn sie hatte Ron tatsächlich nichts von diesem Treffen erzählt. Der Narbenträger schlug den Eisbeutel hart auf die Tischplatte, so dass Kim aus ihren Gedanken aufschreckte, dann stand er dreckig lächelnd auf und verabschiedete sich knapp mit einem „Danke für die Einladung“.
Kim schaute ihm sprachlos mit glasigen Augen nach, während man von Draussen das Quietschen von Rädern eines Rollers hören konnte. Keine zehn Sekunden später stürmte Ron keuchend, beinahe hechelnd durch den Haupteingang direkt auf Kim zu, rannte fast den Mantelträger über den Haufen, und schrie schliesslich lauthals herum: „Geht alle sofort in Deckung!“
Er erntete aber mal wieder nur gelangweilte und ungläubige Blicke, was vermutlich auch an seinem Affentanz lag, den er gerade zum Besten gab. Der hatte allerdings schnell ein Ende. Als er den Mantelträger bemerkte wurde Ron schlagartig still, drehte langsam den Kopf zu Kim und warf ihr einen zerstörerischen Blick zu, als er begriff, dass seine Freundin ihn hintergangen hatte.
„Ron ...“, wollte Kim beginnen, aber ihr versagte die Stimme, dieser Hass, diese Verachtung und Ungläubigkeit in Rons Augen liessen die Teenagerin sofort brutal wissen, was ihr Freund von ihrer Aktion hier hielt. Mit Tränen in den Augen blickte sie auf die Tischplatte und blieb still sitzen, während der Narbenträger grinsend, aber kopfschüttelnd auf den Eingang zuschritt. Er hatte seine Hand schon am Türgriff, als ihn der blonde Teenager aufgeschreckt anbrüllte. „Wenn du da raus gehst, bist du ein toter Mann!“, hielt Ron ihn zurück und deutete auf die Eingangstüre. Der Mantelträger liess den Griff wieder los und antwortete halb amüsiert und halb ernst klingend: „Du drohst mir?“
Der Teenager grinste verlegen, als der Schwarzhaarige mit grossen Schritten auf ihn zukam und nur wenige Zentimeter vor ihm stehenblieb, dann wechselte er, um seine Nervosität zu überspielen, den Gesichtsausdruck und antwortete schliesslich frech: „Nein, ich hab dir nur gerade dein Leben gerettet, danken kannst du mir später.“
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Auf dem Dach eines mittelhohen Bürogebäudes schräg gegenüber des Bueno Nachos machte sich ein von Kopf bis Fuss schwarzgekleideter Scharfschütze bereit. Er hatte gerade sein Gewehr zusammen gesetzt und sich in Stellung gebracht, flach hingelegt auf einer kleinen, quadratischen Erhöhung. Ruhig kontrollierte er die Sicht und die Windverhältnisse und war sehr zufrieden. Es war eine wunderschöne, sternenklare Nacht, praktisch windstill und von seinem Platz aus hatte er freies Schussfeld auf Kim, konnte jedoch den Mantelträger nicht sehen. Dieser war kurz vorher aufgestanden und aus dem Winkel durch den Sitz verdeckt.
Gerade als er Kim ins Visier nahm, wurde er durch einen rasenden Rollerfahrer gestört, wie er erkennen konnte war es Ron, der stürmisch seine Maschine abstellte, seinen Helm quer über den Vorplatz schleuderte und das Bueno Nacho panisch betrat. Darauf vernahm der Auftragskiller lautes Geschrei, welches er nicht verstehen konnte. Der Schütze begriff sofort, dass Stoppables Auftauchen nur mit ihm zusammenhängen konnte. Als der Mantelträger das Bueno Nacho nicht verliess, obwohl er dies aber offensichtlich vorhatte, wurde er in seiner Theorie bestätigt und musste sofort handeln. Dank Rons Auftauchen war der Schütze aus dem Konzept geraten und wurde derart gestresst, dass er den kleinwüchsigen, weissbärtigen Mann, welcher sich in seinem Rücken lautlos anschlich, nicht bemerkte.
Wieder nahm der Attentäter Kim ins Visier, entsicherte seine Waffe, konzentrierte sich auf seine Atmung, während er durch langsames Drücken des Abzugs den Druckpunkt suchte. Er konnte sehen wie die Teenieheldin beide Augen schloss, und ihr eine Träne über die linke Wange lief. In dem Moment sprang ihm der alte Mann mit einem gewaltigen Satz in den Rücken, wodurch der Killer vor Schreck und vor Schmerzen laut aufschrie und sich nicht mehr auf die Teenieheldin konzentrierte, aber wegen seiner körperlichen Anspannung den Abzug dennoch durchzog.
Der alte Mann nahm geschockt und besorgt das Zerspringen einer Glasscheibe und einige weitere Schüsse eines zweiten Scharfschützen wahr. Der Erste hatte sich vom hinterhältigen Angriff halbwegs erholt, drehte sich unter Schmerzen auf den Rücken und versuchte seine Waffe auf seinen Angreifer zu richten. Dieser schlug sie ihm kurzerhand mit einem Tritt aus den Händen, machte einen Sprung zurück und brachte sich in Kampfposition.
Als der Auftragskiller sah, dass er es lediglich mit einem alten, gebrechlich wirkenden Mann zu tun hatte, grinste er überlegen, zog ein Messer und spielte hochmütig damit, als wollte er seinen Angreifer einschüchtern. Vor lauter Übermut vergass er aber, dass er vor einem Abgrund stand, denn als er einen Schritt zurückgehen wollte, verlor er das Gleichgewicht und viel unter einem grausamen Schrei rücklings auf die fünf Stockwerke tiefer gelegene Strasse. Der Killer war auf der Stelle tot, unter seinem Kopf bildete sich rasch eine Blutlache, die zäh in Richtung des nächsten Gullis floss. Respektvoll verneigte sich der Alte und flüsterte traurig kopfschüttelnd: „Hochmut kommt immer vor dem Fall.“
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Ron und der Mantelträger waren drauf und dran sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, als die Fensterscheibe bei Kims Tisch durch die eben abgefeuerte Kugel zerstört und Kims Kopf, offensichtlich getroffen, hart gegen die Lehne geschlagen wurde. Sie sackte bewusstlos in sich zusammen, ihr Oberkörper fiel schlaff vornüber und wurde schliesslich von der Tischplatte gestoppt. Geistesgegenwärtig begriff der Mantelträger als Erster, was passiert war und stiess Ron heftig neben Kim hinter die Sitzlehne in Deckung, während er selbige, unter weiteren Schüssen, die neben ihm in den Boden und in seine Sitzbank einschlugen, mit einem Sprung unter die Tischplatte suchte. Dabei schlidderte er über den rutschigen Boden und schlug hart mit der rechten Schulter an der Wand auf, wobei er durch die Glassplitter Schnitte an Armen und Beinen erleiden musste. Dann zog er Kim an ihren Beinen sanft, aber schnell unter den Tisch, stützte ihren Kopf und legte sie schliesslich vorsichtig ab.
Währenddessen presste Ron seinen Körper aufrecht sitzend so gut wie möglich an den Sitzbank. Es dauerte eine Weile, bis er realisierte, was gerade geschehen war, schliesslich riss ihn ein schrecklicher Schrei von draussen aus seinem starren Zustand. In grösster Sorge um Kim schaute er vorsichtig um den Sitzbank herum unter den Tisch und sah seine Freundin wie sie mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag und der Unbekannte fluchend und sitzend an die Wand gelehnt eine Art Pumpgun lud und Ron ebenso fluchend anbrüllte: „Verdammt Stoppable, halt deine verdammte Birne runter!“ – „Was ist mit Kim, ist sie ...“ Ron wollte den Satz nicht laut zu Ende führen und gar nicht erst daran denken, ihm gefror das Blut in den Adern.
Der Mantelträger erwiderte nichts darauf, er suchte vorsichtig mit seiner linken Hand die Tischplatte ab, bis er seinen, mittlerweile umgekippten Trinkbecher ertastet hatte. Er konnte diesen gerade noch unter den Tisch ziehen, bevor ein weiterer Schuss seine Hand nur knapp verfehlte und in die Tischplatte einschlug. Mit eindeutiger Gestik liess nun wiederum der Narbenträger den Schützen wissen, was er von dessen Aktion eben hielt, streckte seinen linken Arm erneut aus und zeigte ihm angeregt den Mittelfinger, was der Schütze dann wieder mit zwei Schüssen zu beantworten wusste.
Erfreut ob der erzielten gewünschten Wirkung, grinste der Mantelträger und streckte seine Zunge raus, als er einen Eiswürfel aus seinem Trinkbecher zog und dann, nachdem er einige Sekunden nachdenklich in den Becher geschaut hatte, genervt rumschrie: „Ned, da ist zuviel Eis in meinem Getränk, du kleiner Mistkerl!“
„Wenn du uns hier alle lebend rausbringst, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du hier gratis Getränke bekommst.“, schrie der Filialleiter mit hysterischer Stimme zurück. Ned hatte sich irgendwo hinter seinem Tresen versteckt und zitterte am ganzen Leib.
Noch während der Assistant Manager seine Gedanken lauthals verkündete, steckte der Mantelträger Kim das kleine Stück Eis in den Kragen auf ihr Genick, um endlich Rons Frage zu beantworten. Die rothaarige Teenagerin wachte augenblicklich aufgeschreckt auf, holte tief nach Luft und fasste sich mit der rechten Hand an den Kopf. An ihrer Stirn hatte sie einen blutroten Kratzer, den sie mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck und einem leisen „Au!“ abtastete, und war bis auf die höllischen Kopfschmerzen quicklebendig. Ron fiel ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, erleichtert atmete er auf und wischte sich seine tränenden Augen ab. „Ich dachte schon ich hätte dich verloren.“ Etwas verwirrt blickend fragte Kim: „Was ist passiert?“
„Da hat einer auf dich geschossen, du hast mehr Leben, als eine gottverdammte Katze, Possible.“, antwortete der Schwarzhaarige neben ihr, während er seine Pumpgun durchlud und sich kurzerhand eine störende Scherbe aus seinem rechten Unterarm zog. Er betrachtete das blutige Stück Glas kurz, dann sammelte er einige Scherben ein und legte sie vor die beiden Teenager, um ihnen ihre missliche Lage zu erklären.
„Das hier ist das Bueno Nacho ...“, dabei zeigte er auf die blutige Scherbe und positionierte links und rechts davon je eine weitere und wies dann auf die Rechte, „ ... ungefähr hier steht die fünfstöckige Anwaltskanzlei, von der aus Possible eben angeschossen wurde, aber dem Schrei von vorhin nach zu beurteilen, hat sich dieser Scharfschütze verabschiedet, bleibt also noch die zweite Ratte, welche vorhin auf mich geschossen hat, hier auf dem dreistöckigen Gebäude schräg gegenüber, etwa hundert Meter Luftlinie ...“, er tippte auf die verbliebene Scherbe und meinte schliesslich, „ ... wir brauchen ein Ablenkungsmanöver.“
Die beiden Teenager hörten aufmerksam zu und dachten schweigend eine Weile nach, bis Ron sich durch die Blicke seiner Gegenüber offensichtlich angesprochen fühlte. „Oh nein, seht mich nicht so an!“, meinte er nur, danach setzte er sich so vorsichtig wie möglich wieder auf, denn er bekam einen Krampf im Oberschenkel.
Kim robbte, unter dem Knirschen der Glasscherben unter ihrem Körper, ein Stück nach vorne, um besser nach ihrem Kimmunicator greifen zu können, während sie Ron besorgt nach seinem Zustand fragte.
„Na ja, abgesehen davon, dass du mich hintergehst und darauf beinahe zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage getötet wirst, geht’s mir blendend, danke.“, antwortete der blonde Teenager sarkastisch. Die Teenagerin erwiderte nichts und schaute nur schuldbewusst auf den Boden, auch Ron fügte nichts mehr an. Sie wussten beide, dass es wichtiger war erst einmal lebend hier raus zu kommen.
Schliesslich seufzte der Mantelträger laut auf, ihm war seine Lage unter dem Tisch sichtlich unbequem, bevor er, scheinbar auf eine Idee gekommen, fragte: „Wie viele Ausgänge hat dieser Laden hier eigentlich?“
„Drei ... den Haupteingang, den Lieferanteneingang durch die Küche hinten raus und eine Falltür aufs Dach, wieso?“, antwortete Ron verwundert, als er wieder seinen Kopf hinter der Sitzbankecke hervorstreckte und auf den erstaunten Blick von Kim reagierte, „ ... was? Ich hab hier mal gearbeitet, das musste ich wissen.“
Gelassen lächelnd erklärte der Narbenträger: „Wenn wir die Aufmerksamkeit des Schützen auf den Haupteingang lenken, könntet ihr durch den Hinterausgang raus und den Kerl dann stellen.“ Auf die rettende Idee gekommen, kontaktierte die Teenieheldin Wade, es musste alles perfekt ablaufen, aber es war möglich. „Wade, wir brauchen eine optische Täuschung.“
Ron gefiel die Idee nicht, genervt erwiderte er: „Wir? Und was machst du?“ – „Ich geh oben raus und geb euch Deckung.“ Der Schwarzhaarige deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger nach oben und grinste siegesgewiss. Murrend setzte sich der blonde Teenager wieder auf und verschränkte die Arme. Ihm gefiel es immer noch nicht, sich auf diesen Kerl zu verlassen, aber er hatte in dem Moment keine andere Wahl.

Zwei Minuten später öffnete sich der Haupteingang und sowohl Kim, als auch Ron verliessen das Bueno Nacho rennend und wechselten alle paar Sekunden ihre Richtung, so wie es gejagte Hasen tun, um es dem Scharfschützen möglichst schwierig zu machen. Das Cheerleadertraining hatte sich wieder einmal für beide Teenager bezahlt gemacht, denn tatsächlich war es dem Killer nicht möglich auch nur einen einzigen Treffer zu landen. Schliesslich konnte sich Ron hinter einem Müllcontainer verstecken, doch Kim blieb ohne erkennbaren Grund plötzlich einfach starr stehen. Der Schütze liess sich natürlich nicht zweimal bitten und traf die Teenieheldin auf Herzhöhe in die Brust, worauf sie, sehr zu seinem Erstaunen, nicht umfiel, sondern zu flackern begann.
„Miststück!“, konnte man laut aus seinem Mund vernehmen, als er begriff, dass er nur auf Hologramme geschossen hatte, worauf er sofort nervös durch das Zielfernrohr die nähere Umgebung des Bueno Nacho absuchte. Wie ein blutiger Anfänger hatte er sich austricksen lassen.
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Zeitgleich mit den Hologrammen verliessen Kim und Ron das Bueno Nacho effektiv durch den Lieferanteneingang. Kim sah sich einige Male unruhig um, ehe die beiden Teenager die Strasse überquerten und sich keuchend an besagtes Gebäude lehnten. Aus Erleichterung küsste Ron seine Freundin mehrmals schnell auf den Mund und drückte sie ganz fest, während über ihren Köpfen der Scharfschütze begann auf die Hologramme zu schiessen. Deshalb erwiderte Kim die Umarmung nur schwach, stiess den blonden Teenager von sich und deutete kopfschüttelnd zum Dach hoch.
Als ob der Auftragskiller Gedanken lesen könnte, brüllte er in dem Moment lauthals „Miststück!“ los, die Beiden begriffen schnell, dass ihr Ablenkungsmanöver bereits aufgeflogen war, dann war es still. Beide pressten sich so gut wie möglich an die Gebäudewand, ehe Kim nach ihrem Haarföhn griff. Der Schütze musste unbedingt ausgeschaltet werden, bevor er noch jemanden erschiessen würde, ausserdem hatte die rothaarige Teenagerin einige brennende Fragen für ihn bereit. Der Kerl war vielleicht die einzige Chance endlich etwas Licht in die ganze Sache zu bringen. Gerade als die Teenieheldin den Hacken abfeuern wollte, vernahm sie vom Dach herunter ein sehr vertrautes Zischen und einen fast kreischenden Schrei, Augenblicke später schlug neben den Beiden ein Scharfschützengewehr hart auf. Die rothaarige Teenagerin ging überrascht und verwirrt wirkend einige Schritte von der Gebäudewand weg und konnte an der Dachkante Shego sehen, welche Kim mit glühenden Händen übermütig zuwinkte.
„Dich kann man auch keine fünf Minuten alleine lassen, Prinzessin!“, schrie sie amüsiert klingen zu ihrer Erzfeindin. Diese lächelte nur sanft, obwohl sie doch sehr erstaunt darüber war, dass Shego ihnen half. Inzwischen hatte sich auch Ron von der Betonwand entfernt, stellte sich neben seine Freundin und schaute ebenso erstaunt zu Shego hoch.
„Was ...“, begann er einen Satz, wurde aber von einem weiteren Schuss abrupt unterbrochen. Unter einem kurzen Aufschrei wurde die Schwarzhaarige zu Boden gerissen. Anfänglich starrten beide nur reglos und geschockt zur Dachkante hoch, bis sie endlich begriffen, dass es noch nicht ausgestanden war und irgendwo noch ein weiterer Schütze sitzen musste. Sie zogen sich rennend ins Bueno Nacho zurück.
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Gerade als der zweite Scharfschütze fluchend das Täuschungsmanöver durchschaut hatte, stieg der Mantelträger durch die Falltüre aufs Dach des Bueno Nacho. Der riesige Sombrero deckte seine Position ideal. Er lauschte in die Nacht hinaus, bevor er vorsichtig um den Hut herumlugte und auf der gegenüberliegenden Strassenseite zuerst Ron erkennen konnte, dann Kim, wie sie nach ihrem Föhn griff, die Beiden hatten es also auch unbeschadet geschafft. Zufrieden drehte er sich in die andere Richtung und überblickte prüfend den gesamten Vorplatz des Bueno Nachos, um sein weiteres Vorgehen zu planen, als Shego den zweiten Scharfschützen ausschaltete.
„Dich kann man auch keine fünf Minuten alleine lassen, Prinzessin!“ Dieser Satz liess ihn aufhorchen, liess sein Herz schneller schlagen und beinahe explodieren, diese Stimme hatte er nie vergessen und als er die grün glühenden Hände in der Nacht sah, hatte er die Gewissheit, dass sein Leiden endlich nach so langer Zeit ein Ende finden würde.
„Endlich hab ich dich gefunden.“, flüsterte er grinsend, während ihm kalte Schauer über den Rücken und durch den Körper fuhren. Doch als Shego unerwarteterweise vom dritten Auftragskiller niedergeschossen wurde, wich sein Grinsen schnell aus seinem Gesicht und unbändige Wut stieg in ihm auf, dafür würde der Scharfschütze büssen. Ausser ihm durfte keiner Shego auch nur ein Haar krümmen, dieses Vergnügen wollte er ganz für sich allein.
Auf der Suche nach dem Schützen blickte er ruhig umher. Sein Blick blieb schliesslich bei einer Tankstelle direkt gegenüber vom Haupteingang des Bueno Nachos hängen. „Ah, da hast du dich also versteckt.“, redete er laut mit sich selber. Auf dem Vordach hinter einem grossen Leuchtbuchstaben des Schriftzugs entdeckte er endlich den hinterhältigen Mistkerl, worauf er seine Pumpgun zog und einmal auf dessen Position schoss. Getroffen erlosch der Leuchtbuchstabe rechts neben dem Schützen und sprühte Funken, während der Narbenträger, nachdem er seinen Mantel ausgezogen und fallen gelassen hatte, mit einem gewaltigen Sprung vom Bueno Nacho heruntersprang und diesen mit einer seitlichen Rolle abschloss, dann lud er durch und schoss erneut auf den Schriftzug.
Er liess dem Scharfschützen, welcher nicht wusste, wie ihm geschah, so keine Chance und konnte dessen Verwirrtheit ausnutzen, um seinen nächsten Zug zu planen. Dabei kam ihm der abgestellte, schwarze Van unmittelbar vor dem Vordach sehr gelegen, auf den er nun sofort zusprintete. Im Rennen feuerte er noch einmal auf die Schützenposition, sprang, ohne grosse Mühe, praktisch aus dem Stehen auf den Van und von dort aus direkt aufs Vordach der Tankstelle.
Der Schütze stand schnell geschockt auf und versuchte endlich seinerseits einen Schuss auf seinen Angreifer abzugeben, aber dieser stand bereits bei ihm. Ohne Probleme konnte er die vermummte Person entwaffnen, dann drehte er sich um die eigene Achse und schlug ihm den Lauf seiner Pumpgun, die er nur mit der rechten Hand hielt, an die linke Schläfe, worauf dieser zurücktorkelte. Doch der Narbenträger hatte noch nicht genug, mit der Linken zog er den Schützen wieder zu sich, verpasste ihm mit der Stirn eine heftige Kopfnuss und stiess ihn schliesslich mit einem harten Kick in den Bauch vom Vordach herunter.
Beim Sturz landete der Schütze unglücklich auf seinem linken Knie und brach sich etliche Rippen beim Aufprall auf die Brust. Er stöhnte und schrie wie am Spiess, er wollte sich mehrmals aufrichten, brach aber aufgrund seines total zerschmetterten Knies immer wieder zusammen. Zusätzlich hatte er wohl auch noch schlimmste innere Verletzungen erlitten, denn auf Mundhöhe lief Blut durch seine schwarze Stoffmaske, wie Wasser aus einer Quelle. Inzwischen hatte sich der Narbenträger an die Kante des Vordachs gekniet und schaute, dreckig lächelnd auf sein Opfer herab.
„Ah, du lebst noch, bin beeindruckt, du bist hartnäckiger als eine beschissene Kakerlake ...“, meinte er zynisch und fügte gespielt gönnerhaft an, „ ... weißt du, ich bin kein Unmensch ... deshalb gebe ich dir eine Chance. Wenn du verschwunden bist, bevor ich bei dir unten bin, lass ich dich laufen.“
Der Schwerverletzte begriff auf der Stelle, dass er, wenn er an seinem Leben hing, diesen Vorschlag besser annahm. Er schrie unter den Schmerzen, konnte sich aber endlich aufrichten und humpelte so gut wie möglich über die Strasse auf das Bueno Nacho zu, während der Schwarzhaarige direkt mit einem Salto vom Vordach herunter sprang und, ohne sich zu verletzen, sicher landete, danach folgte er langsam, beinahe gemütlich der Blutspur und blieb am Strassenrand stehen. Der Schütze hatte diese gerade, unter Schmerzlauten überquert, mittlerweile hüpfte er nur noch auf dem rechten Fuss weiter, ohne seinen Linken überhaupt noch abzusetzen.
„Lauf wie der Wind, Baby!“, schrie ihm der Narbenträger gespielt panisch wirkend nach, ehe er seine Waffe anlegte und dem Schützen in dessen linkes Bein schoss. Dieser schrie wieder laut auf, stürzte fast, konnte sich aber an einer Strassenlaterne halten, blickte panisch hinter sich und hüpfte weiter, da sein Angreifer immer noch nicht von ihm abliess.
„Du stehst immer noch?“, klang es nun genervt, worauf er seinem bemitleidenswerten Opfer hinterrücks in die linke Schulter schoss, was ihn definitiv brutal zu Fall brachte. Er landete stöhnend auf dem Bauch, drehte sich mit grössten Mühen auf den Rücken, keuchte laut und schnell, röchelte, während sich der Narbenträger vor ihm aufstellte und den Lauf seiner Waffe direkt vor sein vermummtes Gesicht hielt.
Ernst klingend meinte der Schwarzhaarige: „Du hättest dich einfach besser erschiessen lassen sollen, das wäre schnell und schmerzlos gegangen. Dein linkes Bein ist hinüber, du hast innere Verletzungen und wirst langsam und schmerzvoll an deinem eigenen Blut ersticken und elendiglich verrecken. Aber ich kann dir helfen. Sag nur ein Wort und ich erlöse dich von deiner Qual.“ – „Leck mich am ***** !“
Der Narbenträger grinste nur breit und sagte nichts darauf, sondern lud wieder seine Pumpgun durch, wurde dieses Mal allerdings von Kims Auftauchen gestoppt, die das Bueno Nacho gerade durch den Haupteingang verliess. Sie war zugleich geschockt, aber auch angetan von dem Bild, welches sich ihr bot. Diese Schützen wollten sie töten, sie hatten nichts besseres verdient als den Tod selber und trotzdem hatte sie Mitleid mit dieser armen, zugerichteten Seele. Der Narbenträger schaute zu ihr rüber und erkannte sofort ihre Verunsicherung und auch ihre Wut, winkte sie zu sich, bevor er ihr seine Waffe entgegenstreckte.
„Schon mal einen Menschen getötet, Possible?“, fragte er die rothaarige Teenagerin und antwortete selbst nach einer kurzen Pause, „Hast du natürlich nicht, aber du möchtest gerne, nicht?“
Sie schaute unsicher auf die kurze, schwarze Waffe mit Pistolengriff. Er zog sie schliesslich mit der linken Hand zu sich, drückte ihr den Griff seiner Waffe in ihre rechte Hand, welche er dann mit seiner Rechten stützte. Die Teenieheldin wusste nicht genau, was in ihr vorging, sie war hin und her gerissen von Pflichtbewusstsein, Moral und abgrundtiefem Hass. Der Narbenträger stellte sich unmittelbar hinter ihr auf, nahm mit seiner linken Hand, diejenige von Kim und führte sie langsam an den Ladegriff der Pumpgun.
„Es ist ganz einfach Kim ...“, hauchte er ihr ins Ohr, nachdem er seinen Kopf auf Kims linker Schulter gelegt hatte, „ ... halt die Waffe fest mit beiden Händen, schau nur dem Lauf entlang und richte die Waffe auf dein Opfer und dann zieh langsam den Abzug bis zum Druckpunkt ...“
Er half Kim bis zu diesem Punkt, dann meinte er, dass sie einfach nur noch abzudrücken bräuchte. Die Waffe wurde schnell schwerer. Mit glasigen Augen schaute sie in diejenigen, des am Boden liegenden, wehrlosen Schützen. Er atmete schon sehr flach, röchelte aufgrund seines Blutes, das sich langsam in seiner Bauchhöhle und in seinen Lungen ansammelte. Unter seinem Kopf bildete sich sehr rasch eine grösser werdende Blutlache.
Der Anblick holte sie schnell von ihrem Adrenalinkick herunter, schliesslich waren es Ron, ihr Freund und Gefährte, der starr in der offenen Eingangstüre stand, und Rufus, der aus Rons Hosentasche herausspähte, welche sie mit einem ungläubigen, geschockten Blick davon abbrachten. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie gerade alles verraten hatte, wofür sie stand, schlagartig wurden ihr die Fehler bewusst, welche sie in den letzten Tagen begangen hatte, schlagartig schrie sie innerlich auf, bis sie merkte, dass sie wirklich lauthals aufschrie.
Sie rammte dem Narbenträger ihren linken Ellbogen in den Magen, was dieser nicht erwartete, stiess ihn von sich weg, drehte sich mit Tränen in den Augen um und warf ihm angewidert seine Waffe vor die Füsse, ehe sie über ihren Kimmunicator einen Krankenwagen rief, ohne ihr Gegenüber aus den Augen zu lassen. Dieser klatschte einige Male lächelnd und nickte zufrieden. „Kimmie hat endlich ihren Weg wieder gefunden, übrigens ist der Krankenwagen nicht mehr nötig ...“, erwiderte er gelassen und fügte kaltblütig auf Kims fragenden Blick an, „ ... er ist schon tot.“
Mit einem leisen, ungläubigen „Nein“ kniete sich die Teenieheldin zu ihm nieder, zog seine Maske hoch und fühlte an der Halsschlagader seinen Puls, nur um festzustellen, dass ihr Gegenüber Recht hatte. Wieder aufgestanden betrachtete sie lange das frische Blut an ihren Fingern, während ihr Träne um Träne über die Wangen kullerten, bis sie schliesslich auf den Narbenträger einschrie, der mittlerweile seinen Mantel wieder eingesammelt hatte. „Wer glaubst du, wer du bist um über ein Menschenleben zu richten?“, die Teenagerin verstand die Welt nicht mehr.
„Jetzt da die Karten verteilt sind, beginnst du erst die ganze Sache zu hinterfragen?“, fragte der Narbenträger ruhig und meinte mit ausgestrecktem Zeigefinger weiter, „Zu spät Kleine. Und komm mir nicht mit Moral und Gewissen, so wie du dich verhalten hast, bist du die Letzte, die über solche Begriffe reden sollte. Zugegebenermassen ich hab deine Verunsicherung ausgenutzt, aber eigentlich hast du dich ja freiwillig von mir um den Finger wickeln lassen, also spiel jetzt hier nicht das Opfer. Das ist nämlich der arme Kerl dort im Eingang.“
Er deutete dabei auf Ron, welcher sich immer noch nicht bewegte. Langsam drehte sich Kim zum blonden Teenager, ging schliesslich durch dessen Blick in die Knie und stütze weinend ihren Oberkörper mit beiden Armen. Sie konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen. Die Worte des Schwarzhaarigen hallten in ihrem Kopf, die Tatsache, dass sie einen Menschen wohlwollend hatte sterben lassen machten sie zusätzlich fertig. Endlich erwachte auch Ron aus seiner Starre, er rannte zu Kim und kniete sich vor sie. Die Teenagerin zuckte zusammen, als Ron ihr tröstend die Hand auf den Rücken legte. Der Mantelträger hob inzwischen seine Waffe auf, spielte gekonnt mit ihr, bis er sie unter seinem Mantel verschwinden liess und die beiden geschockten Teenager unter den Sirenen der herannahenden Polizei und Krankenwagen verliess.
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Traurig tauchte der alte, weissbärtige Mann aus dem Schatten der Anwaltskanzlei heraus. Er hatte sämtliche Geschehnisse der vergangenen 15 Minuten verfolgt und wischte sich schuldbewusst eine Träne aus seinem Gesicht. „Was habe ich nur getan.“, erkannte er leise, bevor er in der Nacht verschwand.

Nächster Tag; Haus der Possibles, frühmorgens
Kim wälzte sich in ihrem Bett unruhig von einer Seite auf die andere, seit Stunden versuchte sie krampfhaft einzuschlafen, was ihr gelegentlich für einige Minuten gelang, sie wachte aber jedes Mal wieder schweissgebadet auf. Vor ihrem geistigen Auge erschienen immer wieder das vermummte, blutige Gesicht des Schützen, dann Rons starres Gesicht und dazu die hallende Stimme des Mantelträgers in ihrem Kopf.
Schliesslich gab die Teenagerin geschafft auf. Sie setzte sich im Schneidersitz auf und liess den Kopf nachdenklich mit geschlossenen Augen hängen. Kim war in den letzten Tagen so blind vor Wut, dass sie alles, was ihr jemals im Leben wichtig war, vergessen und verraten hatte. Angefangen mit ihren besten Freunden, Monique und Ron, ihre Familie, ihre Eltern und schliesslich sich selbst. Sie hatte vergessen, wofür Kim Possible eigentlich stehen würde. Durch ihre Wut war sie berechenbar und beeinflussbar geworden und wurde auch prompt wieder getäuscht.
Die Teenagerin fasste sich an das grosse Pflaster an ihrer Stirn, welches ihre Mutter dort angeklebt hatte, nachdem sie die Wunde untersucht hatte. Endlich hatte sie ihren Eltern erzählt, was in letzter Zeit vorgefallen war, über Drakkens Verhaftung, Shego, den Streit mit Ron und den gestrigen Abend. Sie liess kein Detail aus, auch nicht, dass sie sich für den Tod des Schützen verantwortlich fühlen würde.
Besorgt waren Mr. und Mrs. Possible den Ausführungen ihrer Tochter gefolgt, sie waren nicht böse, natürlich hielt ihr Vater eine Standpauke, die sich gewaschen hatte, aber sie beteuerten immer wieder, dass Kim keine Schuld treffen und sie auch weiterhin ihr grösstes Vertrauen geniessen würde. Ihre Tochter hatte die Dinge erkannt und war dabei ihren Weg wieder zu finden. Das Wichtigste war, Kim zu signalisieren, dass sie jederzeit für ihre Tochter da wären. Tatsächlich war es dieses gewaltige Vertrauen, das Kim neue Kraft und Hoffnung für die Zukunft gab. Zum ersten Mal seit Wochen ertrank die rothaarige Teenagerin nicht im Selbstmitleid, sondern entdeckte ihre alten Stärken eine nach der anderen wieder.
„Ja Dad, für einen Possible ist alles möglich.“, flüsterte sie leise und riss vorsichtig das Pflaster von ihrer Stirn, während sie aufstand und ihr Fenster öffnete. Für ein paar Minuten schaute sie, sich beruhigend, auf Middleton, während ihr ein schwacher kühler Wind entgegenkam. Das kleine Städtchen lag friedlich schlummernd vor ihr, als ob die vergangenen Stunden nie passiert wären. Wieder kamen ihr Bilder vom zerstörten Bueno Nacho in den Sinn, überall konnte man die Einschusslöcher sehen und es lagen jede Menge Glasscherben herum. Ein Glück, dass zur Zeit des Attentats niemand ausser ihnen im Bueno Nacho sass und auch sonst kein Passant verletzt wurde. Was den Mantelträger anbelangte, die Polizei leitete sofort eine Fahndung nach ihm ein, aber der Kerl war gerissen und würde sich wahrscheinlich nicht fassen lassen.
Kim stockte plötzlich, da war jemand in ihrem Zimmer, sie konnte es spüren. Sie schloss das Fenster langsam und, ohne sich umzudrehen, fragte sie sanft: „Shego?“ Die Schwarzhaarige war zwar offensichtlich angeschossen worden, aber da die Polizei sie nicht auf dem Dach und in der näheren Umgebung des Bueno Nachos finden konnte, musste sie noch leben.
„Nein.“, antwortete eine ihr bekannte Männerstimme. Erschrocken drehte Kim den Kopf und konnte auf ihrem Bett den weissbärtigen Mann im Schneidersitz erkennen, wie er sich leicht verneigte. Kim kratzte sich am Kopf schaute einige Male zum Fenster, dann wieder zum Sensei, bevor sie verwirrt fragte: „Wie seid ihr ... ach egal.“
Sie winkte ab, schliesslich spielte es keine Rolle. Respektvoll tat es die Teenieheldin ihm gleich und setzte sich in gebührendem Abstand neben den Sensei auf ihr Bett, während sie ihre Hände kreuzte.
Der Alte verschränkte die Arme vor seiner Brust bevor er erfreut klingend sagte: „Es ist mir eine Ehre dich wieder zu treffen, Kim Possible, und es freut mich, dass dir nichts geschehen ist und mein Eingreifen nicht umsonst war.“
„Ihr wusstet von dem Attentat? Dann habt Ihr Ron gewarnt und mir das Leben gerettet?“, stellte sie fragend überrascht fest, daher tauchte Ron also plötzlich im Bueno Nacho auf und hat wie ein Irrer rumgeschrieen.
„In der Tat, Possible-san.“, seufzte der Sensei, worauf sich Kim erneut wortlos verneigte, um sich zu bedanken, ehe der alte Mann besorgt klingend fortfuhr, „Ich habe euch beide in grosse Gefahr gebracht und möchte mich dafür entschuldigen.“
Der Sensei bemerkte den fragenden Blick von Kim, die wohl davon ausging, dass er irgendetwas über die Hintergründe des Attentats wissen würde, worauf dieser kopfschüttelnd anfügte: „Nein Possible-san, darüber weiss ich leider nichts. Ich meinte den schwarzhaarigen, jungen Mann.“ – „Ihr kennt ihn?“ – „Er war mein Schüler.“
Zuerst war die Teenagerin baff, wobei ihr nicht ganz klar war, ob es daran lag, dass der Sensei offensichtlich im Stande war Gedanken zu lesen, oder dass er den Narbenträger einst ausbildete. Dann ging ihr ein weiteres Licht auf, daher kamen ihr dessen Kampftechniken und Verhalten so bekannt vor. Dem Sensei war die Situation sichtlich unangenehm, Kim schien es, als ob sich ihr Gegenüber zutiefst schämen würde, er war total verspannt, atmete schwer und blickte immer wieder traurig und besorgt zum Boden, bevor er der Teenagerin wieder direkt in die Augen schaute.
„Vor fünf Jahren habe ich den Jungen schwerverletzt in einer Seitengasse in Tokio gefunden, ihn nach Yamanouchi gebracht und gesund gepflegt. Ich glaubte in ihm einen würdigen Nachfolger zu sehen, er war ein ungeschliffener Diamant, in ihm brannte ein leidenschaftliches Feuer. Aber er hat mich getäuscht, er hat uns alle getäuscht. Je stärker er wurde, je grösser seine Fortschritte, desto mehr zeigte sich sein wahres Gesicht. Hass und Verachtung gegenüber der Person, die ihn damals so zurichtete, trieben ihn an. Doch als ich dies erkannte, war es bereits zu spät. In einem Kampf von Mann zu Mann hat er mich fair besiegt und verliess danach die Yamanouchi-Schule.“, erklärte der Alte langsam, seine Stimme nahm einen schweren Ton an.
„Warum erzählt Ihr mir das alles?“, wollte Kim nun berechtigterweise wissen. Der Sensei hob beide Augenbrauen und antwortete ruhig: „Ich hatte eine Chance meinen Fehler zu beheben, habe aber versagt, es liegt nun nicht mehr in meinen Händen. Nur du und Stoppable-san könnt ihn noch aufhalten.“
„Wie das, wenn nicht einmal Ihr ihn besiegen konntet?“ – „Es erscheint in der Tat unmöglich, ich habe ihn alles gelehrt, was ich weiss und er ist ein wahrer Meister der Täuschung, wie du schon am eigenen Leib erfahren musstest ...“, meinte der alte Mann wiederum besorgt, fügte aber hoffnungsvoll an, „Böse Geister können nur mit positiven Gedanken vertrieben werden, Possible-san.“
Kim stand auf, verdrehte die Augen und schaute mit verschränkten Armen aus dem Fenster. Mit Rätseln konnte sie momentan nicht viel anfangen. Obwohl die rothaarige Teenagerin das Prinzip dahinter nicht wirklich auf ihre derzeitige Lage anwenden konnte, verstand sie dennoch, was der Sensei eigentlich damit sagen wollte. Einige Dinge muss man einfach von selbst herausfinden. Und sie wusste, dass der Weg zur Lösung über Ron führen musste. Ohne ihn würde sie es nicht schaffen können.
Dem Alten war Kims innerer Kampf nicht verborgen geblieben, während er aufstand, fügte er an: „Possible-san, du hast deinen inneren Dämon besiegt und bist auf dem richtigen Weg. Solange du dein Herz rein hältst, kommen alle Dinge zu dir zurück. Du musst nur danach rufen.“
„Aber ich habe ihn enttäuscht, hintergangen und verraten.“, wusste die Teenagerin selbstkritisch und bekam auch hier eine sehr aufbauende Antwort: „Die Liebe schlägt ihre eigenen Brücken und vermag es wie ein Phönix immer aus ihrer eigenen Asche wieder aufzuerstehen.“
Kim lächelte, sie wusste nicht wie der Sensei es gemacht hatte, aber sie fühlte sich viel besser. Beruhigt, drehte sich um und verneigte sich ehrfürchtig vor dem weissbärtigen Mann. „Es war mir eine Ehre und ich akzeptiere Eure Entschuldigung.“
Er verneigte sich ebenfalls wortlos, während die rothaarige Teenagerin ihm den Rücken zukehrte und auf ihre Zimmertüre zuging, um den Sensei zur Türe zu geleiten. Als sie sich wieder umdrehte, war dieser aber bereits durch das nun erneut offene Fenster verschwunden.

Frisch geduscht und angezogen setzte sich Kim raus aufs Vordach und beobachtete, wie Middleton langsam zum Leben erwachte. Sie genoss die wunderbar kühle Luft auf ihrer Haut, der Horizont wurde zusehends heller, die Sonne würde bald aufgehen. Die Teenagerin schaute in den klaren, schwächer werdenden Sternenhimmel und erinnerte sich an das letzte Mal, als sie und Ron hier oben waren. In dem Moment entschied sie sich, dass sie alles dafür tun würde, um zusammen mit ihrem Freund nochmals einen so wunderschönen Sonnenaufgang zu sehen. Sie wusste nun, dass Ron an ihrer Stelle dasselbe versuchen würde.
„Du würdest für mich sterben, nicht wahr?“, meinte sie laut zu sich selber und bekam hinterrücks postwendend eine freche Antwort: „Ganz sicher nicht, Kimmie.“
Shego setzte sich neben die rothaarige Teenagerin, welche sie erst nur mit grossen Augen ansah, aber schliesslich wieder lächelnd auf Middleton blickte.
„Auch schon da?“, stellte Kim mehr sarkastisch fest, als dass sie fragte. Shegos „Ja.“ war im gleichen sarkastischen Unterton gesprochen.
Die Schwarzhaarige grinste breit, als ob sie sich schon lange nicht mehr so amüsiert hätte, ehe sie sich schwach stöhnend ihren linken Arm hielt. Sie trug ihn in einer schwarzen Schlinge. Selbst wenn sie verletzt wurde, schaute sie noch auf eine optische Übereinstimmung mit ihrem Anzug. Was den Arm anbelangte, sie hatte es tatsächlich fertig gebracht einen Arzt aufzutreiben, der ihr die Kugel entfernte, ohne die Polizei zu rufen. Zugegeben, anfänglich musste ihn Shego ziemlich in die Zange nehmen, aber eine Demonstration ihrer glühenden Hände überzeugte den Kittelträger, besser die Klappe zu halten und motivierte ihn die verletzte Person so schnell wie möglich wieder loszuwerden.
Gemeinsam sahen die beiden Frauen eine Zeit lang schweigend auf das erwachende Städtchen, bis Kim erleichtert klingend sagte: „Ich hätte nie gedacht, das Mal zu sagen, aber ich bin froh dich zu sehen.“
„Ach bitte, Kimmie, hätten diese sogenannten Scharfschützen noch schlechter geschossen, hättet ihr da raus spazieren und dazwischen Pause machen können.“, erwiderte Shego gewohnt sarkastisch, die Tatsache, dass sie angeschossen wurde, schien sie in keinster Weise zu beeinträchtigen, und fügte böse an, „Das waren blutige Anfänger.“
Mit gehobener Augenbraue schaute Kim sie fragend an. „Und trotzdem hast du uns geholfen. Warum?“, wollte sie neugierig wissen und bekam auch prompt eine Antwort: „Ich will wissen wer Dr. D und mich reingelegt hat und hab dich vorsorglich im Auge behalten, das ist alles.“
Shego wollte es nicht offen zugeben, aber effektiv war sie in dieser ganzen Sache auf ihre Erzfeindin angewiesen. Ihre technischen Mittel waren mehr als beschränkt und mit ihrer Verletzung waren auch zum Beispiel Einbrüche, die zur Aufklärung beitragen könnten, nicht mehr ohne weiteres möglich. Das war der eigentliche Grund für ihren kleinen Besuch. Aber Kim offen um deren Hilfe bitten und damit zu zugeben, dass etwas über ihr eigenes Können hinausging, würde Shegos Stolz niemals zulassen.
Der Teenieheldin blieb dies nicht verborgen. Sie wusste, wie ihre Erzfeindin tickte und würde sie sicher nicht dazu zwingen zu fragen. „Ja, ich werde dir helfen, das bin ich dir und Drakken schuldig.“, sagte sie ernst, um die Stille zu durchbrechen und fuhr mit Hoffnung in ihrer Stimme fort: „Hast du irgendetwas in der Sache entdeckt, das uns weiterhelfen könnte?“
Die Schwarzhaarige lächelte zufrieden, Kimmies Verstand schien wieder einwandfrei zu funktionieren. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck. „Nichts über das Attentat ...“, antwortete sie ernst und fügte nach einer kurzen Pause seufzend an, „ ... aber über Scarface. Ich hab ihn sofort wiedererkannt.“

Nachdem Shego angeschossen worden war, hatte sie nur für kurze Zeit das Bewusstsein verloren. Sie war von einem lauten Knall aufgeweckt worden. Dem zweiten Schützen hatte ihr Blackout längstens genügt, um das Weite zu suchen. Sie hatte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den linken Arm gegriffen und war von einem weiteren Knall an die Dachkante gelockt worden, von wo aus sie den Narbenträger beobachtet hatte, wie er gerade den dritten Scharfschützen nieder gestreckt hatte. Die Schwarzhaarige hatte den Kerl sofort erkannt, dasselbe Verhalten, dieselbe Haltung und dieselbe Technik, wie in ihren Träumen. Die nackte Angst hatte sie gepackt, in dem Moment hatte Shego nicht mehr klar denken können, was vielleicht auch an den Schmerzen gelegen hatte, jedenfalls hatte sie das Dach augenblicklich fluchtartig verlassen.

Ihre Vergangenheit hatte Shego also endgültig eingeholt. Schliesslich wurde sie von Kim aus ihren Gedanken geholt. „Shego?“
Die Schwarzhaarige schreckte auf, nahm einmal tief Luft und erklärte mit geschlossenen Augen: „Vor Dr. D habe ich für mehrere verschiedene Auftraggeber gearbeitet, unter anderen auch für Hench Industries. Wie dem auch sei vor fünf Jahren bahnte sich in der Führungsebene ein Machtwechsel an. Scarface war ein ziemlich hohes Tier in der Firma und sollte diese übernehmen. Das passte einigen Leuten nicht in den Kram, was weiss ich warum ...“
„Du solltest ihn töten ...“, stellte die rothaarige Teenagerin geistesgegenwärtig fest, „ ... aber das hast du nicht getan.“
Shego nickte traurig wirkend: „Nein, getötet nicht, aber entstellt, diese Narben auf seiner linken Wange stammen von mir. Er konnte schwerverletzt entkommen. Als meine Bosse herausfanden, dass ich versagt hatte, wollten sie auch mich zum Schweigen bringen. Ich täuschte meinen eigenen Tod durch einen Autounfall vor, landete einige Monate in der Versenkung und schliesslich bei Drakken.“
Shegos überraschende Offenheit und die resultierenden Einblicke in deren Vergangenheit erschütterten Kim gleichermassen, wie die Erkenntnis, dass die Schwarzhaarige in grösster Gefahr schwebte. Sie erinnerte sich an das Gespräch mit dem Sensei. Nur ihretwegen kam der Narbenträger nach Middleton, nur um sich an Shego zu rächen. Während die Teenagerin schnell nach dem Kimmunicator griff und Wade kontaktieren wollte, meinte sie wirklich besorgt und mit panischer Stimme: „Wir müssen dich in Sicherheit bringen, er wird versuchen dir etwas anzutun.“
„Nein!“, antwortete Shego sanft und hinderte Kim daran den Kontaktknopf zu betätigen, indem sie schnell ihre rechte Hand auf den Kimmunicator legte, bevor sie ihrem überraschten Gegenüber, mit einem schon beinahe erfreutem Lächeln, direkt ins Gesicht schaute, „Ich mag nicht mehr davor fliehen, ich hab keine Kraft mehr dafür, also tu mir einen Gefallen und lass diese Besorgnis Nummer.“
Shego war durchaus gerührt, dass ausgerechnet ihre Erzfeindin sich Sorgen um sie machte, aber die Schwarzhaarige würde nie zur Ruhe kommen, wenn sie ihr Leben nicht endlich selbst in die Hand nehmen würde.
Für Kim war es in dem Moment sehr schwer ihre Erzfeindin zu begreifen, sie war nicht wirklich mit Shegos Entscheidung einverstanden, aber dennoch respektierte die Teenagerin ihren Wunsch. „Aber Wade informieren darf ich noch?“, fragte die rothaarige Teenagerin, wobei sie es mehr als eine Aufforderung an ihr Gegenüber meinte, ihre Hand vom Kimmunicator zu nehmen. Die Schwarzhaarige zog lächelnd ihre Hand zurück und liess Kim gewähren, welche Wade gefasst über die Neuigkeiten aufklärte. Zufrieden streckte Drakkens Helferlein ihr Gesicht der gerade aufgehenden Sonne entgegen, verweilte einige Augenblicke so und sprang schliesslich, ein wenig peinlich berührt und ohne sich zu verabschieden, vom Vordach.
„Shego!“, rief die Teenieheldin ihr ernst nach und fügte schnell an, als diese stehen blieb und sich umdrehte: „Pass auf dich auf.“

Haus der Stoppables, morgens
Ron schlief immer noch den Schlaf der Gerechten, rieb sich hin und wieder die Nase und schnarchte ab und zu laut auf. Kim sah skeptisch mit gehobenen Augenbrauen auf ihren Freund herunter. Seine Decke war eigenartig um seinen Körper gewickelt, als ob er mit ihr gerungen hatte, sein Kopfkissen lag irgendwo auf dem Boden und insgesamt machte auch der Teenager einen etwas verdrehten und zerknitterten Eindruck. Wie es schien hatte auch er eine höchst unruhige Nacht hinter sich, fand endlich ein wenig Schlaf und wollte dies möglichst lange ausnutzen.
Durch die Store drangen einige wenige Lichtstrahlen und erhellten den Raum schwach. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander in Rons Zimmer, überall lagen Kleidungsstücke, Bueno Nacho Verpackungen und auch Rons kabelloser Controller herum. Während man andere Leute in ihrem Schlaf nicht einmal anschauen durfte, weil sie sonst sofort aufwachen würden, weckte Ron auch nicht das laute Quieken von Rufus. Dieser war gerade aufgewacht und meckerte den Eindringling lauthals an, bis er bemerkte, dass es sich nur um Kim handelte.
Die Teenagerin hielt sich den Zeigefinger vor den Mund, kniete sich auf den Boden und winkte Rufus zu sich. Der Nacktmull zögerte anfänglich, kam dann, sich langsam vorantastend näher. Schliesslich überzeugte ihn der kleine Keks in Kims Hand vollends, dass die Teenagerin wieder die Alte war. Genüsslich schlang der Kleine das Gebäck herunter und stieg Kim erfreut auf die rechte Schulter. „Dankeschön!“, konnte man zufrieden quiekend von ihm vernehmen. Kim lächelte sanft, drehte den Kopf zu Ron und erwiderte seufzend: „Wenn es nur mit allem so einfach wäre.“ Lächelnd sah sie wieder zu Rufus und reichte ihm noch einen Keks.
„KP?“, hörte man leise von Ron. Der blonde Teenager war noch nicht ganz wach und erschien ein wenig verwirrt. „Du schnarchst.“, flüsterte Kim leise, während sie sich neben Rons Bett auf den Boden setzte und Rufus von ihrer Schulter unter das Bett sprang. „Du hast dich noch nie gehört.“, gab Ron mit geschlossenen Augen frech zurück.
Verlegen kratzte sich die Teenagerin am Kopf und blickte dann ernst in Rons Richtung. „Ron ... ich würde mich gerne bei dir entschuldigen. Du hattest Recht ... du hattest mit allem Recht. Ich hatte mich wirklich nicht mehr unter Kontrolle.“, gestand sie ziemlich kleinlaut.
Immer noch mit geschlossenen Augen streckte sich der blonde Teenager, gähnte herzhaft, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, wobei er sein Kopfkissen schmerzlich vermisste, bis er endlich erwiderte: „Kim Possible entschuldigt sich reumütig bei mir und gesteht sich ihre Fehler ein? Ich muss noch träumen.“
Er meinte es wohl mehr scherzhaft, als verletzend, jedenfalls nahm Kim es nicht allzu ernst, stand lächelnd auf, lehnte sich über ihren Freund und gab ihm einen sanften Kuss auf seine Lippen. „Hmmm, wohl doch kein Traum.“, meinte er grummelnd.
„Ron, wegen gestern Abend ...“, wollte sie bedrückt weiterfahren, wurde aber von Ron, mit der rechten Hand abwinkend, unterbrochen: „Ich könnte dich jetzt anschreien, fragen, was das alles sollte, was du dir dabei gedacht hast, aber nebst dem, dass diese Dinge nicht wichtig sind, es wäre ganz einfach nicht meine Art. Ich verzeih dir.“
Der Teenagerin fiel eine gewaltige Last von den Schultern, erleichtert atmete sie auf und konnte sich endlich entspannen. Überglücklich liess sie sich auf ihr Hinterteil plumpsen und blieb lächelnd einige Minuten mit ausgestreckten Beinen sitzen. Obwohl sie in den letzten Wochen kaum auszuhalten war, obwohl sie ihn noch vor zwei Tagen vor der Turnhalle beschimpft hatte, war er sofort zu ihr geeilt, um sie zu warnen und nun vergab er ihr ohne zu zögern. Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass ihr Freund über ein viel reineres Herz, über viel mehr Weisheit verfügte, als sie jemals haben könnte. Dann sammelte sie Rons Kopfkissen ein, schob es vorsichtig unter seinen Kopf. Mit einem zufriedenen Laut dankend, drehte er sich auf seine linke Seite, darauf legte sich Kim hinter ihn, umschloss seinen Oberkörper mit beiden Armen, während sie sich fest an ihn kuschelte, und legte ihren Kopf auf seinen.
Er flüsterte leise: „Manchmal habe ich wirklich gedacht, ich würde dich endgültig verlieren. Das hätte ich nicht überlebt.“
Kim sagte nichts darauf, sie lächelte, schloss ihre Augen und drückte ihren Freund einfach nur fester an sich. Sie drückte ihn, als ob sie ihn nie wieder loslassen wollte. Dieses Mal dauerte es nicht lange, bis die beiden Teenager endlich ihren wohlverdienten Schlaf fanden. Zufrieden durchstreifte Rufus das Durcheinander, bis er in Kims Tasche die übrigen Kekse fand, über die er sich sofort hermachte.

Stunden später wurden die Beiden durch den Kimmunicator aufgeweckt. Mittlerweile war es schon früher Nachmittag, wenn man Rons Wecker trauen durfte. Den Schlaf hatten sie beide wohl dringend nötig gehabt. Kim richtete sich langsam auf, rieb sich mit der rechten Hand die Augen, bevor sie den Anruf entgegennahm. Erst dann bemerkte sie, dass ihr linker Arm unter Rons Oberkörper eingeschlafen war. Sie hasste dieses Gefühl und ballte einige Male die Faust, wurde das Kribbeln aber nicht los. Dann wandte sie sich endlich Wade zu, der beleidigt mit beiden Händen auf seiner Tastatur herumtrommelte.
„Wo warst du? Ich versuch dich schon seit einer Stunde zu erreichen.“, sagte der schwarzhaarige Junge irgendwie gestresst wirkend. Ron setzte sich auf die Bettkante und kratzte sich müde im Gesicht, während er mit schläfrigen Augen herumblinzelte. Mit ihrer freien Hand griff Kim sanft nach Rons Rechten, dieser lächelte nur verschlafen. „Was steht an Wade?“
Gespielt genervt nahm er einen Schluck durch den Trinkhalm, bevor er antwortete: „Ich hab Informationen über Ccorp. besorgt. Chen hat überall auf der Welt seine Filialen, die meisten in Europa und Amerika, die Hauptfiliale steht in Tokio. Für eine so grosse Firma habe ich aber eindeutig zu wenig herausgefunden. Offiziell arbeiten sie an Seren und Medikamenten gegen Erkältungen, Krebs und andere Krankheiten. Leider ist es mir von aussen nicht möglich in den Hauptserver einzuhacken, weil dieser komplett vom Netz abgegrenzt ist. Über Chen selber hab ich nicht mehr herausgefunden, als wir eh schon wussten. Nur seinen kompletten Namen konnte ich in Erfahrung bringen: Khaj C. Chen.“ – „Der reinste Buchstabensalat.“, meinte Ron gähnend.
Kopfschüttelnd fragte die rothaarige Teenagerin weiter: „Und der Anschlag auf uns?“ – „Unsere Gegner werden wohl langsam ungeduldig, mit den Scharfschützengewehren haben sie sich ein Eigentor geschossen.“, erzählte der Junge grinsend, drückte dabei einige Knöpfe, worauf Einzelheiten auf dem Display des Kimmunicators angezeigt wurden, und erklärte weiter, „Die Zielfernrohre waren mit Nachtsichtfiltern ausgestattet, damit man als Schütze in der Dunkelheit nicht mehr auf diese übergrossen Nachtsichtbrillen angewiesen ist, das absolut Neuste auf dem Markt. Diese Nachtsichtfilter stammen von Hench, sie sind mit seinem Logo versehen.“
Erstaunt stellte Kim fest: „Aber das macht doch keinen Sinn, warum sollte Hench uns tot sehen wollen?“
„Der hat damit längst nichts mehr zu tun. Den Medien wurde es erst diese Woche bekannt, aber Ccorp. hat seine Firma bereits vor vier Wochen übernommen. Eigentlich hätten die Filter während der angeblichen Ausweidung vernichtet werden müssen. Also, entweder hat sie jemand entwendet, sie auf dem Schwarzmarkt verkauft, oder aber Ccorp. hat diese Gewehre selbst hergestellt. Wie auch immer, dadurch wird ein schlechtes Licht auf die Firma geworfen.“
„So wies aussieht werden wir die Hauptfiliale mal besuchen müssen.“, meinte Kim ernst und erntete ein zustimmendes Nicken von Wade, welcher seufzend anfügte: „Der Mantelträger ist mir allerdings nach wie vor ein Rätsel.“
Ron, der Wades Ausführungen bisher eher abwesend gefolgt war und nur langsam aufwachte, machte sofort eine ernste Miene. Er erinnerte sich an den gestrigen Abend, erinnerte sich daran, wie dieser Kerl einfach einen Menschen getötet hatte. Der Hass auf diese Person wurde immer grösser. Er würde bereuen, dass er Kim da mit reingezogen hatte.
„Dank Shegos Informationen ...“, startete Wade, wurde aber sofort vom blonden Teenager unterbrochen: „Moment, Shego lebt?“ Kim antwortete nickend: „Sie ist verletzt, aber wohlauf. Wir haben heute morgen miteinander geredet.“ – „Gehört sie jetzt neuerdings zu den Guten?“
Der blonde Teenager war wohl doch nicht so wach, wie man hätte meinen können, Kim verdrehte die Augen und wollte ihm gerade antworten, als Wade mit einem lauten „Ähem“ wieder das Wort an sich riss.
Der schwarzhaarige Junge begann erneut: „Dank Shegos Informationen wusste ich endlich, wo ich graben musste. Aber Ccorp. hat die meisten Daten über Hench Industries bereits unwiderruflich gelöscht, ich konnte nur noch wenig in Erfahrung bringen. Jack Hench, der übrigens seit einiger Zeit spurlos verschwunden ist, hat die Firma vor fünf Jahren von seinem Vater übernommen, der erwähnte Machtwechsel wurde also komischerweise durchgeführt. Shego hat da einiges durcheinander gebracht, jedenfalls erscheint das Ganze ziemlich widersprüchlich.“
„Du meinst sie hat gelogen? Warum sollte sie das tun?“, fragte die Teenieheldin verwirrt. Es schien beinahe so, als ob für jedes gelüftetes Geheimnis zwei weitere an dessen Stelle traten. Wade rechtfertigte sich: „Das hab ich nicht behauptet, aber sie hat dir vielleicht nicht alles gesagt. Und bezüglich des Narbenträgers kann euch nur noch einer helfen ... nämlich er selber.“
Dankend verabschiedete sich die rothaarige Teenagerin von Wade. Es deutete also alles auf Ccorp. hin. Sie schaute beunruhigt zu ihrem Freund, der sich bereits seine Missionskleidung angezogen hatte. Mit verschränkten Armen und einem frechen Grinsen sagte er voller Tatendrang: „Worauf wartest du? Auf nach Tokio, wir waren schon lange nicht mehr in Frankreich.“

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