Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 5

Kapitel 5 – Dinner Party

Überschallflugzeug des NGG, kurz vor Middleton, abends
Da sass er nun, mit starrem, zum Kabinenboden gerichtetem Blick, gebrochen, innerlich zerstört und immer wieder traf ihn die Erkenntnis aufs Neue heftigst, versetzte seinem Herzen jedes Mal einen Stich und hinterliess eine kalte, eiskalte Leere. In den Filmen würde nun irgendeine kitschige, traurig klingende Melodie eingespielt, während sich der Held auf seine Stärken besinnt, das Ruder trotz der auswegslosen Situation doch noch herumreissen kann und der Geschichte ein schönes Ende verleiht. Aber da war keine Melodie, keine Besinnung, da war nur das eintönige, laute Summen der Flugzeugtriebwerke. Im Endeffekt fühlte er sich auch nicht wie ein Held. Im Gegenteil. Wie ein Feigling war er davongelaufen und hatte dabei nicht nur Kim, sondern auch noch Rufus verloren.
Der Gedanke, dass seine Freundin schon schlimmere Situationen erlebt und überstanden hatte, vermochte nicht durchzubrechen. Allein der Versuch sich damit aufzuheitern, scheiterte beim Gedanken an den glasigen Blick, an diesen unheimlichen Gesichtsausdruck, welchen sie ihm auf dem Dach zuletzt zugeworfen hatte. Dieser raubte Ron die letzte Hoffnung, liess keinen Zweifel darüber, dass sie nicht, dass sie niemals damit gerechnet hatte den ’C-Tower’ lebend zu verlassen.
Seit dem Abflug von Tokio war es ihm nicht mehr möglich auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Zwischen Erinnerungen, die sich schmerzhaft in sein Bewusstsein bohrten, musste er ständig an Kims Familie denken, wie er ihnen bebringen sollte, dass er nicht fähig war Kim zu beschützen. Wie würden sie reagieren, sobald sie die Wahrheit erfahren? Was würden sie sagen? Immer wieder versuchte er die Fehlerquelle zu eruieren, ging den vergangenen Tag wieder und wieder in Gedanken durch und kam immer wieder zum gleichen Resultat: Er war es, der seinen Fallschirm vor der Abreise vergessen hatte einzustecken. Er war es, der sich im Park von Chens Gefolgsmännern hatte überrumpeln lassen und so die ganze Situation überhaupt erst heraufbeschworen hatte.
Wieder überkamen ihn die Gefühle, Tränen kullerten über seine Wangen und hinterliessen dunkle Flecken auf Kims fein säuberlich zusammengelegter Missionskleidung, welche Ron bereits kurz nach dem Abflug auf seinen Schoss gelegt hatte. Beschämt versteckte er sein Gesicht hinter beiden Händen, versuchte krampfhaft sich zusammenzureissen, doch schaffte dies nicht.
„Dein PDA klingelt.“, meinte plötzlich der Pilot auf das Piepsen, welches diesem scheinbar in Erinnerung geblieben war. Sean Clare drehte sich zu seinem Begleiter und deutete, nachdem er vom blonden Teenager nur einen fragenden Blick als Antwort erhielt und der keine Anstalten machte den Anruf entgegenzunehmen, auf den Rucksack neben Rons Sitz. „Der Kimmunicator.“, fügte der NGG-Agent knapp an und drehte sich wieder den Armaturen zu.
Der Schwarzhaarige machte einen leicht verstimmten und bösen Eindruck, was durchaus am Veilchen gelegen haben könnte, das sein rechtes Auge zierte. Ron hatte es ihm verpasst, nachdem der Agent, in seiner unendlichen Ignoranz, die Situation vollkommen falsch eingeschätzt und sich anfangs ständig darüber beklagt hatte, für zwei Amateure den Babysitter zu spielen. Mittlerweile tat es dem blonden Teenager auch schon wieder leid, er wollte sich schon längst dafür entschuldigen, aber seine Stimme brach bei jedem neuen Versuch. Lange blickte er regungslos auf den Rucksack, bis er endlich langsam das blaue, immer noch piepsende Gerät hervorzog und den Empfangsknopf betätigte.
„Endlich.“, sagte Wade nervös, aber erleichtert klingend, „ich versuche euch seit Stunden zu erreichen. Irgendwie wurde mein System ausgesperrt.“ Nach einer kurzen Pause fragte er mit skeptischer Miene: „Was war denn los? ... Ron? Wo ist Kim?“
Schnell fuhr der Teenager mit seiner freien Hand über beide Augen, um sich die Tränen abzuwischen, und tat so, als würde er sich den Schlaf aus den Augen reiben. „Sie schläft noch.“, sagte er mit leicht heiserer Stimme und konnte selbst nicht glauben, dass er gerade zu einer Notlüge gegriffen hatte. Er wollte es Wade ja mitteilen, brachte es aber aus Angst vor dessen Reaktion nicht übers Herz. Der schwarzhaarige Junge stutzte dennoch augenblicklich. Allein Rons bleiches Gesicht sprach Bände und verriet sofort, dass dieser nicht die Wahrheit gesagt hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Vorsichtig, aber mit ernster Miene fragte Wade nach: „Was ist passiert?“
„Ich ... ich erklär dir alles, wenn ich wieder in Middleton bin.“, gab der Teenager nun mit leiser, weinerlicher Stimme zurück, er war kurz davor zusammenzubrechen, während Wade verwirrt klingend nachhakte: Wenn ’du’ wieder in Middleton bist, Ron, was hat das zu bedeuten?“
Rons Stimme versagte, er brachte keinen Ton mehr über seine Lippen. Noch bevor Wade weiterbohren konnte, ratterte der Drucker links vom Jungen und spuckte irgendein Dokument aus, welches Wade sich sofort ansah und durchlas, wobei seine Augen mit jeder gelesenen Zeile immer grösser wurden. Nervös wirkend warf er den Ausdruck quer durch sein Zimmer, tippte wie ein Irrer auf seiner Tastatur herum, bis er hektisch klingend erklärte: „Ron, ein Notfall. Ihr müsst sofort ins Middleton-Hotel, der Manager hat um Hilfe gebeten ...“
„Kann das nicht bis morgen warten?“, unterbrach Ron ihn, während er mit der freien Hand abwinkte und den Kopf leicht zur Seite drehte. In seinem Zustand war eine Mission absolut nicht durchführbar. Aber unerbittlich fügte Wade an: „Nein, wenn es um Shego geht, gibt es keinen Aufschub, wies aussieht dreht sie durch ...“
Plötzlich wurde die Verbindung getrennt und Ron blickte überrascht mit fragendem Blick auf den schwarzen Bildschirm. „Wade?“ Nach mehrmaligem Drücken des Empfangsknopfs, was aber erfolglos blieb, und vorsichtigem Schütteln des Geräts liess sich der blonde Teenager aufseufzend in seinen Sitz fallen und seine Arme schlaff hängen. „Verdammt!“, sagte er laut zu sich selber, dann wandte er sich zu seinem Piloten, „Sean, Planänderung, zum Middleton-Hotel.“
Der NGG Agent neigte den Kopf zur Seite, grummelte etwas Unverständliches, ehe er den Kurs folgsam korrigierte und dann verlauten liess: „Noch fünf Minuten.“
Ron stand langsam auf, hob den Rucksack an, wobei die zwei Einladungskarten für Chens Dinner Party auf den Kabinenboden fielen. Ron ging in die Knie und las den kurzen, knappen Text darauf. An diesem Abend wollte Chen die Schurkenelite mit unbekannten Zielen vereinigen. Ron erinnerte sich daran, wie Kim sich die Karten hatte geben lassen, zweifelsohne hätte sie diese Party besuchen wollen, doch es kam alles anders.
Beim Gedanken an Chen stieg unbändiger Hass in Ron auf. Dieser Mistkerl musste unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden. Langsam zerknitterte er die mittlerweile aufgehobenen Einladungen. „Nein, so leicht kommst du mir nicht davon.“, dachte der blonde Teenager. Er würde diesen Verbrecher für Kim zur Strecke bringen. Das war er ihr tausendfach schuldig. Wieder sah er auf die Einladungskarten in seiner Rechten, bis ihm scheinbar ein Einfall gekommen war, denn er legte ein hässliches Grinsen auf. „Sean, wir machen erst noch einen kurzen Abstecher zu mir nach Hause.“
---
„Nein, wenn es um Shego geht, gibt es keinen Aufschub, wies aussieht dreht sie durch ...“, meinte der schwarzhaarige Junge ermahnend, als plötzlich sein komplettes System abstürzte und ihn in einem stockfinsteren Zimmer zurückliess. Nur der Kühlungsventilator seines Computers machte noch sein übliches Geräusch, bis schliesslich auch dieser verstummte.
„Was ..?“, sagte er gleichermassen verwirrt, wie überrascht klingend, während er mehrmals versuchte den Computer wieder aufzustarten, was aber misslang. Scheinbar waren sämtliche Sicherungen des Hauses durchgebrannt, dabei hatte er sein System doch speziell gegen solche Dinge gesichert. Jedenfalls war das Betätigen des Lichtschalter genauso erfolglos. Selbst sein Telefon schien ausser Betrieb zu sein.
Das war nun schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass jemand von aussen an seinem System rumspielte. Dementsprechend stinksauer griff Wade in eine Schublade, zog eine Taschenlampe hervor, richtete den Lichtstrahl, nachdem er zuerst quer durch sein Zimmer geleuchtet hatte, zu seiner Zimmertür und erschrak dermassen, dass er die Lampe fallen liess. Vor der verschlossenen Türe stand ein hochgewachsener Mann, gekleidet in einem langen, dunklen Mantel. Wade hatte die Person nicht reinkommen hören, weshalb der Junge überrascht ins Stottern geriet: „Wie ... wie sind Sie hier hereingekommen?“
Wie Wade durch den Lichtkegel erkennen konnte, kam der Mantelträger schnell mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

Middleton-Hotel, abends
Der Hotelmanager wartete schon auf dem Parkplatz vor seinem Hotel und begrüsste Ron mit wild fuchtelnden Armen gleich nach dessen Landung. Sein Gesicht wies einige blaue Flecken und rote Kratzer auf, die allerdings schon älter zu sein schienen, sein Anzug war schmutzig, teilweise auch zerrissen. Alles in allem machte er einen ziemlich niedergeschlagenen Eindruck. Nervös brabbelte er drauflos: „Ein Glück, dass Sie hier sind. Erst gestern dieser durchgeknallte Typ mit Sonnenbrille, der das Gefühl hatte, er müsse mich und mein Personal für dieses blöde Empfangsbuch grün und blau schlagen und jetzt eine von unseren Gästen, die am Durchdrehen ist. Scheinbar handelt es sich um diese Shego.“
Was Ron noch mehr störte, als das nervöse Getue seines Gegenübers war, dass dieses scheinbar in einem Anfall von blindwütigem Pflichtbewusstsein, zusätzlich noch die Polizei gerufen hatte. „Warum haben Sie mich gerufen? Die scheinen alles im Griff zu haben.“, meinte der blonde Teenager zum übertriebenen Polizeiaufgebot. Überall leuchteten die roten Lichter in regelmässigen Abständen auf, von überall her konnte man hektische Schreie hören und einige Einsatzkommandos sehen, die sich, schwer gepanzert, bereit machten das Hotel zu stürmen. Mit einem verlegenen Lächeln gab der Hotelmanager zurück: „Sie brauchen viel zu lange, ich habe noch andere Gäste, die gerne in ihre Zimmer zurückkehren möchten, Sie verstehen?“
„Wo ist sie?“, fragte Ron hastig, bekam eine, auf das Hotel gerichtete Handbewegung. „Sie hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen, ich führe Sie hin.“ Erleichtert winkte er Ron zu sich, schleuste ihn an diversen Polizeiabsperrungen vorbei, bis die Beiden schliesslich an der Letzten von einem übereifrigen Polizisten mit tief ins Gesicht gezogenem Kampfhelm aufgehalten wurden. „Stopp, kein Zutritt für Zivilisten.“ Da nutzte auch alles Wettern des Hotelmanagers nichts, der Helmträger wich auch nicht einen einzigen Millimeter.
Dem befehlshabenden Polizisten, der, unweit der Absperrung, auf der Motorhaube seines Wagens einen Plan des Hotels begutachtete, blieb die Szene nicht verborgen. Als er Ron erkannte, rannte er augenblicklich auf seinen Untergebenen zu, schlug diesem ein, zwei Mal fluchend auf den Helm und stutzte ihn zusammen. „Wissen Sie nicht, wer das ist?“ – „Nein, Sir ...“ – „Das ist der Freund der weltbekannten Teenieheldin Kim Possible.“ – „Sir, ich ...“ – „Habe ich Ihnen erlaubt zu sprechen?“ – „Nein, Sir ...“ – „Na los, verschwinden Sie!“ Verwirrt machte sich der Polizist im Laufschritt zwischen den Polizeiwagen davon, worauf sich der Police Officer, welcher wohl militärische Ausbildung genossen hatte, grinsend Ron zuwandte. „Mr. Stoppable, was kann ich für Sie tun?“ – „Pfeifen Sie Ihre Männer zurück, ich geh da alleine rein.“, sagte der Teenager ruhig, aber besorgt, wenn Shego tatsächlich am Durchdrehen war, würde sie, sobald diese armen Teufel ihren Weg kreuzten, ein Blutbad anrichten. Er drehte sich wieder zum Manager, worauf ihm dieser nickend einen Universalschlüssel überreichte. „Im Falle, wenn sie sich eingeschlossen hat.“, erklärte er und zeigte auf eine Schiebetüre, „Es ist gleich da vorne, Nr. 59.“

„Shego?“, rief er in den dunklen Raum, nachdem er die Schiebetür geöffnet hatte, bekam aber auch nach längerem Warten keine Antwort. Er fasste sich ein Herz und betrat das Hotelzimmer, tastete sich der Wand nach durch den Raum, wobei er mehrmals mit irgendwelchen Möbeln oder sonstigem Interieur kollidierte und dabei einen Höllenlärm veranstaltete. Doch kam immer noch keine Reaktion darauf. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und es war ihm möglich weitere schmerzhafte Zusammenstösse zu verhindern. Vor der Eingangstür angekommen, wollte er, in der Annahme, dass Shego bereits seit langer Zeit ausgeflogen war, das Zimmer wieder verlassen, als er glaubte, ein leises Wimmern aus dem Bad zu vernehmen. Vorsichtig stiess er die nur angelehnte Badezimmertüre auf. Mit einem weiteren, fragenden „Shego“ betätigte er den Lichtschalter und musste geblendet, sofort die Augen zusammenkneifen, blickte aber nach kurzer Zeit auf einen zerschlagenen Spiegel, an dem wenig, wie der blonde Teenager schockiert feststellen musste, frisches Blut klebte. Innerlich machte er sich schon auf das Schlimmste gefasst, stiess die Badezimmertüre ganz auf und erblickte erst die am Boden liegenden Handschuhe und dann Shego, aufrecht sitzend, gekleidet in ihrem Anzug, mit angezogenen Knien neben der WC-Schüssel, wie sie sich mit einer Glasscherbe sanft über die Stelle etwas unterhalb ihres linken Handansatzes fuhr, ohne sich damit zu schneiden.
„Er wusste, ich könnte mir nichts antun.“, sagte sie schwach, als Ron vor ihr in die Knie ging. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, die Vorstellung daran, dass er Shegos Leichnam hätte entdecken können, jagte ihm einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Zum ersten Mal in seinem Leben war er froh, seit Stunden nichts mehr gegessen zu haben, denn seinem Magen nach, hätte er sich in dem Moment sicher übergeben. Langsam streckte er seine rechte Hand aus, worauf Shego ihm das Glasstück ohne Widerworte aushändigte.
„Wo ist Kimmie?“, fragte sie, als sie ihren Kopf gegen die Wand lehnte und die Augen schloss. Schweigend betrachtete Ron sein Spiegelbild in der kleinen Scherbe, ihm gefiel nicht, was er da sah. Sein Gesicht verwandelte sich in eine hässliche Fratze. Er wusste, er beschritt einen gefährlichen Weg, der leicht in einen Abgrund führen konnte. Eine böse Miene verziehend warf er die Scherbe weg und log: „Sie kommt nach.“
Shego begann zu kichern, erst schwach, dann immer lauter, bis es schliesslich in ein verzweifeltes Lachen umschlug. „Ich werde sterben.“, flüsterte sie mit einer Gewissheit, als ob sie wüsste, dass Ron gerade gelogen hatte. Der blonde Teenager musste an Kims Blick denken. Vorsichtig griff er nach Shegos Armen, was diese erstaunlicherweise zuliess, schaute sich diese genau an, um ganz sicher zu gehen, dass sie sich nicht doch verletzt hatte, und drehte sie zu dem Zweck mehrere Male hin und her. Da war aber nur ein ziemlich tiefer Schnitt am rechten Mittelfinger, der sicher vom Zerschlagen des Spiegels herrührte. Wortlos suchte der Teenager im Erste Hilfekasten nach Verbandszeug und verarztete die Wunde mehr schlecht als recht, erst dann meinte er auf Shegos Bemerkung: „Das wäre vielleicht sogar besser.“
Überrascht von Rons Hilfsbereitschaft und Offenheit, starrte sie ihn nur mit weit offenen Augen an. „Ich mag dich nicht Shego, aber aus irgendeinem Grund hat Kim dir in dieser Sache vertraut und hat dir einen Gefallen getan, obwohl sie das nie hätte tun müssen, also werde ich dir auch vertrauen.“, sagte er leise mit Tränen in den Augen und erklärte weiter, „Sie hat herausgefunden, wer hinter der ganzen Sache steckt.“ – „Wer?“ Ron meinte, bei dieser Frage ein kurzes Aufglühen in Shegos Augen zu sehen, worauf er aufstand und ihr die Einladungskarten vor die Füsse warf, welche die Schwarzhaarige mit hoffnungsvoll wirkendem Blick betrachtete. „Jetzt tu mir, tu Kim einen Gefallen und hilf mir diesen Verbrecher hinter Schloss und Riegel zu bringen.“, schlug Ron mit verschränkten Armen vor, ehe der Teenager die Handschuhe seines Gegenübers aufhob und sie ihr entgegenstreckte. Langsam blickte sie von den Einladungen auf, schaute sich ihre Werkzeuge an und schliesslich direkt in die braunen Augen ihres Gegenübers.

„Na endlich, was hat denn so lange gedauert.“, meckerte Sean gelangweilt, als er hinter sich Schritte hörte. Doch der Anblick von Shego liess ihn glauben, er würde träumen, weshalb er sich die Augen rieb und ungläubig auf die Schwerverbrecherin schaute. Als er sich davon überzeugt hatte, dass er nicht halluzinierte, wollte er sofort nach dem Funkgerät greifen und das Hauptquartier alarmieren. Shego wusste das schlagkräftig zu verhindern. Blitzschnell stand sie vor dem Schwarzhaarigen, stoppte ihre rechte, aufglühende Hand kurz vor seiner Nase, was den Agenten starr vor Schreck werden liess.
„Tu das, ich reiss dir deinen Arm aus und schlag dich danach damit windelweich.“, schrie Shego gewohnt angriffslustig auf ihr überrumpeltes Gegenüber ein. Angesichts der Wahl, vor welche sie Sean stellte, überlegte dieser zur Abwechslung wohl zwei Mal, was er tat, und zog seine Hand vorsichtig von den Armaturen weg. „Braver Junge.“
„Hast du ihre Gesichter gesehen?“, fragte Ron vergnügt, beinahe schadenfroh, als auch er das Cockpit des Jets betrat, „Ah, wie ich sehe, habt ihr euch schon bekannt gemacht. Sehr schön.“
Shego konnte sich nicht helfen, aber irgendwie kam ihr Kims Helferlein plötzlich so verändert vor. Sein Blick, seine ganze Körperhaltung hatten sich innerhalb weniger Minuten total verändert. Ron hob den Rucksack auf, während er seinem Piloten zurief: „’Bermuda Triangle’, Sean.“
Dieser nickte etwas zittrig und startete die Maschinen. „Seit wann gibst du hier die Befehle?“, wollte nun die Schwarzhaarige mit verschränkten Armen wissen, worauf der blonde Teenager frech wirkend erwiderte: „Ganz ruhig Shego, spar dir deinen beissenden Sarkasmus für später auf.“
Offensichtlich schnell wieder von seinem Schock erholt, musste Sean unbedingt noch seinen Senf dazugeben: „Das ist ein Pleonasmus, Sarkasmus ist immer beissend, also im eigentlichen Sinn ...“ – „Sean, halt die Klappe!“ Ron kniff dabei seine Augen zusammen und warf dem Agenten einen verachtenden Blick zu, darauf winkte er Shego in den Laderaum.
„Und, wie solls jetzt weitergehen?“, fragte die Schwarzhaarige ungeduldig, so dass Ron ein gewaltiges Grinsen auflegte und sich, wie ein durchgeknallter Wissenschaftler, in reiner Vorfreude die Hände rieb. „Wie du sicher gesehen hast, ist diese Dinner Party nur für Superschurken.“, erklärte er lächelnd, mit stolzer Brust, bekam aber nur ein gelangweiltes Schulterzucken als Antwort. Im Vorbeigehen nahm er ein zusammengelegtes, schwarzes Päckchen aus Kims Rucksack, öffnete es und warf den Anzug Shego zu. Sie liess diesen sofort auf den Boden fallen und setzte sich mit gleichermassen angewidertem, wie auch panischem Gesichtsausdruck.
„Nein.“ – „Als ob du eine Wahl hättest.“, erwiderte Ron, als er sich vor Shego hinsetzte und ihr ein kleines Fläschchen reichte, „Hier.“
Die Schwarzhaarige betrachtete es kurz, offensichtlich hatte ihr Gegenüber hellblaue Schminke oder etwas ähnliches darin abgefüllt, was sie wieder nur mit einem, dieses Mal verzweifelten „Nein!“ quittierte. „Booyaha!“ – „Oh nein, bitte nicht!“ – „Oh doch, und bitte auch hinter den Ohren.“

’Bermuda Triangle’, Karibik, nachts
Für die zuständigen Personen einer Dinner Party gibt es wohl nichts Schlimmeres, als ein Haufen unzivilisierter Wahnsinniger. Wenn man viele Superschurken, die sich gegenseitig alle wie die Pest hassten und sich nicht einmal Besagte gönnten, in einen Raum steckte, jeder mit einem übertrieben zur Schau gestellten Ego und einem, nicht das Kindergartenalter überschreitenden Niveau, musste das Personal, wie auch die aufwendig ausgearbeitete Dekoration, logischerweise recht schnell Schaden davontragen. Wobei die vermeintlichen Superschurken vermutlich das kleinste Übel darstellten, denn wenn man das ganze auch noch mit einer Horde ausgerasteter Ninjaaffen mischte, war das Chaos definitiv vorprogrammiert.
So musste auch die ältere Dame, welche die ganze Party organisiert hatte, feststellen. Seit dieser englische Lord mit seinen, wie er sagte, Untergebenen hier angekommen war, durfte sie etliche Tischbezüge frisch anziehen und zerschlagenes Geschirr ersetzen. Aber es waren nicht nur die Affen, welche das Personal an den Rande eines Nervenzusammenbruchs führten, mittlerweile hatten sich einige, eher unbekannte Schurken am Büffet ausgelassen und eine Essenschlacht provoziert und vor allem die weiblichen Serviererinnen mussten sich den Attacken ihrer, durchwegs männlichen Gäste aussetzen, so dass sie, in der Küche versteckt, bereits darum knobelten, welche arme Seele als nächstes die Bestellung aufnehmen musste. Aber im Grossen und Ganzen liessen sie die Tortur professionell und mit selbiger Gelassenheit über sich ergehen.
Als ein Pianist auf seinem Klavier irgendein klassisches Stück anspielte, um die angespannte Stimmung ein wenig zu lockern, liessen die Äffchen, sehr zur Freude der Organisatorin, die gerade dabei war, einem der Tierchen den Hals umzudrehen, vom Interieur ab und terrorisierten den armen Mann, machten es ihm unmöglich noch die richtigen Tasten zu treffen, bis Monkey Fist endlich ein Einsehen hatte. „Lasst den Mann spielen, meine affigen Lakaien.“, befahl er, zur Abwechslung aufrecht neben dem Musikinstrument stehend, worauf sich die Vermummten voller Begeisterung an die Vorhänge und Kronleuchter hängten.
„Wenigsten einer, der Anstand zeigt ...“, dachte sich der Pianist, als er sich beim schwarzhaarigen, elegant mit Smoking gekleideten Lord bedankte und beruhigt weiterspielte, aber er änderte seine Meinung schnell, nachdem Monkey Fist mit einem Satz aufs Klavier sprang und sich zur Meditation im Schneidersitz darauf setzte. Offensichtlich schien ihm die musikalische Stilrichtung besonders gut bei seinen Konzentrationsübungen zu helfen. Das alles wäre ja noch halbwegs zu verkraften gewesen, doch Fists genmanipulierten, affenähnlichen Hände und Füsse gaben dem bedauernswerten Pianist definitiv den Rest. Mit voller Wucht schlug dieser, nachdem er geschockt das Bewusstsein verlor, mit der Stirn auf die Tastatur auf. Der schwarzhaarige Lord würdigte den plötzlichen musikalischen Abbruch nur mit einem empörten „Weichei!“ und führte seine Meditation dennoch fort.
Andere, die dem Treiben nichts abgewinnen konnten, liessen sich an der stilvoll eingerichteten Bar volllaufen. Die drei, ebenfalls allesamt in Smoking gekleideten Herren blickten auf eine grosse Auswahl an alkoholischen, wie auch alkoholfreien Getränken, frischen Früchten und viel Eis, sogar diese kitschigen Pappschirmchen waren vorhanden. Alle drei liessen sich niedergeschlagen auf ihren Barhockern hängen, seufzten von Zeit zu Zeit laut auf und ertränkten ihr Selbstmitleid mit allerlei Dingen, aber vor allem mit noch mehr Selbstmitleid.
„Junior, probier mal die Kaviarschnittchen, die sind vorzüglich.“, schrie Señor Senior Senior mit seinem üblichen spanischen Akzent quer durch den Saal, offenbar hatte man sich während der Essensschlacht geeinigt und man konnte sich mittlerweile dem Büffet wieder gefahrlos nähern.
Der Schwarzhaarige zuckte erschrocken zusammen und rief geplagt zurück: „Nein, Vater!“ – „Familiäre Probleme?“, fragte Gemini beinahe sanft klingend, links von Junior sitzend. Ihn sprach dieses Thema sehr an, da er aus erster Hand wusste, wie nervig Familien sein können. „Ach ...“, stöhnte Junior genervt auf, „ ... mein Vater hat mich hierher geschleift, dabei möchte ich viel lieber Popstar werden.“
Nicht wirklich auf Juniors Gejammer hörend, begann nun Gemini seinerseits über die Ungerechtigkeit, welche ihm in seiner Kindheit entgegengebracht wurde, zu wettern und schlug dabei mehrmals mit seiner bionischen Hand auf den Tresen. „Wenn meine Schwester und ’Globale Gerechtigkeit’ ...“, jammerte er los, doch wurde sofort lauthals jaulend von seinem Chihuahua unterbrochen. „Entschuldige Pepe.“, beruhigte der Einäugige reumütig sein zitterndes Schosshündchen, indem er dessen Nacken kraulte.
„Was soll ich dann erst sagen, ich konnte mir Henchs Dinge nie leisten, ich weiss gar nicht, was ich hier soll.“, erklärte schliesslich Francis Lurman verwirrt klingend, als ob er sich diese Frage an dem Abend zum ersten Mal gestellt hätte.
Wie auf Kommando seufzten alle drei zum x-ten Mal laut auf und leerten dann den Inhalt ihres jeweiligen Glases mit einem Schluck, worauf Francis laut nach dem Barkeeper schrie. Dieser tauchte plötzlich grinsend hinter dem Tresen auf, in einem blütenweissen Hemd und einer rot glänzenden Weste gekleidet. Dabei erschreckte er Junior, wie man an dessen quietschenden Aufschrie erkennen konnte, fast zu Tode, trocknete ein Glas und betrachtete es gründlich, bevor er es zufrieden wirkend zu den anderen stellte. Nach einem kurzen Blick auf die leeren Gläser seiner Gäste, füllte er ihnen wieder nach. Gemini betrachtete den Kerl lange interessiert, was wohl am vielen Alkohol lag oder weil dem Einäugigen einfach langweilig war, und wollte plötzlich wissen: „Woher haben Sie denn diese Narben?“ Er deutete dabei auf seine linke Wange. Mit einem aufgesetztem Lächeln antwortete der Schwarzhaarige: „Von einem Kätzchen ...“ – „Muss aber ne grosse Katze gewesen sein.“
Inzwischen war auch Duff Killigan eingetroffen. Er trug zwar auch Abendgarderobe, wollte aber nicht auf seinen traditionellen Kilt und den Golfsack verzichten, was ihm natürlich den Spott der anderen Anwesenden, vor allem Monkey Fists höhnisches Gelächter, brachte. Sein schottischer Akzent besorgte den Rest und liess einige sich vor Lachen auf dem Boden krümmen. Dementsprechend aufbrausend schrie er auf seinen vermeintlichen Kollegen ein, während er sich vor den Flügel stellte: „Schon mal in den Spiegel geschaut, Äffchen?“ – „Nun ja, wenigstens trage ich keinen Leichensack mit mir rum.“, erwiderte Monkey Fist ruhig, nach wie vor mit herablassendem Ton, was der Schotte aber mehr oder weniger gekonnt konterte: „Dafür krabbeln Sie auf allen Vieren und glauben an irgendwelchen affigen Firlefanz.“
Als auch noch ein paar von Fists Affen um Killigans Füsse tanzten und begannen an seinem Kilt zu zupfen, explodierte der Golfspieler beinahe. „Können Sie Ihre haarigen Untergebenen eigentlich nicht an die Leine legen?“ – „Wieso? Hat Ihnen einer von ihnen unters Röckchen geschaut?“, gab der Schwarzhaarige, immer noch auf dem Flügel sitzend, grinsend zurück, was weiteres Gegröle der umstehenden Schurken nach sich zog.
Nun platzte Killigan endgültig der Kragen, mit knirschenden Zähnen griff er nach einem Schläger, legte sich einen seiner Golfbälle zurecht und schlug diesen mit seinem üblichen „Fore!“ in die nächste Gruppe lachender Schurken. Diese machten sich nur noch kurz über Killigans Methoden lustig, spätestens nach der schwachen, aber doch durchschlagenden Explosion sagten sie nichts mehr. Mittlerweile war Monkey Fist vom Flügel gesprungen, stellte sich, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und verschlossenen Augen, neben den nervös ein- und ausatmenden Golfer und meinte nur seufzend: „Dass Sie immer so masslos übertreiben müssen.“ – „Wieso denn? Jetzt ist endlich Ruhe.“, grinste er den Schwarzhaarigen an.
„Aber meine Herren ... auch wenn ich persönlich roher Gewalt nicht abgeneigt bin und es diese Amateure sicherlich verdient haben ...“, lenkte nun Professor Dementor, der gerade in Begleitung zweier grau gekleideten Bodyguards die grosse Treppe hinunterstieg, die ungeteilte Aufmerksamkeit des ganzen Saales auf sich. Er gehörte zu den wenigen Schurken, die den uneingeschränkten Respekt aller anderen Bösewichtern genoss, vielleicht mit Ausnahme von Dr. Drakken. Umso grösser war die Diskussion darüber, dass Chen auch ihn dazu gebracht hatte, an dieser Dinner Party teilzunehmen. Schliesslich hielt er abrupt inne, hob seine Stimme auf ein hohes, durchdringendes Niveau und beendete seinen angebrochenen Satz: „ ... aber war das wirklich nötig?“
Noch bevor Killigan und Monkey Fist das Wort ergreifen konnten, was sie sicher Beide getan hätten, um wieder gegenseitig übereinander herzuziehen, konnte man von draussen laute Schreie wahrnehmen. Nur wenig später wurde ein riesiger Türsteher durch die Eingangstüre geschleudert, schlug hart auf, rutschte noch einige Meter bis kurz vor die Treppe und blieb dort schliesslich regungslos liegen. Die meisten Schurken drehten ihre Blicke zur Eingangstüre, selbst der Barkeeper schaute interessiert zu ihr hoch. Lediglich die drei Kerle vor ihm schlürften weiter gelassen ihre Cocktails. Lurman meinte knapp: „Sieht so aus, als wäre die Runde endlich komplett.“
Darauf war, wie auf Kommando, ein wahnsinniges, aber vor allem wahnsinnig lautes Lachen zu hören, das sämtlichen Superschurken im Saal eine Gänsehaut verpasste. Es war ihnen in bester Erinnerung geblieben. „Oh nein, nicht der.“, konnte man von Monkey Fist und Killigan im Chor hören, als sie versuchten sich jeweils panisch hinter dem anderen zu verstecken, während Professor Dementor sich durch seine mitgebrachten Schränke beschützen liess und nervös umherschaute. Kein anderer Schurke hatte jemals in so kurzer Zeit für so grosse Unruhe, auch in den eigenen Reihen, gesorgt, keiner hatte sich in der Schurkenbranche je so radikal einen solchen Namen gemacht und für Angstzustände bei Gut und Böse gesorgt.
Doch stand er, zum Unwohl aller Beteiligter, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, oben an der Treppe und schaute, nachdem er einem flüchtigen Blick auf den bewusstlosen Türsteher geworfen hatte, mit einem überlegenen Grinsen in seinem hellblauen Gesicht auf die sprachlosen Superschurken. In der Tat hätte man in dem Moment eine Stecknadel fallen lassen und ihren Aufschlag hören können. Sogar Fists Lakaien schienen sich an Zorpox den Eroberer zu erinnern, denn diese hatten sich längst versteckt und gaben keinen Laut mehr von sich.
Langsam setzte sich der Bösewicht in Bewegung, ging die Treppe herunter, würdigte dabei seinen gelben Kollegen keines Blickes und suchte sich einen freien Platz, wobei er nicht danach Ausschau halten musste. Wenn er sich einem Tisch auch nur näherte, erhoben sich die Schurken sofort ehrfürchtig und boten dem Eroberer ihre Plätze jeweils mit einem unterwürfigen Lächeln an. Dementor fand dieses Verhalten einfach nur entwürdigend. Voller Hass ballte er beide Fäuste und biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht verstehen, dass jemand anderem als ihm mehr Respekt entgegengebracht wurde. Genau gleich dachten auch die beiden Angsthasen auf der Bühne. Mit verachtenden Blicken verfolgten sie jede Bewegung des Eroberers, trauten sich jedoch nicht auch nur ein Wort zu sagen. Zu gross war die Angst vor Zorpox’ unberechenbarer Natur.
„Haltet ihn!“, befahl der mittlerweile wieder zu Bewusstsein gelangte Türsteher den beiden Shegodrohnen hinter sich, die er wohl zur Verstärkung angefordert hatte.
Im Laufschritt sprangen sie auf Zorpox los und griffen ihn mit aufglühenden Händen an. Der Blaue wich den Schlägen der ersten Drohne mit Leichtigkeit aus. Amüsiert bohrte er blitzschnell seine, mit Stahlkappen verstärkten Finger in die künstliche Brust und zog sie wieder zurück. Der künstliche Gegner blieb darauf still stehen, während aus den fünf Löchern zäh der grünliche Bioschleim floss. So gut und stark die Drohnen auch sein mochten, sie waren einfach zu langsam und einmal an ihrer Hülle beschädigt waren sie praktisch nicht mehr zu gebrauchen.
Während sich Zorpox den Handschuh an seinem Anzug abputzte, diesen danach gelangweilt betrachtete und scheinbar die zweite Drohne vergass, die sich gerade in seinem Rücken aufbaute, hatte sich Shego lautlos an diese herangeschlichen, riss sie hinterrücks zu Boden und zerriss wiederum mit ihren Krallen den künstlichen Kopf.
„Ach Mann, eigentlich wollte ich Ihnen nur eine Fliege verpassen, Abendgarderobe ist Pflicht ...“, reklamierte der Türsteher lauthals, richtete seine Krawatte und zog sich unter dem grausamen Blick des Blauen, ob der höheren Gewalt zurück.
„Booyaha! Wer ist jetzt hier der wichtigste Mann?“, schrie der Eroberer in siegessicherem Ton lachend in den Saal hinein, während Shego, in ihrem Cocktailkleid, so auch die allgemein gültige Kleidervorschrift befolgend, ihren rechten Handschuh an dessen Cape säuberte. Die Schusswunde am linken Oberarm hatte sie mit einem schwarzen Tuch verdeckt. Schliesslich stemmte sie ihre rechte Hand in die Hüfte und flüsterte zischend: „Übertreibs bloss nicht.“
Sich in seinem Stolz angegriffen fühlend erwiderte er noch lauter: „Ich dulde keine Kritik an meiner Person, Shego.“
Er näherte sein Gesicht bis auf eine Nasenspitze entfernt dessen der Schwarzhaarigen, welche erst mit grossen Augen schaute, dann böse zurückzischte: „Sonst was?“
Als Zorpox einige Schritte vorwärts ging, dabei einen immer blutrünstigeren Gesichtsausdruck annahm und Shego so zurückdrängte, wusste sie genau, was passieren würde. Schulterzuckend und mit einem verlegenen Lächeln beantwortete sie ihre Frage selber: „Haifischbecken?“
Ihr blaues Gegenüber kniff nur das linke Auge zusammen, neigte den Kopf leicht zur Seite, nickte beinahe emotionslos und drängte sie mit rauer Stimme weiter zurück. „Du tust, was ich dir sage ... und du wirst nicht meine Autorität untergraben ... du bist nur das Helferlein. Hinsetzen!“
Bei diesen fast geschrieenen Worten kam er Shego plötzlich derart nahe, dass diese beim Zurückweichen das Gleichgewicht verlor und unter einem erschrockenem Laut hinterrücks auf einem Stuhl landete. Schockiert klammerte sie sich an diesem fest, während Zorpox sich ihr direkt gegenüber zufrieden setzte und seine Beine auf den Tisch hochlegte. Die Schwarzhaarige erholte sich sehr schnell wieder, rückte sich zurecht, überschlug die Beine und verschränkte die Arme. Für diese Demütigung würde sie Kims Helferlein mit Freuden den Hals umdrehen, sobald sie hier raus kämen, obwohl sie ihm, doch leicht überrascht, durchaus eingestand, dass er seine Rolle vorzüglich spielte.
Ein Raunen ob der gezeigten Vorstellung ging durch die Reihen der Schurken. Der Barkeeper traute seinen Augen kaum. Er hatte in Zorpox sofort Ron erkannt, doch hätte er niemals eine derartig beeindruckende Vorstellung erwartet. Und schon gar nicht, dass dieser Tollpatsch ausgerechnet Shego in ihrem Zustand dazu bringen würde, hier aufzukreuzen und sie dann auch noch herumkommandierte. Mit dementsprechend weit offenem Mund und über den Tresen gelehnt fragte er sich selber laut denkend: „Ist der Kerl einfach nur genial oder lebensmüde?“
Offenbar fühlte sich Francis angesprochen und korrigierte ruhig: „Wahnsinnig, er ist wahnsinnig.“ Er klebte sich übereifrig seinen falschen Billigbart ins Gesicht, wechselte in seinen speziellen Akzent und erzählte dem Barkeeper über die kurze, aber höchst erschreckende Herrschaft des Eroberers vor einigen Monaten und über dessen plötzliches Verschwinden, wofür gemeinhin Kim Possible verantwortlich gemacht wurde. Offiziell wurde dies aber niemals bestätigt, da der Superschurke nie in einem Gefängnis gesehen worden war. Um seine Person drehten sich die wildesten Gerüchte, von einem Gut-Böse-Tauschgerät, über ein durchgeknalltes Verhältnis mit Shego, bis zu seinem unnatürlichen Ableben, wovon es wiederum auch ein Dutzend Versionen gab, und natürlich seine wahre Identität. Francis blickte einige Male hin und her, winkte sein Gegenüber zu sich und flüsterte ihm den Namen zu, worauf sich beide kurz gegenseitig in die Augen schauten und dann in Lachen ausbrachen. Vieles war, wie auch Lurman zugab, schwer aus der Luft gegriffen.
„Der Kleine hat Potenzial, wer hätte das gedacht.“, meinte der Barkeeper schliesslich nachdenklich, nachdem er sein Lachen abrupt abbrach. Der ehemalige Smarty Mart Angestellte begriff nicht ganz, hob eine Augenbraue, worauf der Narbenträger schmunzelnd abwinkte und seinem Gegenüber wieder nachfüllte.
Endlich mit dem eigentlichen Abendprogramm beginnend, wurden inzwischen Professor Dementor und seinen Kollegen, mit mehr oder weniger grossem Aufwand, deren jeweiligen Plätze zugewiesen, das Klavier mitsamt dem Bewusstlosen von der Bühne geschafft, worauf plötzlich das Licht im Saal komplett ausging und etwa einen Meter über der Bühne eine dreidimensionale, sich drehende, aber noch flackernde Kugel erschien. Recht schnell wurde allen Beteiligten klar, worum es sich dabei handelte: Das Hologramm zeigte eine detail- und massstabsgetreue Abbildung der Erde, mit ihrem Trabanten. Eine tiefe Stimme meldete sich im Hintergrund, kommentierte Gezeigtes: „Meine Herren, dies ist die Erde, wie wir sie kennen, unzivilisiert, zerstritten, rückständig, schwach und trotzdem das Objekt all unserer Begierden.“
„Diese Stimme ...“, sagte Shego laut zu sich selber, als wäre sie ihr bekannt vorgekommen, was Ron, der sich mittlerweile vornüber gelehnt hatte, mit einem flüchtigen Blick quittierte, dann aber wieder Chens Ausführungen lauschte.
„In wenigen Stunden bereits wird Ccorp. im Besitze dieser Welt sein, wir werden geschafft haben, was bis zum heutigen Tage keiner von Ihnen je zu Stande gebracht hatte. Sie fragen sich wie?“, fragte der Sprecher in herablassendem Ton, worauf am Erdhologramm ausserhalb der Atmosphäre ein kleiner, roter Punkt zu blinken begann, der danach mehrmals vergrössert wurde, bis der vogelförmige Satellit deutlich erkennbar war.
„Hiermit ...“, fuhr Chen stolz klingend fort, „ ... Darf ich vorstellen: ’Phoenix’. Neben den modernsten und hoch auflösendsten Kameras verfügt er über die leistungsstärksten und vielseitigsten Strahlenkanonen dieser Welt. Zusätzlich zu Laserstrahlen können auch Gammastrahlen und Mikrowellen ausgesendet werden, und das auf ein Zielgebiet von wenigen Quadratmillimetern bis zu einigen Quadratkilometern.“
„Dieser verdammte Dreckskerl.“, zischte der Barkeeper mit Tränen in den Augen leise durch die Zähne, „Dafür war es nicht gedacht.“
Er stockte und hob eine Augenbraue, als er im Augenwinkel einen Schatten wahrnahm. Für einen kurzen Moment glaubte der Narbenträger eine vermummte Person durch die Eingangstüre huschen zu sehen.
Die Schurkenschar wurde langsam aber sicher unruhig, was Chen natürlich längst erwartet hatte und, darüber amüsiert, weiterfuhr: „Sie fragen sich, warum ich Ihnen all das verrate? Mit Unterstützung von ’Phoenix’ werden meine künstlichen Drohnen, ausgehend von den Ccorp. Filialen, überall auf der Welt ausschwärmen und erst sämtliche militärischen Einrichtungen zerstören ...“ Dabei erschien wieder das Erdhologramm, worauf nun nach und nach viele grüne Punkte aufleuchteten, jeder gleichbedeutend mit einer Filiale, und es waren viele Punkte, die da auf der Kugel blinkten.
„ ... dann folgen die Kommunikationseinrichtungen, schliesslich werden die Regierungen gestürzt ...“, erklärte der Filialleiter, hielt kurz inne und genoss den Moment in vollen Zügen, „ ... Wir reden von der Weltübernahme, meine Herren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie sich noch nie überlegt haben, was passieren würde, wenn jemand anderes als Sie die Weltherrschaft erlangt. Ich kann es Ihnen sagen, in ein paar Stunden sind Sie alle ausnahmslos arbeitslos, weil es nichts mehr zu erobern gibt.“
Augenblicklich wurde Chen von den meisten Schurken gnadenlos ausgebuht, einige befanden sich schon auf der Treppe und waren drauf und dran die Party stinksauer zu verlassen, so auch Dementor. Keiner von ihnen wollte dem Maskenmann so recht Glauben schenken. Da trat der Geschäftsmann aus dem Schatten hervor auf die Bühne, in Begleitung zweier Shegodrohnen, welche ihn flankierten, schaltete per Fernbedienung wieder die Beleuchtung ein und lachte laut heraus.
Augenblicklich liess Shego ihre linke Hand aufglühen, wurde aber sofort von Ron zurückgehalten. „Reiss dich zusammen. Es ist noch zu früh.“, sagte er leise, bekam einen hasserfüllten Blick zu spüren. Sie hatte sich nicht getäuscht, sie kannte den Maskenmann. Nach und nach kamen Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen in ihr hoch, verdrängte, schmerzhafte Erinnerungen. „Er ist schuld an allem ...“, keuchte sie leise.
„Sie glauben mir also nicht, zu schade.“, meinte Chen in einem sarkastischen Unterton, was Professor Dementor dazu veranlasste sich umzudrehen und genervt sein Gegenüber anzuschreien: „Um mich zu überzeugen, brauchen Sie schon mehr als ein Hologramm.“
Natürlich meinte der Gelbe das nur im übertragenen Sinn und wollte sicher in keinster Weise überzeugt werden, wie auch Monkey Fist, Killigan und Señor Senior Senior, die sich mittlerweile zu ihrem Kollegen gestellt hatten, nichts Weiteres mehr hören wollten. Jeder einzelne von ihnen wollte dieses einmalige Privileg, die Weltherrschaft, mit den eigenen Händen halten, sie selber mit ihren eigenen Mitteln erringen und ganz für sich alleine haben. Lieber würden sie sterben, als ihre Macht zu teilen.
„Ach, ihr Schurken seid ja alle so durchschaubar.“, erwiderte Chen herablassend auf die Reaktion seiner Zuhörer, schnippte mit den Fingern und winkte Dementors Helferlein zu sich. Diese schauten sich erst schulterzuckend an und befolgten schliesslich den Befehl, sehr zur Überraschung ihres Arbeitgebers, mit einem nicht ernst gemeinten „Tut uns leid, Boss.“
Da Dementor nur mit offenem Mund herumstotterte, unfähig etwas zu sagen, ergriff Chen wieder das Wort, im Wissen endlich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller gewonnen zu haben: „Was glauben Sie, wer in Zukunft Ihre Helferlein stellt? Was glauben Sie, wer Ihnen zukünftig Ihre Spielzeuge zusammenbastelt? Ganz einfach: Niemand. Schliesslich ist dies ja auch nicht mehr nötig. Ihre Helferlein haben bereits weiter gedacht, die Situation erkannt und längst für ihr Fortbestehen gesorgt, natürlich in meinen Diensten. Ich korrigiere also: Sie werden nicht nur arbeitslos, sondern auch auf sich allein gestellt sein, mit nichts als Ihrer nackten Seele, denn ich werde persönlich dafür sorgen, dass niemand mehr mit Ihnen Geschäfte machen wird, um ihre kleinen, verrückten Pläne in die Tat umzusetzen. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass man Sie jagt und, wie räudige Hunde, Sie zur Strecke bringt, ins Gefängnis wirft und die Schlüssel wegwirft.“
Er liess diese Worte kurz wirken. Keiner brachte auch nur einen Laut über seine Lippen. Zufrieden stellte Chen fest, dass die Schurkenelite endlich begann zu begreifen. „Sie werden mir sicher zustimmen, das wäre eine reine Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Jeder von Ihnen hat aussergewöhnliche Fähigkeiten, die von Ccorp. für eine gemeinsame Zukunft noch so gerne verwendet würden, aber stattdessen setzten Sie diese lieber gegeneinander ein, nicht? Und bemerken nicht, dass Sie sich so nur gegenseitig im Weg stehen. Verstehen Sie mich recht, wir verhandeln hier nicht. Für Sie gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie arbeiten zukünftig für mich, unter mir oder Sie haben gar keine Zukunft mehr.“
Darauf war von jeder Ecke her grosses Gemurmel zu hören, als ob sich die Schurken tatsächlich über Chens Vorschlag beraten würden. Ungläubig schaute Dementor um sich, sah wie sich sogar Monkey Fist seufzend und nachdenklich hinkniete und konnte es kaum glauben, wie wankelmütig seine Kollegen waren, wie schnell diese zu beeindrucken und einzuschüchtern waren. Für den gelben Superschurken brach eine Welt zusammen, aber noch wehrte er sich, wenn auch nur kopfschüttelnd, gegen diese unangenehme und scheinbar unvermeidlichen Neuerung.
Chen bemerkte es sofort, sprach Dementor direkt an: „Immer noch nicht überzeugt? Zum Zeichen, dass ich Ihnen wohlgesonnen bin, mache ich Ihnen ein unbezahlbares Geschenk.“
Der Filialleiter drückte erneut auf seine Fernbedienung und deutete stolz mit beiden Armen auf das holografische Bild, das allen Personen im Raum den Atem stocken liess, insbesondere Ron und erstaunlicherweise auch Shego. Mit grossen Augen betrachteten sie das wahrscheinlich letzte Bild, auf dem Kim Possible noch lebend zu sehen war, über dem Abgrund hängend, mit schmerzverzerrtem Gesicht, von einer Shegodrohne an ihrem rechtem Handgelenk gehalten.
Man könnte meinen, das Ableben ihrer Erzfeindin müsste alle in helle Begeisterung stürzen, doch da war nichts, kein Gejubel, kein Gejaule, nicht einmal ein müdes Lächeln. „Wie mir von meiner rechten Hand mitgeteilt wurde ist die Geissel des Schurkentums endlich von uns gegangen. Aber bitte, freuen Sie sich nicht zu sehr.“
Shegos Augen füllten sich mit Tränen. Ungläubig blickte sie zu Ron, der nur starr auf den holografischen Schirm schaute. Selbst durch die Schminke konnte man erkennen, dass sein Gesicht totenbleich geworden war. Mit einem Schlag verstand die Schwarzhaarige. Sie spürte eine gigantische Leere in sich, füllte diese aber sofort mit immer stärker werdendem Hass und tiefer Enttäuschung. Immer und immer wieder hallten die letzten Worte ihrer Erzfeindin in ihrem Kopf. Die Worte, welche die rothaarige Teenagerin ihr vom Vordach zugerufen hatte, als ob für diesen einen kurzen Moment eine heile Welt entstanden wäre. „Pass auf dich auf!“ Sie nutzte die Unaufmerksamkeit ihres Gegenübers und sprang ohne Vorwarnung schreiend von ihrem Stuhl auf, aber nicht ohne den Tisch vor ihr, eindrucksvoll in Stücke zu reissen. Ohne zu wissen wie ihm geschah, wurde Ron bei dieser Aktion von seinem Stuhl geworfen. Wutentbrannt stürmte sie auf die Bühne zu, schleuderte mit jedem Schritt eine Plasmakugel auf Chen, doch diese wurden, zu Shegos Erstaunen, allesamt von den beiden Drohnen abgefangen, ohne dass diese den kleinsten Kratzer abbekamen. Unter Chens grollendem Lachen, schaute die Schwarzhaarige mit grossen Augen auf ihre Hände, dann wieder zu den künstlichen Drohnen.
„Es ist lange her, Shego. Schön, dass du es auch einrichten konntest. Auch wenn du gar nicht eingeladen warst, du ehrst mich mit deinem Besuch.“, begrüsste der Filialleiter sie, sprach dann wieder die überraschten Superschurken an, „Wie Sie alle sehen können, sind meine Drohnen Plasma-resistent, sie mögen zwar im Nahkampf gegenüber scharfen Gegenständen etwas benachteiligt sein, dafür ist ihr Kampf auf Distanz unglaublich effektiv, Obacht.“
Als ob die beiden Drohnen verstanden hätten, erwiderten sie das Plasmafeuer abwechselnd, erwischten Shego frontal, welche die Sinnlosigkeit eines Kampfes einsah, resigniert den Attacken noch nicht einmal auswich und in hohem Bogen durch den Raum auf einen Tisch geschleudert wurde. Stöhnend hielt sie sich ihren verletzten Arm und blieb hustend auf der Tischplatte liegen.
„Einmal geschwächt und angeschlagen, kann das Ziel dann ohne eigene Verluste ausgelöscht werden.“, kommentierte Chen das Vorgehen und befahl dann, „Tötet sie!“
Die Drohnen sprangen von der erhöhten Bühne herunter, gingen langsam, fast lässig wirkend auf Shego zu. Die Schwarzhaarige richtete sich, benommen wirkend, vom Tisch auf, torkelte einige Schritte davon weg und blieb dann mit hängendem Kopf stehen, wobei sie grösste Probleme hatte, sich auf den Beinen zu halten. Gerade als der erste künstliche Gegner sie erreichte und nach ihr greifen wollte, stellte sich Zorpox grinsend zwischen die zwei Fronten, schob Shego hinter sich und zog mit der linken Hand eine silbrige, leicht blau schimmernde Kugel hinter seinem Rücken hervor. Gewohnt unbeeindruckt holte die unmittelbar vor ihm stehende Drohne aus, zielte genau auf den Hals seines Gegenübers, doch der Schlag wurde unter einem lauten Zischen von einem rötlichen Schutzschild abgefangen.
„Wissen Sie, was das ist?“, fragte er Chen lächelnd auf seine Kugel deutend, während die Drohne weiter den Schutzschild austestete.
Als dieser begriff, dass es sich um eine Bombe handeln musste, pfiff er seine Wachhunde zurück. Man konnte merken, dass dem Filialleiter diese unvorhergesehene Situation deutlich unangenehm war, doch versuchte er seine Verunsicherung zu überspielen, indem er den blauen Schurken verbal attackierte: „Ihr Vorausdenken überrascht mich, sonst ist man von Ihnen doch eher unüberlegtes Vorgehen gewohnt, nicht wahr Mr. Stoppable?“
Diesem Satz folgten etwa ein Dutzend überraschte „Was?“ von den umstehenden Schurken, wie von einem schlecht eingeübten Backgroundchor, während sich Bill Igpreis schon fast exzessiv darüber freute, dass die Gerüchte doch tatsächlich der Wahrheit entsprachen.
Derweil griff sich der Barkeeper nachdenklich an den Mund und seufzte kaum merklich auf. Rons Auftritt schien ihn unglaublich zu nerven, denn er schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. Schliesslich verliess er lautlos, etwas Unverständliches murmelnd, seinen Platz hinter dem Tresen und verschwand in Richtung Toilette.
Keineswegs überrascht darüber, dass seine Identität aufgedeckt wurde, zog sich Ron die Kappe vom Kopf, warf die Brille in die nächste Ecke und wischte sich die Schminke aus dem Gesicht. „Booyah! Und raten Sie mal was, Chen ... Wir verhandeln hier nicht. Sie haben zwei Möglichkeiten: Sie ergeben sich und kommen hier lebend raus oder ...“, schrie der Teenager todernst und drückte mit dem rechten Zeigefinger auf seine Kugel, die darauf zu blinken begann. Die Superschurken ringsherum zogen die Köpfe ein und entfernten sich panisch soweit wie möglich, während Dementor mit ausgestreckter Hand auf Ron einredete und versuchte ihn zu beruhigen.
Lachend steckte sich der Maskenmann seine Hände in die Hosentaschen und erwiderte kalt: „Es ist längst vorbei Mr. Stoppable. Wofür kämpfen Sie eigentlich noch? Die Welt gehört mir, so oder so, Sie haben versagt, Team Possible ist ausgelöscht, Kim Possible ist tot.“ – „Eigentlich fühl ich mich noch recht lebendig.“
Jedermann blickte auf die, mit einem grauen Kapuzenumhang vermummten Person, die sich, zusammen mit einem gefesselten und geknebelten Kittelträger, zwischen den Schurken auf der Treppe durchdrängelte. Sie schob den mitgenommen wirkenden Brillenträger von sich weg, worauf dieser stürzte und Stufe um Stufe, bis zum Fusse der Treppe herunterrollte. Durch die verbogene, schief sitzende Brille warf er seinem Boss einen angsterfüllten Blick zu und gab durch das graue Isolierband über seinem Mund undefinierbare Geräusche von sich.
Chen schaute nur kurz auf seinen Untergebenen und wandte sich sofort, völlig perplex wirkend, wieder der Person im Umhang zu, welche gerade mit beiden Händen die, tief ins Gesicht hängende Kapuze zurückzog. Unter dem Mantel schimmerte kurz ihr Superkampfanzug durch, der seinen blauen Glanz wieder gewonnen zu haben schien. Mit einem triumphierenden Lächeln liess sie ihren Blick über die Partygäste schweifen, welche allesamt die Welt nicht mehr verstanden. Wo man hinschaute, weit offene Mäuler und überforderte Gesichtsausdrucke, selbst Chen schien seinen Augen nicht mehr trauen zu wollen. „Das ist nicht möglich ...“, stotterte der Maskenmann.

„Kimberly Ann Possible!“, schrie nun Ron mit wahnsinnig klingendem Unterton, weswegen die rothaarige Teenagerin in der Mitte der Treppe stehen blieb und fragend eine Augenbraue hob.
Shego, die sich mittlerweile wieder ein wenig erholt hatte, verpasste dem blonden Teenager augenblicklich eine schallende Ohrfeige. „Aua, wofür war die denn?“, fragte der blonde Teenager mit verständnislosem Blick, während er sich über seine, nun krebsrote, linke Wange fuhr, worauf die Schwarzhaarige genervt antwortete: „Du hast sie bei ihrem zweiten Vornamen genannt, schäm dich!“ – „Ist mir so rausgerutscht.“
Auch er brauchte eine gewisse Zeit, um zu verstehen, was gerade passiert war, erst nach und nach begriff er, dass dem wohl wichtigsten Menschen in seinem Leben, doch nichts geschehen war. Eine tonnenschwere Last fiel von seinen Schultern, auch Shego konnte sich ein erleichtertes Lächeln nicht verkneifen. Um nicht etwa richtig verstanden zu werden, fügte sie aber eine sarkastische Bemerkung an: „Was soll denn der Umhang? Neues Outfit?“
„Mir war kalt.“, antwortete die Teenieheldin gelassen, zog den Mantel aber dennoch aus und liess ihn achtlos fallen.

„Schon in Ordnung Rufus. Bring dich in Sicherheit.“, meinte Kim ruhig und bekam ein schrilles „Niemals!“ zur Antwort.
Als die Drohnen mit glühenden Händen die hängende Teenagerin erreichten, sprang der Nacktmull schreiend auf Kims Kopf und klammerte sich fest, während diese, ihr Schicksal annehmend, wieder ruhig die Augen schloss. Eine der Drohnen hob ihren rechten Fuss, um auf die Finger der Teenagerin zu treten, doch sie wurde vom aufstöhnenden Hench aufgehalten.
„Bringt mir dieses haarlose Mistvieh!“, zischte er mit schmerzverzerrtem Gesicht, offensichtlich wollte er Vergeltung für Rufus’ hinterhältigen Angriff.
Die Drohne griff Kim am Handgelenk, hob sie hoch und stellte sie wieder auf festen Boden. Nachdem eine zweite Drohne sofort den freien Arm der Teenagerin packte, zwangen die Beiden sie, mit entsprechendem Druck auf die verletzte Schulter, in die Knie. Direkt vor Kim stehend, versuchte währenddessen ein weiterer künstlicher Gegner Rufus einzufangen, was schlussendlich aber den Verlust einiger künstlicher Finger und somit auch denjenigen der Drohne bedeutete. Darauf sprang der Nacktmull von Kim runter und versteckte sich unter der nahegelegenen Helikopterplattform. Die Teenieheldin konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen.
Rasend vor Wut schrie Hench auf, zog einen schwarzen Handelektroschocker aus der Tasche und traktierte damit die sterbende Drohne, bevor er sie, halbwegs befriedigt wirkend, aus dem Weg kickte. Doch das Grinsen der rothaarigen Teenagerin liess ihn gleich wieder die Beherrschung verlieren. Er ging ebenfalls in die Hocke, um mit Kim auf einer Augenhöhe zu sein, und präsentierte ihr sein Gerät, legte es schliesslich an ihre offene Schulter und verpasste ihr einen kurzen Schlag. Ihre verkrampfte Körperhaltung trieb nun dem Brillenträger wieder ein breites Grinsen ins Gesicht.
„Das müsste dir eigentlich bekannt vorkommen.“, meinte er kichernd und jagte ihr erneut einen Schlag durch den Körper, dieses Mal etwas länger.
Es kam der rothaarigen Teenagerin vor, als ob ihre Eingeweide zerrissen würden. In der Tat erinnerte sie sich daran. So hatte Eric sie damals ausgeknockt. Aber Hench tat ihr diesen Gefallen nicht, er wollte sie wach haben, sie leiden sehen, verpasste ihr vergnügt einen Schlag nach dem anderen und beschränkte sich mittlerweile nicht nur mehr auf ihre Schulter.
„Wenn du nicht freiwillig rauskommst, mach ich weiter.“, schrie der Kittelträger dem Nacktmull zu, wohlwissend, dass sich dieser bestimmt nicht aus dem Staub gemacht hatte. Schliesslich waren es Kims immer lauter werdenden Schmerzensschreie, welche den Kleinen aus seinem Versteck herauslockten. Traurig stand er auf seinen Hinterläufen da und schaute zu Kim, die sich keuchend vor Schmerzen krümmte. Erfreut liess der Brillenträger von seinem Opfer ab und winkte das rosa Nagetier grinsend zu sich: „Ah, da bist du ja und jetzt komm her!“
Er hätte aber besser Kim im Auge behalten, denn in dem Moment regenerierte sich der Kampfanzug über die offene Schulter und verdeckte ihre Wunde, gewann auch wieder seinen blau glänzenden Schimmer zurück. Gewissheit darüber, dass er wieder korrekt funktionierte, hatte sie spätestens nachdem sie sich ohne die geringste Mühe aus dem Griff der beiden ahnungslosen Drohnen befreien konnte, als wäre sie mit Öl eingerieben worden. Sie konnte sich nicht erklären, warum ihr Anzug auf einmal wieder seinen Dienst tat. Die naheliegendste Erklärung war wohl, dass er durch die vielen Elektroschocks wieder aktiviert wurde.
Wiedererstarkt liess sie den Shegodrohnen keine Chance zu reagieren, stiess die erste mit einem unglaublich kräftigen Drehkick über die Dachkante, sprang der Zweiten entgegen und durchbohrte diese, nur mit dem rechten Arm, auf Brusthöhe. Dann entriss sie Hench, der immer noch ganz auf Rufus fixiert war, den Elektroschocker und warf den Brillenträger mit einem heftigen, aber gezielten Tritt zwischen die Schulterblätter zu Boden. Überrumpelt drehte dieser sich auf den Rücken, blickte verständnislos und überrascht in die grünen Augen seines Gegenübers und begann nach kurzer, schweigender Pause plötzlich lauthals zu weinen und winseln. Allein Kims böser Blick hatte genügt, um ihn auf Knien kriechen und flehen zu lassen, dass sie ihm nichts antun möge. Vielleicht lag es aber auch am schwarzen Gerät in ihrer rechten Hand, das sie dem Kittelträger auf ähnliche Art präsentierte, wie er es noch wenige Momente vorher getan hatte. Natürlich hätte die Teenieheldin niemals Gebrauch davon gemacht, aber das musste sie ihm ja nicht erzählen.
Jedenfalls konnte die Teenagerin mit Henchs, so leicht erzwungenen Hilfe weitere Konfrontationen mit künstlichen Drohnen vermeiden. Über dessen Laptop schickte sie Chen die Bilder über ihr vermeintliches Ableben, so dass sich dieser in falscher Sicherheit wiegen konnte. Schliesslich war es auch der Kittelträger, der einen von Chens Privatjets als Transportmittel organisieren musste.

„Was hast du getan?“, zischte Chen dem Kittelträger in einem Ton zu, der diesen starr und bleich werden liess.
„Sie sollten sich ihr Personal besser aussuchen, strengere Kriterien einführen.“, grinste Señor Senior Senior kopfschüttelnd den Maskenmann an. Endlich überwand auch Professor Dementor seine Sprachlosigkeit wieder und konnte nur zustimmen: „Ha, von wegen Kim Possible ausgeschaltet. Machen Sie sich nichts draus. Das Fräulein hat uns noch alle zur Weissglut getrieben.“
Nun wurde Chen zum Gespött der Anwesenden, jeder zog lachend über ihn her, während Kim, nun zufrieden grinsend, die Arme verschränkte. Sich weiter über den Maskenmann lustig machend und nicht sonderlich enttäuscht darüber, dass Kim Possible doch noch zu den Lebenden gehörte, drehte sich ein Superschurke nach dem anderen von ihrem selbsternannten Peiniger weg und schritt auf die Eingangstüre zu, um den Rest wohlwollend der Teenieheldin zu überlassen.
„Aber sie ist auch ihre Feindin.“, meinte Chen mit verzweifelter Stimme, „Jetzt wäre ...“ – „Jetzt wäre der ideale Moment sie endgültig loszuwerden?“, unterbrach Dementor, noch neben Kim stehend, und fügte abwinkend an, „Sie erwarten doch nicht wirklich, dass wir Ihnen helfen, Sie Welteneroberer. Wenn ich die Wahl hätte zwischen Ihnen und der Geissel des Schurkentums, dann wähle ich das geringere Übel.“ Der gelbe Schurke drehte sich weg, nickte der Teenieheldin beinahe respektvoll zu und schoss sich seinen Schurkenkollegen an. „Er gehört Ihnen, Fräulein Possible.“
Chen begann innerlich zu kochen, erkennbar an seiner verkrampften Figur und seinen geballten Fäusten. „Niemand verlässt den Raum!“, schrie der Filialleiter, worauf etliche Shegodrohnen aus jeder dunklen Ecke und hinter den Vorhängen hervortraten, somit sämtliche Fluchtwege versperrten. So kurz vor dem Ziel wollte sich der Maskenmann bestimmt nicht das Ruder aus der Hand nehmen lassen.
„Haben Sie nicht etwas vergessen?“, fragte Ron, während er die silbrige Kugel mehrmals aufwarf und wieder auffing. Siegessicher drehte Chen dem Teenager zu und meinte mit abwinkendem Zeigefinger nur: „Glauben Sie tatsächlich, dass ich noch an Ihren Bluff mit der Bombe glaube? Das war sicher wieder nur eines Ihrer Ablenkungsmanövern.“
„Aber nein, das ist wirklich eine Bombe. Und sie ist ...“, erwiderte Ron anfangs noch ruhig, dann geriet er nervös ins Stocken, „ ... scharf. Sie ist scharf! Was soll ich tun? Was soll ich tun?“
Erschrocken zuckten die Schurken zusammen, Kim fasste sich nur geschockt an den Kopf, während ihr Freund panisch vor der Bühne herumzappelte, als ob er sich erst jetzt die Konsequenzen seines Handeln bewusst wurde. Auf einen Schlag schien der blonde Teenager wie ausgewechselt und übernahm offenbar wieder die Rolle des trotteligen Helferleins.
Interessiert war Scarface, mittlerweile wieder in seinem gewohnt schwarzen Outfit, dem nervösen, für ihn planlos wirkenden Treiben gefolgt, hatte sich dann, mit gezogenem Schwert, lautlos hinter Kim geschlichen und schlug dieser, als sie ihrem Freund zur Hilfe eilen wollte, die Unterseite des Schwertgriffs auf den Hinterkopf. Bewusstlos sank die Teenagerin zu Boden. Der Mantelträger fing ihren Oberkörper auf und legte sie erstaunlich vorsichtig, beinahe sanft, auf die Stufen.
Im nächsten Moment stand er hinter Shego, welche einen überforderten Eindruck machte, aber dennoch beide Hände aufglühen liess und, wohl eher reflexartig als gewollt, erneut zum Angriff überging. Spielend wehrte der Narbenträger ihre Schläge ab, die jedes Mal ein lautes Zischen verursachten, als Plasma und Schwert zusammentrafen. Das gebogene Stück Metall widerstand Shegos Krallen, weswegen ihre Angriffe allmählich schwächer wurden und der Narbenträger schliesslich die Initiation übernahm. Auf ihren immer fragenderen Blick erklärte er knapp: „Da staunst du was? Speziell polierte Titanlegierung, praktisch unzerstörbar.“ Er zwang die Schwarzhaarige seinen nächsten Schwerthieb mit beiden Händen abzuwehren, damit sie ihre Deckung vernachlässigte und verpasste ihr mit der Stirn eine heftige Kopfnuss. Auch sie brach ohnmächtig zusammen und blieb am Boden liegen.
Dann drehte sich der Mantelträger zu Ron, schleuderte aus der Distanz das Schwert auf die Kugel, welche aufgespiesst an der nächsten Wand hängen blieb. Als diese, rauchend und Funken sprühend, den Geist aufgab und aufhörte zu piepen, nahmen zwei Drohnen den überrumpelt und geschockt auf seine rechte Hand starrenden Teenager in die Zange, griffen ihm unter die Arme und hoben ihn hoch.
Triumphierend schaute Scarface auf die regungslosen Körper von Kim und Shego, verschränkte seine Arme und sah dann zum Maskenmann. „Friedensangebot, Chen.“

Druckbare Version
Seitenanfang nach oben