Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 6

Kapitel 6 – About ruling …

Nächster Tag; irgendwo auf der Welt, morgens
Sie spürte eine sanfte Wärme auf ihrer linken Wange und der Nasenspitze. Angenehm kitzelte sie die dösende Teenagerin wach und verursachte ein wunderbares Gefühl. Langsam öffnete Kim ihre Augen, kniff sie aber sofort wieder zusammen und drehte ihren Kopf leicht von der blendenden Lichtquelle weg. Nur verschwommen nahm sie ihre unmittelbare Umgebung wahr, bemerkte, dass sie offensichtlich auf einem Stuhl sass und dort die Nacht verbracht haben muss. Ihr Nacken war ganz steif, sie spürte diesen schmerzenden, unangenehmen Druck entlang ihrer Wirbelsäule, Arme und Beine fühlten sich genauso verkrampft an und ihr Hintern war wohl schon seit längerer Zeit taub. Mit wieder geschlossenen Augen und leise gähnend richtete sie ihren nach vorn gefallenen Oberkörper so gut wie möglich auf und wollte sich dabei strecken. Doch wurden ihre Arme und Beine durch irgendetwas gehalten, so dass ihr dieses Vergnügen verwehrt blieb. Allmählich, wenn auch schleppend, erwachte sie schliesslich aus ihrem etwas bewusstlosen Zustand. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte war, dass sie Chen im ’Bermuda Triangle’ gestellt hatte. Aber dann war alles schwarz, alles verschwommen. Stimmengewirr und vereinzelte, kurze Szenen geisterten in ihrem Kopf, als ob sie jahrelang geschlafen hätte.
Der stechende, mit jedem Herzschlag pulsierende Schmerz, ausgehend von einem Punkt an ihrem Hinterkopf, der nun langsam aber sicher in ihr Bewusstsein rückte, beantwortete wenigstens ansatzweise die Frage, was geschehen war. Zu den brummenden Kopfschmerzen kam auch noch ein widerlich süsslicher Geruch, der in der Luft lag und Kims Kopfschmerzen keineswegs linderte, ihr auch das Atmen leicht erschwerte. Um endlich einen klaren Blick auf ihre Situation zu werfen, blinzelte sie mehrmals, bis sich ihre Augen wenigstens halbwegs an die Helligkeit gewöhnt hatten und liess ihren Blick nach links zur Lichtquelle schweifen.
Die Sonne war wohl gerade eben aufgegangen und erleuchtete nun den Raum. Kim glaubte, nach wie vor geblendet, am gigantischen Fenster, das scheinbar vom Fussboden bis zur Decke reichte, eine Person stehen zu sehen, konnte aber nicht erkennen wer es war.
Sie wandte sich wieder sich selbst zu. Tatsächlich sass sie auf einem vierbeinigen Metallstuhl, ihre Unterarme, sowie beide Beine durch Metallringe fest daran fixiert, so dass die Teenagerin sich kaum bewegen konnte. Irgendwie erinnerte sie das an eine dieser mittelalterlichen Folterprozessuren, weswegen sie leicht erschauderte und sich dann im Raum umschaute, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Einige Meter vor ihr befand sich ein riesiges, schwarzes, auf Hochglanz poliertes Büropult, das, wenn man dem goldenen Namensschild glauben durfte, Chen gehörte. Es war mit einem Computerbildschirm, einem Telefon, einigen qualmenden Räucherstäbchen und einem Aschenbecher mit einer rauchenden Zigarre für seine Grösse eher knapp belegt, dafür stank die ganze Einrichtung buchstäblich nach sehr viel Geld. Der schwarzledrige, bequem erscheinende Chefsessel, die etlichen, überdimensionierten Bildschirme an der Wand gegenüber Kim, dann einige abstrakte, gut beleuchtete Gemälde in teuren Rahmen, die aussahen, als ob sie allesamt von einer Horde ausgerasteter Affen fabriziert worden wären, der geschmeidig flauschig wirkende Teppich zu ihren Füssen, sogar die paar Zimmerpflanzen, die den Raum zusätzlich ausschmückten, sahen selten und teuer aus.
Rechts von sich entdeckte Kim schliesslich ihren Freund und Shego, welche beide auch an diese seltsamen Stühle gebunden worden waren. Sie trugen noch ihre Kleidung für die Dinner Party vom Vorabend, doch wurden ihnen die Dinge mit dem höchsten Gefahrenpotential abgenommen, so fehlten sowohl Shegos, wie auch Zorpox’ Handschuhe, genauso wie dessen Cape und Gürtel. Sie schliefen noch, auch wenn es der rothaarigen Teenagerin unerklärlich war, wie die Zwei das konnten, so verkrampft und unbequem es aussah. Shego teilte ganz offensichtlich diese Meinung, denn ihr Schlaf erschien doch sehr unruhig, was sich in gelegentlichen, unkontrollierten Zuckungen äusserte. Während Rons Kopf nach hinten gefallen war, weswegen der blonde Teenager nun lauthals schnarchte, war Shegos Oberkörper und Kopf vornüber gelehnt. Ihr schwarzes Haar hing über ihre Oberschenkel bis zum Boden. Beide erschienen vielleicht etwas mitgenommen, aber soweit unverletzt.
Einerseits war die Teenagerin zwar erleichtert, andererseits fragte sie sich, warum sie nach wie vor noch am Leben waren. Nicht dass sie es verschreien wollte, aber schliesslich hatte Chen in den vergangenen Tagen nichts anderes probiert, als sie aus dem Weg zu schaffen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwohler fühlte sie sich. Kim wurde unruhig, sie wollte aus diesem Stuhl raus, solange noch niemand ihr Aufwachen bemerkt hatte und versuchte die Fesseln, die sie banden, mit grossem Kraftaufwand zu sprengen, doch endlich musste sie mit zusammengebissenen Zähnen erschöpft aufgeben.
„Das nützt dir gar nichts.“, meinte Hench auf Kims vergebliche Bemühungen, während er sich, im Chefsessel sitzend, zur Teenieheldin drehte, überlegen und hochnäsig agierend vornüber beugte, nach der Zigarre griff und genüsslich einen Zug nahm, „Wir haben deinen Kampfanzug deaktiviert, kein Entkommen dieses Mal.“
Er beantwortete die schlimmsten Befürchtungen der rothaarigen Teenagerin und brach erneut höhnisches Gekicher aus. Es war dann die Person am Fenster, welche den Kittelträger unsanft unterbrach: „Hören Sie mit diesem dämlichen Gegacker auf, so wie ich das sehe, sind Sie der Letzte hier, der lachen sollte. Und machen Sie diesen verdammten Scheiss aus, bei dem Gestank kann man ja keinen klaren Gedanken mehr fassen.“
Nun erkannte Kim den Mantelträger, wie er mit seinem rechten Unterarm ans Fenster gelehnt war und die warme Morgensonne mit geschlossenen Augen genoss oder es wenigstens versuchte, während der Kittelträger den Befehl, zum Erstaunen der Teenagerin, befolgte. Gleichzeitig war sie auch überrascht gerade den Narbenträger hier anzutreffen. Über diese ganze Shego-Situation und den Zwischenfall mit ihr selber vor wenigen Tagen hinweggesehen, hatte sie ihn nur für einen weiteren, wahnsinnigen Kleinkriminellen gehalten, zwar gefährlich, das stand ausser Frage, aber eigentlich nicht mit der Absicht die Welt zu beherrschen. Und schon gar nicht, dass der Schwarzhaarige sich unterordnen und für diejenige Person arbeiten würde, welche ihn kürzlich hatte erschiessen lassen wollen. Die einzig logische Schlussfolgerung daraus, der Schwarzhaarige musste von Anfang an für Chen gearbeitet haben. In dem Moment bauten sich vor ihrem geistigen Auge wieder die Szenen vor dem Bueno Nacho auf, nicht genug, sah sie plötzlich Eric in ihrem schwarzhaarigen Gegenüber.
„Du ...“, zischte Kim gehässig zwischen den Zähnen hindurch, als sich ihr Hass auf den Unbekannten ins Unendliche steigerte, sie für einen Augenblick die Beherrschung verlor und vor Wut kurz am ganzen Körper zitterte.
„Oha, da hat aber immer noch jemand ein Knoten im Höschen.“, bemerkte der Schwarzhaarige zynisch und drehte kurz den Kopf in ihre Richtung, „Dabei hat es doch gefruchtet.“
„Was meint er nun schon wieder? Hat er mir etwa gerade zugezwinkert?“, fragte sie sich in Gedanken selber, drehte geblendet den Kopf zu Hench, welcher gleichgültig beide Arme hob und herablassend anfügte: „Verraten und verkauft ...“ – „Halten Sie die Klappe, Hench!“, unterbrach der Mantelträger, man konnte deutlich hören, dass er den Brillenträger nicht leiden konnte.
Nach einer kurzer Schweige- und Denkpause aller Beteiligten forderte Scarface seufzend Kim auf: „Jetzt stell schon endlich deine Fragen, du explodierst doch gleich vor Neugier.“
Nicht sicher, was sie mit dieser ganzen Situation anfangen sollte, zögerte sie etwas, liess sich aber nicht zweimal bitten. „Wo sind wir hier?“ Die Frage war an Hench gerichtet. Vielleicht würde er ja von sich aus plaudern wollen, so wie sie ihn einschätzte, war das sogar sehr wahrscheinlich.
„Das braucht dich nicht zu kümmern.“ Ein weiteres Mal schnitt der Narbenträger seinem Gegenüber das Wort ab, komischerweise in beinahe sanftem Tonfall, ab: „Das ist die Hauptfiliale von Hench & Co. Industries, der Ort, wo alles begann.“
Kim mochte sich täuschen, aber hatte der Schwarzhaarige gerade so was wie Emotionen gezeigt? Und hatte er ihr wirklich gerade wieder kurz zugezwinkert? Was spielte er eigentlich für ein Spiel?
„Und was jetzt?“, bohrte Kim weiter, sich ihre derzeitige Verunsicherung nicht anmerken lassend, erhielt aber keine Antwort, worauf wieder der Mantelträger das Wort ergriff: „Ach kommen Sie schon, Hench. Erklären Sie es. Die Kleine gibt vorher sowieso keine Ruhe.“ – „Ich habe meine Befehle ...“ – „Die hatten Sie schon das letzte Mal und was ist dabei herausgekommen? Löffeln Sie die Suppe gefälligst selber aus, die Sie sich eingebrockt haben.“
Er schüttelte widerwillig den Kopf, sein Blick war ins Leere gerichtet, ehe er Kims und Rons Kimmunicator, den Kampfstab und Zorpox’ Gürtel unter dem Bürotisch hervorzog, die Utensilien der Reihe nach auf der Tischplatte platzierte und endlich von sich aus mit Erklären begann: „Wir werden eure hübschen, zugegebenermassen beeindruckenden Spielzeuge testen, analysieren, nachbauen und für unsere Zwecke nutzen. Das gilt für deinen Kampfanzug, wie den deines Freundes. Shegos Kräfte haben wir ja schon und die Tests mit euch sind längst vorbei. Euch bräuchten wir eigentlich nicht mehr, aber Dr. Chen wollte, dass ihr euch seinen Triumph persönlich anseht.“ – „Tests?“ – „Oh, wir haben dich und deinen trotteligen Gefährten, eure Karriere wenn man so will, seit eurem zweiten Zusammentreffen mit Drakken aufmerksam verfolgt, du erinnerst dich sicher an den Laden ganz aus Käse, und bis ins kleinste Detail analysiert. Bei jeder Mission gegen Drakken hatten wir geduldig unsere Finger im Spiel, bis zu seinem letzten Plan mit diesen cybertronischen Robotern. Wir haben aus seinen Fehlern gelernt, um es einmal besser zu machen.“
Während Henchs Brust und Grinsen, mittlerweile schon wieder von einem Ohr zum anderen, immer grösser wurde, drückte Scarface seine Stirn genervt gegen die Fensterscheibe, bis er auf jenen letzten Satz in Lachen ausbrach. Und jedes Mal, wenn er sich wieder beruhigt hatte und Hench den verlorenen Faden wieder aufnehmen wollte, brach der Schwarzhaarige erneut in vergnügtes Gelächter aus. Das Ganze führte sich sicher einige Minuten so weiter, und während es Hench mit jeder Sekunde mehr aufregte, verstand Kim immer weniger, was hier eigentlich ablief.
„Selten so gelacht, danke dafür. ... Um es einmal besser zu machen ... Ha! Das sagen ausgerechnet Sie.“, meinte er, sich den Bauch vor Lachen haltend und Tränen aus den Augenwinkeln wischend, bevor seine Stimme wieder einen bitterbösen Ton annahm und er mit dem linken Zeigefinger auf sein Gegenüber zeigte, „Sie, der Grund, warum Kim Possible nach wie vor am Leben ist.“
Er brachte Hench fast zur Weissglut, aber Kim holte ihn wieder auf den Boden zurück. „Also war Drakken nur ein Mittel zum Zweck?“ – „Oh, keineswegs, er war von Anfang an eingeweiht und dennoch nur eine Marionette.“, wieder lag sein nerviges Grinsen auf seinem Gesicht, während er aufstand und nervös vor der Teenagerin auf und ab ging, „Von uns hatte er über die Jahre die notwendige finanzielle Unterstützung erhalten, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Hast du dich nie gefragt, wie Drakken, trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit mit Geld umzugehen, immer wieder zu den erforderlichen Millionen gekommen ist? Im Gegenzug haben wir seine Technologien übernommen und sogar eine Probe von Shegos Plasma erhalten. Nicht dass er eine Wahl gehabt hätte.“
Er machte eine kurze Pause, als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern, lachte sich dann ins Fäustchen und fügte an: „Leider hatte sich Drakken während seines letzten Plans abgeseilt und uns die Einzelheiten nicht mehr mitgeteilt. Was aber nicht schlimm war, sein Plan war schlussendlich wieder gescheitert und als Bonus hatte er uns dennoch geholfen, eine geschwächte Kim Possible, also ideale Bedingungen hinterlassen. Trotzdem, für seinen Vertragsbruch musste er bezahlen, also haben wir ihn durch dich aus dem Verkehr ziehen lassen. Die Basis in Alaska, der Angriff auf deine Schule, das sollte dich lediglich auf seine Fährte bringen. Und schliesslich brauchten wir nur noch dich und dein albernes Team von Weltrettern aus dem Weg zu räumen.“
„Suchen Sie den Fehler ...“, ergänzte der Narbenträger sarkastisch, mehr zu sich selber, als zu Hench, indem er auf die drei Gefangenen deutete.
Der Kittelträger ignorierte die schnippische Bemerkung, wies mit beiden Händen zum Mantelträger und fuhr mit sich steigernder Freude fort: „Und mit der aussergewöhnlich fortgeschrittenen und mittlerweile komplettierten Technik von ’Phoenix’ stehen uns Tor und Türe dieser Welt weit offen. Nach drei Jahren intensiver Forschung haben wir es endlich geschafft. Die Welteroberung steht kurz bevor. Und nicht einmal du kannst uns jetzt noch aufhalten.“
Und so wurden Kims Augen immer grösser, während ihr ein Licht nach dem anderen aufging, ein Aha-Effekt den nächsten jagte und sie wenigstens das Puzzle um Ccorp. langsam zusammensetzen konnte. Scarface, der sich inzwischen umgedreht hatte, riss die Teenagerin aus ihren Gedanken, indem er auf ironische Weise mit beiden Händen Hench applaudierte und dann die Arme vor seiner Brust verschränkte.
„Einfach genial und trotzdem ist der Plan zum Scheitern verurteilt, war er von Anfang an.“, erwiderte er, die Ausführungen Henchs analysierend, „Einerseits gab es zu viele glückliche Umstände für Team Possible, sei es auf Ihre eigene Dummheit oder auf Possibles Können zurückzuführen, eben Drakken hat sich frühzeitig ausgeklinkt, weshalb Sie eine Ahnung weder vom ’Hephaestus-Projekt’, noch von Possibles Superkampfanzug hatten ...“ – „Daher interessierte sich Chen also so brennend für die kleinen Teufel.“, dachte Kim bei sich. Der Mantelträger hatte sich in Bewegung gesetzt, umkreiste nun die drei Gefesselten.
„ ... oder dass Sie die Kleine unbedingt auf Drakken und Shego ansetzen mussten, anstelle das selber im Stillen zu erledigen, weiter der erstaunliche Einfallsreichtum des vermeintlich trotteligen Helferleins ...“
Diese Worte zauberten ein kleines Lächeln auf Kims Lippen. Wäre ihr Freund der ganzen Sache nicht von Anfang an so skeptisch gegenüber getreten, hätten sie die Wahrheit bestimmt nie herausgefunden.
„ ... oder die Verbissenheit einer gewissen Person, die sich, so unglaublich dies auch sein mag, sogar mit ihren Erzfeinden verbündet ...“, fügte der Schwarzhaarige weiter an, als er hinter Shego stehen blieb, sich kurz mit beiden Ellbogen auf deren Stuhllehne abstützte, als wollte er an ihrem Haar riechen, ehe er wieder seine Runde drehte, „ ... und diese ganze ’Ich-kann-einfach-alles-Mentalität’, die Sie ganz eindeutig unterschätzt haben, ganz zu schweigen vom erbärmlich ausgebildeten Personal. Ihre sogenannten Scharfschützen und Profikiller waren unterste Sohle und von Ihnen will ich gar nicht erst anfangen ...“
Nun stand er direkt vor Hench, fixierte diesen mit einem bösen Blick und zeigte ihm den nächsten Fehler auf: „Andererseits, und das war wohl Ihr fatalster Fehler, diese unglaublich grenzenlose Naivität, tatsächlich zu glauben, ich würde freiwillig für Sie arbeiten wollen.“
Der Brillenträger konnte nur noch einen fragenden Blick zurückwerfen, er hatte den letzten Satz noch nicht einmal richtig verstanden und verdaut, schon traf ihn ein gut gezielter Punch am Kinn. Der Schlag war derart hart, dass der Kittelträger sich um die eigene Achse drehte, wobei seine Brille in hohem Bogen durch den Raum segelte. Hench blieb schliesslich, unter einem dumpfen Aufprall, mit dem Gesicht zum Boden vor dem schwarzen Bürotisch liegen. Um sich davon zu überzeugen, dass der Kerl zu seinen Füssen wirklich bewusstlos war, stiess der Schwarzhaarige ihn ein paar Mal hart mit dem rechten Fuss an, bevor er sich den Kimmunicator schnappte, diesen mit dem Computer auf Chens Tisch verband und dann Wade kontaktierte. Nachdem er sich Kim gegenüber aufgestellt und seinen Hintern gegen die Tischkante gelehnt hatte, forderte er den schwarzhaarigen Jungen auf: „Walte deines Amtes, du Computergenie.“
Die Kinnlade der rothaarigen Teenagerin fiel weit nach unten, hier jagte wirklich gerade eine Überraschung die nächste, eine unerwartete Wendung die andere. Erst stotterte Kim nur vor sich her, dann nach einigen Sekunden brach sie wenigstens halbwegs vernünftige Sätze zustande: „Du kennst Wade ... zuerst uns KO geschlagen ... dann ... Hench? Wade ... steckt mit dir unter einer Decke? Was ist hier los?“
Hätte sie gekonnt, sie hätte sich verwirrt am Kopf gekratzt. Der Mantelträger drehte den Kimmunicator in seiner linken Hand, öffnete das blaue Gerät auf der Rückseite und zog ein sehr kleines, schwarzes, rundliches Gerät aus dem Akkufach.
„Alles was ich wollte war Shego. Ich hab dir kurz nach unserer ersten Begegnung eine Wanze untergeschoben, als du mit deiner Freundin beschäftigt warst. So war ich immer bestens informiert. Auch darüber, dass Chen offensichtlich in Besitz meiner Satellitentechnik ist, was mir plötzlich die Chance bot, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erledigen.“, erklärte er, während er langsam den Kimmunicator wieder zusammensetzte.
Mehr als ein gequältes „Gehirnkribbeln.“ bekam er allerdings nicht als Antwort. Dass die Situation die Teenagerin überforderte, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, was Kims Gegenüber wiederum dazu veranlasste, zufrieden zu grinsen.
„Kim, ganz ruhig, es ist alles in Ordnung.“, beruhigte nun das, plötzlich neben dem Narbenträger auftauchende Hologramm von Wade. Es winkte sanft mit beiden Händen ab, um der Teenieheldin zu signalisieren, dass wirklich alles mit rechten Dingen zuging.
So skeptisch sie der momentanen Situation auch gegenüber stand, sie war äusserst erleichtert darüber, Wades Stimme zu hören. Chen hatte ihr ja auf dem ’C-Tower angedroht, man würde sich um den Jungen kümmern. Am Liebsten hätte sie das Hologramm geknuddelt.
Ihr Gegenüber war gleichermassen erfreut Kim wieder zu sehen. Nachdem das kleine Genie den Kontakt zur Teenieheldin verloren, Stunden später nur Ron erreicht hatte und dieser den zerstörtesten Eindruck hinterliess, den Wade jemals bei einem Menschen gesehen hatte, war das der Junge berechtigterweise vom Schlimmsten ausgegangen.
„Bin ich froh dich zu sehen, bist du auch wirklich in Ordnung?“, hackte sie immer noch leicht beunruhigt nach, worauf das Hologramm lächelnd beteuerte: „Aber ja ... Übrigens dank ihm hier. Er hat mich und meine Familie vor Chens Schergen gerettet, auch wenn ich immer noch nicht ganz verstehe warum.“ – „Pff, du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich versucht hab ihn in seinem Zimmer zu beruhigen. Er hätte sich vor Angst beinahe in die Hosen gemacht.“
Als ob er bescheiden wäre und lieber das Thema wechseln wollte, winkte der Narbenträger gelassen ab und spielte mit Wades Hologramm, indem er immer wieder mit seiner Hand durch das Abbild fuhr. „Ich werde mich dann mal an Chens System setzen.“ Mit diesen Worten verschwand Wades Hologramm wieder.
Kim schüttelte, nach wie vor etwas wirr im Kopf, denselbigen. „Moment, Auszeit hier! Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“
„Auf keiner Seite, oder auf meiner, ganz wie du willst. Deine Interessen schneiden sich nur gerade mit den meinigen.“, erklärte er ruhig, als er sich zu Hench hinkniete und dessen Taschen durchsuchte, „Ach komm schon, schau mich nicht so entgeistert an. Das ist nicht das Ende der Welt.“ – „Warum hast du uns dann an Chen ausgeliefert?“ – „Nebst dem, dass dein durchgeknallter Freund uns alle umbringen wollte und ich dies, du wirst mir da sicher zustimmen, für den wesentlich gesünderen Weg hielt, brauchte ich einen Vorwand, um in die Kommandozentrale für ’Phoenix’ zu kommen. Das ist mein Satellit da oben, meine Erfindung, meine Schöpfung. Er war niemals dafür gedacht, den Menschen Leid zuzufügen, geschweige denn die Welt zu erobern, deshalb werde ich ihn zerstören.“
Im Gegensatz zu ihrem letzten Aufeinandertreffen wirkte ihr Gegenüber wie ausgewechselt, fast mitfühlend und zuvorkommend. Erst rettete er Wade und nun, wenn er tatsächlich die Wahrheit sagte, lag ihm etwas daran die Welt zu retten, was die Teenagerin nun definitiv nicht erwartet hätte. Für die Teenagerin war der plötzliche Sinneswandel also ein zusätzliches Zeichen, umso misstrauischer und vorsichtiger zu agieren. Er hatte sie einmal getäuscht, das würde sie sicher nicht noch einmal zulassen. Und dennoch trieb sie ihre Neugier weiter an, auch mit der Frage im Hinterkopf, warum er sie dann beinahe dazu gebracht hatte, einen Menschen zu töten.
„Ich dachte dir sei egal, was mit der Welt geschieht?“ – „Hast du einen Traum?“, konterte er sofort mit einer Gegenfrage, wie wenn er diese Diskussion lange vorher einstudiert gehabt hätte. Kim nickte augenblicklich, ohne das geringste Zögern, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre. Das war heute schon das zweite Mal, dass der Mantelträger ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Der Schwarzhaarige nickte auf eine bestimmte Art zurück, welche die Teenagerin erneut in Erstaunen versetzte. Da war wieder ein Feuer in den schwarzen Augen ihres Gegenübers, das sie schon bei ihrem ersten Zusammentreffen gesehen hatte. Sein Lächeln war ehrlich gemeint, nicht gespielt, nicht aufgesetzt und offenbarte der Teenieheldin ein Stück seiner Seele. Was er in der Vergangenheit auch immer für eine Position in Hench Industries gehabt hatte, was er auch immer mit ’Phoenix’ vorgehabt hatte, es hätte die Welt zum Besseren verändern sollen.
„Dann müsstest du am Besten verstehen, was es bedeutet. Träume sind was Eigenes, Schönes, Unschuldiges, ähnlich wie Schmuckstücke, du hegst und pflegst sie, im idealsten Fall lebst du sie sogar. Du würdest alles dafür tun, damit sie nicht in falsche Hände geraten und missbraucht oder gar zerstört werden, weil du dich ihnen immer verpflichtet fühlst.“
Er machte eine Pause und nutzte diese, um Hench auf den Rücken zu drehen und dessen restlichen Taschen zu durchsuchen, bis er endlich den Schüssel zu Kims, Rons und Shegos Stühlen gefunden hatte. Verachtend warf er den rechten Arm des Bewusstlosen zurück über dessen Gesicht, richtete sich langsam wieder auf und kam auf die Teenagerin zu. „Aber warum über Leichen gehen, warum dieser Hass, diese Verachtung?“
Oh ja, die Art und Weise seines Handelns bescherten der Teenieheldin Kopfzerbrechen, beschäftigte sie weitaus mehr, als sie dies wollte. In der Tat hatte sie mittlerweile begriffen, aus welchem Antrieb heraus der Mantelträger agierte, akzeptierte dies, mehr noch war sogar damit einverstanden. Doch für seinen Traum töten?
Die Frage schien ihn zu irritieren, denn er stützte sich nachdenklich auf die Armlehnen von Kims Folterstuhl, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Lange blickten die Beiden sich wortlos gegenseitig in das jeweilige Augenpaar des anderen, schienen sich darin verlieren zu wollen.
„Warum spielst du immer den Moralapostel?“, überwand der Narbenträger endlich die Stille. Er wich Kims Frage aus, ganz offensichtlich, aus welchen Gründen auch immer. Ungeachtet dessen antwortete sie selbstbewusst: „Das ist meine Natur. Egal wie edel deine Ziele zu sein scheinen, es ändert nichts daran, dass du einen Menschen getötet hast.“ – „Deine Massstäbe sind falsch ...“, erklärte er leicht lächelnd, „ ... Du unterscheidest zwischen Gut und Böse, wie zwischen Schwarz und Weiss. Da gibt es aber keine klare Trennlinie, keinen eindeutigen Unterschied. Ich habe gedacht, dass du das inzwischen auch begriffen hättest.“
„Wie kannst du so leben?“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen, als er die Fesseln an ihren Handgelenken öffnen wollte. Noch lagen die gesammelten Erfahrungen dieses unsäglichen Abends zu tief, als sie einfach zu überspielen.
„Ich lebe nicht, ich sterbe, du kleine Nervensäge. Vieles spielt keine Rolle mehr, wenn du dein Ende vor Augen hast.“, meinte er gespielt genervt, löste den Metallring an Kims rechten Unterarm, drückte ihr den Schlüssel in die Hand und ging ein paar Schritte zurück, „Ich bin nur hier, um mit meiner Vergangenheit abzuschliessen, bevor ...“
Er presste den letzten Satz krampfhaft zwischen seinen Zähnen durch, während er sich mit der Rechten an die linke Seite fasste und sich mit der freien Hand am Bürotisch abstützte. Unbewusst ihrer Natur folgend und so den Hass auf diese Person vergessend, befreite sich die rothaarige Teenagerin von den restlichen Metallringen und wollte auf ihrem Gegenüber irgendwie helfen, auch wenn sie nicht wusste, wie sie das anstellen sollte. Allerdings hielt dieser sie mit ausgestrecktem, abwinkendem Arm davon ab.
„Kümmer dich nicht um mich! Bleib gefälligst bei der Sache!“, zischte er sie böse an, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht neben Hench hinsetzte und sein Anfall andauerte, „Du hast Wichtigeres zu tun.“
Das hatte sie in der Tat. Die Zeit drängte. Die Teenagerin war zwar wieder frei, aber es war eine trügerische Freiheit. Allein die Tatsache, dass sie hier in der Höhle des Löwen praktisch gesehen auf dem Präsentierteller sassen und jederzeit unvorbereitet hätten entdeckt werden können, steigerte die Spannung auf ein unerträgliches und klaustrophobisches Niveau.
Wie auf Befehl rief Wade die Teenieheldin zum Kimmunicator. Seine Stimmlage verriet nichts Gutes. Sie warf Scarface den Schüssel zu, lief um den Bürotisch herum, hob den Kimmunicator auf und setzte sich auf den, tatsächlich äusserst bequemen Chefsessel.
„Ich kann von hier aus nichts machen. Um was ausrichten zu können, müsste ich Zugriff auf den Hauptrechner haben.“, erklärte er hektisch mit ernster Miene. Im Hintergrund konnte man in unregelmässigen Abständen einen Klingelton hören, als ob Wade derzeit jede Menge Emails bekommen würde. Der schwarzhaarige Junge fuhr sich verzweifelt durch die Haare, bevor er weiterfuhr: „Die weitaus schlimmere Nachricht ist aber, dass Chen vor wenigen Minuten seinen Angriff auf die Welt begonnen hat. Ich bekomm hier im Sekundentakt Meldungen über Shegodrohnensichtungen. Die Polizei, Armee und das NGG haben alle Hände voll zu tun, deren Telefonleitungen laufen heiss. Kein Durchkommen. Ihr seid auf euch alleine gestellt.“
Der Mantelträger hörte trotz der noch nicht abklingen wollenden Schmerzen, aufmerksam zu, wobei ihn Rufus, der plötzlich von irgendwoher aufgetaucht war, doch leicht irritierte, wie man unschwer an seinem Gesichtsausdruck erkennen konnte. Das rosa Tierchen machte den Eindruck, als würde es ihm jeden Augenblick an die Gurgel springen wollen. Wie ein Jagdhund reckte der Nacktmull seinen Schwanz in die Höhe und knurrte den Schwarzhaarigen böse an.
„Wir brauchen einen Gebäudeplan, ich muss wissen wo dieser Hauptrechner ...“, schlug Kim vor, verlor aber durch Rufus’ Knurren den Faden. Sich umschauend, hob sie fragend eine Augenbraue, lehnte sich schliesslich über den Tisch und erblickte erfreut Rons Haustier. Sie grinste. Der Kleine hatte es also auch geschafft und war, wie sie ihm vor dem ’Bermuda Triangle’ gesagt hatte, möglichst unauffällig an Henchs Fersen geblieben. Leider musste die rothaarige Teenagerin den Nacktmull zu dem Zeitpunkt sich selbst überlassen, da sie weder einen Rucksack dabei gehabt hatte, noch Hosentaschen in ihrem Kampanzug eingenäht worden waren. Durch sein Erscheinen bestätigte er aber einmal mehr, dass er ein aufgewecktes und selbstständiges Kerlchen war, das durchaus auf sich selber aufpassen konnte. „Gebäudeplan von Hench & Co. Hauptfiliale kommt sofort ...“
Der Narbenträger kam langsam wieder auf die Beine, auch wenn er nach wie vor einige Probleme damit hatte, aufrecht zu stehen. Blut lief ihm über die linke Wange von einer frisch aufgegangenen Narbe, er hielt sich immer noch die linke Seite und atmete sehr schwer. Sein ohnehin schon bleiches Gesicht war noch fahler geworden und konnte sich inzwischen sogar mit Shegos Gesichtsfarbe messen. Mehr als seine Schmerzen, beschäftigte ihn aber das eigenartig ruhige Verhalten der Teenieheldin. Dafür dass Chen mit seinem Plan begonnen hatte und die Erde mit Gewalt und Zerstörung überzog, war sie viel zu gelassen. Gedankenverloren torkelte der Mantelträger in Richtung Ron, was Rufus, in böser Erwartung eines Angriffs auf sein Herrchen, verhindern wollte. Quietschend sprang er auf den Oberschenkel des blonden Teenagers, ruderte mit seinen Vorderläufen im Stile des Affenkungfu in der Luft und meckerte lauthals herum. Erschöpft keuchend stützte sich sein Gegenüber mit dem linken Arm auf einer der Stuhlarmlehnen ab und warf Rufus einen verachtenden und auch gelangweilt genervten Blick zu.
„Halt den Rand, ich will ihn befreien.“ – „Tschuldigung.“, erwiderte das Nagetier verlegen, als der Schwarzhaarige ihm den zu Rons Fesseln gehörigen Schlüssel präsentierte.
Zu seinem Unglück wachte Ron in genau dem Moment auf und fing an, wie am Spiess zu schreien. Laut und durchdringend liess er seiner Panikattacke freien Lauf, wobei sich keiner, sicher auch er selber nicht, erklären konnte, weshalb eigentlich. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass er gleich nach dem Aufwachen auf eine blutende, vernarbte Gesichtshälfte seines neusten Feindes sehen musste. Der Mantelträger wich erschrocken einige Schritte zurück, wie Kim, gleichermassen erschrocken, vom Kimmunicator aufsah, während Rufus verzweifelt versuchte den Schreihals zu beruhigen. Ron hatte keine Ahnung, dass er etwas ausgelöst hatte, was unmöglich wieder aufzuhalten war. Wie sooft, wenn unvorhergesehene Dinge passieren, überstürzten sich fast fortlaufend sämtliche Ereignisse. So erwachte Hench mit einem aufstöhnenden Geräusch aus seiner Bewusstlosigkeit. Als auch noch Hank Perkins, mit Sicherheit durch Rons Geschrei angelockt, durch die Bürotüre direkt gegenüber des Bürotisches schritt und, sofort die Situation erkennend, irgendwie einen Alarm auslöste, so dass im ganzen Gebäude, in Begleitung von roten Blinklichtern, eine Sirene losheulte und so jedermann darüber informiert wurde, dass irgendwas nicht stimmte, ging der Überraschungseffekt, den man vor Rons Aussetzer noch gehabt hätte, definitiv den Bach runter. Die künstlichen Drohnen, welche plötzlich von überall her auftauchten, wie wenn sie aus den Wänden gekrochen wären, komplettierten das Bild, stellten sozusagen nur noch die Dekoration. Als Ron endlich die Puste ausging, blickte er verblüfft in den Raum, konnte sehen, wie seine Freundin genervt aufstöhnend ihren Kopf vornüber hängen liess, wie vor ihm der Mantelträger in die Knie ging, aber nicht ohne dem blonden Teenager einen blutrünstigen Blick zuzuwerfen, und wie sich Rufus mit einem ungläubigen „Oh nein!“ an seinen kleinen Kopf fasste.

„Ach Hase.“, seufzte die rothaarige Teenagerin lauthals auf. Verständnislos und nachdenklich schaute sie auf ihre wieder gefesselten Hände. Ohne Umschweife hatte man sie mehr oder weniger grob wieder in ihren ursprünglichen Stuhl gesetzt. Danach hatte sie mit anschauen müssen, wie Perkins ohne Probleme Rufus eingefangen, ihn mit silbrigem, festen Isolierband wie einen Braten verschnürt und den Kleinen schliesslich auf Chens Bürotisch gelegt hatte. Traurig blickend hatte der Nacktmull die Tortur ohne Widerstand über sich ergehen lassen, auch weil Ron, um die Gesundheit seines Tierchens besorgt, es ihm so befohlen hatte.
Hench beobachtete seinen jüngeren Kollegen vom Chefsessel aus. Längst war das nervige Grinsen aus seinem Gesicht gewichen. Er fasste sich mehrmals an seinen Unterkiefer, rieb die getroffene, schmerzende Stelle und warf dem Mantelträger, wie auch Kim argwöhnische Blicke zu.
Der Schwarzhaarige wurde neben der Teenieheldin aufgestellt, wobei man ihm lediglich die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken zusammengebunden hatte. Offensichtlich waren ihren Gefangennehmern die Folterstühle ausgegangen, worüber sich der junge Mann noch lange lustig machte, bis er sich mit seinen sarkastischen Äusserungen wieder komplett Ron zuwandte. „Fein gemacht, Stoppable.“, sagte er zwar in ruhiger Stimmlage, aber innerlich bebte er vor Wut, während zwei Drohnen ihr volles Gewicht auf seine Schultern verlagerten, um ihn auf die Knie zu bringen und ihn auch dort zu halten.
Ron begriff nur nach und nach, was er angerichtet hatte. Anfänglich hatte er sich noch entschuldigt und versucht sich zu rechtfertigen, als er allerdings feststellte, dass dies nicht wirklich etwas brachte, verfiel er in Schweigen, richtete seinen Blick zum Boden und liess den Narbenträger resigniert gewähren.
Aufgrund der Unruhe der vergangenen Minuten war inzwischen auch endlich Shego aufgewacht. Der ganze Trubel um sie herum schien sie aber nicht im Geringsten zu stören. Im Gegenteil zeichnete sich sogar ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen ab. Es war lediglich ein vergnügtes, fast kindisches Lächeln, das man so von der Schwarzhaarigen nicht kannte. Ihre halb geschlossenen Augen erschienen matt und ausdruckslos und blickten irgendwo ins Leere. Nicht einmal die unbequeme Körperhaltung, ihr Oberkörper war nach wie vor nach vorne gelehnt, schien ihr in irgendeiner Weise lästig zu sein. Sie rümpfte lediglich ab und zu ihre Nase, als ob sie niesen wollte, dies aber nicht konnte.
So machte Drakkens Helferlein eher einen abwesenden Eindruck, während Chen, der bis zu diesem Zeitpunkt dem Treiben still gefolgt war, die Aufmerksamkeit seiner anderen drei Gefangenen auf sich zog oder es zumindest versuchte. Der Mantelträger unterhielt mittlerweile den ganzen Raum mit seinen, selten über die Gürtellinie zielenden Bemerkungen, bis ihm endlich eine der Shegodrohnen, auf Chens Nicken hin, an den Hals griff und diesen brutal zusammendrückte, so dass der Schwarzhaarige noch knapp atmen konnte.
„Schluss jetzt, es reicht. Es ist nicht mehr lustig!“, schrie der Maskenmann mit vor der Brust verschränkten Armen von seinem Platz aus und bekam augenblicklich eine provozierende, röchelnd und gedämpft klingende Antwort: „Natürlich ist es das nicht Sie ...“
Weitere Worte blieben buchstäblich in Scarfaces Halse stecken, als die Drohne ihren Griff noch verstärkte, dabei leicht die Krallen in das Fleisch ihres Opfers bohrte und dieses so definitiv zum Schweigen brachte.
„Und Sie beide ...“, dabei wandte er sich mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper Kim und Ron zu, „ ... warum sind Sie nicht einfach brav gestorben?“
Diese Frage zeugte von leichter Verunsicherung, jedenfalls glaubte Kim das in Chens Stimmlage zu erkennen. Daher lächelte der Rotschopf lediglich müde in die weisse Maske zurück. Sie brauchte dem Geschäftsführer von Ccorp. gar keine Antwort zu geben, er würde sie ja doch nicht verstehen.
Ron blickte etwas nervös umher. Die durch ihn verursachte Situation strapazierte seine Nerven bis ins Unerträgliche, umso erstaunter war er über die Gelassenheit seiner Freundin. Auch wenn sie dafür bekannt war, selbst in schwierigen Situationen bisweilen einen kühlen Kopf zu behalten. Sein Erstaunen blieb aber nur so lange bestehen, bis er endlich ihr ruhiges Lächeln, ihren zufriedenen Gesichtsausdruck bemerkt hatte. So lächelte sie nur, wenn sie irgendetwas in der Hinterhand hatte. Also tat er es der Teenieheldin gleich und verharrte in Schweigen, aber nicht ohne ein erleichtertes und vor allem schadenfreudiges Grinsen aufzulegen.
Chen bemerkte das nicht, denn er war nur auf Kim fixiert. Diese unheimliche Überlegenheit, welche die Teenieheldin ausstrahlte, machte den Geschäftsführer von Ccorp. nicht nur noch wütender, sondern auch nervös. Warum wirkte das Mädchen derart siegessicher? Wie konnte es sein, dass sie, obwohl man Team Possible die letzten drei Jahre intensiv beobachtet und analysiert hatte, immer noch atmend hier sass? Sie war all seinen Fallen entkommen, hatte seine bisherigen Pläne allesamt über den Haufen geworfen. Die Superschurken musste er im ’Bermuda Triangle’ allesamt betäuben und wie angedroht der Polizei übergeben lassen, bis auf jene, die auf wundersame Weise entkommen waren, so wie Professor Dementor. Als ob die Teenagerin all das wüsste, wirkte sie immer unerreichbarer, gar unbesiegbar, während er unbewusst immer unsicherer wurde und in ihm auf einmal etwas aufkeimte, was er selbst nicht begriff: Angst. Er fürchtete sich davor, dass sein Traum in tausend Scherben vor seinen Füssen liegen könnte. Er fürchtete sich vor Kim Possible, vor einer Teenagerin. Wie ironisch. Kopfschüttelnd versuchte der Maskenmann diese Gedanken zu verdrängen zu verleugnen, doch tief in seinem Innern übernahmen sie langsam unbewusst die Oberhand und steuerten sein Handeln und Verhalten.
Seine Stimme nahm daher eher einen verzweifelten, als wütenden Ton an, als er die, für ihn unangenehme Stille durchbrach: „Selbst jetzt glauben Sie, die Welt gerettet zu haben und ihrem Motto mal wieder gerecht geworden zu sein. Nein, wenigstens dieses Mal werde ich Sie eines Besseren belehren.“ Unter diesen Worten hatte sich Hench an Chens Computer gesetzt und sich, wie sein Chef, ein Headset übergezogen.
„Mr. Turner ...“, sprach der Maskenmann in das kleine Mikrofon, während er sich rechts von Hench aufstellte und ebenfalls auf den Computerbildschirm schaute, „ ... eine Leitung in mein Büro.“
Kurz darauf gingen die Bildschirme hinter den beiden Welteneroberer an. Kim und Ron stockte der Atem, ihr jeweiliges Grinsen verschwand schnell aus ihren Gesichtern, ob des schrecklichen Bilds, das sich ihnen bot. Zerstörte Gebäude und verwüstete Strassen aus irgendwelchen Grossstädten. Rauchschwaden von brennenden Autos und Häusern, welche die Sonne verdunkelten und eigenartige Schatten auf den Asphalt warfen, oder Brände, welche die Nacht hell erleuchteten. Die Kommentatoren flüsterten meist oder schrieen panisch herum, als ob sie um ihr Leben laufen würden. Da sie teilweise in fremden Sprachen redeten, handelte es sich wohl um die weltweiten Nachrichten. Während man auf einigen Bildschirmen hunderte, im Stechschritt m*******ierende Shegodrohnen beobachten konnte, wurden auf anderen Strassenschlachten zwischen Mensch und Drohne gezeigt. Die Infanteristen wirkten verzweifelt, hektisch, wenn sie das Feuer erwiderten, dann eher willkürlich und unkoordiniert. Die Shegodrohnen spielten ihre Vorteile hervorragend aus. Der entstehende Rauch der Plasmaexplosionen schützte nicht nur deren Vorgehen, sondern störte den Feind zusätzlich, lenkte ihn ab und zwang diesen zurückzuweichen.
Hench tippte inzwischen auf der Tastatur herum und gab hin und wieder, wie ein kleines Kind an Weihnachten, freudig aufschreiend einige Informationen preis: „Tokio wurde unvorbereitet überrannt, die chinesische Armee mit Hilfe von ’Phoenix’ aufgerieben, Moskau steht kurz vor der Kapitulation. Bisher liefern Europa und Amerika den grössten Widerstand, sind aber in die Enge getrieben. Allerdings sind unsere eigenen Verluste sehr gering ... bisher verläuft alles nach Plan.“
„Meine Nase kitzelt.“, lenkte plötzlich Shego ein, so dass sich ausschliesslich jeder, selbst der Mantelträger, mit grossen Augen den Kopf zu ihr drehte. Die verwunderten Blicke ignorierend oder vielleicht einfach nicht bemerkend, blies sich die Schwarzhaarige immer wieder eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, die dann aber auch immer wieder auf dieselbe Stelle ihrer Nase landete, worauf sie auf ein Neues versuchte sich der lästigen Strähne zu entledigen.
Durch den bisher erfolgreichen Ablauf von ’Project Phoenix’ etwas selbstsicherer werdend, blickte Chen auf Kim und sagte zynisch: „Warum so still? Wollen Sie denn nichts erklärt haben?“ – „Nein, langsam blick ich da selber durch. Ich hatte auf dem Weg zurück von Japan genug Zeit mir meine Gedanken zu machen und die Teilchen zusammenzusetzen.“, antwortete die rothaarige Teenagerin, als sie ihren Blick von Shego abwandte und ihren Kopf leicht zur Seite neigte.
Zufällig wanderten ihre Augen über das goldene Namensschild und blieben dort hängen, während sie weiter ihre Gedanken preisgab: „Jahrelang treiben Sie ein doppeltes Spiel, bauen sich mit Ccorp. einen guten Ruf auf, lassen andere für Sie die Drecksarbeit erledigen und verstecken sich hinter Drakken, Brotherson und auch Hench Industries.“ – „Hench Industries?“ – „Hätte Ccorp. wirklich für den Weltfrieden gekämpft, wäre die Übernahme einer Firma, die Superschurken unterstützt, durchaus logisch. Da Sie aber mit der Absicht die Welt zu erobern handeln, macht diese ganze Sache keinen Sinn mehr. Sie hätten Hench Industries ganz einfach aus dem Weg räumen können. Wenn man aber bedenkt, dass die Firma zufälligerweise in den vergangenen Jahren nichts anderes getan hat, als sämtliche Superschurken abhängig zu machen und so, im Falle einer Auflösung, zu schwächen und Ihnen damit den Weg zu ebnen, kommt man eigentlich nur zu einem Schluss: Ccorp. ist Hench Industries.“
Still war Chen den Schlussfolgerungen gefolgt. An seiner Körperhaltung konnte man erkennen, dass er irgendwie enttäuscht war. Nicht einmal die Freude sich selber zu erklären, liess sie ihm noch. Nun nickte er nur und klatschte widerwillig einige Male mit den Händen.
„Herzliche Gratulation ...“ – „Ich war noch nicht fertig.”, unterbrach die Teenagerin genervt und schaute erst Mals wieder vom Namensschild hoch, bevor sie lächelnd fortfuhr, „Ich weiss wer Sie sind, wer sich hinter dieser Maske verbirgt.“
Ron drehte sich zu seiner Freundin. Bisher hatte er nur die Szenen auf den Bildschirmen beobachtet oder mit Shego Grimassen um die Wette geschnitten, worauf sich die Schwarzhaarige erstaunlicherweise eingelassen hatte. Dem nebenbei laufenden Gespräch hatte er nur bis zu einem gewissen Grad zugehört, doch der letzte Satz liess ihn aufhorchen.
„Wirklich?“, fragte er überrascht, während Chen, vielleicht ein wenig geschockt, noch immer keinen Muskel rührte. Nickend betrachtete Kim den blonden Teenager aus dem Augenwinkel.
„Eigentlich warst du es, der mich auf die richtige Fährte gebracht hat.“ – „Hab ich?“ – „’Buchstabensalat’.“, erwiderte Kim hastig, wobei es bei Ron nicht zu klingeln schien, und sprach dann wieder selbstsicher den Maskenmann an, „Sie lieben Wortspiele, nicht wahr?“ – „Tut er?“ – „’Khaj C. Chen’ ist niemand Geringeres als ... ’Jack Hench’. Ein hübsches kleines Anagramm, was Sie da haben.“
Rons Kopf schnellte in Chens Richtung, mit einem triumphierenden Grinsen auf den Lippen, das allerdings sofort wieder aus seinem Gesicht verschwand und er verständnislos den Kopf schüttelte. Er blickte schon lange nicht mehr durch und das Wort ’Anagramm’ trug Restliches zu seiner Unfähigkeit die Situation zu begreifen bei. In dem Moment fühlte er sich, wie wenn er vor einer mathematischen Gleichung mit einer Variablen sitzen würde.
„Sie wissen wirklich, wie man eine Überraschung verderben kann, Miss Possible.“, seufzte der Geschäftsleiter bitter enttäusch tönend, nachdem er das Headset von seinem Kopf abstreifte, das Band der Maske öffnete und das halb lachende, halb weinende Plastikgesicht auf seinen Bürotisch vor sich warf. Also war die Katze aus dem Sack, die Teenagerin hatte endlich die Hintergründe der ganzen Geschichte erkannt.
Ganz im Gegensatz zu ihrem Freund, der zwar in Hench den Kerl mit diesen Instant-Muskelringen erkannte, aber sonst den Faden total verloren hatte. Wie üblich, übertrug sich die Verwirrtheit des Helferleins auch auf dessen Zunge.
„Und wer ist der Mantelträger? Ein verschollener Bruder von Shego?“ – „Ich bin Drakkens Sohn.“, antwortete der Narbenträger etwas traurig und röchelnd. Der Würgegriff erschwerte ihm nicht nur das Atmen, sondern auch das Schlucken. Selbst das Lachen, als er die weit offenen, vor Überraschung geschockten Augen aller Beteiligten erntete, wurde zu einer schmerzlichen Erfahrung. Nur Shego kicherte sofort laut in den Raum.
„Ich mach nur Scherze, konnte nicht widerstehen.“, korrigierte er sich mit einem breiten Grinsen, während Jack Hench, weder lachend noch weinend, sondern einfach nur unheimlich genervt schnell wieder das Redediktat an sich riss. Der enttarnte Geschäftsführer hatte die Nase voll von seinen Gefangenen. Keiner, aber wirklich keiner der Vier schien sich in irgend einer Weise in Gefahr zu fühlen, wie wenn es sich bei der ganzen Sache hier nur um ein Spiel handeln würde. Vom fehlenden Respekt seiner Person gegenüber ganz zu schweigen.
Dementsprechend fuhr er Ron, mit Blick auf den gefesselten Schwarzhaarigen aggressiv an: „Er ist ein Niemand, nur ein Relikt aus der Vergangenheit auf einem lächerlichen Rachefeldzug. Sie hat Ihnen damals das Leben geschenkt, aus, für mich unerklärlichen Gründen. Warum haben Sie dieses Leben, ihr Schicksal nicht einfach angenommen, die Vergangenheit einfach ruhen lassen? Aber nein, Sie sturer Bock mussten ja unbedingt zurückkehren.“
Den letzten Teil bellte er lauthals in Richtung des Mantelträgers, schien die restlichen Gefangenen, selbst seine Untergebenen vergessen zu haben. Hench verlor offensichtlich langsam aber sicher die Nerven.
Der Narbenträger begriff, dem Ausdruck seiner Augen folgend, anscheinend nicht sofort. Ein verwirrtes, schwaches Kopfschütteln verstärkte diesen Eindruck noch.
„Was? Woher ...“ – „Jetzt komm schon, Ben, wer glaubst du hat mir damals den Befehl gegeben dich zu töten?“, warf nun Shego ernst ein.
Was man ihr auch immer gegeben hatte, um sie still zu halten, es verlor nach und nach seine Wirkung. Mittlerweile konnte die Schwarzhaarige den gesprochenen Sätzen wieder halbwegs folgen, ihr Gesichtsfeld verbesserte sich auch mit jeder neu verstrichenen Minute und auch stieg in ihr wieder die Lust Kims Helferlein gehörig in den Hintern zu treten. Doch schaffte sie es einfach nicht ihr Plasma zu aktivieren, so krampfhaft sie das auch versuchte. Zu sehr störte die aufkommende Erinnerung über Jack Hench, der ihr damals, natürlich als Mr. Chen, den Tötungsbefehl gegeben hatte, und die sonst wirr in ihrem Kopf kreisenden Gedanken ihre Konzentration. Zu ihrem Unbehagen machte sie die verabreichte Droge zusätzlich noch etwas redselig, weshalb sie sich kaum bremsen konnte, was sie aber so gerne getan hätte. Als ob die vielen Peinlichkeiten der letzten 24 Stunden nicht genügt hätten, musste sie sich jetzt auch noch selber erniedrigen.
Natürlich wollte Ron sofort irgendeinen Kommentar zu Scarfaces richtigem Namen loswerden, so von wegen, er würde dessen mystische Aura ruinieren oder etwas Ähnliches, weswegen er schon tief Luft geholt hatte, doch hielten ihn das bittende Kopfschütteln von Kim und Shegos blutrünstiger Blick definitiv davon ab.
„Was glaubst du, wer sonst noch hinter dieser halbdurchsichtigen Scheibe stand? Und sie haben sich alle prächtig amüsiert, alle ausser mir. Ich wollte das nicht ...“, fuhr die Schwarzhaarige mit gesenkter Stimme und zum Boden gerichteten Augen fort, bevor sie dann Jack Hench mit durchdringendem Tonfall ansprach, „Seien Sie versichert, wenn er Sie nicht in Stücke reisst, werde mit Sicherheit ich das tun. Für sein und mein zerstörtes Leben.“
Der Mantelträger drehte den Kopf von der Schwarzhaarigen weg, verfiel in nachdenkliches Schweigen, während der Geschäftsführer Perkins anwies, Shego eine weitere Injektion zu geben. Dieser war aber alles andere als begeistert und zögerte. „Aber sie hat schon die dreifache Dosis bekommen ...“ – „Und wenn sie dabei draufgeht, geben Sie ihr die Injektion.“ – „Aber ...“ – „Na los!“
Henchs Stimme nahm einen hektischen Unterton an, scheinbar hatte ihn Shegos Ansprache doch beeindruckt. Kim wusste, dass der Leiter von Hench Industries längst den Überblick auf die Situation verloren hatte. „Jetzt wäre kein schlechter Zeitpunkt, Wade.“, dachte sie, während sie auf den Kimmunicator, neben Henchs Computer liegend, schaute, der zum Glück weder von Hench, noch dessen Bruder beachtet wurde.
Der schwarzhaarige Junge hatte die ganze Zeit mitgehört. Als Kim wieder gefangen genommen wurde, hatte er nur den Bildschirm auf Standby gestellt, jedoch die Leitung offen gehalten. Ein Wunder, dass niemandem aufgefallen war, dass der Kimmunicator nach wie vor mit dem Computer verbunden war. Fieberhaft hatte er die vergangenen Minuten mit Hilfe des elektronischen Auges am Kopfende des blauen Geräts, nach dem besten Weg gesucht, seine Freunde aus ihrer misslichen Lage zu holen. Mit dem eingebauten Laser dürfte dies kein Problem dargestellt haben. Allerdings hatte er nur einen einzigen Versuch und der musste sitzen. Die Möglichkeit Kim direkt zu befreien entfiel schon allein deswegen. Dafür hätte Wade vier gezielte Versuche benötigt. Daher lag die beste Variante wohl darin, dem Mantelträger eine Chance zu ermöglichen, da dieser am wenigsten gesichert worden war. Also visierte er den künstlichen Angreifer, der sein Opfer am Hals festhielt, über Scarfaces linker Schulter an.
Gerade als Perkins eine frische Spritze und eine Ampulle mit einer farblosen Flüssigkeit aus seinem Kittel hervorzog und um den Bürotisch herumlief, feuerte Wade einen einzigen Laserstrahl auf die Drohne ab und durchlöcherte erfolgreich deren Brust.
Beide Hench Brüder schauten sofort auf den Kimmunicator und begriffen erst dann. Schnell stand John Hench auf, griff nach Kims Kampfstab und schlug mehrmals hart auf das Display und das Gerät ein, bis der Brillenträger sich sicher war, dass die Verbindung endgültig gekappt war.
Anders als seine Gegenüber verstand der Narbenträger allerdings augenblicklich, als die Drohne keinen Druck mehr auf Schulter und Hals ausübte und immer leichter wurde. Mit einem vorfreudigem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte, blickte er zu den beiden Henchs. Der zweiten Drohne konnte sich der Schwarzhaarige entledigen, indem er eine schnelle, seitliche Bewegung machte. Aus dem Gleichgewicht gebracht, krachte der künstliche Körper mit vollem Gewicht auf den Fussboden, während sich der Mantelträger mit unglaublicher Geschwindigkeit aufrichtete, aufsprang, dabei seine Beine anzog und seine zusammengebundenen Arme darunter durchführte. So störten ihn die Handschellen nicht im Geringsten und beeinträchtigten seine Bewegungen kaum. Ohne Mühe zog er sein gebogenes Schwert unter seinem Mantel hervor und zerteilte die Drohne vor ihm in zwei Hälften, ehe sich diese überhaupt wieder aufrichten konnte. Danach sprang er auf Perkins zu, der vor Schock nur ein paar Schritte vor ihm stehen geblieben war, ging vor dem Kittelträger in die Hocke, rempelte diesen mit einem gewaltigen Check von unten her an und schleuderte den Braunhaarigen durch den Raum in Richtung Fenster.
Doch weiter kam der Narbenträger nicht. Ein lauter Knall, ein plötzlicher Rückschlag auf seine linke Brust, als ob er gegen eine Säule gelaufen wäre, liessen den jungen Mann abrupt stoppen. Mit weit offenen Augen blickte er auf die Pistole in John Henchs rechter Hand, dann in dessen befriedigt wirkenden Augen. Langsam floss sein warmes Blut aus der Wunde etwas oberhalb seines Herzens, der Schwerkraft folgend, über die Brust und den Bauch. Es fühlte sich eigenartig an, eigenartig bekannt. Er konnte spüren, wie er immer schwächer wurde. Die Farbe in seinem Gesicht war längst verschwunden. Klirrend schlug das Schwert auf den Boden auf, nachdem es ihm aus der kraftlosen Hand glitt. Danach ging er einige Schritte zurück, bevor er wieder in die Knie ging und sich, schwer atmend, auf seine rechte Seite vor Kims Füsse fallen liess.
Geschockt beobachteten Kim, Ron und Shego die Geschehnisse. Doch bekamen sie keine Chance sich davon zu erholen. In dem Moment liess lauter Krach alle Beteiligten auf die Bildschirme über Chens Bürotisch schauen.
Auf einem der Bildschirme waren grössere Explosionen zu sehen. Die Drohnen feuerten alle in eine bestimmte Richtung, ausserhalb des Bildausschnittes, auf irgendetwas Grosses. Zwischen etlichen Plasmasalven erwiderte das Angegriffene das Feuer, zerriss mit einer weiteren gewaltigen Explosion viele Duzend Shegodrohnen in Stücke. Dann erfüllten metallische Schritte die Luft. Die Kommentatorin schrie laut auf, während der Kameramann sein Gerät auf seine Kollegin schwenkte. Da krabbelten doch tatsächlich einige winzige Roboter um deren Füsse herum. Erst jetzt erkannte man, dass die weltweit bekannten Diablos zu Tausenden im Gleichschritt auf die attackierten Drohnen zum*******ierten, während eine nächste Explosion die Aufmerksamkeit des Kamerateams auf sich zog. Hektisch schwenkte der Kameraführer zurück, filmte eine dichte, aufsteigende Rauchwolke, durch die zwei leuchtend gelbe Augen durchschimmerten. Plötzlich trat ein riesiger Diablo aus der Rauchschwade hervor, zerschmetterte mit einem harten Faustschlag weitere künstliche Gegner, schleuderte diese erbarmungslos durch die Luft. In sicherem Abstand folgten dem Riesenteufel Infanteristen, die sich noch um eventuell übersehene oder zurückgebliebene Drohnen kümmerten, während die cybertronischen Roboter weiter ihres Weges schritten. Mittlerweile spielten sich auf den anderen Fernsehern ganz ähnliche Szenen ab. Überall auf der Welt wurden die Armeen mit den Lil’ Diablos verstärkt und halfen nun eine Drohnenarmee nach der anderen zu vernichten und die Welt zu retten, welche sie einst einnehmen sollten.
Der Mantelträger lachte leise hustend vor sich hin. Deshalb war die kleine Teenieheldin also so ruhig geblieben, selbst als sie wieder gefangen genommen wurde. Dann verliess ihn seine restliche Kraft endgültig und es wurde schwarz vor seinen Augen.
Keiner der Hench Brüder konnte die Augen von den Bildschirmen abwenden. Untätig und unfähig die Situation zu ändern mussten sie mit ansehen, wie ihr Plan scheiterte. Da nützte auch alles Überprüfen des Computers nichts, die Shegodrohnen wurden innerhalb weniger Minuten weltweit ausgelöscht.
Während John Hench mit Tränen in den Augen auf die Knie fiel und seine Pistole fallen liess, rastete sein Bruder total aus. Rasend vor Wut warf er den Computerbildschirm und all die anderen Dinge auf seinem Bürotisch durch den Raum, bis er endlich die Fernbedienung für die Bildschirme fand, diese ausschaltete und schliesslich auch den Kasten in seiner Hand an die nächste Wand schmetterte. Den Blick, welchen er dann Kim zuwarf, war eindeutig dafür bestimmt die Teenagerin zu töten.
Diese grinste höchst zufrieden mit geschlossenen Augen ihren Freund an. Auf dem Weg ins ’Bermuda Triangle’ vor gut zwölf Stunden hatte die rothaarige Teenagerin nicht nur genug Zeit zum Nachdenken gehabt, sondern war beim Durchstöbern von John Henchs Laptop auf sämtliche vollständigen Daten von Ccorp. und deren Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft gestossen. In weiser Voraussicht hatte sie die Daten ihrem Dad gemailt, mit der Bitte, er solle in Windeseile zusammen mit Nakasumi alle Diablos auf der Welt wieder umpolen. Mit den richtigen Befehlssignalen war das Zusammentrommeln der Roboter kein Problem und da damals kein Kind sein Spielzeug wegwerfen wollte, sprich das globale Vorhandensein der roten Teufel nach wie vor sehr hoch war, hatte der weltweit gleichzeitig ausgeführte Gegenschlag sofort ausgeführt werden können. Natürlich war es riskant gewesen, natürlich hätte so vieles schief gehen können, aber der Erfolg sprach für sich.
Jack Henchs Gesicht verwandelte sich langsam in eine teuflisch grinsende Fratze, als er sich nach der Waffe seine Bruders bückte und sie auf die Teenieheldin richtete. „Noch habe ich ’Phoenix’, ich werde mein Imperium von Neuem aufbauen und die Welt erobern. Und anfangen werde ich noch heute mit Middleton. Nur Sie werden das nicht mehr miterleben.“, sagte er mit einem wahnsinnig klingenden Unterton und legte den Zeigefinger auf den Pistolenabzug.
Erschrocken schnappte die rothaarige Teenagerin nach Luft, während Ron instinktiv versuchte mitsamt seinem Stuhl in die Schusslinie zu hüpfen. Es sollte allerdings beim unbeholfenen Versuch bleiben. Noch bevor Hench den Abzug durchziehen konnte, wurde ihm die Waffe durch einen Plasmaangriff aus der Hand geschlagen.
Geschockt schüttelte der Geschäftsführer seine schmerzende Hand und blickte voller Furcht in Shegos todernstes Gesicht. Unbemerkt hatte sie sich mit Hilfe ihres Plasmas der Fesseln an Armen und Beinen entledigen können und stand nun mit aufglühenden Händen vor ihrem Stuhl. Genau rechtzeitig hatte die kräfteunterdrückende Wirkung dieses verdammten Mittels vollständig nachgelassen. Ihr war vielleicht noch etwas schwindlig, aber nichts desto trotz, war sie wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Endlich konnte sie ihrem Zorn freien Lauf lassen, ging laut aufschreiend ein paar Schritte auf ihr Gegenüber zu und feuerte einen weiteren Plasmastrahl auf Henchs Brusthöhe, was dieser zulassen musste, ohne die geringste Chance dem Angriff auszuweichen. Der Rückstoss schleuderte den schreienden Mann quer über den schwarzen Bürotisch, direkt in die Hände seines Bruders, der gerade wieder auf die Beine gekommen war. Stark keuchend blieb die Schwarzhaarige einige Momente nachdenklich auf der Stelle stehen und wirkte dabei unheimlich befriedigt.
Ohne dazu aufgefordert zu werden, schnitt sie mit der Präzision eines Schneidbrenners die Metallringe an den Gliedmassen der beiden Teenager auf und befreite die Zwei. Dennoch misstrauisch, überprüfte und schüttelte Ron seine Hände vorsichtshalber lieber zweimal, um ganz sicher zu gehen, dass diese nicht plötzlich doch noch abfielen.
Kim hatte sich sofort zum Narbenträger hingekniet und fühlte dessen Puls, der zwar schwach war, aber stabil. Ein wenig unsicher blickte sie auf den Schwarzhaarigen. Sie hatte ihrer Mom vielleicht ein, zweimal zugeschaut, als sie Verletzungen, die sich ihre Brüder aus irgendwelchen Dummheiten zugezogen hatten, verarztete, aber das hier war etwas komplett anderes.
Als sie den Verletzten auf den Rücken drehen wollte, um irgendwie die relativ starke Blutung zu stoppen, wurde sie durch das bekannte Klingeln des Ronunicator, der mit dem Display nach unten links neben Henchs Bürotisch lag, unterbrochen. Die rothaarige Teenagerin liess vom Mantelträger ab, hob das glücklicherweise heil gebliebene Gerät auf und drückte den Kontaktknopf, während ihr Freund gleichzeitig Rufus sorgfältig von dessen klebrigen Fesseln befreite. Die Zwei hielten plötzlich überrascht inne, als sie hinter dem Chefpult anstelle der beiden Hench Brüder nur ein grosses, rundes Loch im Boden sahen. Wie es schien, handelte es sich wohl um eine Falltür in die nächsttiefere Etage. Es war echt zum Haare Raufen. Die Henchs hatten ihre Unaufmerksamkeit gnadenlos ausgenutzt und würden sicher ihre Drohung wahrmachen wollen. Die Vorstellung eines brennenden Middleton erschien in ihren Gedanken, liess die Teenagerin unweigerlich erschaudern. Ihre Familie, all ihre Freunde und Bekannten ...
Erleichtert dass sein Manöver von eben scheinbar erfolgreich war, ergriff Wade das Wort: „Das NGG ist auf dem Weg zu euch ...“ – „Wade, keine Zeit für Erklärungen. Hench ist uns entkommen und will Middleton auslöschen. Wir brauchen den schnellsten Weg zur Kommandozentrale.“, unterbrach Kim hastig.
Ohne Wiederworte tippte der schwarzhaarige Junge auf seiner Tastatur herum und liess den Gebäudeplan der gigantischen Hauptfiliale auf dem kleinen Display erscheinen. „Ihr seid hier.“, erklärte das kleine Genie den, irgendwo im vierten Stockwerk erscheinenden, roten Punkt, „Der Kommandoraum ist im Erdgeschoss.“ Mit diesen Worten erschien ein weiterer Punkt und schliesslich rot eingezeichnet den Weg zur Zentrale. Ziemlich schnell begriff Kim, dass sie ebenfalls diese Fluchtluke nehmen mussten.
„Kannst du noch Krankenwagen hierher schicken? Bittedankeschön.“, verlangte die rothaarige Teenagerin mit einem Seitenblick auf den verletzten Mantelträger und brach danach die Verbindung ab. Eher zufällig stiess sie dann mit dem rechten Fuss ihren Kampfstab an, den sie bis zu diesem Zeitpunkt total vergessen hatte. Sie nahm das blaue Gerät und überprüfte, ob dieses noch einwandfrei funktionierte. Nach bestandenem Test wollte sie ihren Freund einsammeln, als dieser, der Teenagerin zur Abwechslung mal einen Schritt voraus, schon zur Hälfte in der runden Öffnung verschwunden war und ihr einen bestimmten und anspornenden Blick zuwarf. Selbst er hatte den Ernst der Lage erkannt, schliesslich ist auch seine Familie in Gefahr.
Sie signalisierte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger, er solle noch einen Moment warten. Erstens war ihr nicht ganz wohl bei der Sache, den Schwerverletzten einfach ohne Hilfe liegen zu lassen, schliesslich hatten sie ihm das Leben zu verdanken. Zweitens, und das war wohl der eigentliche Grund für ihr Zögern, war Kim aus irgendeinem Grund davon überzeugt, dass sie es ohne ihre Erzfeindin nicht schaffen würden. „Shego?“
Die Schwarzhaarige kniete mit dem Rücken zu Kim neben Scarface und blickte still auf den Verwundeten. Sie hatte einen Klos im Hals, den sie vergeblich versuchte runter zu schlucken. Etwas abwesend und auch nachdenklich wirkend, reagierte Shego endlich auf Kims Ruf, indem sie sich schnell die Tränen aus den Augen wischte und sich aufrichtete, ihren Blick allerdings nicht vom Mantelträger abliess. Wortlos liess sie weitere Sekunden verstreichen, wobei sich ihre Körperhaltung vom einen zum anderen Moment änderte. Sie ballte ihre Hände, ehe sie den Kopf zur rothaarigen Teenagerin drehte und ernst nickte.

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