Perfekte Planung

Kim Possible – Perfekte Planung


Kapitel 1: Mission zur falschen Zeit

Es war früher Freitag Abend, als Kim ihren Kleiderschrank durchwühlte. Immer dasselbe: So viele Klamotten im Schrank, und nichts anzuziehen! Sollte sie ein schickes Kleid anziehen, oder doch etwas legeres? Bald klingelte ihr Telefon. Geistesabwesend griff Kim danach und nahm ab: „Hallo?“
„Hey, KP...“
Ein Lächeln erschien auf Kims Lippen, als sie die gut gelaunte Stimme ihres Freundes – ihres besten und festen Freundes – vernahm. „Oh, hey, Ron!“ antwortete sie fröhlich, während sie weiter ihren Kleiderschrank durchsuchte.
„Und, kommst du nachher rüber?“ frage Ron.
Daraufhin stutzte Kim: „Äh, Moment, ich dachte, du kommst vorbei, und wir fahren in die Stadt?“
„Hm, ja...“ Jetzt klang Rons Stimme leicht nervös, und er räusperte sich: „Ähem, weißt du, KP, ...meine ...meine Eltern sind heut Abend nicht zu Hause, und... äh, ich...“
„Oh, du musst auf Hana aufpassen, wie?“ nahm sie seine nächsten Worte (scheinbar) vorweg.
Nach einer kurzen Pause stotterte Ron: „Äh... ja... hehe... du hast’s erfasst... ja...“
„Schon okay, keine große Sache. Dann komm ich eben zu dir, und wir passen zusammen auf Hana auf. Wir werden sie schon in den Griff kriegen!“
„Genau... also, äh... bis gleich, KP.“
„Ja, bis gleich!“ Kim legte auf und warf noch mal einen Blick in den Kleiderschrank. Dann beschloss sie, einfach das anzubehalten, was sie gerade trug: Ein magentafarbenes T-Shirt mit dunklen Ärmeln und graue Jeans. So mochte Ron sie sowieso am liebsten: Einfach so wie sie war.
Kurze Zeit später ging Kim hinunter, blieb vor der Haustür noch einmal stehen und rief in Richtung Wohnzimmer: „Mom? Dad? Ich geh rüber zu Ron!“
Da erschien ihre Mutter aus der Küche mit ein paar Snacks, die sie gerade für den Fernsehabend holte, und meinte: „Ist gut, Schatz... Aber ich dachte, er kommt her, und ihr fahrt in die Stadt?“
„Ja, dachte ich auch, aber sieht so aus als müsste er babysitten. Schade eigentlich... Aber keine große Sache.“
„Na, dann viel Spaß mit der Kleinen. Hoffentlich macht sie euch keinen Ärger.“
„Ach was, die kleine Hana doch nicht... Nicht mehr. Also, ich komm dann wieder, wenn Rons Eltern wieder da sind, okay?“
„Geht klar, Schatz. Viel Spaß!“
„Danke, Mom.“ Und damit ging Kim zur Tür hinaus und machte sich auf den kurzen Weg zum Haus der Stoppables.

Dort angekommen klingelte sie. Wenig später ging die Tür ganz langsam auf – und ein verliebt, ja fast schon verführerisch grinsender Ron kam zum Vorschein: „Hi, KP...“
„Hi, Ron,“ lächelte Kim und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann betraten sie das Haus und gingen beide in Richtung Wohnzimmer. Unterwegs fragte Kim: „Na, sind deine Eltern schon weg?“
Ron beantwortete diese Frage mit einem langgezogenen, zufriedenen: „Mmmm-hmmmm...“
Als sie im Wohnzimmer waren, bemerkte Kim erst, dass es im Haus ziemlich dunkel war. Das einzige Licht, das brannte, war der Schein einiger Kerzen auf dem Wohnzimmertisch. Allerdings fragte Kim zuerst nach etwas anderem: „Wo ist Hana?“
Rons verklärter Blick verwandelte sich in einen fragenden, verwirrten Gesichtsausdruck: „Han? Ach so... Äh, ...nicht da.“
„Ist sie dir etwa schon wieder ausgebüchst?“
„Was? Nein... Hana ist bei meinen Eltern!“
„Hä, wie jetzt?“
„Hehe, ja...“ grinste Ron verlegen. „Das ist ja gerade das Schöne: Mom und Dad sind auf so einem Treffen für Adoptiveltern von asiatischen Kindern oder so was... Und da ist Hana natürlich auch mit dabei...“
„Ach...“ Kim setzte sich auf die Couch, „Und ihr großer Bruder darf nicht dabei sein?“
„Hm, ja, das ist so ’ne Sache...“ Ron nahm neben Kim auf der Couch Platz, „Sie hätten mich schon mitgenommen, ...aber stell dir vor, was wäre, wenn die mich dort fragen, was ich meiner kleinen Schwester so beibringe...! Ich meine, es weiß doch keiner, dass sie ein Ninja-Baby ist, ...außer dir und mir, ...meinen Eltern, ...Sensei, Yori, ...Monkey Fist, ...der jetzt ein Steinhaufen ist...“
„Okay...“ unterbrach Kim ihn, „Schon kapiert. Deine Eltern lassen dich also allein daheim, und du sagst mir, du müsstest babysitten... Ron, Ron, Ron...“
„Was?“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so... hinterhältig sein kannst...“
„Ähm... du meinst das jetzt aber nicht... im schlechten Sinn, oder?“
Kim lächelte, berührte Rons Gesicht mit ihren Händen und sagte: „Ich zeig dir, wie ich es meine...“
Doch kurz bevor sie sich küssen konnten, hüpfte ein kleines, haarloses Nagetier zwischen ihnen auf die Couch und äußerte ein gerade so verständliches: „Hey!“
„Och, Rufus...“ sagte Ron genervt, „Du bist hier nicht der Anstands-Wauwau... Hey – in der Küche gibt’s übrigens Käse!“
„Hm, Käse!“ quiekte Rufus und war weg, so schnell wie der Blitz.
„Gut gemacht, Ron,“ meinte Kim, und sie machten da weiter, wo sie unterbrochen wurden... Sie küssten sich, engumschlungen, und Kim ließ sich ganz langsam nach hinten auf die Couch fallen... Doch da ertönte ein ihr wohlbekanntes Piepsen. Kim schreckte hoch, und Ron fiel von der Couch.
„Aua!!“
„’Tschuldige...“
Da piepste es wieder, und Kim hielt ihr Kimmunicator-Armband bereit, als Ron enttäuscht meinte: „Oh Mann, wieso gerade jetzt?“
Bevor Kim den Knopf zur Annahme drückte, sagte sie: „Ron, du weißt doch, die Welt geht nun mal vor...“
Dann, während es zum dritten Mal piepste, stellte sie durch und fragte: „Was steht an, Wade?“
„Hey, Kim, ich dachte schon, du gehst nicht ran...“ sagte Wade auf dem Display. „Ich hab gerade einen Einbruch in... Äh, sag mal, warum sitzt du denn im Dunkeln?“
„Äh... Stromausfall. Einen Einbruch? Wo?“
„In einem Geheimlabor der Globalen Gerechtigkeit, von dem eigentlich so gut wie niemand etwas weiß. Ich habe den Einbruch gerade per Bewegungsmelder registriert. Vermutlich werden die dort positionierten Wachmänner das nicht in den Griff kriegen, dafür sind es zu wenige.“
„Okay, vielleicht kommen wir noch rechtzeitig hin... Wo ist dieses Labor?“
„Etwas außerhalb von Upperton. Ich schicke den genauen Standort sofort auf das Navigationssystem in deinem Auto, wenn ihr losfahrt.“
„Bittedankeschön! Wir sind schon unterwegs!“
Kim wollte gerade die Verbindung beenden, da meinte Wade noch: „Übrigens registriere ich gar keinen Stromausfall, weder in deinem, noch in Rons Haus...“
„Sag mal, Wade...“ fragte Ron, der sich inzwischen vom Boden aufgehoben hatte, „Was hast du eigentlich nicht verkabelt?“
„Äh... ihr macht euch jetzt besser auf den Weg.“ Damit beendete Wade das Gespräch.
„Er hat recht, Ron,“ meinte Kim todernst. „Zieh dir schnell dein Missionsoutfit an – ich wetz schnell nach Hause, zieh meins an und hol den Autoschlüssel. Wir treffen uns beim Auto, ja?“
„Äh, ...ja, ist gut, KP,“ sagte Ron, mit einem leicht enttäuschten Unterton.

Nur wenig später flog die Haustür der Possibles auf, und Kim raste wie eine Rakete hinauf in ihr Zimmer. Verwundert blickte Kims Vater aus dem Wohnzimmer in den Flur, dann zur Treppe, und fragte: „Kimmibärchen, bist du das?“
Auch Kims Mutter lugte nun hinter der Wand hervor: „Alles in Ordnung, Kimmie?“
Kims Stimme ertönte von ihrem Dachzimmer: „Keine Zeit! Muss los! Hab ’ne Mission!“
Kurz darauf raste Kim in ihrem neuen Missionsoutfit die Treppe wieder hinunter, doch bevor sie die noch offene Haustür erreichte, hakte ihre Mutter nach: „Und was ist mit der Kleinen?“
„Die ist doch bei Rons Eltern,“ antwortete Kim nur schnell, ohne nachzudenken. „Ich muss los! Bis dann!“
Und schon war sie zur Tür hinaus. Kims Eltern wechselten einen verwirrten Blick, dann setzten sich beide wieder auf die Couch vor den Fernseher. Doch dann durchfuhr Kims Vater ein Gedanke, und er meinte erschrocken: „Moment mal... Wenn Ronalds Eltern die Kleine mitgenommen haben, ...dann heißt das, dass Ronald alleine zu Hause war... und das bedeutet... DU MEINE GÜTE!“
Seine Frau klopfte ihm beruhigend auf die Schulter: „Schatz, reg dich nicht auf...“
Mr. Possibles Atmung wurde ganz flach, doch dann atmete er tief durch und seufzte erleichtert: „Wie gut, dass sie jetzt zu einer Mission müssen...“
Mrs. Possible warf ihrem Mann einen schiefen Blick zu und sah dann wieder auf den Fernseher.


Kapitel 2: Der Fähigkeitstransferator

Das lilafarbene Auto raste über den Asphalt in Richtung Norden. Kim gab Vollgas und ließ sich von nichts und niemandem ablenken. Sie war wirklich froh, dass sie nun mit ihrem Auto selbst zu jeder Mission fahren konnte, und nicht mehr von Mitfahrgelegenheiten abhängig war, die Wade immer für sie organisiert hatte. Allerdings verlangte das Fahren von ihr vollste Konzentration, besonders bei ihrem getunten Auto. So bemerkte sie nicht einmal, dass Ron ziemlich schweigsam war und die ganze Zeit nur grübelnd aus dem Beifahrerfenster sah.
Von Middleton nach Upperton fuhr man normalerweise mit dem Auto 10 Minuten lang. Kim schaffte es in knapp 4 Minuten. Als sie in den Ort einfuhr, drosselte sie die Geschwindigkeit und warf einen Blick auf das Navigationssystem. Wade hatte bereits dafür gesorgt, dass sie das Geheimlabor leicht finden würde. Nach ein paar Abzweigungen vernahm Kim bereits ein leises Alarmgeräusch – das musste von dem Labor kommen. Und wenig später erreichten sie das abgelegene Gebäude. Es sah ziemlich genauso aus wie jedes andere Geheimlabor, das sie in ihrem Leben als Teenie-Heldin schon betreten hatte: Eine große Kuppel mit ein paar kleineren Gebäudekomplexen daneben. Kim hielt am Straßenrand vor dem Labor an. Sie und Ron stiegen aus dem Auto aus und verschafften sich mit Hilfe von Kims „Fön“ Zugang zu dem Gebäude.
Drinnen war der Alarm noch viel lauter. Und kaum hatten sich Kim und Ron durch ein Fenster abgeseilt, wurden ihnen zwei Wachmänner entgegengeschleudert, denen sie gerade noch ausweichen konnten. Kim blickte sofort in die Richtung, aus der die wehrlosen Wachmänner geflogen kamen. Mit einem wissenden Grinsen rief sie: „Nette Begrüßung, Shego! Na, was musst du diesmal für Drakken klauen?“
Es war wirklich Shego, die ihnen gegenüber stand, und tatsächlich hielt sie einen nicht weiter definierbaren Gegenstand in der einen Hand, in der anderen glühte noch das grüne Plasma, mit dem sie kurz zuvor die Wachen umgehauen hatte. Ein paar weitere Wachmänner lagen hinter ihr bewusstlos auf dem Boden. „Das war ja mal Rekordzeit, Kimmie!“ erwiderte Shego in ihrer typischen stichelnden Art und ignorierte die Frage nach ihrem Diebesgut. „Zu schade, dass ich nicht zum Plaudern bleiben kann, aber du kommst gerade rechtzeitig, um meinen Abgang zu sehen!“
Mit diesen Worten schoss sie einen grünen Plasmastrahl in Kims Richtung, mit welchem Kim jedoch gerechnet hatte und mit einem Flickflack ausweichen konnte. Dann wirbelte sie herum und rutschte schnell auf dem Boden mit ausgestrecktem Bein vorwärts, um Shego ein Bein zu stellen. Shego taumelte rückwärts, konnte sich jedoch mit dem freien Arm abfangen und kickte mit den Füßen nach Kim. Die wich ihren Tritten aus und nahm Anlauf, um Shego das gestohlene Gerät mit einem Satz aus der Hand zu reißen. Aber Shego sprang auf, und Kim griff ins Leere. Während Kim sich vom Boden aufraffte, rannte Shego auf ein Seil zu, das von der Decke hing und zu einem Loch führte, durch das sie wohl ins Labor eingebrochen war. Nun trat Ron in Aktion – oder zumindest versuchte er es. Als Shego nach dem Seil griff, raste er auf sie zu und wollte sie mit dem Ellbogen wegschubsen. Er traf sie in den Magen, wodurch sie zunächst zusammenzuckte. Aber er unterschätzte Shegos Kraft, die es ihr erlaubte, ihn im gleichen Moment von sich wegzuschleudern. Ron landete unsanft und mit einem Schrei auf dem Boden, und Shego schleuderte ihm noch einen Plasmastrahl hinterher, vor dem ihn Kim schnell wegzerrte. Nun griff Shego nach dem Seil, welches durch einen Automatismus nach oben gezogen wurde. Kim sprang schnell hinterher und wollte Shego am Fuß festhalten, verfehlte diesen allerdings knapp. Sie fing ihren Sturz ab, drehte sich blitzschnell um und feuerte ein Seil mit Enterhaken aus ihrem „Fön“ nach dem Loch in der Decke, durch das Shego im Begriff war zu verschwinden. Doch Shego wehrte den Haken mit einem gezielten Tritt ab und rief Kim von ganz oben spöttisch zu: „Bis zum nächsten Mal, Kimmilein!“
Und damit war sie auf ihrem Fluggerät auf und davon. Kim, die noch immer auf dem Boden lag, mit dem umsonst abgefeuerten Enterhaken neben sich, grummelte vor sich hin, wie sie es immer tat, wenn ihr die Schurken entwischten. Sie erhob sich und fuhr den Enterhaken per Knopfdruck wieder in ihren umfunktionierten Fön zurück. Da kam Ron zu ihr und fragte: „Alles in Ordnung, KP?“
„Ja, sicher... Mal abgesehen davon, dass Shego entkommen ist, natürlich. Und bei dir?“
„Hm, ja, geht schon.“

Nur kurze Zeit später wurde der Alarm abgeschaltet, und das Licht im Korridor ging an. Kim und Ron blickten zunächst überrascht nach oben, dann in Richtung einer großen Doppeltür, in der Dr. Director mit einigen Männern von Globaler Gerechtigkeit erschien. „Gut, dass Sie hier sind, Miss Possible,“ sagte sie. „Konnten Sie den Diebstahl verhindern?“
„Leider nicht, Dr. Director,“ antwortete Kim wahrheitsgemäß, wenn auch leicht beschämt.
„Verdammt!“ fluchte Dr. Director. „Ich habe fast befürchtet, dass diese Außenstelle nicht genügend gesichert ist. Und mit der Verstärkung komme ich wohl leider zu spät.“
„Was wurde hier gestohlen?“ wollte Kim wissen.
„Ich werde es Ihnen erklären. Folgen Sie mir bitte.“
Kim und Ron folgten Dr. Director zu einem Raum am Ende des Korridors, dessen Stahltür ursprünglich mit einem Scanfeld gesichert war. Dieses war nun vollkommen zerstört, und die Tür massiv beschädigt. Durch den so entstandenen großen Spalt in der Tür betraten die drei das kleine Labor. Inmitten dieses Raums stand ein Kasten aus Sicherheitsglas auf einem Podest, der ebenfalls aufgebrochen wurde. Dieser war selbstverständlich leer.
„Hier befand sich der Prototyp eines unserer neuesten Forschungsprojekte,“ erklärte Dr. Director nun. „Der Fähigkeitstransferator.“
„Fähigkeitstransferator...“ wiederholte Kim nachdenklich.
„Okay...“ mischte Ron sich ein. „Tun wir mal so, als hätte ich keine Ahnung, was das ist...“
Dr. Director ignorierte Rons Ausspruch und fuhr fort: „Ein handliches Gerät, mit dessen Hilfe Fähigkeiten von einer Person auf eine andere übertragen werden können.“
„Cool!“ rief Ron aus und fügte leise hinzu: „...na ja, ...denke ich.“
Kim fragte nach: „Meinen Sie damit... körperliche oder geistige Fähigkeiten?“
„Sowohl, als auch,“ antwortete Dr. Director.
„Mo-mo-moment...“ warf Ron ein. „Also, bedeutet das, wenn ich mit diesem Ding meine Fähigkeiten, sagen wir, auf Rufus übertrage... Kann er dann einen ganzen Naco auf einmal runterschlingen?“
„Das kann er doch auch so schon...“ meinte Kim trocken.
Aufs Stichwort lugte Rufus aus Rons Hosentasche hervor und brachte, sich den Bauch reibend, ein freudiges „Mhm, Naco!“ hervor.
Dr. Director warf Ron und seinem Nacktmull einen verdutzten Blick zu, bevor sie weiter erläuterte: „Unser Ziel war es, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten unserer Agenten, Soldaten und Wachmänner auf neue Mitglieder der Globalen Gerechtigkeit zu übertragen. Damit würden wir zum Einen ein starkes Team innerhalb kurzer Zeit zusammenstellen können – und zum Anderen viel Zeit und Geld für die Ausbildung sparen.“ Den letzten Teil hatte sie etwas leiser gesagt.
„Verstehe,“ meinte Kim und fragte: „Und haben Sie dieses Ziel erreicht?“
„Leider gab es einige Probleme...“ fuhr Dr. Director fort. „Wir konnten mit Hilfe des Prototyps zwar Fähigkeiten übertragen... allerdings wurden diese – anders als geplant – dem ursprünglichen Inhaber der Fähigkeiten durch den Transfer vollständig entzogen.“
„Und das heißt...?“ fragte Ron leicht verwirrt.
„Dass Drakken mit diesem Ding ziemlich schlimme Sachen anstellen kann...“ antwortete Kim. Dann wandte sie sich noch einmal Dr. Director zu: „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um den Prototyp wieder zu beschaffen.“
„Vielen Dank, Miss Possible.“

Etwas später saßen Kim und Ron wieder im Auto. Bevor sie losfuhr, nahm Kim über das eingebaute Kimmunicator-System Kontakt zu Wade auf: „Wade, wir brauchen alle möglichen Informationen über den gestohlenen Fähigkeitstransferator, und Drakkens Aufenthaltsort.“
„Geht klar,“ antwortete Wade. „Ich werd sehen, was ich finden kann. Zu schade, dass ihr den Diebstahl nicht verhindern konntet.“
„War nicht meine Schuld!“ rief Ron auf einmal. Als Wade Ron schief ansah, und auch Kim überrascht schaute, fügte er lachend hinzu: „Äh, hehe... Macht der Gewohnheit.“
Dann strich Kim ihm sanft über die Wange und meinte: „Es war wirklich nicht deine Schuld.“ Zu Wade sagte sie: „Wir waren einfach nicht schnell genug da. Obwohl ich so schnell gerast bin, wie es das Auto möglich gemacht hat – und das, ohne einen Strafzettel zu kriegen!“
„Vielleicht hättest du den Raketenantrieb noch einschalten sollen...“ grinste Ron.
„Er war eingeschaltet, Ron.“
„Okay...“ sagte Wade nach einer kurzen Pause. „Ich melde mich dann später wieder, wenn ich was Neues weiß.“ Damit beendete er die Verbindung, und Kim fuhr los.
Auf dem Rückweg fuhr Kim mit normaler Geschwindigkeit. Nun hatten sie es ja nicht mehr eilig, dachte sie. Allerdings konnte sie diesmal nicht umhin, Rons Schweigsamkeit zu bemerken. Die ganzen 10 Minuten gab er keinen Ton von sich. Kim hatte aber nicht wirklich eine Ahnung, was mit ihm los sein könnte. Vielleicht war er nur etwas enttäuscht darüber, dass sie Shego nicht aufhalten konnten und würde später wieder gesprächiger sein.
Als sie vor Rons Haus ankamen, wirkte er tatsächlich wieder fröhlicher, denn er stellte fest: „Hey, sieht aus, als wären meine Eltern noch nicht zurück.“
„Na ja, es ist eigentlich noch recht früh. Wir waren ja auch nicht so lange unterwegs,“ meinte Kim nur. Ein Moment des Schweigens kehrte ein, in dem Rons Blick unsicher hin- und herwanderte.
Schließlich fragte er zögernd: „Hm, KP... Willst du... noch mal mit rein kommen?“
Kim seufzte und sagte: „Ich weiß nicht, Ron. Eigentlich bin ich ziemlich fertig. Und... Wade könnte sich jeden Moment noch mal melden.“
„Hm, stimmt auch wieder...“ meinte Ron leise und überlegte ein bisschen. „Wir könnten uns ja auch nur... ganz gemütlich ’nen Film ansehen, ...bis meine Eltern wieder da sind.“
Kim sah erst nachdenklich aus dem Fenster, dann wieder zu Ron, der sie unheimlich süß anlächelte. Kim lächelte zurück, stellte den Motor ab und sagte: „Okay, überredet.“


Kapitel 3: Es liegt was in der Luft...

Das große Schild vor dem schneebedeckten Berghang mit der Aufschrift „Geheimversteck“ war einfach viel zu auffällig. Shego ärgerte sich jedes Mal von Neuem darüber, wenn sie zu eben diesem Versteck zurückkehrte. Wenn Dr. Drakken sie fragen würde – was er natürlich nicht tat –, hätten sie sich schon längst ein wirklich geheimes Versteck gesucht, ohne auffällige Beschilderung. Sie würde überhaupt so einiges anders – und besser – machen, auch im Bezug auf die Welteroberungspläne. Aber sie war ja „nur“ das Helferlein und hatte nichts zu sagen. Auch wenn es durchaus Wege für sie gab, Drakken die Meinung zu geigen. Doch sie wollte, wie immer, erst mal abwarten, wie der neueste Plan des selbsternannten Supergenies und Superschurken aussah, bevor sie Kritik daran übte.
Wenige Minuten später betrat Shego das Labor von Dr. Drakken, den größten Raum im ganzen Versteck. Drakken stand gerade vor einer Tafel, die er mit seinen unverständlichen Kritzeleien beschmiert hatte, und die irgendeinen genialen Plan darstellen sollten. Als er Shego bemerkte, drehte er sich in ihre Richtung, behielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und grinste: „Ah, Shego, wieder da... Ich hoffe, du hast mir auch etwas mitgebracht.“
Shego ging auf ihn zu und meinte sarkastisch: „Ja, Dr. D, hier ist das Spielzeug, das Sie haben wollten.“
„Spielzeug?“ rief Drakken empört. „Spielzeug?! Das ist hoch entwickelte Technologie, die es mir ermöglichen wird, endlich die Weltherrschaft an mich zu reißen!“
„Ach, und warum sieht es dann aus wie eine Wasserpistole?“ grinste Shego und hielt ihm den gestohlenen Gegenstand unter die Nase. Tatsächlich wies er eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Wasser-Pumpgun auf, mit der Kinder sich gerne gegenseitig nass spritzten.
Drakken starrte das Gerät kurz entgeistert an, dann riss er es an sich und sagte: „Na, du weißt doch, Shego, man soll ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen. Genauso wenig, wie eine Waffe nach ihrem Design.“
„Na schön, schon klar. Dann klären Sie mich doch mal auf, was dieses Teil so kann.“ Drakken hatte ihr natürlich mal wieder vorher nichts darüber gesagt, was genau sie eigentlich klauen sollte.
Mit der siegessicheren, triumphierenden Stimme, die er in solchen Momenten immer drauf hatte, erklärte Drakken: „Mit diesem Fähigkeitstransferator kann ich meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten um ein vielfaches verbessern! Ich werde mir sämtliche Superkräfte, Kampftechniken und Denkweisen aneignen, die ich benötige, um Kim Possible ein für alle Mal zu besiegen und mir die Welt untertänig zu machen!“
Seine schurkische Lache, die daraufhin folgte, unterbrach Shego mit einem gelangweilten: „Ach ja, was Sie nicht sagen...“
Drakken verstummte und fing an, diabolisch zu grinsen: „Du glaubst wohl nicht, dass das funktioniert, Shego...? Hehe, ich werde dir das gerne mal vorführen...“ Er richtete den Fähigkeitstransferator auf Shego und betätigte den Abzug.
„Was zum...?“ In diesem Moment trat ein gelborangefarbener Strahl aus dem Fähigkeitstransferator aus und traf Shego mit voller Wucht. Sie wurde zu Boden geschleudert und für mehrere Sekunden von dem Lichtstrahl umgeben. Dann verschwand der Strahl wieder, und eine Art Pumpe auf dem Gerät begann, gelb zu leuchten. Daraufhin öffnete sich eine Klappe an der Rückseite der Pumpe, und der Lichtstrahl umgab nun Drakken.
Shego gab einen Laut des Schmerzes von sich und hob benommen den Kopf, um das Schauspiel zu beobachten. Drakken ließ wieder eine bösartige Lache los und rief triumphierend: „Ja! Es funktioniert! Sieh nur her, Shego!“
Er machte eine wurfartige Bewegung in Richtung der leeren Wand, worauf ein grüner Plasmastrahl aus seiner Hand austrat und ein großes Loch in die Wand riss. Shego erschrak: „Das... das ist doch... DAS SIND MEINE KRÄFTE!!!“
Sie hob sich vom Boden auf – was ihr unwahrscheinlich schwer erschien – und rannte voller Wut auf Drakken zu: „Das sind MEINE Kräfte!! Geben Sie mir sofort meine Kräfte zurück, Dr. D, oder ich... ich... ich werde... ich...“ Shego ließ ihre erhobenen Fäuste wieder sinken und wirkte völlig verunsichert – ein mehr als ungewohnter Anblick.
Drakken triumphierte wieder: „Ist ja herrlich! Das Ding kopiert die Fähigkeiten nicht nur, es stiehlt sie!“ Dann grinste er seine hilflose Handlangerin amüsiert an: „Was denn, Shego? Was wirst du denn tun?“
„Ich... ich... Ich hab keine Ahnung!“ stotterte Shego. Und auf einmal klang sie richtig verzweifelt: „Was tu ich denn in so einer Situation?! Ich weiß es nicht! Ich kann gar nichts tun! Ich kann noch nicht mal richtig denken!“
„Oh, aber ich weiß genau, was ich jetzt tun werde! Ja, genau! Als erstes suche ich nach einem neuen Geheimversteck – nach einem wirklich geheimen Versteck! Und dann kann mich nichts mehr aufhalten – WAHAHAHAHAHA! Hach, das funktioniert ja alles besser als ich dachte!“

Am Tag darauf in Middleton, wo niemand etwas von den Ereignissen in Drakkens Versteck ahnte, saß Ron an einem Tisch im Bueno Nacho und stocherte lustlos in seinem Naco Maxi Menü herum, während Rufus sich gierig auf – oder besser gesagt in – das Essen stürzte. Er hatte heute frei, während Kim an diesem Samstag Vormittag im „Club Banana“ arbeitete. Sie hatten sich eigentlich zum Mittagessen in der Mall verabredet, allerdings war Ron schon eine Stunde vorher aus dem Haus gegangen, weil er es nicht mehr aushielt, allein mit seinen Gedanken zu sein. Erst war er nur ziellos mit seinem Roller herumgefahren. Dann dachte er, ein Naco Maxi Menü könnte ihn vielleicht ablenken oder gar aufheitern, doch damit lag er falsch.
Ron konnte nur noch über den vergangenen Abend nachdenken. Nachdem er und Kim von der Mission zurückgekehrt waren, und er sie überreden konnte, noch ein bisschen bei ihm zu bleiben, hatten sie sich Arm in Arm auf der Couch zusammengekuschelt und einen Film angesehen – aber Kim war nach zehn Minuten eingeschlafen. Er hatte nicht gedacht, dass sie nach der Mission wirklich so müde war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er einen dieser Backstein-Action-Filme eingelegt hatte... Jedenfalls war Kim erst wieder aufgewacht, als der Film vorbei war und Rons Eltern wiederkamen. Er hatte daraufhin erst mal fünf Minuten damit verbracht, sich vor seinen Eltern zu rechtfertigen, obwohl die sich überhaupt nicht aufregten. Worüber auch – es war schließlich nichts passiert. Und genau das störte Ron.
„Oh Mann, dabei hätte alles perfekt sein können...“ jammerte Ron, auch wenn er eigentlich mehr mit sich selbst redete, da Rufus ihm eh nicht zuhörte. „Meine Eltern waren nicht da, ich musste nicht babysitten, und Kim... Kim war richtig in Stimmung... und das war ich auch. Aber dann muss natürlich Wade anpiepsen – und dabei konnten wir eh nichts ausrichten!“
Er seufzte und stützte den Kopf in seine Hände. „Kim und ich gehen doch jetzt schon richtig lange miteinander – aber wir waren noch nie wirklich allein,“ überlegte er weiter. „Wir haben zwar noch nie darüber geredet... Und ich will Kim ja auch nicht bedrängen. Aber gestern hatte ich das Gefühl, es wäre der perfekte Zeitpunkt, um...“ Die nächsten Worte sprach er nur in seinen Gedanken aus und blickte verträumt vor sich hin. Aber bald ließ er seinen Kopf enttäuscht noch weiter sinken, bis er schließlich sein Gesicht in seinen Armen auf dem Tisch vergrub und seufzte: „Aber wahrscheinlich wird es nie dazu kommen, weil wir niemals ungestört sein werden...“
Nach einigen Minuten tippte ihm plötzlich jemand auf die Schulter. Ron hob schnell den Kopf und blickte um sich. An seinem Tisch stand Ned, der Kassierer der Bueno Nacho-Filiale, der seinen Stammkunden beinahe besorgt fragte: „Hey, Ron, was ist denn mit dir los?“
„Äh, …was los ist? Gar nichts... was soll... mit mir los sein?“ stammelte Ron und setzte sich wieder einigermaßen aufrecht hin.
„Na ja, du sitzt jetzt seit einer halben Stunde deprimiert hier rum, laberst vor dich hin und hast dein Naco Menü kaum angerührt,“ beschrieb Ned seine Beobachtungen, die er von der Kasse aus gemacht hatte.
„Ach, weißt du... es ist... na ja, es ist wegen Kim... ich... Moment – was sagst du, wie lange sitz ich hier schon?“ Ron warf einen Blick auf seine Uhr und erschrak: „Oh Mann, Kim und ich wollten uns doch jetzt in der Mall treffen!“ Er stand auf, schnappte sich Rufus und rannte mit einem „Ich muss los!“ zur Tür hinaus. Ned sah ihm erst verwirrt nach, zuckte dann mit den Schultern und ging wieder an die Kasse zurück.

Als Ron endlich mit seinem lahmen Roller an der Mall ankam und hinein zum „Club Banana“ hetzte, stand Kim wartend mit verschränkten Armen davor. Neben ihr stand ihre Freundin Monique, die ihr anscheinend gerade irgendetwas sagte, um sie zu beruhigen.
„Ron, na endlich!“ rief Kim, als sie ihn sah. „Ich warte schon ’ne Viertelstunde auf dich!“
„Tut mir leid, KP,“ sagte Ron, als er vor ihr stand. „Ich... ich muss wohl die Zeit übersehen haben. Ich war noch bei Bueno Nacho und...“
„Ach, du hast schon was gegessen?“ fragte Kim verwundert. „Wir waren doch zum Mittagessen verabredet.“
„Äh, nein, ich... ich wollte zu Bueno Nacho, das heißt... ich...“
„Schon gut, Ron. Ich... wollte dir eigentlich sagen, dass Monique auch frei gekriegt hat, und wir wollten ’ne Runde shoppen gehen...“
„Ach so...“ meinte Ron enttäuscht.
„Du kannst ja auch mitkommen, wenn du willst...“
„Nein... schon okay. Geht ihr nur... Ich will dich ja nicht bedrängen – Äh, ich... will mich ja nicht aufdrängen...“
Kim zog fragend eine Augenbraue hoch. „Alles okay, Ron?“
„Ja, klar... Alles bestens, hehe... Ich meine, ich geh doch sowieso nicht gern shoppen. Du weißt schon, Shoppen ist was für Mädchen, hehe...“
„O-kaaay... Wir sehn uns dann später, ja?“
„Ja...“
Kim gab ihm ein Küsschen auf die Wange und sagte noch: „Bis nachher.“
Monique verabschiedete sich ebenfalls: „Bye, Ron.“
Während die Mädchen losgingen und ihm noch kurz nachsahen, winkte er und rief mit einem gezwungenen Lächeln: „Ja, bye, Monique. Bis später, KP...“

Nach einer kleinen Shopping-Tour saßen Kim und Monique in einer Imbissbude in der Mall und gönnten sich eine Stärkung. Als Kim schon eine ganze Weile schweigend zu Boden sah und in ihrem Salat rumstocherte, hörte Monique auf zu essen und fragte: „Also, was ist los, Kim?“
Das riss Kim völlig aus ihren Gedanken: „Hm, was?“
„Du hast doch vorhin auf der Arbeit gesagt, dass du später mit mir reden willst. Also, worum geht’s?“
„Ach so, ja. Na ja, es... geht um Ron.“
„Das hab ich mir gedacht. Der war ja grad wieder völlig neben der Spur...“
Kim seufzte: „Ich glaub ich weiß auch warum... Weißt du, Monique, gestern Abend waren Ron und ich bei ihm zu Hause... alleine.“
Monique bekam große Augen und holte tief Luft: „Habt ihr...?“
„Nein – Wade hat mich angepiepst.“
„Oh.“
„Und dabei hat sich Ron so bemüht... Er hat sogar Kerzen aufgestellt.“
„Ron? Dein Ron?“
„Ja, das hätte ich auch nicht gedacht... Aber Ron steckt eben voller Überraschungen,“ meinte Kim mit verträumter Stimme. Bald kriegte sie sich aber wieder ein und erzählte normal weiter: „Aber wie gesagt, dann hat Wade mich angepiepst. Also sind wir sofort los und haben versucht, einen Einbruch in ein Geheimlabor zu verhindern – leider ohne Erfolg. Wir sind wieder zurück zu ihm gefahren, und Ron hat mich gefragt, ob ich noch mal mit rein kommen will...“
„Und dann?“
Kim verzog das Gesicht: „Dann hat Ron einen von diesen Backstein-Filmen eingelegt.“
„Oh nein – nicht doch!“
„Oh ja, doch! Ich meine, davor, als er mich überredet hat, wenigstens noch ’nen Film anzuschauen, das war richtig süß... Eigentlich wollte ich nach der fehlgeschlagenen Mission ja nur noch nach Hause, unter die Dusche springen und ausspannen. Aber dann hab ich mir auch irgendwie gedacht, vielleicht kommt doch noch mal Stimmung auf...“
„Aber nicht mit den Backsteinen!“
„Außerdem hätte Wade ja noch mal anpiepsen können. Hat er aber bis jetzt noch nicht. Die Sache ist die, Monique: Wenn ’ne Mission ansteht, dann schalt ich sofort um – aber ich glaub, Ron kann das nicht. Und wahrscheinlich ist er deshalb immer noch so enttäuscht.“
„Mal ganz ehrlich, Kim...“ sagte Monique mit ernster Stimme. „Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass immer was anstehen könnte. Wade hat dich schon oft aus dem Schlaf gepiepst und unzählige Male, als du in der Schule warst. Hast du schon mal dran gedacht, dass er dich auch anpiepsen könnte, wenn du und Ron...“
„Ohweia... jetzt wo du’s sagst... Nein, daran hab ich noch gar nicht gedacht,“ gestand Kim. Nach einer kurzen Pause seufzte sie: „Es wird wohl höchste Zeit, dass ich mit Ron darüber mal rede...“
„Ihr habt noch gar nicht darüber gesprochen?!“
„Sei nicht so schockiert, Monique. Über unsere Gefühle füreinander haben wir ja auch lange nicht gesprochen. Ich denk mir immer... wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir merken...“
„..., dass keiner von euch beiden vorbereitet ist.“
„Ich bin vorbereitet, Monique!“ protestierte Kim und fügte wesentlich leiser hinzu: „Also, wenn du das meinst: Ich nehme seit ein paar Wochen die Pille.“
„Na, das ist doch ein Anfang. Weiß Ron das schon?“
„Nein. Das werd ich ihm auch noch sagen. Am besten rede ich gleich heute noch mit ihm, wenn wir uns nachher sehen – komme da, was...“ Da piepste auf einmal Kims Kimmunicator-Armband, und wie auf Reflex stellte sie sofort die Verbindung her: „Was steht an, Wade?“
Monique verschränkte die Arme und murmelte vor sich hin: „Irgendwie kann ich Ron verstehen. Das ist ja wohl wirklich der totale Abtörner...“ Natürlich bekam weder Kim, noch Wade das mit.
Wade sprach durch den Kimmunicator: „Kim, ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht.“
„Okay, die gute zuerst.“
„Ich hab jetzt alle Infos über den gestohlenen Fähigkeitstransferator-Prototypen.“
„Super, Wade! Und die schlechte?“
„Tja, ich konnte Drakken bis jetzt noch nicht orten.“
„Was?!“
„Ja, ich weiß, es ist wirklich merkwürdig. Normalerweise ist es ein Kinderspiel, ihn aufzuspüren. Und ich hatte das Signal schon fast geortet – es schien von seinem Versteck in den Bergen zu kommen.“
„Das mit dem großen Schild, auf dem ‚Geheimversteck’ steht?“
„Genau das. Aber auf einmal ist das Signal verschwunden! Und als ich es noch mal versucht habe, bekam ich plötzlich nur noch Störsignale rein! Ich konnte mich nicht mal mehr in das Sicherheitssystem von Drakkens Versteck hacken!“
„Du meinst, er hat sämtliche Sicherheitslücken gestopft? Das sieht Drakken aber gar nicht ähnlich!“
„Ich hab die ganze Nacht lang versucht, die Störsignale auszuschalten und in sein System reinzukommen – keine Chance!“
„Hm, dann sollten Ron und ich uns vielleicht vor Ort mal umsehen...“
„Okay, Kim. Ich versuch weiter, ihn zu orten.“
„Danke, Wade. Und unterwegs kannst du uns ja alles über den Prototyp erzählen.“
„Geht klar. Bis später.“
Damit beendete Kim die Verbindung und blickte auf zu Monique – die noch immer mit verschränkten Armen dasaß und Kim schief ansah. Kim ignorierte den Blick und sagte: „Du hast’s gehört, Monique. Ich muss los und Ron bescheid sagen. “
„Na dann, lass dich nicht aufhalten,“ antwortete Monique in leicht gelangweiltem Ton.
Kim stand auf und sagte noch: „Und danke für’s Zuhören, Monique. Wir sehn uns!“
Während Kim losspurtete, drehte Monique sich in ihrem Stuhl um und rief ihr nach: „Und vergiss nicht, was du ihm noch sagen wolltest, Kim!“ Doch sie war nicht sicher, ob sie es noch hörte.


Kapitel 4: Eine explosive Angelegenheit

Kim war nur schnell nach Hause gefahren, um sich umzuziehen, ihren Eltern bescheid zu sagen und alles nötige für die Mission mitzunehmen, dann war sie auch schon wieder unterwegs, um Ron zu finden. Sie musste gar nicht lange nach ihm suchen, denn er saß zu Hause in seinem Zimmer auf dem Dachboden und grübelte wieder vor sich hin. Als Ron die Schritte auf der Treppe hörte, dachte er schon, sein Vater oder seine Mutter könnte etwas von ihm wollen. Fast hätte er genervt gerufen, dass er seine Ruhe haben wollte, doch in der Sekunde erschien Kim in der Dachbodenluke und fragte: „Ron, bist du da?“
In dem Moment entdeckte sie ihn, wie er an seinem Schreibtisch saß und sich nach ihr umdrehte. „Oh, hey, KP!“ rief Ron, gleich wesentlich besser gelaunt als noch kurz zuvor. „Was gibt’s?“
„Wade hat sich grad gemeldet. Pack deine Wintersachen ein, wir müssen zu Drakkens Geheimversteck in den Bergen.“
Rons Lächeln verschwand, doch er ließ sich nichts anmerken, als er trocken nachfragte: „Das mit dem großen Schild?“
„Ja, genau. Also los, schwing die Hacken! Ich wart draußen beim Auto.“
Kurz darauf verschwand sie schon wieder nach unten, so dass Ron ihr nur noch ein zögerndes „Ist gut, KP!“ nachrief, bevor er sich für die Mission fertig machte.

Nun waren sie unterwegs. Zu Drakkens „geheimen“ Versteck war es nicht allzu weit, etwa eine Stunde Fahrt bei normaler Geschwindigkeit – mit Kims Auto ging es natürlich schneller. Allerdings war der Weg durch die Berge zu beschwerlich, also würden sie das Auto ziemlich weit entfernt abstellen und den Rest des Weges zu Fuß oder auf Snowboards zurücklegen. Natürlich könnte Kim auch den Raketenantrieb anstatt der Räder ausfahren, um ins Gebirge hineinzufliegen, doch sie wollte lieber nicht zuviel Aufmerksamkeit erregen, für den Fall, dass Drakken wirklich dort war.
Als sie schon eine Weile mit Höchstgeschwindigkeit – ohne Raketenantrieb – gefahren waren, bremste Kim zwischendurch auf normale Geschwindigkeit ab, um über das eingebaute Kimmunicator-System Kontakt zu Wade aufzunehmen: „Wade, wir sind unterwegs. Also, schieß los, was hast du rausgefunden?“
„Wie gesagt, ich habe inzwischen alle Informationen über den gestohlenen Prototypen. Zunächst einmal... so sieht er aus.“ Daraufhin projizierte Wade ein Archivfoto auf das Display im Auto.
„Das sieht ja mal cool aus!“ rief Ron begeistert.
Kim wechselte den Blick etwa im Halbsekundentakt zwischen der Straße und dem Display – so wie sie das immer tat, wenn Wade ihr während einer Fahrt etwas zeigte – und sagte dann trocken: „Sieht aus wie ’ne Wasserpistole.“
„Ach ja?“ meinte Ron verwirrt. „Ah, okay, jetzt wo du’s sagst... Für mich sah’s aus wie ein Taco mit...“
„Ron,“ unterbrach Kim. „Das will ich gar nicht wissen! Wade – erzähl weiter.“
Wade erschien nun wieder auf dem Display und sagte, während er irgendwas auf seiner Tastatur tippte: „Der Pistolenvergleich ist gar nicht so abwegig, Kim,“ Nun erschien ein grüner Bildschirm mit einem dreidimensionalen Modell. „Man zielt nämlich damit, wie mit einer Pistole, auf die Person, deren Fähigkeiten man sich aneignen will, und betätigt einen Abzug, ...“ Daraufhin blinkte der Abzug in der Darstellung kurz hellgrün auf. „...dann tritt ein Energiestrahl aus, der das Gehirn der anvisierten Person nach ihren Fähigkeiten abscannt, ...“ Nun wurde der Strahl hellgrün dargestellt. „...der Strahl nimmt die Fähigkeiten auf, und diese werden in einer Art Pumpe sozusagen zwischengespeichert, ...“ Die Pumpe in der Darstellung blinkte eine zeitlang hellgrün auf. „...und schließlich werden die Fähigkeiten in das Gehirn der Person am Abzug übertragen.“ Zuletzt wurde dargestellt, wie der Strahl aus dem hinteren Ende der Pumpe wieder austritt.
Kim überlegte kurz. „Was hat es mit diesem Zwischenspeicher auf sich?“ fragte sie dann nach.
Wade erschien wieder auf dem Display und erklärte: „Das ist wie eine Art Protokollierung. Damit wird jedes Bündel von Fähigkeiten, das übertragen wurde, dokumentiert. So wie es aussieht, kann man hinterher sogar an einem Display genau ablesen, von wem die übertragenen Fähigkeiten stammen und auf wen sie übertragen wurden.“
„Das könnte ganz nützlich sein,“ stellte Kim fest. „So wissen wir dann auch, welche Fähigkeiten Drakken auf sich übertragen hat und können sie seinem ursprünglichen Besitzer leichter zurückgeben.“
„Ja, aber ganz so einfach ist es nicht,“ stimmte Wade zögernd zu, „Wenn ein- und dieselbe Person sich die Fähigkeiten von mehreren anderen Personen aneignet, kann immer nur das zuletzt übertragene Bündel von Fähigkeiten erneut übertragen werden. Man muss also die dokumentierte Reihenfolge beachten.“
„Klingt ja mächtig kompliziert!“ warf Ron ein.
Nach einer Weile fragte Kim Wade: „Dr. Director hat erwähnt, dass sowohl körperliche als auch geistige Fähigkeiten übertragen werden. Was passiert bei der Übertragung nun genau?“
„Der Energiestrahl bedient sich an den Verbindungen in bestimmten Gehirnregionen,“ antwortete Wade und projizierte nun ein Modell des menschlichen Gehirns auf das Display, auf dem vor allem die vorderen Regionen und einige andere Bereiche farblich hervorgehoben waren. „Und zwar dort, wo das sogenannte prozedurale Gedächtnis und die exekutiven Funktionen sitzen.“
Ron verzog das Gesicht: „Gibt’s dafür auch ’ne Übersetzung?“
„Hm, ich glaub, ich hab das schon mal irgendwo gehört,“ überlegte Kim. „Vielleicht von meiner Mom. Die kennt sich ja als Gehirnchirurgin auch mit Gehirnfunktionen gut aus. Aber erklär du das mal lieber, Wade.“
„Also, im prozeduralen Gedächtnis sind Bewegungsabläufe gespeichert, die man durch langes Üben gelernt hat, und die einem mit der Zeit in Fleisch und Blut übergehen. Wie zum Beispiel für’s Autofahren oder bestimmte Kampftechniken.“
„Ahhh...!“ Rons Stimme klang, als hätte er die Erleuchtung. „Dann hat Kim also ein echt tolles Proze-Dingens...! Und was ist mit den exe... exzess... äh, dem anderen Kram?“
„Die exekutiven Funktionen ...“ korrigierte Wade, „...sind verantwortlich für verschiedene geistige Fähigkeiten, wie zum Beispiel Vorausplanung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Selbstkontrolle, logisches Denken...“
„Also all das, was Drakken nicht kann,“ schlussfolgerte Kim grinsend.
Wade fuhr fort: „Und außerdem ist der Fähigkeitstransferator sehr sensibel für Aktivitäten in Gehirnbereichen, die bei normalen Menschen nicht aktiv sind – also für übermenschliche Fähigkeiten oder Superkräfte.“
„Cool!“ unterbrach Ron.
Wade ignorierte das und fügte noch hinzu: „Was zum Beispiel nicht betroffen ist, ist das Langzeitgedächtnis. Es werden keine Erinnerungen oder Wissen übertragen. Wenn einem die Fähigkeiten entzogen wurden, erinnert man sich nach dem Transfer noch genau an die Fähigkeiten, die man hatte, und auch daran, wie sie entzogen wurden – man kann sie nur nicht mehr anwenden. Das wären dann vorerst mal alle Infos zu dem Prototypen.“
„Okay, danke, Wade,“ meinte Kim. „Und weißt du schon was Neues von Drakken?“
„Leider noch nicht, Kim. Aber ich bleib dran.“
„Wir auch. Ich meld mich wieder, wenn wir das Versteck erreicht haben.“ Damit beendete Kim das Gespräch vorerst.
Ron griff sich mit gequältem Gesichtsausdruck an den Kopf: „Uh, ich glaub, von dem ganzen Hirngelaber vorhin hab ich Gehirnkribbeln...!“
Kim rollte kurz mit den Augen und drückte dann wieder auf die Tube.

Etwa eine halbe Stunde später hatten sie die Berge erreicht. Kim und Ron hatten sich ihre Anoraks und Skihosen übergezogen, ihre Skihelme aufgesetzt, und Kim trug außerdem multifunktionale Skischuhe. Damit konnte sie nicht nur Snowboard fahren, auf Knopfdruck waren es auch Bergsteigerschuhe oder Skates mit eingebautem Raketenantrieb. Sie packten beide ihre Snowboards in ihre Rucksäcke ein, und mit Kims „Fön“ ausgerüstet machten sie sich auf den Weg.
Nach einigem mehr oder weniger anstrengenden Klettern – für Ron mehr, für Kim weniger – standen sie auf einem kleineren Hügel mitten im Gebirge, von dem sie einen guten Blick auf Drakkens Versteck hatten. Kim spähte durch eine spezielle Fernsichtbrille, die mit Wades System verbunden war. Sie visierte zunächst das auffällige Schild an, dann das Gelände unter ihnen und fragte: „Wie sieht’s aus, Wade?“
„Ich komme jetzt wieder in Drakkens Sicherheitssystem rein, zumindest eingeschränkt. Im Außenbereich sind schon mal keine Fallen zu finden. Kein Lasernetz, keine Lawinenauslöser, gar nichts. Ihr dürftet ohne Probleme ins Versteck reinkommen. Wie es drinnen aussieht, kann ich aber erst dann sagen.“
„Also gut, dann gehen wir rein.“
Bevor Kim das Fernsichtgerät wieder in ihren Rucksack steckte, erinnerte Wade sie: „Und denkt an die neue Funktion, die ich in eure Anoraks eingebaut habe.“
Kim und Ron betrachteten ihre Anoraks. Seit Kurzem waren an beiden auf den Brusttaschen je zwei weiße Schnüre mit farbigen Kugeln angebracht. Die Kugel am Ende der einen Schnur war rot, die an der anderen war blau. Ron fragte mit neugierigem Blick: „Wofür sind die noch mal?“
Bevor Kim antworten konnte, hatte er schon an der Schnur mit der roten Kugel gezogen – und im nächsten Moment waren sein Anorak und seine Skihose auf das etwa Fünffache ihrer Masse ausgedehnt! Kim staunte nicht schlecht, als Ron in Form einer riesigen Kugel neben ihr mit ausgestreckten Armen im Schnee auf der Stelle balancierte. „Ah ja...“ meinte Ron in leicht genervtem Tonfall. „Aufplustern, auspolstern,... das war’s.“
Kim zog an der Schnur mit der blauen Kugel auf Rons Anorak, und so schnell, wie seine Winterkleidung wieder in den Normalzustand zurückging, konnte er gar nicht schauen – er fiel hintenüber in den Schnee: „Uaaah! Autsch!“
Mit einem unterdrückten Kichern reichte Kim ihm die Hand und zog ihn wieder auf die Beine. Ron warf ihr einen schiefen Blick zu, sah sich dann noch mal die beiden Schnüre an und fragte: „Und was passiert, wenn ich zuerst an der blauen ziehe?“
Kim hielt seine Hand fest, die gerade nach der anderen Schnur greifen wollte, und antwortete: „Dann wird der Winteranzug leicht und dünn. Das machst du besser erst, wenn wir drinnen sind. Also, los geht’s!“
Sie packten ihre Snowboards aus, und Kim düste sofort talwärts. Ron gab sich große Mühe, nicht zu weit zurückzubleiben und nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren.

Es war tatsächlich ein Leichtes gewesen, in das Geheimversteck reinzukommen. Kim und Ron packten ihre Snowboards und Helme wieder ein und betrachteten den leeren Korridor. Es war so ruhig, dass sie den Wind draußen hören konnten. Das alles erinnerte Kim an damals, als Drakken ihren Vater hier herverschleppt hatte, und außer einem Hologramm und einigen Fallen nichts mehr auf die Anwesenheit des Schurken hinwies. Damals hatte Drakken einen derart ausgeklügelten Plan, dass selbst Kim nicht dahinter kam, was er vorhatte. Dadurch war es ihm beinahe gelungen, die Welt mit einer cybertronischen Roboterarmee in Schutt und Asche zu legen. Was, wenn er ihnen auch diesmal wieder einen Schritt voraus war? Der Gedanke gefiel Kim gar nicht. Sie aktivierte ihr Kimmunicator-Armband: „Wade, wir sind drin. Bis jetzt keine Spur von Drakken.“
„Lass mich das mal genauer ansehen...“ meinte Wade und tippte etwas auf seiner Tastatur.
Kim hielt ihren Arm etwa auf Brusthöhe gebeugt vor sich, und aus der Seite des Armbandes trat ein rötlicher, fast durchsichtiger Strahl aus, der den Korridor entlang leuchtete und sich nach beiden Seiten bis an die Wände ausdehnte. Nach ein paar Sekunden zog sich der Strahl wieder zusammen und verschwand wieder im Kimmunicator-Armband. Wade führte eine Analyse an seinem Computer durch.
„Der Korridor ist sauber,“ berichtete er schließlich. „Keine Fallen und auch niemand da. Ganz am Ende ist eine Doppeltür, die meines Wissens zu Drakkens Labor führt.“
„Okay, dann sehen wir dort nach. Sag bescheid, wenn dir irgendwas auffällt.“ Diesmal beendete Kim die Verbindung nicht, damit Wade weiter nebenbei das Versteck analysieren konnte. Zu Ron sagte sie: „Wir sollten trotzdem vorbereitet sein, falls Shego oder eine künstliche Drohnen-Armee auftaucht...“
Damit zog sie an der blauen Schnur ihres Anoraks, und in der nächsten Sekunde war ihr Winteroutfit leicht und enganliegend, fast wie ihr Kampfanzug – nur ohne zusätzliche Funktionen. Allerdings hatte Kim so viel mehr Bewegungsfreiheit für einen Kampf als im normalen Anorak.
„Wow!“ entfuhr es Ron.
Kim drehte sich fragend zu ihm um: „Was denn? Funktioniert gut, hm?“
Wieder platzte es einfach aus Ron heraus: „Nein, ich finde, das sieht echt schar... äh, toll aus!“ Und schon wurde er rot.
Kim lächelte kurz. Doch das Lächeln verschwand bald wieder, und sie sagte nur, auf den Korridor deutend: „Wir sollten weiter.“
Während Kim sich umdrehte und schon mal losging, versuchte Ron, sich ebenfalls wieder zu konzentrieren. Als erstes zog er auch an der blauen Schnur seines Anoraks. Blitzschnell wurde sein Winteranzug enger. Ron zuckte zusammen und verzog das Gesicht: „Au, das Ding ist zu eng!“
„Ron! Jetzt komm endlich!“ rief Kim von weiter vorne über ihre Schulter hinweg.
Noch immer mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck tat Ron einen Schritt nach vorne, zog dann aber an der roten Schnur des Anoraks. Schon wurde sein Outfit wieder normal. „Ah, so ist’s besser! Na ja, ’n bisschen.“
„Mhm!“ bestätigte Rufus in gequältem Tonfall, dem die plötzliche Enge der Hosentasche, in der er sich befand, auch nicht gefallen hatte.
Kim war inzwischen fast am Ende des Korridors angekommen und wartete, wenige Meter von der großen Doppeltür entfernt, auf Ron. Das letzte Mal, als sie durch diesen Korridor geschlichen waren, hatte sich plötzlich eine Falltür unter ihnen geöffnet. Diesmal passierte nichts dergleichen. Auch durch die zahlreichen großen Sichtfenster, an denen sie vorbeigegangen war, konnte Kim nichts erkennen. Das gesamte Versteck schien tatsächlich leer zu sein.
„Das ist echt merkwürdig...“ sagte Kim vor sich hin, als Ron endlich auftauchte. Sie drehte sich kurz zu ihm um und fragte verwundert: „Und dir ist nicht zu warm damit?“
„Was, mir? Ach, nö... Äh, ich bin ganz cool!“ grinste Ron leicht verlegen.
„Na ja... dann sehn wir mal, wie wir da rein kommen – Huch!“ Kim hatte ein paar Schritte vorwärts gemacht, und schon ging die Doppeltür langsam automatisch auf. Sie und Ron wechselten einen verwirrten Blick, zuckten dann mit den Schultern und betraten den großen Raum dahinter. Dieser glich mehr einer Berghöhle als einem Labor – und war ebenfalls völlig leer. Nur ein mit einer grünen Decke verhüllter Gegenstand in der Form einer großen Kiste war in der Mitte des Raumes zu sehen. Kim blieb in der Tür stehen, Ron etwas weiter vorne.
„Da stimmt doch was ganz und gar nicht...“ sagte Kim nachdenklich. „Keine Fallen, die Tür geht automatisch auf,... Es ist, als hätte Drakken uns eine Einladung geschickt, die wir nicht bekommen haben.“
„Vielleicht hat die Post sie verschlampt...“ meinte Ron. Kim sah ihn schief an. „Was denn?! Kann doch sein!“ rechtfertigte sich Ron, und rieb sich dann freudig die Hände: „Ui, wenn er uns eingeladen hat, hat er bestimmt auch ein Geschenk für uns! Da!“ deutete er. „Unter der Decke!“
„Ron, das...“ fing Kim genervt an, hielt jedoch inne. Während Ron auf den verhüllten Gegenstand zuging, fiel ihr etwas auf. Da war auf einmal so ein leises, merkwürdiges Piepsen... piep – einmal... piep – zweimal... piep – dreimal... scheinbar im Sekundentakt. Kim griff zu ihrem Kimmunicator-Armband: „Sag mal, Wade, hörst du das auch?“
„Ja, Kim... und es hört sich nicht gut an...“
In dem Moment war Ron bei dem Gegenstand angelangt, zog die Decke weg und rief verwirrt: „Was denn das für’n Geschenk?“
Was immer in der Kiste war, die zum Vorschein kam – sie war der Ursprung des piepsenden Geräuschs. Kim riss erschrocken die Augen auf: Das Piepsen wurde begleitet von einer digitalen Anzeige – piep – 0:20 – piep – 0:19 – piep – 0:18 – ...
„Macht, dass ihr sofort da rauskommt!!!“ schrie Wade.
„Ron!!“ Kim rannte zu ihm, zog, während sie rannte, an der roten Schnur ihres Anoraks, der wieder normal wurde. Ron stand da wie erstarrt. Kaum war Kim bei ihm – da fing die Doppeltür an, sich zu schließen! Ein Knopfdruck auf ihren Handschuh, schon fuhren zwei Paar Skates aus Kims Skischuhen, der Raketenantrieb zischte, Kim nahm Ron über die Schulter und raste los – gerade noch durch einen Spalt in der Tür! Sie sausten den langen Korridor entlang, die Skates waren schnell – doch waren sie schnell genug? Der Ausgang kam in Sichtweite... Sie hatten ihn fast erreicht... Und dann...
KABOOM!
Der Sprengstoff in Drakkens Labor explodierte, die Druckwelle schleuderte Kim und Ron nach draußen. Sie segelten durch die Luft. Nur mit Mühe konnte Kim Ron noch festhalten. Überall um sie herum war Rauch, Kim kniff die Augen zu einem kleinen Spalt zusammen. Der schneebedeckte Boden kam näher – immer näher, immer schneller.
„Ron!“ schrie Kim so laut sie konnte. „Zieh an der roten Schnur!!“
„Wa...?!“
Kim zog sofort an der Schnur ihres Anoraks, der sich nun aufblähte, genau wie ihre Skihose. Dadurch wurden ihre Arme auseinander gedrückt, sie verlor ihren Griff um Ron. Sie hörte noch seinen Schrei, der sich entfernte. Der Boden war zum Greifen nah. Sie schloss die Augen.
„Uff!“ Kim kam auf dem Boden auf, federte mehrere Male ab – der aufgeplusterte Winteranzug wirkte fast wie ein Airbag. Schließlich kam sie zum Stillstand, woraufhin der Anzug automatisch langsam die Luft ausstieß und wieder normal wurde. Kim blieb einige Zeit regungslos auf dem Rücken im Schnee liegen.
Ganz benommen machte Kim langsam die Augen auf und griff sich an den Kopf. Sie fühlte sich ziemlich mitgenommen, aber nicht verletzt. Vorsichtig setzte sie sich auf und blinzelte ein paar mal. Mit ihr schien alles in Ordnung zu sein.
„Ron?“ fragte sie und blickte um sich. Sie sah ihn nicht. Zumindest nicht in ihrer direkten Umgebung.
„Ron?“ rief sie erneut, diesmal etwas lauter – und etwas ängstlicher. Keine Antwort. Kim hob sich vom Boden auf und sah sich erneut um.
„RON?!“


Kapitel 5: Was ist schon perfekt?

An einem unbekannten Ort – so unbekannt und so gut abgesichert, dass nicht einmal Wade von seiner Existenz wusste – saß Dr. Drakken in seinem neuen Geheimversteck an einer riesigen Anlage, die mit Knöpfen, Hebeln und Monitoren gespickt war. Nachdem er mit Hilfe des Fähigkeitstransferators Shegos Fähigkeiten an sich gerissen hatte, hatte er zum ersten Mal in seinem Leben, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Plan. Er konnte auf einmal ein paar Schritte weiter denken als zuvor. Bis dahin wusste er nur, dass er den Fähigkeitstransferator stehlen lassen musste. Doch was er als nächstes tun könnte, und was seine Handlungen zur Konsequenz haben könnten, war vor dem Fähigkeitstransfer für ihn nicht vorstellbar gewesen.
So wurde ihm plötzlich klar, dass der erste Schritt zur erfolgreichen Welteroberung darin bestand, sich ein neues Geheimversteck zu suchen, von dem noch niemand etwas wusste – vor Allem nicht Kim Possible oder Globale Gerechtigkeit. Ihm dämmerte auch, dass er keine Ahnung hatte, was seine restlichen Handlanger für Fähigkeiten besaßen – außer rumlungern, essen und nach der nächsten Gehaltserhöhung oder Urlaub fragen. Nie vorher war ihm in den Sinn gekommen, dass diese sich durchaus als nützlich erweisen könnten – er hätte ja auch früher nicht einmal im Traum daran gedacht, Shego oder seine Crew einmal um Rat für seine bösen Pläne zu fragen. Wie sich herausstellte, waren seine Handlanger zwar tatsächlich komplette Vollidioten und, von ihren Fähigkeiten her, unbrauchbar – einer jedoch pflegte Verbindungen zu diversen Computer- und Technikexperten im Internet. Dadurch war Drakken in der Lage gewesen, das Sicherheitssystem seines alten Verstecks aufzurüsten und auch das neue Geheimversteck entsprechend einzurichten. Natürlich hätte er auch irgendeins dieser Superhirne herbestellen und sich seiner Fähigkeiten bedienen können... doch es war zunächst wichtiger gewesen, möglichst schnell unterzutauchen. Er würde noch früh genug weitere Fähigkeiten an sich reißen können, und er wusste auch schon genau, wo...
Es war alles so einfach! Und das Beste war: Es würde ihm endlich gelingen, Kim Possible ein für alle Mal auszuschalten! Das Blinken einer blauen Lampe, das in diesem Moment einsetzte, verriet Drakken, dass sein Plan erfolgreich war. „Ha! Das ist das Signal!“ freute sich Drakken in schurkenhafter Manier. „Die Explosion ist erfolgt! Kim Possible und ihr Hanswurst sind in die Falle getappt!“ Er rieb sich mit einem boshaften Grinsen die Hände und sprach leiser, eher zu sich selbst, weiter: „Kein Abschiedsgruß an die Teenie-Erzfeindin, keine Möglichkeit zum Entkommen – nichts da mit längst überholter Schurkentradition! Nur eine Ladung Sprengstoff und ein Countdown, ausgelöst durch den Bewegungsmelder im Labor...“
Während Drakken schon seinen Triumph genoss, kauerte Shego an der gegenüberliegenden Wand am Boden, umfasste ihre angezogenen Knie und wippte apathisch vor und zurück. Ihr verängstigter Blick war starr auf den Fähigkeitstransferator gerichtet, der in Drakkens unmittelbarer Nähe lag. Mit zitternder Stimme murmelte sie vor sich hin: „Ich will meine Fähigkeiten zurück! Ich muss irgendwie da rankommen... Aber wie?! Wenn ich mir das Ding einfach nehme... das merkt er doch! Was mach ich nur?! Das macht mich wahnsinnig!“
Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, sich nicht konzentrieren. Die Gewissheit, ihre Fähigkeiten verloren zu haben – an Drakken – und die Unfähigkeit, etwas dagegen unternehmen zu können, ließen sie völlig hilflos werden. Ja, nicht einmal diese Gefühle der Hilflosigkeit konnte sie unterdrücken! Das machte sie auf Dauer wirklich verrückt! Sie konnte nur zusehen, wie er sich ihrer Fähigkeiten, ihrer Ideen, ihrer Vorausplanung bediente...
Jetzt betätigte Drakken einige Schalter an seiner Anlage, blickte erwartungsvoll auf einen der noch ausgeschalteten Monitore und grinste weiter in sich hinein: „Mal sehen, ob sich noch irgendetwas tut...“

Dort, wo einmal Drakkens „Geheimversteck“ in den Bergen war, stieg immer noch Rauch auf. Was vom Inneren des Verstecks noch übrig war, stand lichterloh in Flammen. Irgendwo an einer Bergwand, in sicherer Entfernung vom Explosionsherd, wurde eine versteckte Kamera aktiviert. Sie war so weiß wie der Schnee, der sie umgab – perfekt getarnt. Und da sie bis zu diesem Moment nicht aktiviert gewesen war, hatte Wade sie zuvor auch nicht entdecken können.
Auch Kim bemerkte nichts von der Kamera. Sie war damit beschäftigt, Ron zu finden. Er war scheinbar nicht, wie sie, im Tal gelandet, und auf ihre Rufe hatte er nicht reagiert. Während sie ziellos umherrannte und nach ihm suchte, fing sie an, sich Vorwürfe zu machen. Wieso hatte sie sich nicht zuerst vergewissert, dass er sicher landen kann? Wieso hatte sie nur gesagt „Ron, zieh an der roten Schnur!“ und ihn dann losgelassen? Was, wenn der „Airbag“ in Rons Winteranzug nicht mehr rechtzeitig aufgegangen war? Langsam bekam sie richtig Angst um ihn...
Da ertönte ein Piepsen. Kim erschrak kurz, doch es war nur ihr Kimmunicator-Armband. Sie stellte die Verbindung her, brachte aber vorerst keinen Ton raus. So meldete sich Wade zuerst, sichtlich und hörbar erleichtert: „Kim! Ein Glück, ich dachte schon, ihr hättet es nicht mehr geschafft...“
„Wade,“ fiel Kim ihm ins Wort. „Ich muss Ron finden...“ Sie konnte das Zittern in ihrer Stimme kaum verbergen.
„Oh... auweia... Warte, das haben wir gleich...“ Wade tippte wie verrückt auf seiner Tastatur. Zum Glück hatte Ron immer noch diesen Mikrochip... Im Nu hatte Wade ihn geortet: „Auf 3 Uhr!“
Kim blickte nach rechts und sah erst einmal gar nichts, außer weißem Schnee. Dann wanderte ihr Blick den Hügel hinauf, bis sie einen Schatten bemerkte. Da lag er, auf einem schneebedeckten Felsvorsprung!
„Ron!“ Kim rannte den Hügel hinauf, so schnell sie konnte. Von dort unten im Tal hätte sie Ron so schnell nicht bemerkt, da der Felsvorsprung ihn fast verdeckte. Je weiter sie hinauf kam, desto deutlicher rückte er in ihr Sichtfeld. Ron lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht im Schnee, die Arme zur Seite gestreckt. Sein Winteranzug befand sich im Normalzustand – sie konnte nur hoffen, dass dieser sich erst nach dem Aufprall wieder verändert hatte, so wie ihrer!
Kaum war sie bei ihm, ließ Kim sich neben Ron auf die Knie in den Schnee fallen und drehte ihn auf den Rücken, so dass sein Kopf in ihrem Schoß lag. Mit der linken Hand hielt sie Ron fest, mit der rechten strich sie über sein Gesicht. „Ron? Ron, hörst du mich? Sag doch was!“
In dem Moment kroch Rufus aus Rons Hosentasche hervor und gab ein paar gequälte Laute von sich. „Rufus!“ rief Kim erleichtert. Nicht nur, weil Rufus okay war. Denn das bedeutete auch, dass Rons Anzug beim Aufprall gepolstert gewesen sein muss!
Jetzt gab auch Ron ein Lebenszeichen von sich. Mit einem leisen Stöhnen machte er langsam die Augen auf und spuckte etwas Schnee aus: „Igitt, sind das kalte Nacos...“
Kim seufzte und lächelte über diesen Ausspruch. Sie war einfach nur erleichtert, dass ihm nichts passiert war. Nach ein paar Sekunden war Ron wieder voll da. „KP!“ rief er glücklich, richtete sich mit einem Satz auf und fiel Kim um den Hals. Kim konnte gerade so ihr Gleichgewicht halten und erwiderte die Umarmung. So verblieben sie einige Minuten lang, bevor sie aufstanden und sich, Arm in Arm, auf den beschwerlichen Weg zurück zum Auto machten.

Der Abstieg durchs Gebirge dauerte ziemlich lange und war sehr mühsam. Obwohl sie beide unverletzt waren, mussten Kim und Ron sich praktisch die ganze Zeit gegenseitig stützen. Die Explosion und der Aufprall hatten ihnen eben doch ganz schön zugesetzt. Als sie schließlich wieder im Auto saßen, fühlte sich zumindest Kim gleich wieder besser. Sie ließ noch nicht den Motor an, nahm aber über das eingebaute Kimmunicator-System wieder Kontakt zu Wade auf. Dieser drückte gleich noch mal seine Erleichterung aus: „Ich bin ja so froh, dass ihr beide okay seid!“
„Ja, die Winteranzüge haben uns das Leben gerettet,“ erklärte Kim. „Das war richtig vorausschauend von dir, Wade.“
„Ich hätte wohl noch vorausschauender sein sollen,“ meinte Wade daraufhin entschuldigend. „Wenn ich gewusst hätte, dass Drakken euch in eine Falle locken wollte, hätte ich euch nie dort hingeschickt!“
„Das alles sieht Drakken doch so was von gar nicht ähnlich...“ sagte Kim nachdenklich.
„Allerdings!“ stimmte Wade zu. „Nicht nur, dass er sich, entgegen der Schurkentradition, nicht vor der Explosion selbst zu Wort gemeldet hat. Auch die Art, wie er sein Sicherheitssystem aufgerüstet hat! Ich hätte die Bombe nicht bemerkt, bevor der Countdown losgegangen ist. Offensichtlich wurde dieser durch einen Bewegungsmelder in Drakkens Labor ausgelöst. Als ihr in der Tür gestanden seid, war alles noch in Ordnung. Aber als Ron dann auf die Bombe zuging...“
„Ach, jetzt war’s also meine Schuld, wie?“ rief Ron empört dazwischen.
„Ron, das hat doch keiner gesagt...“ versuchte Kim, ihn zu beruhigen. „Wenn ich vorausgegangen wäre, wäre der Countdown auch aktiviert worden. Oder, Wade?“
„Ganz genau,“ bestätigte er.
Nach einer Weile meinte Kim: „Drakken denkt bestimmt, die Explosion hätte uns erwischt. Ich frag mich wirklich, was er jetzt vorhat...“
„Was das angeht...“ Wade tippte etwas auf seiner Tastatur. „Ich habe tatsächlich wieder eine Spur zu Drakken!“
„Wirklich? Schieß los!“
„Heute Abend findet in einem Fünf-Sterne-Hotel in Vancouver, Kanada eine Erfinderparty statt. Das ganze nennt sich ‚Innovationsparty’. Diese ist nur für geladene Gäste, die auch ein Zimmer für die Nacht in dem Hotel reserviert haben. Ich konnte mich ins System des Hotels hacken und einen Blick auf die Gästeliste werfen. Und was glaubt ihr, wer auf dieser Liste steht? Ein Dr. Slipky und eine Ms. Oghes – natürlich Anagramme für Lipsky...“
„...und Shego!“ beendete Kim den Satz für ihn.
„Drakken und Shego auf einer Erfinderparty?“ fragte Ron verwundert. „Was haben die denn bitte erfunden? Die klauen doch nur immer irgendwelche Erfindungen...“
„Vermutlich wollen sie dort auch nur wieder welche klauen,“ meinte Kim trocken.
„Oder die Fähigkeiten der dort anwesenden Erfinder an sich reißen,“ schlug Wade vor.
„Könnte sein...“ erwiderte Kim. „Aber schon komisch, dass sie sich die Mühe gemacht haben, auf die Gästeliste zu kommen. Sie hätten ja auch einfach dort einbrechen können, wie sonst auch...“
„Vielleicht wollen sie erst die Gäste infiltrieren, um herauszufinden, welche Fähigkeiten am brauchbarsten sind,“ sagte Wade.
Kim wurde immer nachdenklicher: „Das gefällt mir gar nicht. Erst ist Drakken wie vom Erdboden verschluckt, und dann ist es auf einmal wieder so leicht, ihn aufzuspüren. Könnte das noch eine Falle sein?“
„Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich,“ antwortete Wade. „Wie du schon sagtest, er denkt sicher, die Explosion hat ihren Zweck erfüllt.“
„Na gut, es gibt nur eine Möglichkeit, das nachzuprüfen,“ meinte Kim. „Wir fahren so schnell wie möglich nach Kanada! Wann fängt die Party an?“
„22 Uhr Ortszeit.“
„Das müssten wir schaffen. Wenn Drakken und Shego auf die Gästeliste kommen, dann wir doch sicher auch – nicht wahr, Wade?“
„Ich werd sehn, was ich tun kann...“
„Bittedankeschön! Wir hörn uns später!“ Kim beendete die Verbindung und startete den Motor.
Jetzt meldete sich Ron wieder zu Wort: „Ich kapier immer noch nicht, wie Drakken und Shego auf die Gästeliste gekommen sind...“
„Keine Ahnung. Vielleicht haben sie ja einfach ein Hotelzimmer reserviert...“
Ron verzog das Gesicht: „Drakken und Shego...?! Krasskrank!“
Kim versuchte, den Kommentar zu ignorieren. Mit den Worten „Auf nach Kanada!“ trat sie aufs Gaspedal.

Da die Sonne schon fast unterging, als sie aufbrachen, und der Weg nach Vancouver weit war, fuhr Kim mit Raketenantrieb auf Höchstgeschwindigkeit, mit vollster Konzentration. Sie ließ das Auto sogar einige Male in die Luft abheben, um schneller voranzukommen. Trotzdem dauerte es einige Stunden, bis sie die kanadische Grenze erreichten, und erst dort stellte Kim den Raketenantrieb wieder ab. Nach Vancouver war es nur mehr etwa eine halbe Stunde Fahrt. Kim war nach der anstrengenden, rasanten Reise zwar schon beinahe an der Schwelle zur Fahrunfähigkeit, doch sie dachte nicht daran, eine Pause einzulegen, ehe sie nicht am Ziel waren. Allerdings war da etwas, das ihre Aufmerksamkeit für Bruchteile von Sekunden von der Straße ablenkte. Und als sie nach einiger Zeit einen kurzen Blick aus den Augenwinkeln nach rechts riskierte, wusste sie, was es war.
Es war Ron. Er hatte die ganze Fahrt wieder schweigend auf dem Beifahrersitz verbracht. Natürlich hatte er Kim nicht ablenken wollen, während sie mit Raketengeschwindigkeit fuhr. Und auch jetzt bei normaler Geschwindigkeit wagte er es nicht, sie anzusprechen. Allerdings hatte er, seit sie die kanadische Grenze passiert hatten, sie ununterbrochen mit einem nachdenklichen Blick angesehen. Irgendetwas lag ihm auf der Seele, und Kim war sich zu 99 Prozent sicher, dass es etwas mit dem zu tun hatte, worüber sie schon am frühen Nachmittag mit ihm hätte reden wollen. Trotzdem blickte sie erst mal nur kurz zur Seite und fragte vorsichtig: „Was ist denn los, Ron?“
Ron verzog keine Miene und richtete in ernstem Tonfall eine Gegenfrage an sie: „KP, wie machst du das nur?“
„Wie mach ich was nur?“
„Na, dass du immer sofort total konzentriert bist. Es ist, als hättest du irgendwo einen Schalter, den du einfach umlegst, wenn was ansteht.“
Kim zögerte kurz. „Was soll ich sagen, Ron? Wenn was ansteht, muss ich konzentriert sein.“
„Ja, aber...“ Er seufzte. „Wir hätten vorhin draufgehen können! Das geht mir einfach nicht in den Kopf rein, wie du nach so was noch voll bei der Sache sein kannst.“
„Tja, du weißt doch... ‚Ich kann einfach alles’.“
Daraufhin traten wieder einige Sekunden des Schweigens ein, in denen Kim überlegte, ob das wirklich alles war, was ihm durch den Kopf ging. Auch Ron überlegte... Er kauerte verunsichert in seinem Sitz, sein Blick flatterte hin und her. Schließlich sprach er doch weiter: „Und dann ist da noch was, KP...“
„Ja?“ Sie sah ihn wieder kurz an, mit erwartungsvollem Blick.
„Wegen... gestern Abend...“ begann er zögernd. „...als wir ...als wir allein daheim waren ...bei mir ...auf der Couch, also das ...das war doch echt schön. Und dann ...dann hat Wade angepiepst, und du warst sofort...“
Kim seufzte und meinte: „Ron, ich... ich weiß, was du meinst. Und ich weiß, dass dich das beschäftigt. Ich wollte auch mal mit dir drüber reden, wenn wir Zeit haben, aber...“
„Wenn wir Zeit haben!“ fiel Ron ihr mit besorgtem Tonfall ins Wort. „Genau das ist es nämlich! Wir haben nie Zeit, weil jederzeit irgendwas anstehen könnte, und dann müssen wir sofort los, und du bist sofort wieder auf Mission eingestellt, und ich... ich nun mal nicht.“ Irgendwie hatte er das Gefühl, dass mal wieder zuviel aus ihm rausgesprudelt war, und dass Kim sich aufregen könnte.
„Ron, du übertreibst mal wieder...“ sagte Kim, eigentlich ganz ruhig. „Irgendwann können wir sicher drüber reden – vielleicht nicht gerade jetzt. Und wir haben doch auch noch soviel Zeit...“
„Aber gestern Abend...“ unterbrach Ron wieder, diesmal in sehr enttäuschtem Tonfall. „Wir waren allein... Es wäre einfach perfekt gewesen...“
Kim warf ihm einen kurzen, mitfühlenden Blick zu, als sie merkte, wie er den Kopf hängen ließ, und meinte: „Ach, Ron... was ist schon perfekt?“
Daraufhin hob Ron den Kopf wieder, sah sie direkt an und erwiderte ernst: „Na, du zum Beispiel, Kim. Du bist perfekt.“
Diesmal konnte Kim nicht anders, als ihn länger anzuschauen und zu lächeln: „Och, das ist einfach süß von dir!“
„KP, ich mein das ernst!“ betonte Ron. „Du bist einfach perfekt in jeder Hinsicht und du kannst wirklich alles. Und wenn ich auch nur halb so perfekt wäre wie du, würd ich mir wahrscheinlich auch nicht immer so viele Gedanken machen und wär genauso bei der Sache wie du.“
Sie waren inzwischen nur noch wenige Meilen von Vancouver entfernt. Außer ihnen war gerade niemand auf der Straße. Und wäre Kim nicht so berührt von dem gewesen, was Ron ihr gerade gesagt hatte, und wäre sie nicht schon stundenlang mit dem Auto gefahren, hätte sie sicher die messerscharfen Metallspitzen bemerkt, die wenige Meter vor ihnen plötzlich aus dem Asphalt ragten...
Kaum wandte Kim den Blick wieder der Straße zu, tat es einen lauten Knall, und der Wagen geriet ins Schleudern. Wie auf Reflex trat Kim voll auf die Bremse und packte das Lenkrad, versuchte das Auto auf der Fahrbahn zu halten. Doch sie verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und kam von der Straße ab. Ron schrie schon vor Panik und hielt sich die Arme schützend vors Gesicht. Kim zog die Handbremse an, biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu. In Gedanken sah sie schon, wie sie gegen einen Baum knallten. Doch allmählich wurde das Auto langsamer, hörte auf zu schaukeln, und schließlich kamen sie zum Stillstand – ohne irgendwo gegen zu donnern. Ron hörte auf zu schreien, nahm langsam die Hände vom Gesicht, und auch Kim machte die Augen wieder auf. Sie seufzte erleichtert, als sie merkte, dass das Auto nicht umgekippt war, und ihnen auch sonst scheinbar nichts passiert war – mal abgesehen von den kaputten Reifen.
Allerdings starrte Kim nun Ron wütend an und keifte: „Ron, wenn du mir das nächste Mal sagst, dass ich perfekt bin und alles kann – dann bitte nicht, wenn ich Auto fahre!!“
Ron schluckte.

Nach ein paar Sekunden – die Ron wie eine halbe Ewigkeit vorkamen – hatte sich der erste Schock gelegt. Nun wurde Kim erst richtig klar, was sie gerade gesagt hatte. Eigentlich war sie gar nicht wütend auf Ron, sondern eher auf sich selbst. Sie hätte auf die Straße achten sollen! Sie hätte sich nicht so aus dem Konzept bringen lassen dürfen! Und wahrscheinlich wäre es wirklich besser gewesen, wenn sie auch nur einmal eine kurze Pause eingelegt hätte. Doch sie hatte – wie bei jeder Mission – nur daran gedacht, möglichst schnell vor Ort zu sein, und dabei völlig vergessen, dass ihre Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit auch nicht unbegrenzt waren. Beschämt wandte sie den Kopf zur anderen Seite und seufzte: „Oh, Ron, es tut mir leid! Ich wollte dich nicht anschreien!“
Ron, der noch immer etwas verängstigt war nach Kims Wutausbruch, lehnte sich vorsichtig nach vorne und meinte zögernd: „Schon gut, KP. Ich weiß, es war meine Schuld. Ich hätte dich nicht ablenken...“
„Nein,“ unterbrach Kim und sah ihn wieder an, jetzt mit einem ganz und gar reumütigen Gesichtausdruck. „Es war meine Schuld. Schließlich hab ich die ganze Zeit gewusst, was dich bedrückt, und ich hätte längst mit dir darüber reden sollen. Und außerdem bin ich gefahren.“
Ron wollte noch irgendetwas dazu sagen, aber in dem Moment legte Kim beruhigend ihre Hand auf seine Schulter und betonte noch mal: „Also, es war nicht deine Schuld.“
Das entlockte Ron ein kleines unsicheres Lächeln, welches Kim erwiderte. Dann zog sie ihre Hand zurück und meinte: „Ich seh mal nach, was passiert ist.“
Damit schnallte sie sich ab, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Sie waren etwa eine halbe Meile von der Straße entfernt in einer Wiese zum Stillstand gekommen, nahe eines Waldes. Es war schon ziemlich dunkel geworden, aber die Lichter von Vancouver leuchteten in nicht allzu weiter Ferne. Kim ging eine Runde um das Auto und sah sich den Schaden genau an. Lediglich die vier Reifen waren geplatzt, doch ansonsten schien alles in Ordnung zu sein. Allerdings wusste sie, dass sie keine vier Ersatzreifen dabei hatten. Kim nahm wieder im Fahrersitz Platz und kontaktierte Wade über das Kimmunicator-System: „Wade, das Auto hat nicht zufällig eine Selbstreparaturfunktion, oder?“
Wade schaute kurz überrascht drein und antwortete: „Äh... nein. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Da müsstest du wohl deine Brüder fragen, aber ich denke nicht. Wieso?“
„Das... ist ’ne komische Geschichte,“ begann Kim zögernd. „Es sieht so aus, als hätte man uns noch eine zweite Falle gestellt. Und ich bin voll reingerast. Die Reifen sind zerfetzt, alle vier.“
„Das gibt’s doch nicht!“ rief Wade entsetzt. „Was ist passiert?“
„Ich hab einen Moment nicht auf die Straße geschaut...“ erzählte Kim wahrheitsgemäß. „Und dann, kurz vor Vancouver, lag wohl irgendwas auf der Straße, ich bin drübergefahren, hab die Kontrolle über das Auto verloren, und schon waren wir im Straßengraben.“
„Oje... und, seid ihr okay?“
„Ich denke schon,“ antwortete Kim und warf einen Blick auf Ron. „Oder, Ron?“ Ihr wurde erst jetzt bewusst, dass sie ihn gar nicht danach gefragt hatte.
Ron wurde wieder aus seinen Gedanken gerissen: „Äh, was? Ja, ich bin okay.“
„Gut,“ meinte Wade erleichtert. „Ich sorge dafür, dass sich jemand um euer Auto kümmert. Könnt ihr noch mal an die Stelle zurückgehen, wo ihr von der Straße abgekommen seid? Dann kann ich mir das auch mal genauer ansehen.“
„In Ordnung, Wade. Bis gleich.“ Damit beendete sie die Verbindung, sie und Ron stiegen aus und machten sich auf den Weg zurück zur Straße.


Kapitel 6: Eine Nacht in Vancouver

Es war nicht gerade leicht, die Stelle wiederzufinden, an der sie von der Straße abgekommen waren. Zum Einen, weil Kim nicht einmal gesehen hatte, über was sie drübergefahren war, und daher nicht genau wusste, wonach sie suchen sollte. Zum Anderen, weil inzwischen etwas mehr Autos unterwegs waren als vorher. Möglicherweise waren nun noch einige Hotelgäste von auswärts unterwegs, da bereits in einer halben Stunde die Innovationsparty beginnen würde. Kim und Ron gingen in sicherer Entfernung langsam am Straßenrand entlang in die Richtung, aus der sie mit dem Auto gekommen waren, und versuchten dabei, nichts zu übersehen. Sie hatten bestimmt schon eine Meile zurückgelegt. Kim dachte schon fast, sie hätten die Stelle verpasst, aber dann blieb sie mit einem Ruck stehen und deutete Ron, dasselbe zu tun. Da war etwas seltsames auf dem Asphalt, etwas, das scheinbar nicht schon immer dort war. Ron schaute neugierig über Kims Schulter und fragte: „Was gefunden, KP?“
„Möglicherweise...“ Sie griff in die Seitentasche ihres Missionsoutfits und zog einen Gegenstand heraus, den sie Ron in die Hand drückte, mit den Worten: „Stell du mal das Warndreieck da hinten auf, damit ich mir das näher ansehen kann, ohne überrollt zu werden.“
„Öh, okay...“ antwortete er leicht verwirrt und betrachtete erstaunt das zusammengeklappte Warndreieck, noch während er weiter die Straße entlangging.
Kim sah ihm mit einem amüsierten Lächeln nach und schüttelte den Kopf. Als sie sicher war, dass er sich seiner Aufgabe wieder bewusst wurde, betrat sie die Straße und ging in die Hocke, um das, was sie gesehen hatte, unter die Lupe zu nehmen. Da war eine schmale schwarze Platte, die in der Länge allerdings fast die gesamte Breite der Fahrspur einnahm und sich farblich kaum vom Asphalt abhob. Kim runzelte kurz die Stirn und nahm über ihr Kimmunicator-Armband Kontakt zu Wade auf: „Wade, ich glaub, ich hab hier was gefunden. Sieh dir das mal an.“
Sie hielt das Armband so, dass Wade die seltsame Platte sehen konnte. „Hm, sieht eigenartig aus...“ meinte dieser nachdenklich. „Lass mich das mal einscannen.“
Ein rötlicher Strahl trat aus der Seite des Kimmunicator-Armbandes aus, als Kim ihren Arm mit etwas Abstand an der Platte entlangbewegte. Der Strahl verschwand wieder, und Wade tippte etwas auf seiner Tastatur. „Darunter ist etwas...“ sagte er schließlich. „Und zwar eine Reihe scharfer Metallspitzen, die durch einen Mechanismus aus- und eingefahren werden können. Ziemlich ausgeklügeltes System... Scheinbar ist es ferngesteuert und mit einem Überwachungssystem verbunden.“
„Überwachungssystem, wie?“ wiederholte Kim nachdenklich und blickte zur Seite. Am Straßenrand, genau auf Höhe der Platte, befand sich ein ziemlich dichtes Farngewächs. Gerade als Kim sich erhob, um das Gewächs genauer anzusehen, kam Ron wieder zurück – und wäre beinahe draufgetreten, hätte Kim ihn nicht mit einem Handzeichen dazu gebracht, stehen zu bleiben. Kim beugte sich runter zu dem Gewächs, und Ron tat es ihr nach. Dann zog Kim das Gewächs zur Seite und enthüllte eine kleine grüne Kamera.
„Was hältst du davon, Wade?“ fragte Kim in ihr Kimmunicator-Armband und hielt dieses so, dass Wade die Kamera sehen konnte.
„Genau wie ich vermutet hatte!“ erwiderte Wade. „Leider ist die Kamera jetzt nicht mehr aktiviert, ich kann also nicht zurückverfolgen, von wo sie gesteuert wurde.“
„Zu schade,“ meinte Kim. „Da ist jemand äußerst raffiniert geworden...“ Damit standen sie und Ron wieder auf und machten sich auf den Weg zurück zum Auto. Unterwegs fügte Kim noch hinzu: „Eins ist damit klar: Drakken muss irgendwie mitgekriegt haben, dass wir bei der Explosion davongekommen sind.“
„Vielleicht hatte er dort auch eine Kamera versteckt, die er erst nach der Explosion durch Fernsteuerung aktiviert hat,“ schlug Wade vor. „Das hätte ich überprüfen sollen...“
„Wer hätte das denn ahnen können?“ erwiderte Kim. „Drakken hat wohl schon so einige Fähigkeiten gestohlen...“
„Ihr solltet wohl auf das Schlimmste gefasst sein,“ meinte Wade. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Übrigens, es sollte jeden Moment ein Abschleppwagen kommen, um dein Auto in eine Werkstatt zu bringen.“
„Sehr gut! Und wie sieht’s aus mit der Innovationsparty?“
„Ihr seid auf der Gästeliste!“ antwortete Wade und fügte zögernd hinzu: „Na ja, natürlich nicht mit euren echten Namen. Und es war nicht ganz so einfach...“
„Wie, nicht ganz einfach?“
„Nun ja, die Gästeliste war schon voll, da das Hotel heute Abend komplett ausgebucht ist. Deshalb konnte ich keine weiteren Namen mehr hinzufügen, als ich mich ins System gehackt hatte. Ich dachte schon, ich müsste irgendjemand anderen von der Liste werfen. Aber da ich schon mal im System war, konnte ich auch e-Mails an das Hotel abfangen. Zwei Gäste wollten vor ein paar Stunden noch kurzfristig absagen. Also werdet ihr ganz einfach unter deren Namen auf die Party gehen.“
„Klingt gut, Wade. Dann bereiten wir uns gleich mal für die Party vor. Ich meld mich dann wieder, wenn wir beim Hotel sind.“ Damit beendete sie die Verbindung.
„Haben wir überhaupt passende Klamotten dabei?“ fragte Ron sie dann.
„Im Auto sind bestimmt noch ein paar Sachen für Undercover-Aktionen,“ antwortete sie.
Als sie kurz darauf wieder beim Auto ankamen, sah Kim gleich nach, was sie noch alles im Gepäck hatten. Tatsächlich fand sie neben den Wintersachen noch einige andere Outfits, außerdem verschiedene Handtaschen, ein paar Perücken und sogar einen falschen Bart. Unter einem der Rücksitze befand sich auch noch ein kleiner Koffer mit Zahlenschloss, in den sie einfach alles einpackte, was sie dabei hatten. Schließlich wollte sie die Sachen auch nicht unbedingt in der Werkstatt zurücklassen.
„Am besten ziehen wir uns jetzt schon um, damit wir uns gleich beim Hotel absetzen lassen können,“ meinte Kim, als sie die Sachen verstaut hatte, und ging mit dem Koffer in der Hand auf den nahegelegenen Waldrand zu.
„Alles klar, KP!“ sagte Ron gut gelaunt und folgte ihr. Jedenfalls bis Kim kurz davor war, im Gebüsch zu verschwinden und sich noch mal mit fragendem Blick zu ihm umdrehte.
„Äh, Ron... Aufpassen, dass niemand kommt – wie wär’s damit?“
Ron blinzelte kurz mit verwirrtem Gesichtsausdruck, dann kam die Botschaft an: „Ah, ja, richtig. Sorry, KP.“ Leicht verlegen drehte er ihr den Rücken zu und pfiff vor sich hin, während Kim sich umzog. Kurze Zeit später kam Kim in einem schulterfreien hellvioletten Abendkleid mit waagrechtem Carmenausschnitt, der auch ihre Oberarme ein wenig bedeckte, wieder hervor. Unten war das Kleid schräg geschnitten, so dass es ihr auf einer Seite fast bis zu den Knöcheln und auf der anderen knapp bis zum Knie reichte. Dazu trug sie farblich passende Schuhe, eine einfache Kette mit einem hellblauen Stein, eine passende Handtasche und eine schwarze Perücke, in die eine Hochsteckfrisur eingearbeitet war. Nun war Ron an der Reihe, und Kim stand Wache. Sie blickte von einer Seite auf die andere und behielt dabei immer die vorbeifahrenden Autos auf der entfernten Straße im Auge. Nach einer Weile rief sie: „Ron, beeil dich ein bisschen! Ich glaub, da kommt gerade der Abschleppwagen.“
„Bin so gut wie fertig, KP!“ antwortete Ron hastig und tauchte im nächsten Moment in einem gerade so gesellschaftsfähigen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und roter Fliege neben ihr auf. Er war gerade dabei gewesen, den falschen Bart aufzusetzen, der ein bisschen dunkler als seine blonden Haare war. Allerdings verrutschte der Bart auf einer Seite wieder, sobald er ihn losließ. Kim half ihm noch, den Bart zu fixieren, nahm dann den Koffer, und sie kehrten zum Auto zurück, wo ihnen der Mann vom Abschleppdienst auch schon bald entgegen kam.

Um genau 22 Uhr hielt der Abschleppwagen, der Kims Auto aufgeladen hatte, vor dem etwa fünfzehn Stockwerke hohen Hotel. Kim und Ron, die als Beifahrer im Fahrerhaus saßen, blickten erstaunt aus dem Fenster. Während Ron regelrecht am Fenster klebte, wandte Kim sich gleich an den Fahrer: „Danke noch mal, dass Sie uns beim Hotel absetzen, Mr. Leary.“
„Das ist doch überhaupt kein Problem, Miss Possible,“ antwortete der hagere Mann mit dem hellbraunen schütteren Haar und Schnauzbart. „Schließlich waren Sie es, die unsere Nation damals vor dem wahnsinnigen Dr. Drakken gerettet hat.“
Wie immer erwiderte Kim: „Keine große Sache!“ Nach einer kurzen Pause fragte sie: „Wann, denken Sie, wird das Auto fertig sein?“
„Ich liefere Ihren Wagen eine Straße weiter bei Wheeley’s Werkstatt ab. Der gute Mr. Wheeley wird sich bestimmt gleich morgen früh darum kümmern.“
Kim war fast ein wenig entsetzt, als sie nachfragte: „Erst morgen früh?“
Auch Ron drehte sich nun erschrocken um und meinte eingeschnappt: „Hat dieser Mr. Wheeley vielleicht vergessen, dass wir seine Nation gerettet haben?!“
Kim blickte kurz von Ron zu Mr. Leary und lächelte diesen entschuldigend an.
„Nun, das ist inzwischen doch über zwei Jahre her, und Mr. Wheeley kam erst letztes Jahr nach Kanada,“ erklärte Mr. Leary vorsichtig und fügte dann hinzu: „Aber vielleicht kann ich doch ein gutes Wort für Sie einlegen.“
„Jedenfalls vielen Dank,“ sagte Kim, bevor sie und Ron ausstiegen und Mr. Leary weiterfuhr.
Ron schüttelte wieder ungläubig den Kopf und meinte: „Und daran, dass wir die Welt mehrfach gerettet haben, erinnert sich dieser Mr. Wheeley wohl auch nicht mehr...?“
„Jetzt lass gut sein, Ron,“ beruhigte Kim ihn. „Wir sollten lieber zusehen, dass wir auf die Party kommen, um Drakken und Shego zu erwischen.“ Damit drückte sie einen Knopf auf ihrem Kimmunicator-Armband, um Wade wieder zu kontaktieren: „Wade, wir sind jetzt beim Hotel. Wie lauten unsere Namen für die Party?“
Wade, der inzwischen schon seinen Pyjama trug, antwortete: „Mr. und Mrs. Brinestoop.“
Kim verzog nur kurz das Gesicht und meinte trocken: „Was ein Name...“
Ron bekam währenddessen große Augen und stammelte: „Äh, Sekunde mal... Heißt das, wir... wir sind... verheiratet?!“
„Das macht euch doch nichts aus, oder?“ fragte Wade und erklärte gleich: „Wie gesagt, anders hätte ich euch nicht mehr auf die Gästeliste bekommen können, weil diese mit den Reservierungen im Hotel einhergeht. So müsst ihr auch nicht mal für das Zimmer bezahlen, weil aus der Datenbank des Hotels und aus der Mail, die ich vorhin abgefangen habe, hervorging, dass die Brinestoops im Voraus bezahlt haben. Und das Hotel hätte den Betrag nur zurückerstattet, wenn die Absage mindestens 24 Stunden vorher eingegangen wäre.“
„Reiche Leute, nehm ich an. Denen macht das wohl nichts aus,“ meinte Kim dazu nur. „Okay, dann gehen wir jetzt rein.“ Damit beendete sie das Gespräch und packte das Kimmunicator-Armband in ihre Handtasche, da es zu dem Kleid zu auffällig aussehen könnte. Als sie zu Ron aufblickte, merkte sie, dass er immer noch ziemlich verdutzt drein sah. Deshalb fragte sie ihn leicht besorgt: „Stimmt was nicht, Ron?“
„Nein, nein, alles okay!“ antwortete Ron, doch es gelang ihm kaum, die Nervosität in seiner Stimme zu verbergen. „Ich meine, da ist ja nichts dabei... Immerhin... sind wir ja ein Paar, nicht wahr? Da nimmt man uns auch sicher ab, dass wir... na ja...“
„...verheiratet sind?“ beendete Kim den Satz für ihn. Dann legte sie ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und fügte hinzu: „Ganz locker, Ron. Das ist nur eine Undercover-Aktion. Du weißt schon: Nur solange, bis wir Drakken und Shego gefunden haben.“
Ron atmete einmal tief durch und lächelte. Dann fiel ihm aber ein: „Aber wir haben doch nicht mal Ringe...?“ Damit deutete er fragend auf seine Hand.
Kim zog ihre Hand zurück und betrachtete sie kurz, dann aber meinte sie mit einem Schulterzucken: „Das merkt keiner. Wir lassen uns einfach nicht auf die Finger schauen.“
„Hey! Wir könnten doch diese Magno-Ringe anziehen!“ grinste Ron daraufhin.
Kim schüttelte stirnrunzelnd den Kopf und antwortete: „Ganz schlechte Idee!“ Bald lächelte sie wieder und hielt Ron ihren Arm entgegen, mit den Worten: „Lass uns lieber mal reingehen, ...Mr. Brinestoop.“
Nun lächelte Ron ebenfalls, bot Kim seinen Arm an, so dass sie sich einhaken konnte, und erwiderte: „Aber gerne, ...Mrs. Brinestoop.“
Arm in Arm marschierten sie auf die gläserne Eingangstür des Hotels zu.

Kaum hatten sie die Lobby betreten, bot sich ihnen ein beeindruckender Anblick. Die enorme Größe der Eingangshalle, die edle Einrichtung, die Verzierungen an den Wänden, sowie die zahlreichen Kronleuchter an der hohen Decke vermittelten unfassbaren Luxus. Eine Zeitlang konnte Ron nichts als leise, quietschende Geräusche von sich geben. Kim entdeckte währenddessen die Rezeption am anderen Ende der Halle und unweit davon den Eingang zu einem Ballsaal, vor dem ein großer, muskulöser Mann im Anzug und mit Sonnenbrille stand. Vermutlich sorgte er dafür, dass wirklich nur Partygäste den Saal betraten. Kim rempelte Ron unauffällig an, um ihn aus seinem Erstaunen aufzuwecken und flüsterte ihm zu: „Ron, ich denke, wir sollten einchecken... Äh, hallo, Ron?“
Als dieser immer noch keinen Ton rausbrachte, zerrte Kim nur einmal kräftig an Rons Arm, um ihn dazu zu bringen, zusammen mit ihr ans Ende der Halle zu gehen. Dort angekommen räusperte sich Kim leise und sprach die Dame an der Rezeption an: „Äh, guten Abend. Wir ...haben eine Reservierung. Der Name lautet Brinestoop.“
Die elegant gekleidete Frau mit der Brille und den dunkelbraunen, hochgesteckten Haaren gab den Namen in ihren Computer ein und betrachtete nachdenklich den Bildschirm. Für einen kurzen Moment befürchtete Kim, dass irgendetwas schiefgegangen sein könnte. Doch sie wusste, dass auf Wade immer Verlass war, und bald reagierte die Dame positiv: „Ah, Mr. und Mrs. Brinestoop, da haben wir’s. Die Party hat bereits begonnen, doch seien Sie unbesorgt: Sie sind nicht die letzten Gäste, die erscheinen.“
Sie drehte sich zu dem Schlüsselregal um, das bis auf zwei Fächer völlig leer war. Aus einem dieser zwei Fächer holte sie ein Stück Papier und zwei Schlüssel hervor. Das Stück Papier legte sie auf den Tisch, wechselte kurz einen leicht irritierten Blick zwischen Kim und Ron und deutete schließlich auf eine leere Zeile am unteren Rand des Formulars: „Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden...“
Kim stellte nur den kleinen Koffer, den sie noch in der freien Hand trug, auf dem Boden ab, und leistete dann ohne zu zögern eine Unterschrift – natürlich mit dem Namen „Brinestoop“. Daraufhin überreichte ihr die Dame einen der beiden Schlüssel, behielt den anderen mit fragendem Blick in ihrer Handfläche und schlug vor: „Wenn Sie dies wünschen, lasse ich Ihr Gepäck auf Ihr Zimmer bringen, damit Sie sich gleich auf die Party begeben können.“
Kim steckte den Schlüssel, den sie bekommen hatte, in ihre Handtasche ein, blickte kurz auf den kleinen Koffer zu ihren Füßen und meinte dann zögernd: „Äh, sicher. Vielen Dank.“
Die Dame lächelte kurz, läutete eine Klingel und sagte noch: „Viel Vergnügen!“
Während sich ein Hotelangestellter um den Koffer kümmerte, bewegten Kim und Ron sich langsam auf den Ballsaal zu. Vor dem Eingang blieben sie noch einmal kurz verunsichert stehen, doch der Mann trat sofort zur Seite und deutete ihnen, hineinzugehen.
Der große, helle Ballsaal machte einen nicht minder luxuriösen Eindruck. Ganz in der Nähe des Eingangs spielte eine Band klassische Musik zum Tanzen. Hinter der Band befand sich eine kleine Bühne, über der ein Banner mit der Aufschrift „Innovationsparty“ hing. Ein paar wenige Gäste tanzten vor der Bühne, viele saßen an den weiter entfernten Tischen und unterhielten sich, und andere standen in der Mitte des Saals, wo ein großes Büffet aufgefahren war. Dieser Anblick erweckte Ron endlich aus seiner Überwältigung und zog ihn gleich in seinen Bann. „Uh, was ein riesiges Büffet!“ grinste er fröhlich und brachte Kim gleich dazu, sich mit ihm dort hinzubegeben.
Während Ron beim Büffet kräftig zulangte und mehr oder weniger unauffällig auch Rufus ein paar Häppchen zukommen ließ, blieb Kim in seiner Nähe stehen und blickte sich im ganzen Saal genau um. Nach einer Weile stellte sie nachdenklich fest. „Hm, da stimmt doch was nicht!“ Sie holte das Kimmunicator-Armband aus ihrer Handtasche hervor und hielt es unauffällig in der Hand, während sie leise hineinsprach: „Wade, es ist niemand hier, der Drakken und Shego auch nur ähnlich sieht. Irgendwie hab ich langsam das Gefühl, das ganze war nur ein Ablenkungsmanöver.“
„Vielleicht tauchen sie ja erst später auf,“ meinte Wade. „Aber merkwürdig ist das schon...“
„Wenn das ein Ablenkungsmanöver war, dann jedenfalls ein sehr cleveres,“ erwiderte Kim. „So wie’s aussieht, sitzen wir jetzt hier fest, weil das Auto erst morgen früh repariert wird.“
„Und wir haben wieder mal keine Ahnung, wo Drakken wirklich ist,“ fügte Wade hinzu. „Ich könnte natürlich trotzdem eine Mitfahrgelegenheit für euch suchen... Allerdings haben sich eure früheren Fahrer ziemlich zurückgezogen, seit du dein Auto hast, und nachts sind sie schon gar nicht mehr zu erreichen. Hm, vielleicht kann ja Globale Gerechtigkeit aushelfen...“ Er tippte etwas auf seiner Tastatur und wartete ein paar Sekunden. Doch dann stellte er verwirrt fest: „Komisch... In der Zentrale meldet sich niemand!“
„Vielleicht ist es ja nur eine Störung...“ meinte Kim.
„Kommt mir aber fast wie ein Systemausfall vor,“ antwortete Wade. „Ich werd’s noch ein paar Mal probieren, aber wenn sich dann immer noch niemand meldet, muss ich dort wohl mal nach dem Rechten sehen...“
Ron, der nun wieder an Kims Seite stand, fragte überrascht: „Wie, du meinst persönlich?“
„Extreme Situationen erfordern extreme Maßnahmen,“ grinste Wade. „Ich melde mich auf jeden Fall morgen früh, wenn das Auto fertig ist. Bis dahin weiß ich auch sicher, was bei Globale Gerechtigkeit los ist.“
„Ist gut, Wade. Wir halten hier trotzdem weiter die Augen offen.“ Damit beendete sie die Verbindung, steckte das Armband zurück in ihre Handtasche und seufzte: „Ich kann’s nicht glauben, dass Drakken uns schon wieder reingelegt hat!“
Ron sah sie mit einem leicht besorgten Blick an, dann räusperte er sich kurz und meinte mit einem vorsichtigen Lächeln: „Na ja, ...machen wir doch das Beste draus.“
Kim war überrascht, als er ihr seine Hand entgegenhielt, um sie zum Tanzen aufzufordern. Doch natürlich kam sie seiner Aufforderung gerne nach. Als sie schon eine Weile eng tanzten und einander verliebt ansahen, flüsterte Kim: „Weißt du, woran mich das hier erinnert?“
Verunsichert fragte Ron: „Äh... etwa an das Aktuartreffen, das du so langweilig fandest?“
Kim schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete: „Nein... Ich meine den Abschlussball...“
Ron sah kurz überrascht drein, dann lächelte er ebenfalls: „Oh... ja, stimmt.“ Und wie damals auf dem Ball blieben sie engumschlungen mitten auf der Tanzfläche stehen, sahen einander tief in die Augen und vergaßen für einen Moment alles um sich herum. Langsam schlossen beide ihre Augen, während ihre Lippen sich einander näherten... Doch kurz vor dem Kuss zuckte Kim auf einmal zurück. Ron riss erschrocken die Augen auf und fragte: „Was ist los, KP? Hab ich etwa Mundgeruch oder so was?“
Kim antwortete leicht verlegen: „Nein... Es ist nur... Dein falscher Bart kratzt so...“
„Das brauchst du mir nicht zu sagen,“ erwiderte Ron, „Das Teil juckt nämlich schon seit wir auf der Party sind wie verrückt!“ Damit unterdrückte er nicht länger das Verlangen, sich im Gesicht zu kratzen, und meinte: „Ich glaub fast, ich krieg davon Ausschlag... Ich geh mir das mal ansehen. Bin gleich wieder da!“
Während Ron den Saal verließ, um nach der Toilette zu suchen, besorgte Kim sich ein Glas Wasser und bediente sich ein wenig am Büffet. Ihr Blick wanderte erneut durch den Saal und fand auf der Bühne Halt, wo gerade ein Mann mittleren Alters, der ein Glas Rotwein in einer Hand hielt, ins Mikrofon sprach: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Mein Name ist Dr. Henry Argyle, und ich bin sehr stolz, Ihnen heute Abend als erster eine absolute Weltneuheit vorstellen zu dürfen – eine Innovation für jeden Haushalt! Dazu würde ich gerne jemanden von Ihnen zu mir auf die Bühne bitten...“ Er ließ seinen Blick kurz durch den Saal schweifen und wies schließlich mit ausgestreckter Hand auf niemand geringeren als auf Kim, mit den Worten: „Wie wäre es mit Ihnen? Die reizende Dame in dem schönen violetten Kleid?“
Mit großen Augen und fast erstickter Stimme fragte Kim nach: „Ich?“ Die anderen Gäste fingen schon an zu klatschen, so dass Kim sich praktisch dazu gezwungen sah, auf die Bühne zu schreiten. Nervös blieb sie neben Dr. Argyle stehen und betrachtete das Publikum.
„Meine Damen,“ fuhr Dr. Argyle fort. „Wie oft haben Sie sich schon über scheinbar unlösbare Flecken in Ihren schönsten Kleidern geärgert?“ Damit schüttete er ohne Vorwarnung etwas von seinem Rotwein auf Kims Kleid, worüber diese sehr erschrak. Doch bevor sie etwas sagen konnte, rief Dr. Argyle schon ins Mikrofon: „Keine Sorge, dafür gibt es jetzt den von mir erfundenen Fleckenmagnet!“ Mit der freien Hand zog er eine metallene Scheibe aus seiner Brusttasche. „Dieser zieht sofort, wie ein Magnet, alle Arten von Flecken aus sämtlichen Kleidungsstücken – und sogar aus Ihren Haaren! Bitte verzeihen Sie mir dieses Missgeschick, meine Dame...“ Und schon war der restliche Rotwein in Kims schwarzer Perücke verteilt. Doch Dr. Argyle verzog keine Miene und drückte ihr den „Fleckenmagnet“ in die Hand, mit den Worten: „Probieren Sie es aus! Sie werden verblüfft sein!“
Kim kam sich richtig dumm vor, als sie den „Magnet“ mit entgeistertem Blick an den Rotweinfleck auf ihrem Kleid hielt. Nach ein paar Sekunden nahm sie den „Magnet“ wieder weg – doch der Fleck war noch immer zu sehen. Allgemeine Empörung verbreitete sich im Ballsaal, und Dr. Argyle flüsterte mit beschämtem Blick zur Seite – doch durch das Mikrofon konnte man ihn noch deutlich hören: „Oh, ich hätte ihn vorher auf Rotwein testen sollen...“
Wütend drückte Kim ihm seine Erfindung wieder in die Hand und verließ grummelnd die Bühne: „Toll! Warum wird fast jedes Kleid, das ich anziehe, ruiniert?“
Als sie auf den Eingang zustapfte, kam Ron gerade wieder zurück und fragte erschrocken: „KP, was ist passiert?! Da bin ich nur mal kurz weg, und...“
„Die Party ist vorbei, Ron!“ teilte sie ihm trocken mit, und sie verließen den Ballsaal.

Das Zimmer war im zehnten Stock, Nummer 1024, ganz in der Nähe des Fahrstuhls. Während Kim die Tür aufschloss, zerrte Ron an seinem falschen Bart, mit den Worten: „Jetzt kann ich endlich dieses Ding loswerden!“
„Tolle Erfinder sind mir das!“ lästerte Kim weiter. „Kein Wunder, dass Drakken von denen nicht wirklich was klauen wollte!“
Kim öffnete die Tür, schaltete das Licht an, und während sie beide das Zimmer betraten und die Tür hinter sich zufallen ließen, staunten sie wiederum über den Luxus, der sich ihnen bot. Dieses Hotelzimmer war beinahe so groß wie Kims Dachzimmer und mit den prunkvollsten Möbeln ausgestattet. Direkt rechts von der Tür befand sich das Badezimmer, welches ebenfalls sehr groß zu sein schien und durch eine Tür um die Ecke betreten werden konnte. Der Badezimmertür gegenüber, an der rechten Wand des Zimmers, stand ein großes Bett mit einem Nachtkästchen und einer Leseleuchte an beiden Seiten. An der Wand gegenüber befand sich ein Fernseher auf einer Kommode, und weiter hinten im Raum, in der Nähe des Fensters, gab es noch zwei Sessel mit einem kleinen Tischchen und einen großen Kleiderschrank.
Ron ließ den falschen Bart einfach zu Boden fallen und wanderte nun strahlend durch das Zimmer: „Wow, das nenn ich doch mal Klasse! Ein Riesen-Fernseher, ’ne Minibar...“ Er öffnete das kleine Schränkchen, das sich noch hinter der Kommode mit dem Fernseher verbarg, und staunte: „...mit drei Jumbopackungen Erdnüsse!“
„Hm, Erdnüsse!“ Rufus lugte aufs Stichwort aus Rons Tasche hervor, doch der knallte dem Nager schnell die Tür vor der Nase zu. Dann drehte Ron sich zum Bett um, hielt kurz den Atem an und rief dann freudig aus: „Und... Schokolade auf dem Kopfkissen!“
Kim rollte die Augen über Rons Anflug von kindlicher Begeisterung, ging auf das Bett zu und beschlagnahmte die linke Seite, indem sie ihre Handtasche auf das Nachtkästchen stellte und ihr Kimmunicator-Armband in eine der Schubladen legte. „Wie auch immer,“ kommentierte sie, während sie die vom Rotwein verklebte Perücke abnahm. „Ich spring jetzt mal kurz unter die Dusche. Ich glaub, der Wein ist durch die Perücke in meine Haare durchgesickert...“
Bevor sie das Badezimmer betreten konnte, vernahm sie noch einmal Rons gut gelaunte Stimme: „Hey, KP...“
„Ja?“ fragte Kim, drehte sich lächelnd um und sah, dass Ron sich seines Sakkos entledigt hatte, aufs Bett gehüpft war und sie mit einem erwartungsvollen Grinsen ansah.
„Krieg ich die Schokolade auf deinem Kopfkissen?“ fragte er schließlich.
Kim hörte auf zu lächeln, ließ die Schultern sinken und antwortete in gelangweiltem Tonfall: „Na sicher doch.“ Damit verschwand sie im Badezimmer.
Als Ron beide Schokoladentäfelchen verputzt hatte, riss er auf einmal erstaunt die Augen auf und holte tief Luft. Da wurde ihm klar: „Moment mal... Das hier... Das ist doch... perfekt!“ Im nächsten Moment wurde er jedoch wieder nachdenklich: „Obwohl... irgendwas stimmt nicht so ganz...“ Als er sich noch mal im Zimmer umsah und sein Blick auf einen der beiden Sessel fiel, entdeckte er den Störfaktor: „Rufus!“
Der kleine Nager, der sich gerade in den Sessel gelümmelt hatte, blickte fragend auf, als er seinen Namen hörte. „Hey, Kumpel,“ flüsterte Ron ihm zu. „Würdest du mir einen Gefallen tun? Wenn Kim zurückkommt, ...könntest du dich vielleicht ins Badezimmer verziehen?“
Beleidigt verschränkte der Nacktmull seine Ärmchen und schmollte: „Äh-äh! Nix da!“
Ron überlegte kurz, dann schlug er vor: „Du kannst alle Erdnüsse aus der Minibar haben!“
Sofort quiekte Rufus fröhlich: „Mhm! Okay!“
Daraufhin grinste Ron eine Weile vor sich hin, doch bald begann er wieder, sich Sorgen zu machen: „Oh, aber was red ich da...? Eigentlich sind wir doch noch auf Mission...“
In den nächsten Minuten – die ihm wie Stunden vorkamen – ging Ron nervös im Zimmer auf und ab und versuchte, sich abzulenken. Mal schaltete er den Fernseher ein, mal blickte er aus dem Fenster, dann spielte er mit den Lichtern herum, bis er schließlich nur noch eine der Leseleuchten anließ, später wanderte er wieder auf und ab. Und gerade als er sich wieder ans Ende des Betts setzte und überlegte, noch mal den Fernseher einzuschalten, vernahm er Kims Stimme, die in einem geradezu verträumten Tonfall sagte: „Hey, Ron... Was steht an?“
Ron wandte sich in Richtung Badezimmer und wäre bei dem Anblick fast vom Bett gefallen. Seine Augen weiteten sich und ihm klappte die Kinnlade runter, als er eine verführerisch lächelnde Kim in einem seidenen Hotelbademantel in der Tür stehen sah. Während er noch sprachlos war, flitzte Rufus unbemerkt mit drei Erdnusspackungen im Maul ins Badezimmer und schob langsam die Tür von innen zu. Schließlich brachte Ron stotternd hervor: „K-K-KP! Du, äh... ich, äh... ich meine... Wow!“
Kim ging langsam auf ihn zu und meinte, im selben Tonfall wie zuvor: „Na, du hast doch gesagt, wir sollen das Beste draus machen...“
„Äh, ja... natürlich!“ stammelte Ron nervös. „Aber... aber was... was ist, wenn Wade...?“
Als sie vor ihm stand, legte sie einen Finger auf seinen Mund und flüsterte: „Erst morgen früh...“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher.“ Sie lächelte ihn an, und als Ron ihr Lächeln erwiderte, machte Kim das Licht aus.


Kapitel 7: Böses Erwachen

Das gedämpfte Piepsen des Kimmunicators aus der Nachtkästchenschublade drang bis in Kims Unterbewusstsein vor und weckte sie aus ihren Träumen. Normalerweise wäre sie sofort aufgesprungen, um das Gespräch anzunehmen, doch an diesem Morgen war Kims erster Gedanke, dass sie um nichts auf der Welt jetzt aufstehen wollte. Zum ersten Mal, seit sie es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Welt vor wahnsinnigen Schurken zu retten, empfand sie das Piepsen ihres Kimmunicators als störend. Sie fühlte sich in diesem Bett unbeschreiblich wohl... und als sie beim nächsten Piepsen doch ganz langsam die Augen ein wenig öffnete, wurde ihr auch sofort klar, warum. Direkt neben ihr lag Ron, der noch tief und fest schlief und dabei ein sehr zufriedenes Grinsen auf den Lippen hatte. Dieser Anblick entlockte Kim ebenfalls ein glückliches Lächeln. Sie hätte ihn stundenlang so ansehen können...
Doch da ertönte wieder leise das Piepsen ihres Kimmunicators. Kim wusste nicht, zum wievielten Mal es schon piepste, doch ihr wurde bewusst, dass sie schon längst darauf reagieren hätte sollen. Widerwillig drehte sie sich unter der Bettdecke auf die andere Seite, blieb auf dem Bauch liegen und griff mit der rechten Hand nach dem Nachtkästchen. Sie verfehlte es zweimal, bevor sie schließlich die Schublade aufbekam, ihr Kimmunicator-Armband herausnahm und es mit einem Knopfdruck aktivierte. Schläfrig fragte sie: „Was steht an, Wade?“
„Kim, ich pieps dich schon seit über einer Minute an...“ stellte dieser in leicht aufgebrachtem Tonfall fest. „Sag mal, schläfst du noch?“
Kim waren kurz nach ihrer Frage die Augen wieder zugefallen, doch sie machte sie ruckartig wieder halb auf und erwiderte: „Nein, nein, ich bin wach...“ Allerdings konnte sie in diesem Moment ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken. Um sich weitere Kommentare zu ersparen, fragte sie danach gleich: „Also, ist das Auto fertig?“
„Äh, ja...“ antwortete Wade zögernd. „Aber das sind noch nicht alle Neuigkeiten. Heute Nacht ist nämlich etwas ernstes passiert...“
Kim überkam ein Lächeln beim Gedanken an diese Nacht, und sie äußerte ein verträumtes: „Mhm, ja...“ Doch nicht mal eine Sekunde später kam sie wieder zu sich. „Äh, ich meine... ja, was denn?“ fragte sie nach, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
Wade sah sie kurz verwundert an, bevor er erklärte: „Also, nachdem ich in der Zentrale von Globale Gerechtigkeit einfach niemanden erreichen konnte und festgestellt habe, dass ihr ganzes System ausgefallen war, bin ich so schnell ich konnte dort hin. Ich konnte es selbst nicht glauben, aber jemand ist in die Zentrale eingebrochen, hat das System von innen abgeschaltet und das gesamte Team dort überwältigt – und zwar Drakken!“
„Was?!“ Sofort war Kim wesentlich wacher als zuvor. „Wie hat er das denn gemacht?“
„Das sieht man in den letzten Aufnahmen einer Überwachungskamera...“ antwortete Wade und tippte etwas auf seiner Tastatur. Nun erschien ein Video auf dem Display: Es zeigte innerhalb von etwa zwei Sekunden, wie Drakken bösartig in die Kamera grinste, welche daraufhin von einem grünen Plasmastrahl zerstört wurde – und dieser kam eindeutig aus Drakkens Hand!
Vor Schreck hätte Kim beinahe das Kimmunicator-Armband fallengelassen. „Drakken hat Shegos Fähigkeiten geklaut?! Das gibt’s doch nicht!“ meinte sie entsetzt. „Wieso hab ich daran nicht gedacht? Das war wohl zu offensichtlich...“
„Und jetzt hat er auch die Fähigkeiten vom GG-Team – von allen, die zu der Zeit in der Zentrale waren, inklusive Dr. Director!“ fügte Wade hinzu. „Sie waren alle völlig hilflos, als ich dort ankam...“
Kim setzte sich auf, achtete dabei aber darauf, sich mit der Bettdecke zu verhüllen, und teilte Wade mit: „Du kannst mir den Rest dann im Auto erzählen, Wade. Ich glaub, ich hab da eine Ahnung, wo Drakken noch zuschlagen könnte...“ Damit beendete sie abrupt die Verbindung und warf als erstes einen Blick auf die Uhr, die auf dem Nachtkästchen stand: Es war halb 8. Wie viel Vorsprung mochte Drakken inzwischen schon haben? Dann drehte sie sich nach Ron um. Er war scheinbar immer noch nicht aufgewacht und lächelte weiterhin im Schlaf.
„Ron?“ Keine Reaktion – außer, dass Rons Grinsen noch breiter wurde.
„Ron!“ Sie rüttelte etwas an seinem Arm, doch er war immer noch nicht wach zu kriegen.
„Hase, aufwachen!“ Auch das half nicht.
Nach kurzem Überlegen kam Kim zu dem Schluss, dass es nur zwei todsichere Methoden gab, Ron aufzuwecken. Da sie keine Nacos zur Hand hatte – und darüber auch froh war –, gab sie ihm einfach einen ganz langen Kuss auf die Wange. Und tatsächlich: Kaum entfernten sich ihre Lippen wieder von seinem Gesicht, drehte Ron mit einem leisen Stöhnen den Kopf zur Seite und machte ganz langsam die Augen halb auf. Er strahlte sie an und seufzte in verschlafenem, aber glücklichen Tonfall: „Hach... KP, ich hatte einen wunderschönen Traum...“
Kim lächelte und antwortete vorsichtig: „Hm, also, weißt du, Ron, da hab ich eine gute Nachricht...“ Und mit hauchender Stimme sagte sie: „Das Wunderschöne war kein Traum.“
Nach einer Sekunde riss Ron erstaunt die Augen auf, blinzelte zwei Mal und sah sie überrascht an. Doch kurz darauf strahlte er wieder und äußerte ein leises: „Booyah...“
Kim grinste kurz, doch bald fuhr sie mit ernster Miene fort: „Die schlechte Nachricht ist: Wir müssen sofort los!“
Die Ernüchterung weckte Ron endgültig auf, und sein verträumtes Lächeln wich einem enttäuschten Gesichtsausdruck. „Oh Mann...“ maulte er.
Kim war inzwischen aus dem Bett gesprungen, hatte den Hotelbademantel vom Boden aufgehoben und sich übergezogen und kramte gerade in ihrem kleinen Koffer nach ihren Missionsoutfits. Ron setzte sich ganz langsam auf, rieb sich die Augen und fragte: „Und was ist mit Frühstück im Bett?“
Da warf Kim ihm seine Klamotten entgegen, mit den Worten: „Keine Zeit dafür!“ Dann rannte sie mit ihrem Missionsoutfit unterm Arm in Richtung Badezimmer. „Und vergiss deinen Bart nicht, Mr. Brinestoop! Schließlich müssen wir noch auschecken,“ erinnerte sie ihn noch, bevor sie im Badezimmer verschwand.
Während Ron noch versuchte, sich zu sammeln, ging die Badezimmertür wieder einen Spalt breit auf, und er hörte Kim leicht erschrocken rufen: „Ah! Raus mit dir, Rufus!“
Kurz darauf tappte der Nacktmull auf zwei Beinchen langsam aus dem Badezimmer. Sein Bäuchlein war etwas dicker als sonst, und rund um sein Maul klebten ein paar Erdnussreste. Als Kim die Badezimmertür wieder zuknallte, fing Rufus an, quiekende Geräusche zu machen, die sich fast wie ein Kichern anhörten. Ron sah ihn fragend an, worauf Rufus ihm nur frech zuzwinkerte.

Während Kim die Geistesgegenwart gehabt hatte, die schwarze Perücke zum Auschecken noch mal aufzusetzen, hatte Ron sich erfolgreich geweigert, den falschen Bart zu tragen. Sein Argument, dass er sich doch an diesem Morgen rasiert haben könnte, überzeugte Kim zwar nicht ganz, doch sie ließ es schließlich gelten. Zum Glück stand eine andere Dame an der Rezeption als am vergangenen Abend. Diese warf den beiden zwar doch einige leicht verwirrte Blicke zu, stellte aber keine weiteren Fragen. Kaum hatten sie das Hotel verlassen, nahm Kim die Perücke wieder ab, und sie und Ron machten sich schleunigst auf zu Wheeley’s Werkstatt eine Straße weiter. Unterwegs erzählte Kim Ron nur, was Wade ihr mitgeteilt hatte. Sobald sie geendet hatte, waren sie bei der Werkstatt angelangt.
Wenig später heizte Kims Auto auf vier neuen Reifen wieder über den Asphalt. Kim fuhr mit einer Geschwindigkeit, die ein schnelles Vorwärtskommen zuließ, doch gleichzeitig nicht zuviel Aufmerksamkeit und Konzentration von ihr abverlangte, da sie gleich über das eingebaute Kimmunicator-System Kontakt zu Wade aufnahm. Wade sprach zuerst: „Gut, dass ihr wieder mobil seid! Ich hoffe, Mr. Wheeley hat die extrastabilen Reifen hergenommen, die ich ihm heute Morgen noch zuliefern hab lassen.“
„Ja, hat er,“ bestätigte Kim. „Danke noch mal, Wade.“
„Aber der freundlichste Helfer, den wir je hatten, war er nicht gerade,“ meldete Ron sich empört zu Wort. „Er hat sich beschwert, dass er sonst nie an einem Sonntag um 7 Uhr seine Werkstatt aufmacht, und er will Kim ’ne Rechnung schicken!“
„Die wird bestimmt von Globale Gerechtigkeit übernommen,“ versicherte Wade und fügte zögernd hinzu: „Na ja, sobald sie ihre Fähigkeiten und den Fähigkeitstransferator zurück haben, denke ich.“
„Apropos Globale Gerechtigkeit, hat Drakken sonst noch was aus der Zentrale entwendet, außer die Fähigkeiten des gesamten Teams?“ fragte Kim.
„Das nicht,“ antwortete Wade. „Aber als ich das System wieder zum Laufen gebracht hatte, musste ich feststellen, dass noch eine Außenstelle von GG einen Ausfall hatte. Scheinbar ist Drakken dort direkt nach dem Überfall auf die Zentrale eingebrochen. Ich habe dann über das Kommunikationssystem eine Warnung an sämtliche Außenstellen gesendet.“
„Mit Erfolg?“
„Scheinbar nicht,“ meinte Wade bedauernd. „Ich konnte nur zusehen, wie eine nach der anderen lahmgelegt wurde. Drakken muss in den letzten Stunden so ziemlich alle Außenstellen von GG in den Vereinigten Staaten überfallen haben! Jedenfalls war er heute Nacht wohl ziemlich beschäftigt.“
Daraufhin blickte Ron in Kims Richtung und begann auf einmal, verlegen zu lachen, an seinem Hemdkragen zu zerren und sich übertrieben zu räuspern. Kim drehte den Kopf ein wenig nach rechts und sah ihn kurz verwundert an. Dann reagierte sie – und zwar anders als Ron erwartet hätte – ebenfalls mit einem leicht verlegenen Grinsen.
„Äh, Leute?“ unterbrach Wade verwirrt. „Was ist los? Hab ich irgendwas komisches gesagt?“
Kim hatte sich schnell wieder eingekriegt und räusperte sich kurz: „Ähem, nein, nicht wirklich. Äh, hör mal, Wade, ich hab doch gesagt, dass ich einen Verdacht habe, was Drakken noch vorhaben könnte...“
„Okay...?“ Die Verwirrung von vorhin war noch nicht ganz aus Wades Stimme gewichen. „Und der wäre?“
„Die Explosion in Drakkens Versteck, die Überfälle auf Globale Gerechtigkeit... Drakken will anscheinend alle Guten ausschalten. Und er hat Shegos Fähigkeiten – inklusive ihrer Team Go-Kräfte!“
„Du meinst also, er könnte es auf Team Go abgesehen haben?“ kombinierte Wade.
„Ist meine Vermutung,“ bestätigte Kim. „So könnte er weitere Superkräfte an sich reißen, um sie für das Böse zu missbrauchen und gleichzeitig ein Team von Superhelden kampfunfähig machen.“
Wade nickte: „Stimmt. Wenn er schon Shegos Superkräfte und ihre bösartigen Denkweisen an sich gerissen hat, könnte ich mir das auch gut vorstellen. Ich schicke eine Warnung an den Go Tower und behalte die Umgebung im Auge.“
„Und wir düsen nach Go City!“ antwortete Kim.
„Aber seid bloß vorsichtig!“ warnte Wade noch. „Drakken ist gefährlicher als jemals zuvor!“ Damit beendete er die Verbindung.
Kim wollte schon einen Knopf drücken, um den Raketenantrieb des Autos zu aktivieren, hielt jedoch inne, als Ron zögernd fragte: „Hm, glaubst du, Wade ...hat, äh ...du weißt schon, ...was gemerkt?“
Sie sah ihn kurz fragend an, während sie die rechte Hand, mit der sie den Knopf drücken wollte, wieder aufs Steuer legte und erwiderte dann: „Na ja, ich hoffe, er sagt uns bescheid, sobald ihm was auffällt.“
Nun war Ron derjenige, der verwirrt dreinschaute. Kurz darauf schüttelte er den Kopf und stammelte: „Nein, ich meinte... na ja, ob er, äh... sich was gedacht hat, ich meine... äh, uns... sozusagen... vorhin, äh... was ...angemerkt hat?“
„Ach so...“ grinste Kim wissend und erwiderte dann ernst: „Also, erstens: Ich glaub nicht. Zweitens: Das geht ihn so was von überhaupt nichts an! Und drittens: Was Wade von uns denkt, sollte im Moment unsere geringste Sorge sein...“
Rons Augen weiteten sich kurz, und er meinte, fast schon schockiert: „Sag jetzt bloß nicht, du bist echt schon wieder total auf Mission umgestellt?!“
Kim zuckte entschuldigend mit den Schultern und antwortete: „Okay, dann sag ich’s nicht...“
Ron verschränkte die Arme, schüttelte ungläubig den Kopf und seufzte: „Oh Mann! Und ich weiß immer noch nicht, wo du diesen Schalter hast! Vielleicht hab ich nur nicht genau genug geschaut...“ Beim letzten Satz grinste er sie an und zuckte mit den Augenbrauen.
„Ron!“ sagte Kim leicht verärgert. „Zum letzten Mal! Ich hab nirgendwo einen Schalter!“ Wesentlich ruhiger fügte sie hinzu: „Das passiert alles hier oben.“ Dabei deutete sie kurz mit dem rechten Zeigefinger an ihre Stirn.
Ron lehnte sich in seinem Sitz zur linken Seite, betrachtete Kims Stirn aus der Nähe und fragte erstaunt: „Da oben? Da seh ich aber auch keinen Schalter...“
„Ro-on...!“ Ihr warnender Tonfall und Blick passten nicht ganz zu dem unterdrückten Grinsen auf ihren Lippen.
„Okay, okay, schon kapiert!“ rief Ron aus, während er in seinen Sitz zurückfiel und die Arme kurz abwehrend vor sich hielt. Dann ließ er die Schultern sinken und seufzte: „Irgendwie wünsch ich mir langsam, ich hätte so ’nen Schalter...“
Daraufhin drückte Kim den Knopf, den sie vorhin schon betätigen wollte, und das Auto ging wortwörtlich ab wie eine Rakete.

Der schwarz-grün-gestreifte Jet landete elegant vor dem riesigen Go Tower. Im Cockpit saß niemand geringeres als Dr. Drakken und Shego. Allerdings saß Drakken am Steuer und nicht Shego, die normalerweise als einzige fähig war, diesen Jet zu fliegen. Im Moment war diese jedoch nur dazu in der Lage, in einem Sitz im hinteren Bereich des Cockpits zu kauern, der eigentlich für Gefangene gedacht war. Drakken dagegen hatte gerade den erfolgreichsten Beutezug seines Lebens gemacht. Es hatte zwar die ganze Nacht – und nun auch noch den ganzen Vormittag – gedauert, doch damit hatte Drakken sein erstes Ziel erreicht: Er hatte sämtliche Außenstellen der Globalen Gerechtigkeit in Nordamerika – auch wenn sie noch so klein waren – ausfindig gemacht, lahmgelegt und alle dort Anwesenden ihrer Fähigkeiten beraubt. Dabei war er nach einem undurchschaubaren Muster quer über den Kontinent vorgegangen, um stets das Überraschungselement auf seiner Seite zu haben. Somit waren die Nationen, von denen er am meisten gesucht und gejagt wurde – USA und Kanada –, nun hilflos. Und bis Verstärkung von GG aus anderen Ländern auftauchen oder gar erst angefordert würde, würde er bereits einen weiteren Triumph feiern – und mächtiger sein als jemals zuvor.
Nach Abschluss der Überfälle auf GG war Drakken nur noch einmal kurz zu seinem neuen Versteck zurückgekehrt, um Shego mitzunehmen. Dies hatte zwei Gründe: Zum Einen sollte sie natürlich seinen Triumph miterleben. Zum Anderen hatte er noch die eine oder andere Information von ihr gebraucht, die er durch den Fähigkeitstransfer nicht erhalten hatte. „Also, der Blaue ist superstark, der Lilane kann schrumpfen, und die Zwillinge können sich klonen, richtig?“ fragte Drakken grinsend über seine Schulter hinweg nach.
„Ja, verdammt noch mal!“ sprudelte es unkontrolliert aus Shego heraus. „Oh Mann, warum hab ich Ihnen das eigentlich alles verraten?! Und was soll ich überhaupt hier?“
Drakken grinste nur noch breiter, während er den Fähigkeitstransferator fest im Griff hielt und tönte: „Dann lass uns deine lieben Brüder doch mal besuchen...“

Im Inneren des Go Towers war zu dieser Zeit nur einer der fünf Stühle um den großen Tisch herum besetzt. Auf dem lilafarbenen Stuhl saß der gelangweilt dreinblickende Mego, der den Kopf auf die eine Hand gestützt hatte und mit den Fingern der anderen Hand auf dem Tisch herumtrommelte, während er überdramatisch vor sich hin lamentierte: „Das ist ja wirklich ein ganz toller Job: Ich darf hier rumsitzen und mir von irgend so einem 12-jährigen Supergenie dämliche Anweisungen geben lassen! So nach dem Motto: ‚Pass auf, Mego, da läuft ein wahnsinniger blauer Bösewicht mit einem total gefährlichen Gerät herum!’ Als hätt ich nichts besseres zu tun! Hego wär ja sicher total begeistert. Aber der hat natürlich wichtigeres zu tun als auf den Go Tower aufzupassen! Bueno Nacho Filialleiter-Seminarwoche, pah! Na, wenigstens bin ich jetzt mal der Chef hier!“
Er hatte nicht bemerkt, dass sich während seines letzten Satzes das große Stahltor des Go Towers geöffnet hatte – erst, als er von dort eine mehr oder weniger bedrohliche Stimme vernahm: „Falsch! Ich bin jetzt der Chef hier!“
Es war natürlich Drakken, der in der einen Hand den Fähigkeitstransferator demonstrativ hochhielt, und mit der anderen Shego an sich gezogen hatte. Während Drakken diabolisch grinsend auf ihn zuschritt, blickte Mego verwundert auf und erwiderte dann entgeistert: „Oh, super. Ich hab Hego schon tausendmal gesagt, er soll endlich was dagegen machen, dass unsere superböse Schwester mit ihrer tollen grünen Leuchtkraft immer noch in den Go Tower reinkann! Na, wie schön, Schwesterlein, dass du mir jetzt mal den verrückten Kerl vorstellen willst, für den du uns vor Jahren verlassen hast.“
Als Drakken ihm nun mit Shego am anderen Ende des Tisches gegenüber stand, konnte diese natürlich ihre Reaktion nicht unterdrücken: „Mego, du Vollidiot! Er hat... mmmpf...“
In dem Moment hielt Drakken ihr den Mund zu und meinte zunächst leicht enttäuscht: „Hach, ausgerechnet der mit der lahmsten Superkraft...“
„Hey!“ schrie Mego beleidigt, erhob sich nun von seinem Stuhl und stemmte die Hände in die Seiten. „Schrumpfen ist überhaupt die beste Superkraft!“
„Ganz wie du meinst, Bürschchen. Jetzt sag mir aber lieber, wo der Rest von eurer Familienbande ist, sonst muss ich vielleicht deinem Schwesterchen wehtun!“ drohte Drakken, auch wenn er nicht im Traum daran dachte, Shego irgendetwas anzutun – mal abgesehen davon, dass er ihre Fähigkeiten gestohlen hatte, und ihm diese mittlerweile wie seine eigenen vorkamen.
Shego, die inzwischen wieder die Möglichkeit hatte, zu sprechen, nutzte diese auch – allerdings durch ihren akuten Mangel an Selbstkontrolle nicht gerade auf die weiseste Art: „Argh, Dr. D, Sie sind auch so was von dämlich! Das ist Mego, dem ist es egal, ob Sie mir was tun, Hauptsache, Sie tun ihm nichts!“
„Wer sagt denn, dass ich ihm nichts tue?“ fragte Drakken grinsend und betätigte den Abzug des Fähigkeitstransferators, den er auf Mego gerichtet hatte. Doch bevor der Strahl ihn treffen konnte, hatte Mego seine lilafarbene Team Go-Kraft aktiviert – und war sofort auf die Größe einer Maus geschrumpft. Drakken bückte sich ein wenig und blickte verblüfft unter den Tisch.
In der nächsten Sekunde wuchs Mego wieder auf seine normale Größe heran, verschränkte die Arme und meinte mit einem zufriedenen Grinsen: „Oh ja, Schrumpfen ist super!“
Doch das war ein Fehler! Denn nun schnellte Drakken wieder hoch – wobei er Shego einfach unter den Tisch fallen ließ – und feuerte mit dem Fähigkeitstransferator ein zweites Mal auf Mego. Dieser hatte damit nicht gerechnet und wurde nun von dem Energiestrahl umgeben. Geschwächt sank Mego zu Boden, während Drakken diabolisch lachend dessen Fähigkeiten über den Energiestrahl in sein Gehirn aufnahm. Nach der Übertragung probierte Drakken seine neue Superkraft gleich einmal aus: Umgeben von der lilafarbenen Team Go-Leuchtkraft ließ er sich schrumpfen, wanderte bequem unter dem Tisch hindurch und wuchs wieder auf normale Größe heran, sobald er vor dem benommenen Mego stand. Dann packte Drakken den nun unfähigen Superhelden am Kragen, zog ihn zu sich hoch und sagte in gespielt freundlichem Tonfall: „Und jetzt wirst du mir sicher verraten, wo ich deine Brüder finden kann...“
Mego machte schon den Mund auf, um ihm zu antworten – und er hätte ihm bestimmt gesagt, was er wissen wollte, da er es gar nicht mehr anders konnte. Doch gerade noch rechtzeitig wurde er unterbrochen...
„Nicht antworten, Mego! Ich denke, Drakken hat schon mehr als genug Fähigkeiten!“ rief Kim, die nun zusammen mit Ron im offenen Eingangstor des Go Towers stand.
„Ah, Kim Possible!“ grinste Drakken, während er Mego wieder fallen ließ und sich umdrehte. „Und ihr Helferlein! Schon wieder zurück aus Vancouver? Ich hoffe, ihr zwei habt euch schön amüsiert! Zu schade, dass ich nicht zur Innovationsparty kommen konnte, aber ich hatte kurzfristig andere Pläne – und hätte nicht gedacht, dass ihr es zur Party schafft.“
Kim und Ron wechselten kurz einen Blick. Das waren ein paar Sticheleien zuviel auf einmal, und diese aus Drakkens Mund zu hören, war ziemlich ungewohnt. Während Ron in Gedanken noch bei dem Satz „Ich hoffe, ihr zwei habt euch schön amüsiert“ fest hing, hatte Kim sich wieder gefangen und eine defensive Körperhaltung eingenommen, um zu zeigen, dass sie kampfbereit war. Mental hatte sie sich allerdings noch nicht ganz auf die Situation eingestellt. Sie versuchte sich vorzustellen, dass sie nun gegen Shego, Mego und rund 200 Mitarbeiter unbekannter Zusammensetzung von Globale Gerechtigkeit, vereint in einer Person – nämlich Drakken –, antreten musste. Und das war keine einfache Vorstellung. Dennoch erwiderte sie mit einem herausfordernden Grinsen und einer entsprechenden Handbewegung in einem selbstbewussten Tonfall: „Na dann mal los, Drakken! Zeigen Sie doch, wozu Sie jetzt fähig sind!“
Was Drakken ihr nun bot, war in der Tat ein erstaunlicher Anblick: Er sprang aus dem Stand mit einem Salto auf den Tisch, katapultierte sich selbst in Sekundenschnelle einige Meter weit in die Luft und schoss vom höchsten Punkt einen grünen Plasmastrahl nach Kim. Diese ergriff sofort Rons Hand und zerrte ihn und sich selbst gerade noch rechtzeitig aus der Schusslinie. Kaum war Drakken elegant auf dem Boden gelandet, feuerte er ein weiteres Mal mit dem grünen Plasma. Kim und Ron wichen schnell in entgegengesetzte Richtungen aus. Während Ron hinter einem Aktenschrank in Deckung gegangen war, sprang Kim mit mehreren Handstandüberschlägen in hohem Bogen auf Drakken zu. Dabei verfehlte dieser sie immer nur knapp. Was Kim erst nicht klar war: Er schoss nun nicht mehr mit dem grünen Plasma auf sie – sondern mit dem Fähigkeitstransferator!
Als Kim wenige Meter vor Drakken auf ihren Füßen landete, feuerte er wieder auf sie. Gerade noch rechtzeitig duckte Kim sich vor dem Energiestrahl. Schon kam ein weiterer Strahl auf sie zu, Kim machte schnell eine Rolle vorwärts und befand sich nun zu Drakkens Füßen. Von dort versuchte sie, ihm den Fähigkeitstransferator aus der Hand zu kicken, doch der zog das Gerät nach oben von ihr weg und wehrte den Tritt mit Leichtigkeit ab. Kim stützte sich auf eine Hand, wirbelte herum, um Drakken mit ihren Füßen umzuwerfen. Der aber sprang genau im richtigen Moment zur Seite, Kim trat ins Leere, und der Schwung wirbelte sie ein weiteres Mal um die eigene Achse. Ihre Hand rutschte ab, und sie wurde ein paar Meter weit in Richtung des Aktenschranks geschleudert.
„Kim Possible, du hältst dich für so toll...“ tönte es plötzlich in typischer Drakken-Manier, und gerade als Kim zum Stillstand kam – traf sie der Strahl des Fähigkeitstransferators! „..., aber das bist du bald ganz und gar nicht mehr!“
„KIM!“ rief Ron entsetzt, als er mit ansehen musste, wie der diabolisch lachende Drakken die Fähigkeiten seiner Freundin an sich riss. Nach der Übertragung sackte Kim benommen auf dem Boden zusammen, Drakken lachte immer noch, lauter und lauter. Panik stieg in Ron auf, doch ihm wurde klar, dass er sofort etwas unternehmen musste. Als erstes musste er Kim in Sicherheit bringen! Er stürzte aus seiner Deckung hervor, hob Kim vom Boden auf und trug sie, so gut er konnte, zu dem großen Tisch. Unter diesem ging er wieder in Deckung, legte Kim vorsichtig auf dem Boden ab und strich mit der Hand sanft über ihr Gesicht.
„Uh... Ron?“ stöhnte Kim leise, als sie langsam die Augen öffnete.
„KP...“ Ron konnte nicht fassen, wie geschwächt und hilflos sie wirkte. Dieser Anblick machte ihm schreckliche Angst. Doch da war noch ein anderes Gefühl, das allmählich stärker wurde als diese Angst: Ein Gefühl von Wut! Und zwar eine ganz bestimmte Art von Wut, die Ron immer dann verspürte, wenn jemand oder etwas, das ihm lieb und teuer war, bedroht wurde. Diese Wut richtete sich auf Drakken, wuchs mit jedem Augenblick und aktivierte eine verborgene übernatürliche Kraft in Ron. Langsam erhob er sich, ballte die Hände zu Fäusten und grollte mit immer lauter werdender Stimme den nun überrascht dreinblickenden Drakken an: „Niemand... klaut... meiner Freundin... ihre Fähigkeiten!“


Kapitel 8: Mit vereinten Kräften

Allmählich ließ die Benommenheit nach, die Kim verspürt hatte, und sie versuchte, sich ein wenig aufzusetzen. Es fiel ihr unwahrscheinlich schwer, sich zu bewegen, obwohl sie eindeutig bei Bewusstsein war. Auch wenn ihr Blickfeld wieder klar wurde, in ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Sie wusste genau, was geschehen war: Drakken hatte ihre Fähigkeiten an sich gerissen, so wie die von Shego und von all den anderen. Sie hatte auch deutlich gesehen, dass Ron sich gerade erhoben hatte, und deutlich gehört, was er Drakken zugerufen hatte. Doch was nun geschehen würde, war ihr ein Rätsel. Was hatte Ron vor? Was würde Drakken tun? Was sollte sie tun? Sie musste doch irgendetwas tun können, doch es fiel ihr nicht das geringste ein. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf, zahllose Erinnerungen flogen an ihrem inneren Auge vorbei, wie in einem Karussell – doch sie konnte es nicht anhalten! Sie war nicht mehr in der Lage, sich auf nur einen dieser vielen Gedanken zu konzentrieren. Ein Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich in ihr aus – und das machte ihr Angst.
Ron hingegen vergaß in diesem Moment jegliche Angst. Sie war komplett ersetzt worden durch die Wut auf Drakken. Sein ganzer Körper bebte, nicht nur vor Wut, sondern auch vor Energie – eine Energie, die ihm von der plötzlich aktivierten Mystischen Affenkraft verliehen wurde. Angetrieben von dem einen Gedanken, dass Drakken bezahlen musste für das, was er Kim angetan hatte, stürmte Ron mit erhobenen Fäusten und zusammengebissenen Zähnen los. Drakken war zwar noch immer überrascht über die unerwartete Aktion des „Hanswurst“ – er konnte sich noch immer nicht seines Namens entsinnen –, doch er bediente sich gleich wieder einer seiner neuesten geklauten Fähigkeiten. Mit einer Hand vollführte er einen Flickflack – den Kim nicht besser hätte machen können – und feuerte, noch bevor er wieder auf den Füßen landete, einen grünen Plasmastrahl nach Ron. Blitzschnell wich Ron dem Plasma zur Seite aus, rannte jedoch weiter auf Drakken zu. Mehrere Plasmastrahlen folgten, doch Ron war nicht aufzuhalten. Er duckte sich, wich großräumig aus, sprang zur Seite oder nach hinten – keine von Drakkens Attacken konnte ihm etwas anhaben.
Je näher Ron Drakken kam, desto unruhiger wurde Kim. Ängstlich kroch sie unter dem Tisch weiter nach hinten, bis sie an irgendetwas stieß – nein, an irgendjemanden. Vorsichtig drehte sie den Kopf, und auch die andere Person blickte sich nach ihr um. Plötzlich sahen sich Kim und Shego von Angesicht zu Angesicht. Beide zuckten erschrocken zusammen, drehten sich von der jeweils anderen weg und schrieen wie aus einem Mund: „Ah! Tu mir nichts!“
Kurz darauf riskierten beide wieder einen Blick, und Shego meinte entgeistert: „Ach, ich würd dich ja jetzt so was von fertig machen, wenn ich könnte...“
„Dito!“ erwiderte Kim.
„Ihr habt vielleicht Probleme!“ tönte auf einmal Megos Stimme in dramatischem Tonfall hinter ihnen. „Ich hab meine Fähigkeiten verloren! Was soll ich ohne meine Schrumpfkraft machen?! Das ist eine Katastrophe!“
Währenddessen ließ Ron nicht locker. Kaum hatte er Drakken erreicht, packte er den Schurken bei den Handgelenken und riss seine Arme nach oben. Er wollte Drakken nach hinten drängen, ihn dazu bringen, den Fähigkeitstransferator fallen zu lassen. Doch Drakken leistete heftigen Widerstand. Er trat nach Ron, wollte ihm eine Kopfnuss verpassen, aber Ron schaffte es, allen Angriffen auszuweichen. Gleichzeitig verlor er nie den festen Griff um Drakkens Handgelenke – doch auf einmal hielt Drakken inne und fing an, diabolisch zu grinsen. Ohne Vorwarnung machte er einen Salto nach hinten, riss den überraschten Ron mit sich und kickte ihn während des Überschlags von sich weg. Ron prallte gegen eine Wand und sackte keuchend zusammen. Sein Rücken tat weh von dem Aufprall, sein Magen von dem Tritt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag er da.
„Ron!“ schrie Kim entsetzt. Sie beobachtete nun wieder das Geschehen, während Shego und Mego sich weiter hinten einsilbig darüber stritten, wer von ihnen beiden schlimmer dran war. Doch das war auch schon alles, was Kim tun konnte – tatenlos zusehen.
Ron riss die Augen auf. Die Energie der Mystischen Affenkraft wuchs wieder. Aber noch waren seine Schmerzen stärker. Er blickte hinüber zu Kim und sah wieder ihre Angst, ihre Hilflosigkeit. Mit einem Mal ließen die Schmerzen nach. Da nahm er auf einmal aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr und blickte wieder geradeaus. Er sah, wie Drakken wenige Meter vor ihm stand und sich langsam nach ihm umdrehte. Mit einem bösartigen Grinsen schleuderte Drakken wieder einen grünen Plasmastrahl nach ihm, doch Ron sprang rechtzeitig von der Wand weg und rutschte auf dem Boden vorwärts, auf Drakken zu. Als er zu Drakkens Füßen auf dem Bauch liegend zum Stillstand kam, blickte der Schurke spöttisch auf ihn herab und meinte: „Gar nicht mal so übel! Vielleicht machen sich die Fähigkeiten des Helferleins doch auch ganz gut in meiner Sammlung...“
In dem Moment, in dem Ron den Fähigkeitstransferator auf sich gerichtet sah, reagierte er wie auf Reflex: Auf seine Hände gestützt, schwang er mit voller Kraft die Füße nach vorne, vollführte dadurch einen Rückwärtssalto, kickte dabei das Gerät aus Drakkens Händen und fing es bei der Landung auf. Diese Aktion hatte die ganze Energie, die ihm von seiner Mystischen Affenkraft verliehen wurde, wieder aufgebraucht, und er konnte selbst nur darüber staunen, dass ihm dieses Manöver gelungen war. Drakken war unsanft auf dem Boden gelandet und konnte sich vor Überraschung und Überwältigung erst mal nicht rühren. Ron nutzte den Moment...
„Keine Bange, KP, ich hol dir deine Fähigkeiten in Nullkommanix zurück!“ rief er über seine Schulter hinweg, während er den Fähigkeitstransferator auf Drakken richtete.
„Äh, Ron...“ Kim konnte zwar keinen klaren Gedanken fassen, doch irgendeine ihrer Erinnerungen sagte ihr, dass Ron irgendetwas falsch machte...
Als Drakken gerade dazu ansetzte, einen grünen Plasmastrahl abzufeuern, traf ihn der Strahl des Fähigkeitstransferators. Er zuckte zusammen, als ihm ein kleiner Anteil seiner mühsam zusammengeklauten Fähigkeiten wieder entrissen wurde. Während die Pumpe auf dem Gerät in seinen Händen zu leuchten begann, drehte Ron sich nach Kim um. Doch da öffnete sich die Klappe am hinteren Ende der Pumpe, und Ron wurde von dem Energiestrahl umgeben. Vor Schreck hätte er fast den Fähigkeitstransferator fallengelassen, doch es wäre ihm nicht einmal möglich gewesen, ihn während der Übertragung loszulassen.
Kaum war der Energiestrahl verschwunden, fühlte Ron sich verändert. Auf einmal war er total konzentriert. Vorhin war er nur von der Wut, von der Energie, von der Mystischen Affenkraft geleitet worden, hatte eigentlich blind und ohne nachzudenken gehandelt. Jetzt aber war da eine Klarheit in seinen Gedanken, die er nicht kannte. Und da fiel es ihm auch sofort ein: „Oh Mann, stimmt ja! Die Fähigkeiten kriegt immer nur der, der am Abzug ist. Sorry, KP, hab ich total vergessen!“
Sofort rannte Ron auf Kim zu, die noch immer unter dem Tisch kauerte. Dabei blickte er kurz über seine Schulter – doch Drakken war nirgends zu sehen! Er hätte damit gerechnet, dass dieser ihm ein paar Plasmastrahlen hinterher schießen oder ihn sonst irgendwie davon abhalten würde, mit dem Fähigkeitstransferator zu Kim zu rennen. Wo war Drakken nur hin? Ron sah sich unterm Rennen in alle Richtungen um – keine Spur von ihm! Kurz bevor er Kim erreichte, begann irgendetwas zu seinen Füßen, lila zu glühen. Es war Drakken, kaum größer als eine Maus – doch in der nächsten Sekunde wuchs er wieder auf normale Größe heran, stieß Ron mit voller Wucht um und riss dabei den Fähigkeitstransferator wieder an sich. Ron lag am Boden, Drakken sprang diabolisch lachend über den Tisch hinweg und rief ihm zu: „Ich würde ja gern noch länger bei deinen jämmerlichen Versuchen, mich aufzuhalten, zusehen – aber ich hab noch etwas zu erledigen! Du solltest lieber mal deiner kleinen Freundin helfen und ihr erklären, wo ihre Fähigkeiten abgeblieben sind! Muahahaha!“
Damit schnappte er sich mit der freien Hand erst Shego, nahm sie über seine Schulter, dann warf er Mego über seine andere Schulter und rannte, noch immer bösartig lachend, zurück zum Jet. Kurz darauf war er auf und davon.

Ron grummelte vor sich hin, während er sich vom Boden aufhob – fast so wie Kim es normalerweise tat. Doch es war keine Zeit, sich aufzuregen – sie mussten Drakken sofort hinterher, denn Mego würde ihm in seinem momentanen Zustand bestimmt ohne Weiteres verraten, wo der Rest von Team Go zu finden war. Und wenn Drakken erst einmal deren Fähigkeiten zu fassen bekam, würde es wirklich hässlich werden. Der Gedanke an eine rot glühende Armee superstarker, superfähiger Drakkens jagte ihm Schauer über den Rücken. Das mussten sie unbedingt verhindern! Nun ja – besser gesagt, er ...mit Kims Fähigkeiten.
Erst einmal half Ron seiner Freundin vorsichtig auf die Beine. Er war mehr als erleichtert, dass Drakken sie nicht auch noch mitgenommen hatte! Allerdings kam sie ihm noch immer ziemlich geschwächt vor. Während er mit der einen Hand ihren linken Arm um seine Schultern legte und sie mit der anderen Hand rechts an ihrer Taille festhielt, fragte er leicht besorgt: „Kim, du bist doch nicht verletzt, oder?“
„Verletzt? Nein – viel schlimmer! Ich hab meine Fähigkeiten verloren!“ Kims Stimme überschlug sich richtig, vor lauter Verzweiflung. „Was soll ich jetzt nur machen?!“
„Nur die Ruhe, KP, das kriegen wir wieder hin,“ versuchte Ron, sie zu beruhigen. Dann machte er einen Schritt vorwärts. „Komm, erst mal müssen wir zum Auto.“
Während Ron sie beim Gehen weiterhin stützte, jammerte Kim unkontrolliert in einem Fort: „Das kann doch echt nicht wahr sein! Ich konnte einfach nur dasitzen und zuschauen! Und dann war da noch Shego – Okay, sie hat mir nichts getan, aber wenn sie irgendwas getan hätte, dann... Oh Mann, keine Ahnung, was dann gewesen wäre! Ich weiß es echt nicht! Ich kann überhaupt nicht mehr richtig denken!“ Auf einmal krallte sie sich an Rons Shirt fest und sah ihn ängstlich an, während es aus ihr raussprudelte: „Ron, ich fühl mich so hilflos! Hast du eine Ahnung, wie das ist, so hilflos zu sein?!“
Ron runzelte die Stirn und meinte zögernd: „Na ja, ...irgendwie schon. So ungefähr.“ Dabei dachte er zurück an diverse Missionen, wo er nicht wirklich gewusst hatte, was er tun sollte, während Kim alles im Griff hatte. Jetzt schien es irgendwie genau umgekehrt zu sein – wenn auch Kims momentane Hilflosigkeit viel extremer sein musste. Langsam fragte sich Ron, wie es ihm nur gelang, dabei so ruhig zu bleiben. Natürlich machte er sich Sorgen um Kim, und er hatte auch ein bisschen Angst – aber er konnte diese Gefühle ziemlich leicht unterdrücken. Er war einfach viel zu sehr auf die Mission konzentriert, um sich von seinen Gefühlen ablenken zu lassen. Es war irgendwie, ...als hätte er einen Schalter umgelegt! Genau das war es! Genau so dachte Kim ...normalerweise.
Nun hatten sie das Auto erreicht. Als Ron mit ihr davor stehen blieb, rief Kim ganz entsetzt: „Oh nein, ich kann nicht mal mehr Auto fahren! Ich hab keine Ahnung mehr, wie das geht!“
Ron streckte seine linke Hand vor ihr aus und fragte: „KP, ich brauch die Autoschlüssel. Weißt du noch, wo du sie hast?“
„Autoschlüssel... die Autoschlüssel...“ sagte Kim vor sich hin, da erschienen die Schlüssel ganz kurz vor ihrem geistigen Auge. Es war irgendeine Erinnerung, in der sie sah, wo sie die Schlüssel hingetan hatte. „Ich glaub, die sind da in diesem Ding...“ Dabei deutete sie hinunter auf die Seitentasche an ihrem Missionsoutfit, die um ihren rechten Oberschenkel geschnallt war. Aber sonst tat sie nichts, außer Ron wieder mit diesem hilflosen Gesichtsausdruck anzusehen.
Da wurde Ron klar, dass es für Kim ohne Fähigkeiten sogar zu kompliziert war, diese Tasche aufzumachen. Er zog sie mit der rechten Hand näher zu sich, machte mit der linken Hand die Tasche auf und suchte nach den Autoschlüsseln.
„Ui, Ron...“ entfuhr es Kim. Irgendwie kam ihr das in ihrem Zustand eher vor wie eine zärtliche Umarmung als wie irgendetwas anderes.
Leicht beschämt sah Ron kurz zur Seite. Eigentlich hätte er Kims Nähe auch gerne genossen, doch dann hielt er endlich die Schlüssel in der Hand und sperrte das Auto per Knopfdruck auf. Er ging mit Kim zur Beifahrertür, machte diese auf, half Kim behutsam dabei, sich ins Auto zu setzen, schnallte sie an und machte die Tür wieder zu. Jetzt legte er einen Zahn zu, als er zur Fahrerseite herumrannte, die Tür aufmachte, sich hineinsetzte, die Tür zumachte, sich anschnallte und den Motor anwarf. Erst einmal wendete er das Auto, um von der abgelegenen kleinen Insel, auf der sich der Go Tower befand, herunterzufahren. Zum Glück konnte das Auto auch unter Wasser fahren.
Während Ron unter dem Meeresspiegel zurück nach Go City fuhr, kontaktierte er über das eingebaute Kimmunicator-System Wade: „Wade, schnell, wo halten sich Hego und die Wego-Zwillinge im Moment auf?“
Wade reagierte erst einmal gar nicht, außer indem er überrascht dreinschaute. Dass auf einmal Ron am Steuer saß und Kim auf dem Beifahrersitz – noch dazu mit diesem Blick, den er fast als hilflos bezeichnen würde –, ließ irgendwie nichts Gutes ahnen. Nach ein paar Sekunden äußerte er eine Vermutung: „Äh, Ron, was ist los? Hat Drakken etwa Kims Fähigkeiten?“
„Nein, Ron hat sie!“ platzte es aus Kim heraus. Es wurde wieder nur zu deutlich, dass es um ihre Selbstkontrolle nicht gut bestellt war.
Daraufhin schaute Wade noch verwirrter drein als vorher: „Wie ist denn das passiert?“
„Das erklär ich dir gleich, Wade,“ erwiderte Ron. „Ich muss jetzt erst wissen, wo Hego und die Zwillinge sind, bevor Drakken sie erwischt.“
„In Ordnung,“ sagte Wade und tippte etwas auf seiner Tastatur, „Als ich Mego heute Morgen gewarnt habe, habe ich ihn auch gefragt, wo seine Brüder sind. Hego ist auf einem Bueno Nacho Filialleiterseminar in Mexico City. Ich nehme an, dass das Drakkens nächstes Ziel ist. Die Zwillinge sind nämlich nicht mehr in Go City, und das war die letzte Information, die Mego hatte. Drakken wird sie dort also nicht finden.“
„Dann fahren wir also so schnell wie möglich nach Mexico City,“ meinte Ron. Normalerweise hätte er jetzt wohl angefangen, von Bueno Nacho und mexikanischem Essen zu schwärmen. Doch dank Kims Fähigkeit, sich voll und ganz auf die Mission konzentrieren zu können, konnte er sich zurückhalten. Nun kam er gerade wieder auf Festland und sah zu, dass er auf die Straße auffahren konnte.
„Ich hab dir den genauen Aufenthaltsort von Hego auf das Navigationssystem geschickt,“ informierte Wade ihn. Dann fragte er nach: „Also, Ron, wie kommt es jetzt, dass du Kims Fähigkeiten hast?“
„Tja, also erst hat Drakken Kims Fähigkeiten geklaut, und dann... na ja...“ begann Ron.
Als er zögerte, mischte Kim sich ein: „Dann hat Ron irgendwie dieses Ding in die Finger bekommen, und jetzt hat er meine Fähigkeiten!“ Ihre Stimme hatte wieder diesen verzweifelten Tonfall, aber irgendwie klang sie fast auch ein bisschen wütend.
„Ich wollte sie nur für dich zurückklauen, KP...“ meinte Ron entschuldigend.
„Dann hättest du aber Kim den Fähigkeitstransferator geben müssen,“ fing Wade an. „Die Fähigkeiten werden doch immer nur auf den übertragen, der...“
„Das weiß ich jetzt auch, Wade,“ unterbrach Ron. „Ich hab’s in dem Moment einfach nur vergessen! Ich hab nicht nachgedacht! So wie ich nie über irgendwas nachdenke...“
„Dafür hast du gestern aber viel nachgedacht...“ meinte Kim in stichelndem Tonfall.
„Das war Grübeln, KP,“ erwiderte Ron. „Zwischen Grübeln und Nachdenken gibt’s ’nen großen Unterschied.“
„Auf jeden Fall hast du... meine Fähigkeiten! Das ist doch einfach... falsch!“
„Okay. Aber besser ich als Drakken, oder?“
„Das ist wohl wahr,“ meinte Wade, der inzwischen allerdings wieder leicht verwirrt vom Verlauf des Gesprächs war.
„Hach, ich weiß es nicht...“ grummelte die momentan geistig überforderte Kim. „Ich will einfach nur meine Fähigkeiten wieder haben!“
„Du kriegst sie ja wieder, Kim. Sobald Drakken gefasst ist, kriegst du sie wieder,“ versuchte Ron sie zu beruhigen. Dann fügte er hinzu: „Und ich schwör dir, KP, es war keine Absicht! Ich wollte dir nicht alles wegnehmen!“
„Hast du aber! Warte nur, bis mein Dad das erfährt!“ Kaum war dieser Satz aus Kim rausgesprudelt, fügte sie irritiert hinzu: „Moment, irgendwas hat mich dazu gebracht, das zu sagen, aber ich weiß nicht, was. Was passiert eigentlich, wenn mein Dad das erfährt...?“
„Dann bin ich so was von dran...!“ seufzte Ron, als er daran dachte, was Kims Vater noch erfahren könnte. Er sah sich schon von Mr. Possible höchstpersönlich in eine Rakete zum Schwarzen Loch befördert...
„Das versteh ich nicht, Ron,“ warf Wade ein. „Das ist doch nicht das erste Mal, dass so was passiert. Weißt du noch, wie damals eure Gehirne vertauscht waren? Ich glaube, Kims Vater hat sich inzwischen an solche Situationen gewöhnt...“
„Du hast keine Ahnung, Wade,“ sagte Ron kopfschüttelnd, und nur für den dramatischen Effekt wiederholte er: „Du hast keine Ahnung.“
„Was könnte für Kims Vater so schlimm sein, dass...“ überlegte Wade laut vor sich hin – und da dämmerte es ihm. „Oh! Äh... Oh mein... Äh... Ihr... Uh...“ stammelte er, sein Gesicht zuckte, sein Blick flatterte herum, und seine Wangen fingen an zu glühen. „Äh, ...äh, ...ich ...meld mich später wieder.“ Und schon hatte er die Verbindung beendet.
„Argh, ganz toll, Ron!“ grummelte Kim. „Was denkt Wade jetzt von uns? Und wem erzählst du’s als nächstes? Drakken?!“
„Also, erstens hab ich nichts erzählt, Wade hat sich nur was gedacht. Zweitens: Selbst wenn ich das jemandem erzählen würde, dann bestimmt nicht Drakken! Und drittens: Was Wade oder irgendwer von uns denkt, sollte im Moment unsere geringste Sorge sein...“
Dass er sich gerade wieder genauso angehört hatte wie Kim, wurde Ron erst hinterher richtig bewusst. Irgendwie machte er sich schon auch leichte Sorgen wegen Wades Reaktion – und wegen Kims. Ob ihr Verhalten vollständig auf ihren akuten Mangel an geistigen Fähigkeiten wie Selbstkontrolle zurückzuführen war? Oder war sie wirklich wütend auf ihn? Aber Ron schüttelte nur den Kopf, wie um diese Gedanken loszuwerden. Und als er merkte, dass sie inzwischen schon aus Go City raus waren, drückte er einen Knopf auf dem Armaturenbrett, um den Raketenantrieb des Autos zu aktivieren. Normalerweise fuhr Ron höchstens mit Kims Auto, um es zu parken, während sie schon mal Jagd auf die Schurken machte. Und selbst als Beifahrer machten ihm hohe Geschwindigkeiten in diesem Auto manchmal ein bisschen Angst. Doch jetzt war es wie selbstverständlich für ihn, den Raketenantrieb einzuschalten und das Auto in die Luft abheben zu lassen. Kim biss die Zähne zusammen und sah ängstlich aus dem Fenster, während sie in Richtung Mexiko flogen...

Das Gebäude lag ein wenig außerhalb von Mexico City. Es war sechs Stockwerke hoch und hatte ein Flachdach, im Grunde also ganz unscheinbar. Ursprünglich hätte es eine weitere Mucho Grande Bueno Nacho-Filiale werden sollen, doch mittlerweile wurde es als normales Bürogebäude genutzt, in dem auch Seminare abgehalten wurden. Sobald sie weit genug von der Stadt entfernt gewesen waren, hatte Ron das Auto wieder zurück auf den Boden gebracht und den Rest des Weges auf der Straße zurückgelegt. Er hatte nur einen kurzen Blick auf das Dach erhaschen können, doch wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Drakken gerade in dem Moment mit Shegos Jet zur Landung angesetzt. Hoffentlich kamen sie noch rechtzeitig!
Nachdem er vor dem Gebäude geparkt hatte, packte Ron nur noch schnell ein paar Sachen zusammen, die ihm nützlich erschienen, und schon stieg er aus. Allerdings ging er nicht los, ohne vorher noch einmal zum Beifahrerfenster, das er nun offen gelassen hatte, hineinzusehen und Kim zu versichern: „Ich komm sofort wieder, KP – sobald ich Drakken den Fähigkeitstransferator abgenommen hab.“
„Du willst mich hier alleine lassen?!“ gab Kim in verzweifeltem Tonfall zurück.
„Kim, da oben ist es viel zu gefährlich für dich... in deinem Zustand, meine ich. Außerdem lass ich dich nicht alleine...“ Mit diesen Worten griff Ron in seine Hosentasche und holte Rufus heraus, der wohl auf dem Weg von Go City hierher ein Schläfchen gehalten hatte, da er nun herzhaft gähnte und sich dabei in Rons Händen ausgiebig streckte.
Als der Nacktmull fertig war mit Gähnen, hielt Ron ihn auf Augenhöhe und sprach ihn in eindringlichem Tonfall an: „Rufus, du bleibst hier bei Kim. Ich will, dass du sehr gut auf sie aufpasst und für sie da bist. Und was auch passiert, sei wachsam! Alles klar, Kumpel?“
Rufus nickte, vollführte daraufhin quiekend einen Rückwärtssalto in Rons Händen und nahm bei der Landung demonstrativ eine Verteidigungsposition ein: „Hey-ya! Okay!“
„Danke, Rufus! Ich verlass mich auf dich!“ Er tätschelte Rufus kurz und setzte ihn dann vorsichtig auf Kims Schulter ab, wobei diese ein leichtes Zucken nicht unterdrücken konnte.
Dann sagte Ron noch zu Kim: „Ich bin bald wieder da, KP. Und dann kriegst du sofort deine Fähigkeiten zurück!“
Daraufhin gab er ihr noch einen kleinen Kuss auf die Wange, und schon rannte er, mit Kims „Fön“ in der Hand, auf das Gebäude zu. Während Kim ihm so nachschaute, meinte sie seufzend zu Rufus: „Jetzt kann ich wieder nur dasitzen – und nicht einmal richtig zuschauen!“
Der kleine Nager klopfte ihr tröstend auf die Schulter und quiekte: „Och...“

Auf dem Dach machte Drakken sich gerade an einem Lüftungsschacht zu schaffen, um unauffällig in das Gebäude eindringen und den Superhelden überraschen zu können. Zuvor hatte er mit Hilfe eines Infrarotsuchgeräts, das er irgendwo an Bord des Jets gefunden hatte, eine kreisförmige Ansammlung von mehreren Menschen im obersten Stockwerk aufgespürt – vermutlich dieses komische Seminar, doch Drakken wollte sich eben vorher durch den Lüftungsschacht anschleichen, um sich zu vergewissern.
Schlimm genug, dass er bis jetzt erst einen der Team Go-Brüder zu fassen gekriegt hatte – und dessen lahme Schrumpfkraft nicht einmal ausreichte, um durch so einen Lüftungsschacht zu passen! Nein, dann musste er auch noch feststellen, dass die Zwillinge in ganz Go City nicht aufzufinden waren! Und hätte er nicht genau gewusst, dass Mego gar nicht mehr dazu fähig gewesen wäre, ihm etwas vorzulügen, hätte er wohl noch Stunden damit verbracht, deren wahren Aufenthaltsort aus ihm rauszubekommen. Doch das war nicht der einzige Rückschlag, den Drakken erfahren musste. Er hatte sicherheitshalber noch eine der Außenstellen von Globale Gerechtigkeit in Mexico City überfallen wollen, musste jedoch feststellen, dass diese völlig verlassen war. Wenigstens waren nun Hegos Superkräfte zum Greifen nahe – sofern nicht schon wieder irgendetwas Unvorhergesehenes dazwischenkam! Eins wurde Drakken mittlerweile klar: Selbst bei den erstaunlichen Fähigkeiten zur Vorausplanung, die er nun hatte, gab es immer irgendetwas, das die scheinbar perfekte Planung zunichte machen konnte...
Oder irgendjemanden, in diesem Fall... Denn gerade als Drakken die letzte Schraube, durch die das Gitter vor dem Lüftungsschacht befestigt war, herausgedreht hatte, vernahm er eine ihm wohlbekannte Stimme hinter sich: „Nicht so schnell, Drakken!“
Drakken drehte sich um und rief hämisch zur anderen Seite des Daches hinüber: „Aha, sieht so aus als wären mir Kim Possibles Fähigkeiten gefolgt...“
Ron ignorierte diesen Ausspruch, ballte die Hände zu Fäusten und forderte den Schurken auf: „Na los, Drakken, bringen wir’s hinter uns! Mann gegen Mann!“
Darauf erwiderte Drakken lachend: „Mann? Du?! Oh bitte...! Dass ich nicht lache! Wohl eher ‚Mann gegen Hanswurst’!“
Es gab wohl unzählige Antwortmöglichkeiten, die Ron darauf einfielen. Schließlich zuckte er nur mit den Schultern und meinte grinsend: „Okay, dasselbe hätt ich auch beinahe gesagt – aber ich wollte Sie ja nicht beleidigen...“
Drakken grollte vor Wut und feuerte einen grünen Plasmastrahl ab. Mit einem gekonnten Handstandüberschlag wich Ron rechtzeitig aus und landete weiter vorne in defensiver Position. Sein Blick ruhte auf Drakken, der gerade nach dem Fähigkeitstransferator an seinem Gürtel griff. Nun war es soweit, ab jetzt hieß es vollste Konzentration! Jeden von Drakkens Schritten musste er vorausahnen können, um Kims Fähigkeiten vor ihm zu schützen. Er musste nahe genug an den Schurken herankommen, um ihm das Gerät entreißen zu können, gleichzeitig durfte er nicht in die Reichweite des Energiestrahls kommen. Es war keine leichte Aufgabe, die vor ihm lag. Ron konzentrierte sich so stark wie noch nie zuvor in seinem Leben, so schien es ihm. Er suchte all den Mut und all die Kräfte zusammen, die ihm – und Kim – innewohnten. Langsam tat er einen Schritt nach dem anderen vorwärts, die Arme stets in Abwehrhaltung, den Blick auf Drakken, die Gedanken bei der Sache.
Auch Drakken ließ Ron nicht aus den Augen, wartete dabei auf den richtigen Moment. Irgendwann würde der „Hanswurst“ bestimmt einen Fehler machen und nicht damit rechnen... Andererseits hatte er ihn zuvor auch schon stark unterschätzt – und nun hatte er auch noch Kim Possibles Fähigkeiten, die zugegebenermaßen wirklich „so toll“ waren. Nein, er musste sofort handeln, bevor der „Hanswurst“ noch zum Angriff überging! Als Ron das nächste Mal kurz stehen blieb, schoss Drakken mit dem Fähigkeitstransferator nach ihm – nur um mit anzusehen, wie dieser mit einem Satz zur Seite auswich. Auch der nächste Energiestrahl traf ins Leere – ein Flickflack, gefolgt von einem beeindruckenden Vorwärtssalto beförderte Ron zweimal in hohem Bogen aus der Schusslinie. Und zugleich weiter nach vorne, näher an Drakken! Der schoss nun schon zum dritten Mal daneben, als Ron einen energiegeladenen Cheerleader-Sprung in die Luft machte. Kaum berührten seine Füße wieder den Boden, federte er sich selbst erneut ab, mit einem weiteren Salto auf Drakken zu. Drakken wusste nicht, wie er das machte – er bewegte sich viel zu schnell für ihn, sprang immer wieder aus der Reichweite des Strahls, viel zu hoch und viel zu weit! Nicht einmal Kim Possible konnte so ausweichen – wieso er?
Ron wusste es jetzt – es war alles eine Frage der Konzentration! Noch nie zuvor war es ihm gelungen, seine Mystische Affenkraft willentlich und bewusst herbeizurufen. Immer nur war sie gekommen und gegangen, wie es ihr gerade passte, hatte seine Handlungen für ein paar Momente gesteuert – doch jetzt hatte er die Kontrolle! Es fühlte sich genauso an wie damals, als er sich diese übernatürlichen Kräfte zum ersten Mal angeeignet hatte. Und doch war es anders – die Kraft war viel stärker als damals! Voller Energie raste er die restlichen paar Meter auf Drakken zu, wehrte den Arm, der wieder auf ihn zielte, mit einem kräftigen Schlag ab, so dass der Energiestrahl nach oben abfeuerte. Erschrocken wich Drakken zurück, hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck den rechten Arm, der gerade so den Griff um den Fähigkeitstransferator behalten konnte. Doch er setzte ein diabolisches Grinsen auf, in dem Versuch, Ron mit einer Drohung zu verunsichern: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du allein mich besiegen kannst?!“
Gerade wollte Ron antworten, als ein lautes Geräusch und ein starker Luftzug Drakken und ihn innehalten ließen. Beide hielten sich schützend die Arme vors Gesicht, als sie einen Blick nach oben riskierten. Ein silbergrauer Hover-Jet war dort am Himmel zu sehen, und er war gerade dabei, zu einer eleganten Landung vor ihnen auf dem Dach anzusetzen.
„Sieht aus, als wär ich doch nicht so ganz allein...“ rief Ron selbstbewusst über den Lärm hinweg, obwohl auch er keine Ahnung hatte, was ihn nun erwarten würde...


Kapitel 9: Ein fast perfektes Ende

Langsam setzte der silbergraue Hover-Jet auf einer Seite des Flachdaches auf. Bald stand er genau parallel zu dem schwarz-grün-gestreiften Jet auf der gegenüberliegenden Seite, aus dem Shego und Mego das Schauspiel erstaunt beobachteten. Zwischen den beiden Maschinen auf dem Dach befanden sich Dr. Drakken und Ron, beide zu überrascht, um sich vom Fleck zu bewegen, beide mit gebanntem Blick auf den Hover-Jet. Nur ab und zu sah Ron kurz aus den Augenwinkeln hinüber zu Drakken, um sich zu vergewissern, dass dieser die Ablenkung nicht zu einem erneuten Angriff mit dem Fähigkeitstransferator ausnutzte. Doch Drakkens Überraschung und Empörung darüber, dass schon wieder etwas Unvorhergesehenes seine Pläne zu durchkreuzen schien, war im Moment viel stärker als seine Angriffslust. Und wer immer aus diesem Jet steigen würde, war möglicherweise ein ebenso gutes Ziel für den Strahl des Fähigkeitstransferators...
Kaum war die Landung erfolgt, öffnete sich langsam eine große Automatiktür an der Seite des Jets, die Drakken und Ron zugewandt war. Der Größe des Jets nach zu urteilen, konnten etwa bis zu dreißig Personen darin befördert worden sein. Vorerst kam jedoch nur eine einzige Gestalt hinter der Tür zum Vorschein – deren Anblick Ron zu einem überraschten, ja fast schon entsetzten Ausruf veranlasste: „WADE?!“
Es war tatsächlich Wade, höchstpersönlich, der ihnen nun in seinem Missionsoutfit, die Hände in die Seiten gestemmt, gegenüberstand. Während Ron aus dem Staunen nicht mehr herauskam, begann Drakken wieder, bösartig zu grinsen und zu lachen: „Ha, Kim Possibles Computerheini! Ist ja wunderbar! Ich glaube fast, solche Fähigkeiten fehlen mir noch in meiner Sammlung!“
Schon zielte Drakken mit dem Fähigkeitstransferator auf Wade, doch in dem Moment, in dem er den Abzug betätigte, drückte Wade schnell einen Knopf auf seinem Gürtel – und sofort war er umgeben von einer blauen Leuchtkugel, die der Energiestrahl nicht durchdringen konnte! Drakken klappte entsetzt die Kinnlade runter, und auch Ron konnte kaum fassen, was er da sah. Einerseits erleichtert, andererseits verwirrt, rannte er auf Wade zu, während Drakken sich lautstark fluchend ärgerte, und fragte stammelnd: „Wade, was...? Ich meine, wie...? Sag mal, hast du etwa Kims Kampfanzug an?! Das wird ihr aber gar nicht gefallen! Ich meine, du hast ihn zwar entwickelt und alles, ...aber ich weiß noch genau, wie Kim reagiert hat, als...“
„Nein, Ron,“ unterbrach Wade ihn grinsend. „Daran würde ich nicht mal im Traum denken! Ich hab nur die gleiche Schutzfunktion in meinen Gürtel eingebaut.“
„Aha...! Vorausschauend, wie immer, Wade! Aber wie kommst du überhaupt hier her?“
„Tja, ich hab natürlich sofort eine Warnung an die Außenstelle von GG in Mexico City geschickt. Und als ich ihnen erklärt habe, was Drakken mit Dr. Director und den anderen gemacht hat, waren sie gerne bereit, einen kleinen Umweg über Middleton zu machen, um uns mitzunehmen.“
„Ah so, verstehe...“ meinte Ron, doch dann stockte er: „Äh, Sekunde mal... ‚uns’? Wen meinst du mit ‚uns’?!“
Wortlos trat Wade zur Seite, um den Weg freizumachen, und im nächsten Moment stürmten wie auf Befehl und in Sekundenschnelle etwa zwanzig – wenn nicht mehr – rot glühende Kopien derselben Person aus dem Jet heraus – es waren die Wegos! In V-Formation stellten sie sich vor Ron und Wade auf.
„Wade, bist du verrückt?!“ schrie Ron entsetzt. „Du hast sie direkt zu Drakken geführt!“
Drakken grinste diabolisch, als er die Schar von Wegos vor sich sah und visierte sofort den Erstbesten mit dem Fähigkeitstransferator an. Er schoss, der Energiestrahl erwischte den Superhelden voll – doch nichts passierte! Wego zuckte nicht einmal, als er getroffen wurde, und der Strahl verschwand, ohne die Pumpe zum Leuchten zu bringen. Drakken ließ einen Schrei der Verzweiflung los, während Ron nur noch staunte.
Wade grinste wieder und deaktivierte den blauen Schutzschild um sich herum, um dem verdutzten Ron zu erklären: „Die Fähigkeiten der Wego-Zwillinge kann Drakken nicht so einfach klauen. Ihre Fähigkeiten, besonders ihre Superkräfte, sind so stark miteinander verbunden – sie ergänzen sich praktisch, so dass es nicht ausreicht, nur einen von beiden zu bestrahlen. So erkennt sie der Fähigkeitstransferator nicht einmal. Die Übertragung würde nur funktionieren, wenn er die beiden Original-Zwillinge mit dem Strahl treffen würde – und zwar gleichzeitig!“
„Und ...woher wusstest du das?“
„Von ein paar Berechnungen, die ich am Computer durchgeführt habe, während die Wego-Zwillinge und ich auf den Jet gewartet haben.“
Drakken bekam davon nichts mit. Er war damit beschäftigt, blind vor Wut einen Wego nach dem anderen mit dem Fähigkeitstransferator zu bestrahlen, immer mit dem gleichen Ergebnis – gar keinem! Nun stürmten die rot glühenden Klone gleichzeitig nach vorne, umringten den Schurken, alle in Kampfposition. Drakken blickte sich ein paar Mal hektisch um, ging dann in die Offensive, feuerte wie wild grüne Plasmastrahlen um sich herum ab. Die Klone sprangen nach oben, zur Seite, jeder von ihnen konnte jeder einzelnen Attacke ausweichen. Einige rannten auf Drakken zu, wollten ihn angreifen, doch der hielt sie mit gezielten Hieben und Tritten ab oder ließ sich mit der lilafarbenen Leuchtkraft schrumpfen, so dass die Wegos ins Leere sprangen. Ein paar Mal hätte einer von ihnen fast den Fähigkeitstransferator zu fassen bekommen – nur wenige Millimeter hätten gefehlt. Der Ansturm der Wego-Klone ließ nicht nach, ebenso wenig wie Drakkens Gegenwehr.
Ron und Wade beobachteten skeptisch das Geschehen. Nachdem die Wego-Armee schon einige Male zu Boden gegangen war, meinte Wade: „Wenn das so weitergeht, werden sie ihn nicht mehr lange aufhalten können. Sie brauchen Verstärkung...“
Wade wollte die restliche Besatzung des Jets – fünfundzwanzig Mann von GG aus Mexico City – herauswinken, doch Ron hielt ihn zurück: „Moment mal, Wade... Ich bin noch nicht mit ihm fertig...!“
Wades fragenden Blick beantwortete Ron nur mit seinem entschlossenen Gesichtsausdruck und einem kurzen Nicken. Er sah wieder auf das Kampfgeschehen, fixierte Drakken mit seinem Blick und atmete einmal tief durch. Voll konzentriert ging er in sich, rief sich genau in Erinnerung, wie er vorhin seine Mystischen Affenkräfte eingesetzt hatte – wie sie zu ihm gekommen waren, als er sie gerufen hatte. Er hatte die Kontrolle! Ja, er konnte es – er würde es wieder schaffen! Kaum konnte er die Energie wieder fühlen, nahm er einen kurzen Anlauf, ging in die Knie – und nun war Wade derjenige, der staunte! Mit einem fast affenartigen Schrei sprang Ron aus dem Stand meterweit in die Luft nach vorne, stürzte hinunter, mit den Händen voran – und traf genau Drakkens Kopf! Er drückte den Schurken im Sturz mit aller Kraft nieder, federte sich zugleich wieder ab, um mit einem kleinen Überschlag hinter ihm auf den Füßen zu landen, inmitten der staunenden Wegos. Ron wirbelte herum, Drakken lag flach auf dem Bauch am Boden, den Fähigkeitstransferator noch immer in der Hand. Schnell drehte sich Drakken auf den Rücken, feuerte einen Energiestrahl nach Ron, doch der wich ebenso schnell aus, sprang aus der Hocke wieder hoch in die Luft. Mit einem Salto kam er wieder herabgestürzt, die Füße voran. Wie auf Reflex riss Drakken die Arme nach oben, wollte mit dem Fähigkeitstransferator zielen – doch stockte, als Ron auf ihn herabschoss wie ein Blitz!
„Uff!!“ Zu schnell kam die Landung – unter Schmerzen zuckte Drakken zusammen, als Rons Füße ihn mit voller Wucht in den Bauch trafen. Für einen Moment sah er nur schwarz vor Augen, spürte nur das Gewicht seines Angreifers, selbst dann noch, als der gleich darauf wieder von ihm runtersprang. Beinahe dachte Drakken, er hätte das Bewusstsein verloren – doch als er schmerzverzerrt die Augen wieder aufriss und nach oben sah, merkte er, dass er etwas anderes verloren hatte...
„Nein!!!“ schrie Drakken entsetzt, als er den Fähigkeitstransferator durch die Luft segeln sah. Er setzte sich auf, wollte aufspringen und hinterher rennen, doch der Schmerz ließ ihn erneut zusammenzucken.
„Hab ihn!“ rief einer der Wegos hinter ihm, der das Gerät aufgefangen hatte. Noch immer auf dem Boden, gekrümmt vor Schmerzen, tat Drakken das einzige, wozu er aus dieser Position in der Lage war – er schoss einen grünen Plasmastrahl ab. Die Wucht des Strahls warf den Wego-Klon um, und wieder flog der Fähigkeitstransferator durch die Luft. Drakken verfolgte ihn mit entsetztem Blick, sah, wie die rot glühenden Klone von der anderen Seite losrannten, um ihn aufzufangen. Er schwang einen Arm herum, feuerte dabei einen weiteren Plasmastrahl ab und warf damit die Wegos in einer Tour zu Boden. Der Fähigkeitstransferator kam dem Boden immer näher...
Ron handelte schnell. Mit einem energiegeladenen Satz nach vorne konnte er das Gerät gerade noch auffangen – auch wenn er selbst dabei unsanft auf dem Bauch landete. Er schüttelte nur kurz leicht benommen den Kopf, dann hob er sich vom Boden auf und seufzte erleichtert: „Na also! Und jetzt schnell zu Kim!“ Doch kaum hatte er sich in Bewegung gesetzt, vernahm er ein Grollen und einen wütenden Schrei.
„Ron, pass auf!“ warnte Wade ihn.
Ron blickte auf, sah Drakken, der wutentbrannt auf ihn zurannte und einen Plasmastrahl abfeuerte – gerade so konnte Ron zur Seite in Deckung springen. Doch nun hatte Drakken ihn fast erreicht, stand mit grün glühenden Händen vor ihm und grollte: „Gib mir das sofort zurück, du Hanswurst!“
Fast blind vor Wut hielt er auf Ron zu, doch kam nicht weit – denn auf einmal sah er nichts mehr! Verwirrt und verärgert schlug Drakken mit glühenden Händen um sich, zappelte mit den Füßen herum, in dem Versuch, vom Fleck zu kommen. Was war da nur los? Da war irgendein Widerstand – irgendetwas, das ihm die Sicht versperrte, ihn aufhielt, ...und auch noch seine Nase plattdrückte. Und wo immer er den Kopf hindrehen wollte, das Hindernis blieb, wo es war – auf seinem Gesicht!
„Jetzt haben Sie schon so viele Fähigkeiten und haben’s immer noch nicht kapiert!“ hörte er eine wütende Stimme vor sich. „Mein Name ist Ron! Ron Stoppable!“
Rons Hand war das Hindernis! Mit unglaublicher Kraft stand er da und drückte Drakken von sich weg, hielt ihn davon ab, vorwärts zu kommen. In der anderen Hand hielt er den Fähigkeitstransferator außer Reichweite des Schurken, der nun begriff, was hier vor sich ging. Drakken sprang nach hinten, entkam so Rons Griff und feuerte sofort darauf einen grünen Plasmastrahl ab – der Ron mit voller Wucht traf und meterweit nach hinten schleuderte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam Ron auf dem harten Untergrund auf, blieb erst regungslos auf dem Rücken liegen. Doch schon kurz nach der unsanften Landung riss er die Augen auf, blickte auf seine linke Hand – zum Glück hatte er den Fähigkeitstransferator nicht verloren! Er hob benommen den Kopf und sah, wie Drakken auf ihn zurannte. Bald würde er sich auf ihn stürzen und ihm den Fähigkeitstransferator wieder entreißen. Das durfte er nicht zulassen! Ron biss die Zähne zusammen, versuchte, die Schmerzen zu ignorieren und seine Mystischen Affenkräfte wieder zu aktivieren. Nur langsam kehrte die Energie zu ihm zurück – zu langsam! Sie würde nicht reichen...
Auf einmal blieb Drakken abrupt stehen – nein, er wurde zurückgerissen! Als Ron genauer hinsah, bemerkte er vier rot glühende Wego-Klone, die Drakken bei den Armen festhielten. Das war seine Chance! Er setzte sich auf und wollte sich vom Boden aufheben – doch dann verzog er das Gesicht, sein Rücken schmerzte noch zu sehr. Vielleicht sollte er besser doch noch einmal die Mystischen Affenkräfte herbeirufen, die ihm immer soviel Energie verliehen, dass seine Schmerzen verblassten. Er konzentrierte sich... Drakken hatte schon einen der Wegos abgeschüttelt... und noch einen... bald war er frei, rannte wieder auf ihn zu... Da merkte Ron, dass Wade plötzlich viel näher bei ihnen stand als vorher.
„Wade!“ rief er ihm zu. Und schon warf er den Fähigkeitstransferator in Wades Richtung, genau über Drakken hinweg, der wie auf Reflex verdutzt stehen blieb. Es war ein perfekter Wurf, Wade fing den Fähigkeitstransferator mühelos auf. Drakken wirbelte herum, schoss einen grünen Plasmastrahl ab – der jedoch nur von Wades blau leuchtendem Schutzschild abgefangen wurde.
„ARGHHH!!!“ Drakken war wieder mal am Rand der Verzweiflung, was Ron genug Zeit gab, um seine Energien wieder vollständig zu aktivieren. Er zog die Beine an, stieß sich mit voller Kraft vom Boden nach vorne ab, so dass seine Füße Drakken mit voller Wucht in den Rücken trafen. Das warf den Schurken um, während Ron hinter ihm sicher auf seinen Füßen landete. Inzwischen hatten sich einige der Wego-Klone wieder aufgerafft und sorgten erst mal dafür, dass Drakken am Boden blieb. Ron lief auf Wade zu, der zur einen Seite des Daches gerannt war, dort wo Ron heraufgekommen war und Kims „Fön“ hatte liegen lassen, noch immer umhüllt von der blauen Schutzblase. Als Ron ihn erreichte, deaktivierte Wade den Schutzschild und gab ihm den Fähigkeitstransferator.
„Meinst du, ihr habt ihn erst mal im Griff?“ fragte Ron noch mit einem Blick zurück auf Drakken und die Wegos.
„Mach dir deswegen keine Sorgen,“ meinte Wade und deutete auf den Fähigkeitstransferator in Rons Hand. „Geh lieber erst mal zu Kim, bevor Drakken dir das wieder wegnimmt.“

Unten im Auto saß Kim zitternd auf dem Beifahrersitz. Die ganze Zeit hatte sie aus dem offenen Fenster gesehen, doch sie hatte kaum erkennen können, was auf dem Dach passierte – und wenn sie einmal etwas sah, konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Ab und zu hatte sie irgendetwas gehört, doch nie genau verstanden, was es war. Jedenfalls war sie schon am Verzweifeln. „Was passiert da nur, Rufus?“ fragte sie den kleinen Nager, der vor ihr auf dem Armaturenbrett saß und sich nach allen Seiten umsah, mit heftigem Zittern in ihrer Stimme. „Wo bleibt Ron? Wieso dauert das so lange? Ich halt das nicht mehr aus!“
Rufus sah sie mitfühlend an, gab ein ratloses Quieken von sich und zuckte mit den Schultern. Auch er war langsam am Verzweifeln. Seit sie hier warteten, hatte Kim ihn das alles bestimmt schon tausend Mal gefragt und irgendwelches Zeug vor sich hingejammert. Langsam wusste er wirklich nicht mehr, wie er sie noch trösten sollte. Schließlich verstand sie sein Gequieke nicht einmal! Er konnte nur hoffen, dass Ron sehr bald zurückkommen und alles wieder in Ordnung bringen würde.
Und dann endlich sah er etwas – und zwar Ron, der sich gerade an der Wand des Gebäudes abseilte. Mit freudigem Quieken sprang Rufus auf und ab und deutete zum Fenster hinaus. Kim meinte, unter den Lauten des Nacktmulls ihren Namen vernommen zu haben und sah ihn verdutzt an. Doch dann hörte sie deutlich von irgendwo anders her: „KP!“ Und als sie zum Fenster raussah, kam Ron gerade auf das Auto zugelaufen.
„Ron!“ rief Kim, wenn auch noch immer mehr in verzweifeltem als in erleichtertem Tonfall.
„KP, ich hab ihn!“ strahlte Ron und hielt den Fähigkeitstransferator hoch, als er am Auto angelangt war. Dann machte er die Beifahrertür auf, schnallte Kim erst mal ab und drehte sie vorsichtig zur offenen Tür herum. „Jetzt wird alles wieder gut!“
Während er ihr langsam den Fähigkeitstransferator in die Hand drückte, kam Ron kurz ein Gedanke: Würde er jemals wieder fähig sein, seine Mystischen Affenkräfte herbeizurufen, wenn er sie brauchte? Ohne Kims Fähigkeiten, die es ihm ermöglicht hatten, sich voll konzentrieren zu können, seine Angst ausblenden zu können, an sich selbst und seine Fähigkeiten glauben zu können...? Doch so schnell wie der Gedanke aufgetaucht war, verwarf er ihn wieder und überließ Kim den Fähigkeitstransferator. Er stellte sich vor ihr hin, breitete demonstrativ die Arme aus und meinte: „Alles klar, KP. Feuer frei!“
Kim sah ihn nur an und fragte: „Und was soll ich jetzt machen?!“
Ron schaute erst verdutzt drein, dann lachte er kurz verlegen und bemühte sich, ihr deutlich zu machen, was sie zu tun hatte: „Äh, ja, erst mal zielst du damit auf mich, so...“ Er nahm ihre Hände in seine und zog sie langsam nach oben. „...und dann ziehst du hier an diesem Abzug.“ Damit legte er vorsichtig den Zeigefinger ihrer einen Hand an den Abzug des Geräts.
„Äh, so?“ Kim betätigte ohne Vorwarnung den Abzug, der Energiestrahl traf Ron aus nächster Nähe und daher so heftig, dass es ihn zu Boden warf. Kim erschrak kurz, doch beobachtete dann erstaunt, wie der Strahl wieder verschwand, die Pumpe zum Leuchten brachte und ein weiterer Strahl hinten austrat und sie umhüllte. Und schon merkte sie, wie ihre Fähigkeiten wieder zu ihr zurückkamen.
„Oh Mann, Gehirnkribbeln...!“ Ron hatte sich aufgesetzt und fasste sich leicht benommen an den Kopf. Dann aber blickte er auf und war mit einem Satz wieder auf den Beinen. „KP!“
„Ron!“ rief Kim erleichtert, sprang vom Beifahrersitz auf und fiel ihrem Freund um den Hals. Ron erwiderte und genoss die Umarmung.
Und auch Rufus war froh. „Booyah!“ quiekte der kleine Nager, hüpfte aus dem Auto auf Rons Schulter und schmiegte sich an sein Gesicht – sozusagen seine Art der „Umarmung“.
Nach ein paar Sekunden löste sich Kim aus der Umarmung und fragte: „Und was ist mit Drakken? Ist er noch da oben?“
Ron nickte und antwortete: „Wade und die Jungs kümmern sich gerade um ihn.“
„Wade ist hier?!“ meinte Kim erstaunt. „Und ich dachte schon, er...“
Als Kim nicht weitersprach, fragte Ron: „Dachtest du, er lässt uns im Stich?“
„Hm, das dachte ich wohl wirklich... Komisch. Aber ich konnte ja auch nicht klar denken vorhin...“ Dann zuckte sie mit den Schultern und meinte: „Egal – jetzt will ich sehen, was da oben los ist...“
Sie verwahrten den Fähigkeitstransferator erst einmal sicher im abgeschlossenen Auto, dann rannten sie beide zurück zu dem Gebäude, wo Kims „Fön“ an dem Seil herabhing, das oben mit einem Enterhaken befestigt war. Dort angekommen ergriff Kim den „Fön“ mit der rechten Hand, mit der anderen zog sie Ron zu sich, um ihn festzuhalten. Mit einem Lächeln hielt Ron sich mit dem rechten Arm an ihr fest und legte seine linke Hand noch an den „Fön“, wobei er Kims Hand berührte. Kim erwiderte sein Lächeln und ließ sich und Ron per Knopfdruck nach oben ziehen.

Oben auf dem Dach wurden sie bereits erwartet. „Wade!“ rief Kim erfreut, als sie ihn sah.
„Kim!“ Er blickte kurz leicht verlegen zur Seite. „Gut, dass du wieder okay bist...“
„Sagt mal, Jungs, was hab ich denn hier alles verpasst?!“ fragte Kim dann, erstaunt über den Anblick, der sich ihr bot: Drakken lag am Boden, von den Schultern abwärts fast bis zu den Knien gefesselt mit einem dicken, stabilen Spezialseil, das ihn davon abhielt, die Team Go-Leuchtkräfte einzusetzen. Hinter ihm standen die Wego-Zwillinge und die Männer von Globale Gerechtigkeit. Ohne die Bedrohung durch den Fähigkeitstransferator war es offenbar nicht allzu schwer für sie gewesen, Drakken zu überwältigen.
Als Kim, Ron und Wade sich Drakken näherten, wurde dieser gerade von zwei GG-Soldaten auf die Füße gehoben, um ihn abführen zu können. Der Schurke sah ziemlich mitgenommen aus, doch als er Kim erblickte, tönte er: „Kim Possible, du hältst dich für so toll – aber diesmal hast nicht du mich geschlagen!“
„Das mag schon sein...“ meinte Kim, zog dann ihren Arm mit geballter Faust zurück und drohte ihm grinsend: „Aber das könnte ich gerne noch nachholen...!“
Daraufhin zuckte Drakken panisch zurück und fiel dabei fast um. Auch wenn Kim ihre Drohung nicht wahr machte, behielt der Schurke seinen ängstlichen Blick noch eine Weile bei, während er in den Hover-Jet abgeführt wurde. Das Team Possible wandte sich wieder einander zu, und Wade stellte fest: „Jetzt müssen nur noch alle anderen Fähigkeiten an ihre ursprünglichen Besitzer zurückgehen.“
„Das kann ja dauern...“ meinte Ron. „Hoffentlich kommen wir unterwegs irgendwo bei Bueno Nacho vorbei!“
„Ganz bestimmt, Ron,“ versicherte Kim ihm und überlegte dann: „Also, der letzte, dem Drakken seine Fähigkeiten geklaut hat – vor mir, meine ich –, war Mego, ...oder? Hier oben hat er doch niemanden erwischt...?“
„Nein, hat er nicht,“ antwortete Wade und fügte lächelnd hinzu „...dank Ron.“
„Ach...“ winkte Ron ab. „Ist ja nicht so als hätt ich das allein geschafft... sozusagen. Ich meine... na ja...“
„Ich hab dich ein paar mal gesehen!“ unterbrach Kim ihn, mit fast schon aufgeregter Stimme. „Wie du durch die Luft gesprungen bist – aber keine Ahnung, was da passiert ist! Das musst du mir unbedingt erzählen...“

Bis in die Nacht hinein hatte es gedauert, alle Außenstellen von Globale Gerechtigkeit, die Drakken überfallen hatte – in umgekehrter Reihenfolge seines Beutezugs – anzufliegen und dort jeweils anhand der Protokollierung des Fähigkeitstransferators jedem einzelnen Mitarbeiter die richtigen Fähigkeiten zurückzugeben. Nun war die letzte Station an der Reihe, nämlich die Zentrale. Während Wade sich darum kümmerte, den Mitarbeitern die Rückgabe ihrer Fähigkeiten zu erläutern, standen Kim und Ron etwas abseits. Erst jetzt war Ron dazu gekommen, ihr die Details seines Kampfes gegen Drakken bis zum Schluss zu erzählen. Kim konnte nur staunen und fand zunächst keine Worte. Im Grunde fand sie all das, was Ron ihr erzählt hatte, beinahe unglaublich, doch Wade hatte einige seiner vorherigen Ausführungen mehrfach bestätigt. Schließlich wusste sie nichts anderes zu sagen als: „Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen... Aber ich weiß ja, dass das nicht ging.“
Ein Moment des Schweigens kehrte ein, in dem sich beide wieder dem Geschehen hinter ihnen zuwandten. Gerade war wieder einer der Mitarbeiter dabei, Drakken mit dem Fähigkeitstransferator zu bestrahlen, was Ron amüsiert kommentierte: „Er muss sich langsam vorkommen wie ’ne Zielscheibe...“
Auf einmal hörten sie eine vertraute Stimme hinter ihnen: „Miss Possible...“
Sie drehten sich beide wieder um, und Kim lächelte: „Dr. Director!“ Leicht beschämt meinte sie gleich: „Tut uns leid, dass Sie und Ihre Leute überfallen worden sind...“
Dr. Bärbel Director, die inzwischen ihre Fähigkeiten wieder hatte, nickte ihr zu und sprach freundlich weiter: „Denken Sie einfach nicht mehr daran. Danke, dass Sie Dr. Drakken gefasst und den Prototypen wieder beschafft haben.“
„Keine große Sache! Aber danken Sie nicht nur mir...“ Damit legte Kim ihren Arm um Ron und fügte lächelnd hinzu: „Wenn Ron nicht gewesen wäre, hätte Drakken noch viel mehr Schaden angerichtet.“
Ron gab Kim ein dankbares Lächeln und sah dann erstaunt Dr. Director an, die ihm die Hand entgegenstreckte und aufrichtig sagte: „Vielen Dank auch Ihnen, Mr. Stoppable.“
Während Ron zögernd ihre Hand schüttelte, meinte er verlegen lachend: „Äh, hehe, gern geschehen...“
Nach einer kurzen Pause erklärte Dr. Director: „Sobald sämtliche Fähigkeitstransfers rückgängig gemacht wurden, werden wir den Prototypen umgehend vernichten, damit er nie wieder in falsche Hände gerät. Eventuell werden wir das Projekt auch vorerst oder komplett einstellen und uns wieder anderen Forschungsprogrammen zuwenden. Nun entschuldigen Sie mich bitte.“
Als Dr. Director den Raum verließ, legte Ron auch seinen Arm um Kim und sagte: „Weißt du, KP, ich glaub, ohne deine Fähigkeiten hätte ich das alles nie fertiggebracht. Ich konnte mich so wahnsinnig gut konzentrieren... das war irgendwie eine ganz neue Erfahrung. So was hab ich noch nie erlebt – und ich meine, ich hab ja schon so einiges erlebt! Ich war zwar auch schon mal in deinem Körper, aber...“
„Ähem, Ron...!“ hüstelte Kim und blickte kurz um sich.
„Ups...“ grinste Ron beschämt und stammelte: „Äh, was ich... hehe... ich wollte sagen... Als damals unsere Gehirne vertauscht waren... Du weißt schon, du warst in meinem Körper, ich war in deinem... Aber trotzdem konnte ich überhaupt nichts! Na ja... und als ich deine Fähigkeiten hatte, ...da hatte ich irgendwie so ein Gefühl, ...als ob ...als ... als könnte ich...“
„...einfach alles?“ beendete Kim den Satz für ihn.
„Äh... ja... genau,“ antwortete Ron zögernd und fügte dann aufgeregt hinzu: „Ich konnte sogar meine Mystischen Affenkräfte kontrollieren! Es war eigentlich nichts dabei...“ Er wurde wieder etwas leiser und seufzte: „Ich hoffe, dass ich später noch weiß, wie ich das gemacht hab, weil... Wer weiß? Vielleicht könnte das ja noch irgendwann mal nützlich sein...?“
„M-hm... Wer weiß...?“ Nach ein paar Sekunden des Schweigens legte Kim ihre andere Hand sanft an sein Gesicht und flüsterte: „Du warst großartig...“
Ron sah sie verwundert an und fragte: „Ich dachte, du hast gar nicht gesehen, wie ich...?“
Als Kim ihn verstohlen anlächelte und dabei eine Augenbraue hochzog, dämmerte es ihm. Grinsend zog er sie näher zu sich und sagte leise: „Booyah...“
Sie sahen einander tief in die Augen. Und gerade als sie alles um sich herum vergaßen und sich küssen wollten, ertönte auf einmal ein Räuspern: „Ähem... Entschuldigung... Miss Possible?“
Kim ging wieder etwas auf Abstand zu Ron und drehte sich fragend um: „Äh... ja?“
Der Wachmann von Globale Gerechtigkeit, der sie angesprochen hatte, deutete leicht verlegen auf den Fähigkeitstransferator, den er in der anderen Hand hielt, und fragte: „Nun, äh, ich war eigentlich der erste hier, dem dieser Drakken die Fähigkeiten gestohlen hat. Dr. Director hat gesagt, dass die Einträge gelöscht werden, wenn die Fähigkeiten wieder zurückübertragen werden, aber das Gerät zeigt hier immer noch etwas von einem Transfer an...“
„Na ja, dann müssen Sie eben die Person finden, die ihre Fähigkeiten noch vermisst...“ antwortete Kim.
Der Mann sah sich das Display am Fähigkeitstransferator noch einmal an, blickte sich kurz um und ging dann in eine Richtung davon. Kim wandte sich Ron wieder zu und wechselte einen fragenden Blick mit ihm, worauf Ron trocken sagte: „Und das hätte der nicht allein rausfinden können...“
„Hm...“ überlegte Kim. „Da fällt mir gerade ein, wer schon länger ohne Fähigkeiten ist...“
Kurz darauf hörte man ein wutentbranntes: „DRAKKEN!!!“
Gefolgt von einem panischen Schrei: „AHHH!!! Nein, bitte nicht! Shego, es tut mir leid!“
Schon rannte der noch immer gefesselte Drakken an ihnen vorbei, so schnell es seine momentane Situation zuließ. Und hinter ihm die wütende Shego, die ihn immer wieder mit einem grünen Plasmastrahl zum Hüpfen brachte.
„HILFE!!! Bitte, sperrt mich ein! Bringt mich weg von ihr!!“ rief Drakken ängstlich, während Kim und Ron amüsiert zusahen.


Epilog: Am Montag danach

Nach einer Mission, die erst am Sonntag in der Nacht ihr Ende fand, kam der Montag Morgen natürlich noch viel schneller als sonst. Doch aus irgendeinem Grund machte Ron an diesem Montag Morgen das frühe Aufstehen nicht soviel aus wie sonst. Er konnte es gar nicht erwarten, aus dem Haus zu kommen. Nicht etwa, weil er sich auf die Schule freute – eher würde er Bueno Nacho abschwören, als dass er die Worte „Schule“ und „freuen“ in ein- und demselben Satz verwenden würde! Wie jeden Morgen vor Schulbeginn war er unterwegs zum Haus der Possibles, um mit Kim zusammen in ihrem Auto zur Schule zu fahren. Und obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie sich erst in der Nacht zuvor, als sie von der Mission zurückgekehrt waren, zum letzten Mal gesehen hatten, konnte Ron es nicht erwarten, seine Freundin wieder zu sehen.

Ein paar Minuten früher als sonst stand er bei den Possibles auf der Matte und klingelte an der Tür. Diese wurde wenig später geöffnet, allerdings nicht von Kim. „Oh, guten Morgen, Ron,“ begrüßte Kims Mutter ihn lächelnd.
„’Morgen, Mrs. Dr. P.,” antwortete Ron. „Äh, ist Kim schon fertig?“
„Hm, Kimmie war gerade erst mit dem Frühstück fertig und ist noch mal nach oben gegangen. Anscheinend bist du heute ein bisschen früh dran,“ meinte Mrs. Possible und machte daraufhin eine einladende Geste mit der Hand. „Sie ist bestimmt gleich fertig. Komm doch solange noch rein.“
„Äh, ja, danke.“ Mit einem kurzen leicht verlegenen Grinsen betrat Ron das Haus und wartete, bis Mrs. Possible die Tür zugemacht hatte und ihm deutete, in die Küche zu gehen. In der Tür zur Küche blieb Ron wiederum zögernd stehen, als er Kims Vater am Ende des Tisches sitzen sah, wie er gerade einen Schluck aus seiner Tasse Kaffee nahm, während er in der anderen Hand einen Stift hielt und konzentriert auf eine Blaupause blickte, die vor ihm lag.
„Setz dich doch, Ron,“ sagte Mrs. Possible freundlich, während sie an ihm vorbei in die Küche zu einem der Schränke ging.
Jetzt sah Mr. Possible leicht überrascht von seiner Arbeit auf und begrüßte Ron mit einem ziemlich ausdruckslosen: „Guten Morgen, Ronald.“
„Äh, ’Morgen, Mr. Dr. P.,“ antwortete Ron leicht zögernd und bewegte sich vorsichtig auf den nächstgelegenen Stuhl zu, um sich hinzusetzen.
„Möchtest du noch etwas essen, Ron?“ fragte Mrs. Possible über ihre Schulter hinweg, während sie einige Teller in den Schrank über ihr einräumte. „Oder vielleicht ein Glas Orangensaft?“
„Oh, äh, nein... danke, Mrs. Dr. P. Ich... äh... hab, äh, ...genug gefrühstückt...“ stammelte Ron, während er seinen Rucksack auf dem Boden abstellte und sich an den Tisch setzte. Eigentlich wollte er gerade versuchen, einen Blick auf die Blaupause zu werfen, doch Kims Vater hörte nicht auf, ihn mit diesem undurchschaubaren Gesichtsausdruck anzusehen. Es war fast so etwas wie ein Test, wer zuerst wegschauen würde...
Schließlich, als Ron schon langsam nervös wurde, legte Mr. Possible die Blaupause und den Stift beiseite, faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und meinte: „Nun, Ronald... Sieht so aus, als hättet ihr beide viel erlebt an diesem Wochenende...“
Ron spürte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn stand und seine Gesichtsmuskeln leicht zu zucken begannen. „Äh, ...hehe, sieht so aus...“ lachte er in verlegenem Tonfall, in dem Versuch, seine Nervosität zu überspielen, während sein Blick hin- und herflatterte.
„Tja... Ich muss sagen, ich hab mir schon Sorgen gemacht, als ihr zwei über Nacht weg wart und ich nichts von meinem Kimmibärchen gehört habe...“ Dabei lehnte er sich etwas weiter nach vorne und durchbohrte Ron mit seinem Blick. Ron schluckte und krallte sich reflexartig unten an seinem Stuhl fest. Doch dann lehnte Kims Vater sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fuhr in wesentlich weniger bedrohlichem Tonfall fort: „Aber da sieht man mal, wie sehr ihr beiden euch für den Kampf gegen das Böse verausgabt. Die ganze Nacht lang diesen Drakken quer über den Kontinent zu verfolgen... Das nenne ich Einsatz!“
Ron blickte kurz verdutzt drein, dann fiel ihm sozusagen ein Felsbrocken vom Herzen, und er meinte zögernd: „Äh, ...ja, genau! Was ’ne Mission...!“
Mr. Possible schwieg noch kurz, im nächsten Moment saß er jedoch wieder normal am Tisch und sprach mit erhobenem Zeigefinger: „Aber – was den Freitag Abend angeht...“
„Noch Kaffee, Schatz?“ unterbrach ihn seine Frau, die auf einmal mit einer Kanne Kaffee neben ihm am Tisch stand.
Während Mr. Possible erst einmal abwägen musste, ob er zuerst seinen Satz beenden oder auf die Frage seiner Frau antworten sollte, und Ron wieder nervös zusammengezuckt war, hörte man Schritte, die leichtfüßig die Treppe herunterrannten und auf die Küche zusteuerten. Und schon bald spürte Ron, wie er von hinten umarmt wurde und hörte Kims gutgelaunte Stimme dicht an seinem Ohr: „’Morgen, Ron. Du bist ja schon hier... Können wir los?“
Angenehm überrascht drehte Ron den Kopf nach ihr und antwortete: „Hey, KP. Klar, äh ...fahren wir.“
Kim ließ ihn los, und während Ron aufstand und seinen Rucksack wieder aufhob, sagte Kim zu ihren Eltern: „Tschüs, Mom! Tschüs, Dad!“ Und gab ihnen beiden jeweils einen Kuss auf die Wange. Dann nahm sie Ron bei der Hand und, während sie ihn schon fast aus der Küche zog, verabschiedete Ron sich noch: „Wiedersehen, Mr. und Mrs. Dr. P.!“
„Tschüs, Kimmie! Mach’s gut, Ron! Viel Spaß in der Schule!“ rief Mrs. Possible den beiden fröhlich hinterher, während ihr Mann, noch immer mit erhobenem Zeigefinger, leicht perplex vor sich hinstarrte.

Kaum waren sie zur Tür hinaus, gab Kim ihrem Freund ein längst überfälliges Begrüßungsküsschen auf die Wange. Während sie auf Kims Auto zumarschierten, legte Ron den Arm um sie und meinte grinsend: „Die ganze Nacht lang Drakken verfolgt...? KP...! Hätte ja nicht gedacht, dass du so... hinterhältig sein kannst...“
„Tja... Wo ich das wohl herhabe...“ erwiderte Kim lächelnd und legte auch ihren Arm um ihn.
Rons Lächeln verschwand, und er fragte zögernd: „Und... du hattest kein Problem damit, deinen Eltern ...was vorzulügen?“
„Na ja... eigentlich schon...“ In dem Moment kamen sie vor dem Auto zu stehen, und Kim legte ihre andere Hand sanft auf Rons Brust, während sie leise weitersprach: „Aber ein noch viel größeres Problem hätte ich damit, wenn mein Freund in einer Rakete zum Schwarzen Loch landen würde...“
Lächelnd zog Ron sie ein bisschen näher zu sich.

ENDE


Disclaimer: Das war „Perfekte Planung“, eine Kim Possible-Fanfic von Lorcool (geschrieben vom 23. Mai – 31. Juli 2008). Kim Possible, alle Charaktere und Schauplätze der Serie sind Eigentum von Disney, Bob Schooley und Mark McCorkle. Der Name Brinestoop stammt aus dem PC-Adventure The Curse of Monkey Island und ist somit Eigentum von LucasArts, Jonathan Ackley und Larry Ahern. Der Fähigkeitstransferator war aber allein meine Idee. ;)

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