Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 4

Kapitel 4 - Confrontations

Middleton-Hotel, morgens
Shego stand müde vor der Türe zu ihrem Hotelzimmer im ’Middleton’, etwas ausserhalb von Middleton. Drakken hatte es ihr einst empfohlen, falls sie jemals auf die schräge Idee kommen sollte, hier Ferien zu machen. Damit hätte niemand jemals gerechnet, wer sollte auch schon freiwillig in diesem Kaff Urlaub machen. „Das Leben hat schon einen eigenartigen Sinn für Humor ...“, dachte die Schwarzhaarige, „ ... vor allem einen sehr ironischen.
Das Zimmer war nichts Grossartiges, aber wenigstens sauber und allemal besser als Drakkens Versteck in den Rockys. Es war sehr geräumig, verfügte über ein kleines Bad, gleich rechts neben dem Eingang, links davon ein grosses, äusserst bequemes Bett, dann ein kleiner Schreibtisch, eine Schiebetüre, um draussen zum Pool zu gelangen, Telefon, Fernseher, eben die Standartausrüstung, und einige Wandschränke, die Shego aber nie benutzte. Ihre Tasche lag immer abreisebereit gepackt neben dem Bett, die vielen Jahre mit Drakken hatten sie sehr vorsichtig gemacht.
Sie stockte, als sie bemerkte, dass die Zimmertüre nur angelehnt worden war, befreite vorsichtig ihren linken Arm aus der Schlinge und liess ihre rechte Hand aufglühen, während sie die Türe vorsichtig aufstiess. Dann betrat sie das verdunkelte Zimmer langsam, tastete sich mit den Füssen voran. Als die Schwarzhaarige die sperrangelweit geöffnete Minibar rechts neben dem Bett sah, liess sie unter Schmerzen auch noch ihre linke Hand aufglühen, worauf sie mit ihrem rechten Fuss die Türe heftig zuschlug.
„Wer ist da? Komm raus, sonst ...“, schrie sie in den dunklen Raum hinein. Die beiden aufflammenden Hände mussten ihr unbekanntes Gegenüber schwer beeindruckt haben. Dieses begann laut zu wimmern und antwortete weinerlich: „Bitte, bitte tun Sie mir nichts. Ich wurde dazu gezwungen.“
Dann öffneten sich die Storen. Shego wurde kurz geblendet und konnte schliesslich am Fenster eine schlanke, hochgewachsene Person erkennen, die wohl, aufgrund der Uniform, Portier dieses Hotels sein musste, und eine weitere, die sich rechts neben der Fenstertüre beim Schreibtisch auf einen Stuhl gesetzt und die Beine aufs Bett hochgelegt hatte. Nach einem leisen, herablassenden Geräusch der sitzenden Person entfernte sich der Portier zitternd mit gehobenen Händen von der Fenstertüre, ging an Shego vorbei und verliess das Zimmer hastig mit einem erleichtert aufatmenden „Tut mir leid.“ Die Schwarzhaarige konnte es ihm nicht verdenken. Man hatte ihn grün und blau geschlagen, der arme Kerl hatte offensichtlich geweint, ein Veilchen und viele Schürfwunden im Gesicht erleiden müssen.
Dann wandte Shego sich wieder dem Sitzenden zu, indem sie in Kampfposition ging. Sie wusste ganz genau, wer da vor ihr sass, dementsprechend raste auch ihr Herz. Der Narbenträger winkte mit ausgestrecktem Zeigefinger ab, während er sich mit der linken Hand ein Glas mit Whiskey aus der Minibar zum Mund führte.
„Aber, aber, Miss ...“, sagte er äusserst gelassen, suchte im Empfangsbuch, welches er an der Lobby entwendet haben musste, nach dem richtigen Namen und stellte fragend fest, „ ... Miss Ogehs? Du warst auch schon mal kreativer.”
Shego hatte diesen Moment gefürchtet, wie keinen zweiten. Sie hatten noch nicht einmal richtig miteinander geredet, geschweige denn miteinander gekämpft und die Schwarzhaarige kam sich schon hilflos vor. Die Gelassenheit und Ausstrahlung dieses Menschen waren gewaltig, er schien vor nichts Angst zu haben, und machten sie immer nervöser. Schwer atmend ging sie einige Schritte zurück.
„Was denn? Keine sarkastische Äusserung? Keine Umarmung? Nicht einmal ein Lächeln für einen alten Freund?“, fragte der Schwarzhaarige gespielt erstaunt auf die perplexe Reaktion seines Gegenübers, während dieses panisch den Hörer vom Hoteltelefon riss, aber kein Freizeichen erhielt.
Plötzlich stand der Narbenträger zwischen ihr und der Eingangstür, um ihr den Fluchtweg abzuschneiden, denn sicherlich wäre das Shegos nächster Schritt gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wie er das so schnell geschafft hatte, geschockt und gleichermassen überrascht liess sie den Hörer fallen und wich zurück. Der Narbenträger spielte zuerst vergnügt mit dem herausgerissenen Telefonkabel, warf es der Schwarzhaarigen schliesslich desinteressiert zu, lehnte sich grinsend an die Wand und nahm erneut einen kleinen Schluck Whiskey. Er genoss dieses kleine Spielchen sichtlich, während Shego krampfhaft versuchte sich zusammenzureissen. Diese verdammten Träume hatten sie definitiv innerlich aufgefressen. Eine Shego vergangener Tage hätte sich nie das Spiel eines anderen aufzwingen lassen, hätte sich mit Händen und Füssen gewehrt. Sie stand kurz vor einem Zusammenbruch, versuchte aber sich möglichst nichts anmerken zu lassen und überwand, wenn auch zutiefst verunsichert, endlich ihre Sprachlosigkeit: „Was willst du von mir?“
Der Narbenträger musterte sie lange wortlos, durchbohrte sie mit seinen Augen, zwang sie, einzig durch diesen nicht auszuhaltenden Blick, sich auf das Bett zu setzen. Er spürte ihre Angst, konnte sie fast riechen, ihr Kampfeswille war noch nicht gebrochen, aber arg angeschlagen. Im Vorbeigehen antwortete er beinahe sanft: „Nur reden, Kleines. Wenn ich dich heute hätte töten wollen, hätte ich das längst getan.“
Tatsächlich trug der Schwarzhaarige nur ein Hemd und Hosen am Körper und war, soweit man sehen konnte unbewaffnet. Er stellte sich vor das Fenster, kehrte Shego so den Rücken zu und betrachtete interessiert wirkend die wunderschöne Umgebung, bevor er fortfuhr: „Ein Verkehrsunfall ... ha! Diese Trottel von Hench Senior hielten dich tatsächlich für Tod. Es war aber auch äusserst schlau eingefädelt, muss ich zugeben. Du hast dir den Machtwechsel vor fünf Jahren zu Nutzen gemacht. Da Hench Junior nicht in die miesen Geschäfte seines Vaters eingeweiht war, bist du in Vergessenheit geraten. Du hast deine Spuren gut verwischt. Es war gar nicht so einfach dich aufzuspüren.“
Shego wurde langsam wieder mutiger und beruhigte sich ein wenig. Sie atmete einmal tief ein, bevor sie etwas abwesend wirkend erwiderte: „Das war ja auch der Sinn der Sache.“
„Zwei Jahre lang hab ich dich über Scotland Yard, Interpol, FBI und das NGG gesucht, die sich aber als genau so unfähig erwiesen, wie die Scharfschützen von gestern.“, er ballte dabei die freie Hand, dann seufzte er erfreut, „Ich bin fast ausgeflippt, als ich deine Verhaftung vor fünf Wochen im Fernsehen gesehen habe. Nach tiefgreifenden Nachforschungen über den Vorfall, bin ich schliesslich über Kim Possible gestossen. Mir war klar, dass ihr euch früher oder später wieder über den Weg laufen würdet. Ich musste mich also nur in ihrem Umfeld aufhalten.“
In falscher Sicherheit gewogen, wollte die Schwarzhaarige die scheinbare Unaufmerksamkeit ihres Gegenübers, der immer noch mit dem Rücken zu ihr stand, ausnutzen, liess ihre rechte Hand aufglühen, während sie sich vom Bett wegstiess und auf den Narbenträger zusprang. Dieser hatte ihren Angriff aber längst erwartet und war ihr innerlich bereits mehrere Schritte voraus. Noch bevor Shego ihn erreichte, drehte er sich um, spritzte ihr den Rest Whiskey mitten ins Gesicht, ohne dabei das Glas loszulassen. Die Schwarzhaarige musste ihr Ziel aus den Augen lassen, nachdem ihre glühende Hand Scarfaces Kopf nur knapp verfehlte, griff dieser seiner Angreiferin mit der rechten Hand an den Hals. Er hob sie unter ihrem röchelnden Stöhnen einige Zentimeter über den Boden, ehe er sie zurück aufs Bett warf und ihren kläglichen Angriff beendete.
„Immer noch dieselbe hinterlistige Schlange, was? Aber immer noch so leicht auszutricksen.“, bemerkte er grinsend. Er ging um das Bett herum zur Minibar, öffnete zwei Whiskeyfläschchen und füllte sein Glas wieder auf. Shego blieb flach auf dem Bett liegen, hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm und hustete einige Male. Dieser Angriffsversuch war nicht nur unnötig, sondern auch dumm, eine reine Verzweiflungstat. Dementsprechend überrascht erklärte der Narbenträger, der Shego eigentlich für schlauer hielt: „Nur weil ich gesagt habe, ich würde dich heute nicht töten wollen, heisst das noch lange nicht, dass ich es nicht trotzdem tun könnte. Ich bin dir sowohl technisch, als auch physisch und psychisch weit überlegen, also was sollte das eben?“
„War es wirklich nötig, dass du Kimmie da mit reingezogen hast?“, fragte Shego durch die Zähne zischend. Sie konnte sich nicht helfen, sie hatte keine Ahnung, warum das Schicksal ihrer Erzfeindin ihr plötzlich so nahe ging. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn mit der Schwarzhaarigen, ihre Gedanken taten dasselbe in ihrem Kopf. Mit einem hilflos wirkenden Blick starrte sie an die Zimmerdecke.
Der Narbenträger kniete sich rechts neben das Bett, beugte sich vornüber, schaute der Schwarzhaarigen direkt in ihre tiefgrünen Augen und legte ihr, nur um sich auf seine ironische Art zu vergewissern, dass sie kein Fieber hatte, sanft die linke Hand auf ihre Stirn, was sie, ohne sich zu wehren, zuliess. Darauf erwiderte er sarkastisch, doch erstaunt: „Jetzt sag mir nicht du magst die Kleine. Seit wann hat Shego denn so was wie Gefühle?“
Genervt stöhnend entzog sie sich seinem Blick, schubste seine Hand weg, richtete sich auf und rieb sich vorsichtig ihren verletzten Arm. Komischerweise wich ihre Todesangst und Panik langsam aber stetig einer sich steigernden Todeslust. Es schien, als ob der Narbenträger Shegos Psyche mit seiner blossen Anwesenheit zu vergiften und ihr jeglichen Boden unter den Füssen wegzuziehen vermochte. Sie stand auf, verschränkte die Arme und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fenstertür. „Hör endlich mit deinen albernen Spielchen auf.“, gab sie schwach zurück und fragte seufzend nach, „Was willst du eigentlich von mir?“
Grinsend hatte er jede Bewegung der Schwarzhaarigen verfolgt. Wie der Narbenträger an ihrem glasigen Blick erkennen konnte, war sie kurz davor innerlich zu zerbrechen. Erfreut leerte er das Glas, stellte dieses mit einem lauten Knall umgedreht auf den Nachttisch, richtete sich ebenfalls auf und kam beinahe schleichend auf Shego zu, wobei er einen Knopf nach dem anderen an seinem Hemd öffnete und dieses schliesslich auszog. Angewidert drehte Shego ihren Kopf nach rechts und schloss ihre Augen. Mit ernster Miene schlug der Narbenträger mit der linken Faust, links neben Shegos Kopf auf die Glasscheibe, was die Schwarzhaarige zusammenzucken liess, und stützte sich so ab, während er seinen Kopf nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht stoppte.
„Sieh mich an, Shego!“, flüsterte er ernst, als er nur ein schwaches Kopfschütteln als Antwort bekam, schrie er den Satz nochmals: „Sieh mich an!“
Langsam, unendlich langsam drehte Shego ihren Kopf wieder zu ihrem Gegenüber und schaute ihm direkt in seine erschreckend starren, kalten, fast toten Augen. Eine Träne kullerte über ihre rechte Wange.
„Ich will, dass du dich erinnerst.“, er streckte dabei seinen rechten Zeigefinger aus, um seiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen. „Du sollst dich an diese Nacht vor fünf Jahren erinnern ...“, er legte eine kleine Pause ein, drehte kurz seinen Kopf nach rechts weg, damit Shego die vier Narben auf seiner Wange sehen konnte, ehe er ihr wieder in die Augen sah und ruhig anfügte, „ ... daran was du getan hast.“
Der Narbenträger ging zwei Schritte zurück, liess seine Arme hängen und präsentierte der Schwarzhaarigen seinen nackten, muskulösen Oberkörper. Ihre Augen gleiteten über die, von ihr verursachten Narben. Über seine Wange, schräg über die linke Brust und den linken Oberarm, über seine linke Hand und die linke Seite am Rippenansatz. Zu jeder dieser Stellen, kamen Shego die jeweiligen Szenen schlagartig in den Sinn und jede neue Erinnerung traf sie schlimmer als die vorherige.

Es war ein kleiner, quadratischer Raum, irgendwo in Tokio. Er war hell erleuchtet. Inmitten des Raumes stand ein metallischer, silbrig glänzender Stuhl, davor lag der junge Mann regungslos. Seine blutigen Hände waren mit Handschellen hinter seinem Rücken zusammengebunden worden. Nachdem er aus seiner Bewusstlosigkeit aufgewacht war, hatte sich die arme Seele unter einem schmerzvollen Stöhnen auf die Seite gedreht und zur Türe geblickt. Er war zusammengeschlagen worden. Sein Gesicht übersät mit blutigen Kratzern, blauen Flecken und zwei Platzwunden, eine über dem rechten Jochbein, die andere über der rechten Augenbraue. Seine Kleidung war schmutzig vom Boden, auf den er immer wieder befördert wurde. Er hatte sich daran erinnert, wie sie ihm mehrmals die rechte Schulter auskugelten und wieder einrenkten, wobei im nicht ganz klar war, was schmerzhafter gewesen war, und wie sich die Handschellen langsam in seine Handgelenke gefressen hatten. Und das Ganze nur, um ihn endlich zum Reden zu bringen.
Mühsam hatte er sich auf die Knie aufgerichtet und links zum spiegelnden Beobachtungsfenster gesehen, um ihnen zu signalisieren, dass es in die nächste Runde gehen konnte, darauf mit bösem Blick das angesammelte Blut in seinem Mund in Richtung seiner Beobachter ausgespuckt. Kurz darauf hatten vier Schränke den Raum betreten und ihr Opfer angegrinst und ausgelacht. Seit Stunden schon wiederholte sich dieses Spielchen, aber der junge Mann wollte einfach nicht aufgeben, schon damals verfügte er über eine enorme Ausdauer, wie auch einer der Schläger hatte erfahren müssen. Dieser hatte sich bei einem Schlag irgendetwas in der rechten Hand gebrochen und hatte diese verarzten lassen müssen.
Zwei der Männer hatten ihn links und rechts an den Armen gepackt, ohne Mühe aufgehoben, als ob dieser leicht wie eine Feder wäre, und auf den Metallstuhl gesetzt, nur damit er durch einen sehr harten Schlag eines anderen Schlägers gleich wieder zu Boden geworfen wurde. Währenddessen hatte einer der Schränke einen weiteren Metallstuhl in kurzer Distanz genau gegenüber dem Alten aufgestellt. Als die junge Shego den Raum mit verschränkten Armen betreten hatte, waren auch das Opfer und sein Stuhl wieder aufgerichtet worden.

„Deshalb hat Hench Senior dich mir vorgestellt ...“, stellte der Narbenträger ruhig fest, während er sich am Kinn kratzte, „ ... deshalb hast du dich an mich herangemacht. Nur um mich schliesslich verraten und verkaufen zu können, damit er endlich an dieses verdammte, von mir entwickelte Satellitensystem kommen konnte.“

Shego hatte die vier Schläger weggeschickt, welche den Befehl nur widerwillig befolgt hatten. Anfänglich hatte die Schwarzhaarige nur gegrinst und nichts gemacht, dann war sie um den jungen Mann herum gegangen, immer und immer wieder, bis sich die Beiden nur noch gegenseitig angeschrieen und Nettigkeiten ausgetauscht hatten.
Das Ziel den Schwarzhaarigen mit Shego zum Reden zu bringen, war aber gründlich misslungen, es machte ihn eher noch unbezwingbarer, noch unbeugsamer. Dementsprechend frustriert hatte sie auf ihr Opfer eingeschlagen und die ständigen Provokationen seinerseits hatten sie noch rasender gemacht. Als er seinem, damals noch unerfahrenen Gegenüber ins Gesicht gespuckt und ihr darauf eine heftige Kopfnuss verpasst hatte, waren bei ihr endgültig sämtliche Sicherungen durchgebrannt. Sie hatte ihre Hände aufglühen lassen und den Schwarzhaarigen hasserfüllt angegriffen. Mit dem ersten Schlag erwischte Shego seinen linken Arm, weil er aufgestanden war und sich, um der Attacke auszuweichen, seitlich weggedreht hatte, mit dem Zweiten hatte sie seine linke Brust aufgeschlitzt, worauf er an die nächste Wand geschleudert worden war.
Doch Shego hatte noch nicht genug, sie hatte ihn, in die Enge getrieben, frontal angegriffen. Beim nächsten Schlag hatte er der Schwarzhaarigen schnell den Rücken zugedreht, dabei hatte sie seine linke Hand böse zugerichtet, aber auch die Handschellen durchtrennt. Dadurch war es dem jungen Mann möglich ein, zwei weitere Schläge abzuwehren, schliesslich vermochte er Shego, aufgrund seiner Erschöpfung, nichts mehr entgegen zu bringen. Sie griff ihm mit der Rechten in seine linke Seite und bohrte ihre Krallen tief ins Fleisch, worauf er laut aufschreien musste, bis seine Stimme versagt hatte. Die Narben an der Wange schliesslich, hatte Shego, als Rache für die Kopfnuss, langsam und genüsslich grinsend verursacht, bevor die Schläger wieder erschienen und sie panisch wirkend mit aller Kraft von Scarface weggezogen, dabei aber die offene Türe aus den Augen gelassen hatten.
Es grenzte an ein Wunder, dass Hench Seniors Schergen trotz der sofortigen Verfolgung den Verletzten nicht mehr eingeholt hatten, dass dieser trotz seinen schweren Verletzungen aus der riesigen Lagerhalle entkommen konnte und im Regen wenig später ziellos herumirrend diesem alten, weissbärtigen Mann in die Hände gelaufen war.

„Ich will, dass du verstehst, Kleine.“, meinte der Narbenträger unter Shegos Wimmern weiter, „Ich wollte dort raus und hab dich provoziert. Ich kann nicht sagen, dass es so geplant war oder dass es mir gefiel, wies gelaufen ist, aber dank deinem Ausraster konnte ich unbemerkt aus dem Raum entkommen. Was aber einen hohen Preis zollen wird: Dein Plasma hat mein Blutbild krankhaft verändert, ich habe eine nicht behandelbare Form von Leukämie und werde früher oder später daran sterben.“
Mit einem laut geschrieenen „Nein!“ ging die Shego schliesslich in die Knie, brach endgültig zusammen. Sie schrie sich unter Tränen die Seele aus dem Leib und begann beinahe zu hyperventilieren, sie wollte nur noch, dass dieser Albtraum endlich vorbei ginge und hielt sich beschämt mit beiden Händen den Kopf. Immer wieder sagte sie flüsternd den gleichen Satz, bis ihre Stimme brach: „Ich habe das nicht gewollt.“
Der Narbenträger zog sein Hemd wieder an, ging in die Hocke und sah Shego emotionslos ins Gesicht. Ruhig gab er endlich den eigentlichen Grund für seinen Besuch preis: „Ich will, dass du mich auf Knien anflehst, dich zu töten.“
Dann wartete er einige Minuten regungslos, während Shego immer wieder, in fast regelmässigen Abständen, laut nach Luft schnappte. Er hatte sie offenbar doch noch nicht ganz soweit, sicher, ihr Kampfeswille war gebrochen, innerlich war sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen gefallen, aber da war immer noch ein Fünkchen Stolz. Trotzdem war der Schwarzhaarige mit dem erzielten Resultat äusserst zufrieden. Er verliess sie schwach lächelnd, überliess sie scheinbar ihrem Schicksal. Die Zeit würde für den Rest sorgen. Die bemitleidenswerte Frau zitterte am ganzen Körper und hielt sich mittlerweile mit beiden Armen den Bauch, während sie mit weit offenen Augen auf den Knien hin und her wippte. Als sie bemerkte, dass Scarface den Raum verlassen hatte, brach sie erneut lauthals in Tränen aus, bis sie schliesslich auf allen vieren zur Toilette kroch und sich übergab.

Nakasumis Privatjet, irgendwo über dem Pazifischen Ozean, nachmittags
Ron gähnte lächelnd und streckte sich zufrieden, während er, dicht gefolgt von Rufus, durch das Flugzeug schlenderte. Er und Kim hatten die lange Flugzeit gut genutzt, endlich reinen Tisch gemacht und die vergangenen Tage definitiv ad acta gelegt. Als Wade die Beiden unterbrochen hatte, stand der blonde Teenager auf und wollte sich, was er, nach dem höchst anstrengenden Gespräch über Zeitzonen, und ob man bei der Überquerung der Datumsgrenze nun einen Tag gewinnt oder verliert, sowieso getan hätte, unbedingt ein wenig die Füsse vertreten.
Er betrat die Chefloge, schloss die Türe hinter sich, während sein Blick durch die geräumige Kabine wanderte, und ging schliesslich einige Male nachdenklich um einen rednerpultähnlichen Kasten mit vielen Schaltern und Knöpfen, an den er sich gar nicht erinnern konnte, als sein Blick wieder bei Nakasumis Spielzeugfiguren hängen blieb. Lange betrachtete er die Kreationen und Skizzen, welche es ihm schon beim letzten Mal angetan hatten. Dabei schweifte er in Gedanken offensichtlich ab, denn er neigte seinen Kopf leicht zur Seite und begann breit zu grinsen, bis er sich kopfschüttelnd wieder den Spielzeugen zuwendete.
Allerdings schien ihn irgendetwas zu stören. Stutzig wirkend hob er plötzlich eine Augenbraue, schob eine der Figuren vorsichtig auf die Seite und wich erschrocken einige Schritte von der Kommode zurück, ehe er rücklings von diesem neuen Kasten gestoppt wurde. Diese durchdringenden gelben Augen und dieses hinterlistige gelbe Grinsen würde der Teenager wohl nie wieder vergessen. Mit offenem Mund nahm er einige Anläufe etwas zu sagen, vermochte seine Sprachlosigkeit nicht zu überwinden und brach jeden Versuch wieder ab, bemerkte aber nicht, dass er dabei unabsichtlich einen Kippschalter am Rednerpult umlegte.
Rufus sprang auf die kleine Kommode und starrte den Lil’ Diablo nur böse an, da sich der cybertropische Roboter aber nicht rührte, wandte sich der Nacktmull wieder ab und folgte Ron, welcher, schon wieder nichts Gutes ahnend, auf halbem Weg zur Passagierkabine befand, um Kim die erschreckende Neuigkeit mitzuteilen. Aber ein ihnen sehr bekanntes Geräusch jagte ihnen kalte Schauer über die Rücken, liess die Beiden stocken und sich augenblicklich umdrehen. Aufatmend sahen sie, dass der kleine Teufel immer noch grinsend auf seinem Platz stand, was Ron dazu veranlasste sich am Kopf zu kratzen, denn er hätte schwören können die gleichen Schrittgeräusche gehört zu haben, wie damals vor dem Bueno Nacho, als ihn eine ganze Armee dieser kleinen Roboter angegriffen hatte. Als er dem Kasten erneut den Rücken zudrehte, spähte ein zweiter Diablo um das Rednerpult herum und beobachtete sein Opfer mit dem üblichen Grinsen.

Kim hing mitten in der Passagierkabine ohne Sicherungsseil kopfüber von der Decke herunter, als ob es das Natürlichste dieser Welt wäre. Sie sah gelassen an sich hoch, betrachtete zufrieden ihren Kampfanzug und liess schliesslich unter einem amüsierten Seufzer die Arme hängen. Das System war wieder einmal genial durchdacht, allein durch eine Gewichts- und Druckverlagerung auf die Fussballen und Zehen war es der Teenieheldin nun möglich kurze Zeit im wahrsten Sinne in der Gegend rumzuhängen. Sie verringerte also den Druck, den sie mit ihren Zehen auf die Schuhsohle ausübte, worauf sich der Mechanismus prompt von der Decke löste. Mit einer schnellen Drehung war es der Teenagerin dennoch möglich, sicher auf ihren Füssen zu landen, fügte dann einige Rückwärtsüberschläge an, turnte zwischen den Sitzen herum und schloss ihre Übung schliesslich mit einem gekonnten Rückwärtssalto ab. Etwas ausser Atem geraten, ruhte sie sich kurz im Stehen aus, ehe sie sich wieder neben ihre Tasche auf einen der blauen Sitze setzte und nach dem Kimmunicator griff.
„Sehr schön, Wade, passt wie angegossen.“, sagte die Teenagerin lächelnd, als sie nach dem Kimmunicator griff, merkte jedoch ernst an, „Aber das dürfte nicht genügen, um am helllichten Tag in die Hauptfiliale von Ccorp. zu spazieren und den Kimmunicator unbemerkt am Hauptrechner anzuschliessen.“
Mit bösem Blick und beleidigt klingend gab der schwarzhaarige Junge zurück: „Das weiss ich doch, deshalb hab ich ja auch immer ein Ass im Ärmel. Drück den grossen Knopf auf deinem Gurt und dreh ihn im Uhrzeigersinn ...“
Mit gehobenen Augenbrauen schaute die Teenieheldin auf den violetten Knopf, bevor sie Wades Anweisung befolgte und ihn vorsichtig drückte und drehte. Anfangs passierte nichts, aber nach und nach wuchs der Anzug über Kims Gesicht, bildete eine Art Maske und bedeckte anschliessend auch ihre Haare vollständig. Kim war etwas überrumpelt worden, doch ihr anfängliches Unbehagen wich schnell, als sie merkte, dass es sich unter der Maske genauso gut atmen und sehen liess, wie ohne. Sie hatte sich kaum beruhigt, so folgte schon der nächste Schock: Langsam wurden ihre Hände, Arme, ihr ganzer Körper immer fahler, bis sie schliesslich vor den überraschten Augen der Teenagerin vollständig verschwanden. Vor ihrem Gesicht drehte sie ihre rechte Hand mehrmals von der Handunterseite auf den Handrücken, sie spürte diese Bewegungen, konnte sie aber nicht sehen. Es löste ein etwas mulmiges Gefühl bei Kim aus, dementsprechend verwirrt und leicht panisch klingend rief sie: „Wade? Was ...“
Dieser biss gerade in einen Riegel und antwortete mit vollem Mund: „Kim? Jetzt ist sie doch glatt verschwunden.“ – „Wade! Bitte keine Scherze, was hast du gemacht?“
Der Junge putzte sich vergnügt die Hände, während er grinsend runterschluckte und Kim einige Details auf dem Kimmunicator anzeigte. „Dein Anzug verfügt jetzt über eine Art Tarnkappenmodus, übertragen aus dem ’Wadebot’, er erzeugt ein Kraftfeld, welches Licht mit einer Wellenlänge aussendet, die über dem menschlichen visuellen Bereich liegen. Damit solltest du keine Probleme haben unerkannt zu bleiben.“
„Wade du bist ein Genie!“, gab Kim nun erfreut zurück, fragte aber etwas besorgt nach, „ ... und wie schalte ich es wieder ab?“ – „Den Knopf einfach im Gegenuhrzeigersinn zurückdrehen.“
Äusserst zufrieden zog Kim wieder ihre normale Missionshose und ihr schwarzes Top über den Anzug an, als sie den traurigen und besorgten Blick von Wade bemerkte. Noch bevor die Teenagerin eine Frage stellen konnte, ergriff der schwarzhaarige Junge das Wort: „Ist zwischen dir und Ron wieder alles in Ordnung?“
Ihm waren die Umstände um die beiden Teenager natürlich nicht verborgen geblieben, ausserdem hatte sich Ron am vorherigen Tage mit ihm darüber unterhalten, bevor er, Senseis Warnung folgend, zu Kims Rettung geeilt war. Aber das würde er der Teenieheldin sicher nicht erzählen.
Sie lächelte sanft und antwortete ohne zu zögern: „Ja, alles in Ordnung.“ Noch nie zuvor war sie sich so sicher bei einer Sache, wie mit Ron. In dem Moment unterbrach Besagter das Gespräch der Beiden, als er mit einem lauten Schrei die Zugangstüre aufschleuderte und, weiter panisch schreiend, neben Kim durchrannte, dicht gefolgt von Rufus, der genauso schrill herumquiekte. Erst schaute die Teenagerin ihrem Freund nur verdutzt nach, als auch noch an die fünfzig Diablos im Laufschritt an ihr vorbeisprinteten, begriff sie und musste sich ein Lachen verkneifen.
„Hat er Nakasumis Geheimnis entdeckt?“, fragte Wade grinsend, worauf Kim ihm ebenfalls über beide Ohren grinsend zuzwinkerte und die Verbindung beendete.
„Kim, Hilfe!“, schrie der Ron quer durch die Kabine, als er einige Sitzreihen weiter umfiel, sich aber mühsam wieder aufrichten konnte, während er sich ein paar Diablos von der Schulter abschüttelte. Wieder rannte Ron mit weit ausgestreckten Armen an seiner Freundin vorbei, dieses Mal in die andere Richtung, zurück in die Chefloge. Mittlerweile hingen ihm schon viele Diablos an den Hosen, die Rufus, der sich bei Rons Kehrtwende in dessen Tasche verstecken konnte, nur mässig abzuwehren schaffte. Schliesslich holten seine Verfolger den blonden Teenager ein, brachten ihn mitten in der Chefloge zu Fall und stürzten sich unbarmherzig auf ihn.
Währenddessen stand Kim auf, folgte dem Getümmel gelassen und blieb schliesslich kopfschüttelnd auf ihren Freund herunter schauend. „Ron beruhig dich, die tun dir nichts.“
Dieser rollte sich gerade auf dem Boden hin und her, hielt sich bei geschlossenen Augen den Bauch und lachte laut hinaus. „Aber sie sind böse ... und ausserdem kitzeln sie mich zu Tode!“, schrie er wie am Spiess, „Bitte mach sie weg, bitte, ich kann nicht mehr!“
Amüsiert grinsend beobachtete die Teenieheldin die ehemaligen Welteroberer, wie sie auf Ron rumturnten, bis endlich Miss Kyoko, welche die Kabine kurz nach Kim betreten hatte, ein Einsehen mit dem armen Kerl hatte und die Lil’ Diablos vom Kontrollpult aus deaktivierte.
Ron wie Rufus dankten es ihr, indem sie erleichtert laut aufstöhnten, während sich Nakasumis Assistentin an Kim wandte: „Miss Possible, wir landen in etwa einer Stunde in Tokio.“
Die rothaarige Teenagerin bedankte sich mit einer leichten Verbeugung, worauf Miss Kyoko den Raum schon wieder verlassen wollte. Ron setzte sich langsam auf, warf die leblosen Roboter genervt und angeekelt durch die Kabine, fühlte sich durch Rufus’ böse klingendes Gequieke nur noch mehr bestätigt, stand auf und klopfte sich die übrigen Diablos von den Hosen.
„Hätte vielleicht irgend jemand die Güte mir zu erklären, was diese Dinger hier machen?“, fragte der blonde Teenager, wobei es mehr wie ein Befehl klang.
Die schwarzhaarige Frau fühlte sich offenbar angesprochen und blieb stehen. „Nakasumi-san wollte die kleinen Teufel behalten, schliesslich ist es seine Kreation.“, antwortete Miss Kyoko ruhig, doch ehrfürchtig. Noch bevor Ron etwas darauf erwidern konnte, was er zweifellos wollte, fügte Kim lächelnd an: „Mein Dad hat dabei geholfen die Diablos zu entwaffnen, entschärfen und umprogrammieren, sie sind absolut harmlos.“
Mit geschlossenen Augen fuhr wieder die Japanerin erfreut lächelnd fort: „Der Lil’ Diablo ist ein Verkaufsschlager überall auf der Welt ...“
„Aha und jetzt werden sie dazu missbraucht, um Leute durch Kitzeln zu foltern?“, unterbrach Ron misstrauisch, der sich mit der ganzen Situation immer noch nicht angefreundet hatte.
„Nicht doch, nicht doch ...“, warf nun Mr. Nakasumi, der inzwischen auch seine Chefloge betreten und sich, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, zu Miss Kyoko gestellt hatte, lächelnd ein, „ ... das sind Massageroboter. Sehr entspannend, sollten Sie auch einmal probieren.“ Sowohl Kim, als auch die schwarzhaarige Frau kicherten laut auf, als sie Rons verblüfften Gesichtsausdruck sahen.
Der Spielzeugmagnat war von den Kleinen dermassen angetan, dass er sie damals nicht nur nicht verschrotten liess, sondern gleich noch eine kleine Armee für sich selber haben wollte. Er bestätigte noch einmal, was Kim an dieser Stelle bereits beteuert hatte. Die Roboter waren entwaffnet worden und würden niemandem auch nur ein Haar krümmen, allerdings könnten sie jederzeit wieder umfunktioniert werden. Dazu bräuchte derjenige aber das nötige Wissen, einen extremen elektronischen Materialaufwand und schliesslich einen mehrstelligen Zugangscode, um auf das Diablosystem zuzugreifen, der zusätzlich alle paar Stunden wechselte, so dass nicht einmal Nakasumi persönlich wusste, welcher Code gerade aktuell war.
„Was haben Sie denn erwartet, Mr. Stoppable? Dass ich versuche die Weltherrschaft an mich zu reissen?“, fragte der Japaner schulterzuckend und legte für Ron eine kleine Denkpause ein, „ Ich bin auf der Welt um Freude zu bereiten, nicht Angst und Schrecken.“
Beschämt kratzte sich der Teenager am Nacken und legte sein peinlich berührtes Lächeln auf. Endlich schien Ron zufrieden gestellt, also wandte sich der alte Japaner an Kim: „Ich konnte einen Termin bei Ccorp. für Sie organisieren, Miss Possible. Sie werden an einer kompletten Firmenführung teilnehmen. Das dürfte ihrem Forschungsprojekt helfen.“
Der Teenagerin war nicht ganz wohl bei der Sache, denn sie musste Nakasumi eine kleine Notlüge auftischen. Sicher hätte dieser, basierend auf irgendwelchen Vermutungen, niemals so bereitwillig einen Termin vereinbart. Dennoch, etwas Besseres hätte nicht passieren können. Wieder verneigte sich die Teenieheldin respektvoll. „Vielen Dank.“, sagte sie in einem heiteren Tonfall und fragte interessiert nach, „Werden wir das Vergnügen haben Mr. Chen kennen zu lernen?“
Sie hätte zu gerne persönlich mit dem Leiter von Ccorp. Bekanntschaft gemacht, aber Mr. Nakasumi musste sie enttäuschen. „Leider nein. Er ist auf Geschäftsreise in Europa.“, antwortete er kopfschüttelnd.
„Haben Sie ihn schon Mal getroffen?“ – „Ich hatte einmal das Vergnügen ihn an einer meiner Firmenpartys zu begrüssen. Eigenartigerweise hat er sich sehr für das Hephaestus-Projekt interessiert und mir viel Geld für das System geboten. Ich habe natürlich abgelehnt, schon aus moralischen Gründen ...“
Nakasumi wurde von seiner Assistentin unterbrochen, sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf sich dieser entschuldigte und die Kabine verliess.
Nach diesem kurzen, aber sehr aufschlussreichen Gespräch, blieb Kim nachdenklich stehen und dachte laut nach: „Das ist ja interessant. Was will eine Firma, die Medikamente herstellte, mit cybertronischen Robotern?“
Schon wieder ein Rätsel, die ganze Sache wurde immer verworrener, irgendwie basierte Ccorp. nur auf Widersprüchen und offenen Fragen. Der Verdacht, dass die Firma tief in dieser ganzen Verschwörungssache steckte, erhärtete sich immer mehr. Gewissheit würden sie aber erst nach ihrem Besuch haben, deshalb verwarf die Teenagerin vorerst ihre Gedanken und half schliesslich ihrem Freund und Miss Kyoko dabei die Diablos wieder an ihren Platz im Kontrollpult zu verräumen.

’C-Tower’, Ccorp. Hauptfiliale, Tokio, spätnachmittags
Der gesamte Komplex rund um den ’C-Tower’, wie ihn die Japaner schon beinahe liebevoll nannten, war gigantisch. Dem eigentlichen Wolkenkratzer, mit seiner quadratischen Grundform, wurde eine dreieckige, nach oben hin spitz zulaufende Empfangshalle ganz aus Glas angebaut. Neben einem kleinen Park und direktem Zugang zur tokioter Metro, verfügte der ’C-Tower’ zusätzlich über einen Helikopterlandeplatz auf dem Dach in über 400 Metern Höhe.
Kim überflog die Broschüren von Ccorp. besorgt, während sie sich, an das Empfangspult gelehnt, in der geräumigen und sehr hellen Glaseingangshalle umsah. Eine der Empfangsdamen hatte die beiden Teenager dazu aufgefordert, sich noch einen kurzen Moment zu gedulden, es würde sie gleich jemand abholen. Wie die Teenieheldin zu ihrem Unbehagen auch noch vernehmen musste, würden nur sie und Ron herumgeführt. Die Tatsache, dass es sich nicht, wie angenommen, um eine Gruppenführung handelte, warf den ganzen ursprünglichen Plan über den Haufen. Kim würde sich also nicht, wie eigentlich geplant, einfach während der Führung für ein paar Minuten unbemerkt von der Gruppe abseilen können, weshalb sie sich jetzt eine Alternative überlegen musste. Als sie die enormen Sicherheitsvorkehrungen bemerkte, war sie darüber noch weniger erfreut. Man brauchte schon einen Sicherheitsbadge der Firma, um überhaupt in die Eingangshalle, geschweige denn in den eigentlichen Komplex zu kommen, oder aber einen Insider. Eher zufällig fiel ihr Blick auf den halbhohen, metallisch silbrigen Papierkorb, rechts neben ihr.
Währenddessen hatte sich Ron, links von Kim, ebenfalls an das Empfangspult gelehnt, wobei er sich, trotz des enormen geschäftlichen Treibens in der Halle, zusammenreissen musste, nicht im Stehen einzuschlafen. Schliesslich riss ihn ein schlanker, braunhaariger, junger Mann aus seinen Tagträumen, indem der Kittelträger Rons Hand energisch schüttelte, als würde sich dieser freuen den blonden Teenager zu sehen. „Guten Tag Mr. Stoppable. Es ist mir eine Ehre Sie endlich persönlich zu treffen.“, sagte er grinsend mit einer doch recht hohen Stimme, worauf Ron, durch die Störung genervt klingend, antwortete: „Aha, und Sie sind?“
Sein Gegenüber legte die rechte Hand auf die Brust und antwortete äusserst stolz wirkend mit geschlossenen Augen: „Ich bin Hank Perkins.“ „Natürlich sind Sie das.“, erwiderte Ron mit einem aufgesetzten Grinsen, während er so tat, als würde er sich an den Typen erinnern, worauf er, nach Schützenhilfe suchend, Kim mit dem Ellbogen anstupste, den Kopf zu ihr drehte und leise flüsterte, „Wer?“
Die Teenieheldin blickte verwirrt zu Ron, dann zu Perkins, sie hatte noch gar nicht gemerkt, dass er aufgetaucht war, aber sie erinnerte sich sehr gut an Drakkens ehemaliges Helferlein und die etwas verworrene Sache mit ’Ray X’. „Hank Perkins? Was tun Sie denn hier? Ich dachte Sie wollten ins Schurkengeschäft einsteigen.“, meinte die Teenagerin überrascht.
Erfreut schüttelte der Braunhaarige auch Kims Hand, bevor er sich am Hinterkopf kratzte und peinlich berührt lächelnd antwortete: „Nun ja, die ganze Sache hat mich doch nicht so ausgefüllt, wie ich anfangs dachte. Ausserdem hätte ich als kleiner Fisch ohne Hench Industries sowieso keine Zukunft gehabt. Als ob er das gewusst hätte, stand Dr. Chen eines Tages vor meiner Tür und hat mir vorgeschlagen für ihn zu arbeiten, seither bin ich hier angestellt.“
Er liess sich von der Empfangsdame zwei Besucherausweise geben und reichte sie den beiden Teenagern weiter. „Folgen Sie mir bitte, ich werde sie rumführen.“ Perkins winkte die Beiden zu sich und ging vor, rechts am Empfang vorbei, direkt auf eine grosse Eingangstüre zu, während aus seiner Brusttasche seinen Sicherheitsbadge herauszog und ihn an seinem Kittel ansteckte.
„Könnten Sie mir etwas über Dr. Chen erzählen? Was für eine Art Mensch ist er eigentlich?“, fragte Kim, während Perkins seinen Badge an eine metallische Säule links von der Türe hielt, welche sich danach langsam automatisch öffnete. Der Kittelträger liess die beiden Teenager in einen kurzen, verdunkelten Gang vorausgehen, folgte ihnen und geriet ins Schwärmen.
„Dr. Chen ist sehr freundlich und zuvorkommend, aber auch sehr streng, eine wahre Führungspersönlichkeit und Genie auf dem Gebiet der Bioelektronik.“, antwortete er freudig erregt.
Offensichtlich auf Bewegungen reagierend, gingen im Gang die Lichter an, worauf plötzlich ein älterer Wachmann von rechts aus seiner Loge gemütlich dahertrottete, Kim eine Tasche gab und das Trio ansprach: „Bitte legen sie alle ihre persönlichen Gegenstände hier rein, Geldbörsen, Schlüssel, Handys, ich werde sie für Sie verwahren.“
Gehorsam befolgten die beiden Teenager die Aufforderung. Als Kim ihren kabellosen Haarföhn herauszog, blickte sie der Wachmann nur schräg an. Mit einem verlegenen Grinsen erklärte sie: „Für alle Fälle, man kann ja nie wissen.“
Kopfschüttelnd reichte der ältere Herr Kim und Ron je einen weissen Laborkittel, nahm die Tasche und die beiden Rucksäcke an sich und verschwand genauso gemütlich in seiner Loge, wie er gekommen war. Im Weitergehen kam die rothaarige Teenagerin erneut auf das Gespräch mit Perkins zurück: „Bioelektronik? Ich dachte hier werden Medikamente hergestellt.“
„Natürlich, natürlich, aber das ist nur eines von vielen Gebieten, auf denen Dr. Chen tätig ist.“, meinte Perkins ein wenig beleidigt wirkend, „Derzeit arbeitet er daran, das Prinzip des menschlichen Gehirns auf den Computer zu übertragen.“
Die Drei traten durch eine weitere Sicherheitstüre in einen hell erleuchteten Gang, dessen Wände, sogar die Türen, die ebenfalls nur mit einem Badge geöffnet werden konnten, vollständig mit Spiegeln ausgekleidet waren. Man konnte ein lautes, durchdringendes Surren wahrnehmen, zusätzlich war es sehr warm. Kim vermutete, dass hier der Kontrollraum und der Hauptrechner liegen mussten.
Wie üblich blieb Ron, der seiner Freundin bisher nur still gefolgt war, nicht wirklich bei der Sache und konnte es sich natürlich nicht verkneifen, diverse Grimassen in die Spiegel zu schneiden, aber er wurde auf der Stelle dafür bestraft. Mit einem lauten, klatschenden Geräusch lief er gegen eine, sich gerade öffnende Türe. Der blonde Teenager hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Nase, während man eine nervig hohe Männerstimme hören konnte, die gerade zu fluchen begann, aber sofort wieder damit aufhörte, als die Person die Teenieheldin sah, welche gerade besorgt, aber auch ein bisschen schadenfreudig ihre Hand auf Rons Schulter legte.
Der Brillenträger entschuldigte sich knapp und verschwand in Richtung Ausgang, ohne sich noch einmal umzudrehen. Kim hatte den schludrig wirkenden Kittelträger dennoch wiedererkannt. Er hatte denselben lahmen Gang, dieselbe Brille, dasselbe hässliche Grinsen. Es war zweifellos die Person, welche mit Chen zusammen Big Daddy im ’Bermuda Triangle’ besucht hatten.
„Wer war denn das?“, wandte sich die rothaarige Teenagerin wieder an Perkins. Dieser senkte seine Stimme, als ob er nicht über ihn sprechen dürfte, und erklärte schnell: „Das war John Hench, der im Gegensatz zu seinem Bruder den Weg der Tugend eingeschlagen hat. Er ist die rechte Hand von Dr. Chen.“

Die Führung dauerte geschlagene zwei Stunden. Die beiden Teenager bekamen viele Labors und Demonstrationen, auch einen halbstündigen Film über die Firma zu sehen und Kim konnte noch so einiges in Erfahrung bringen. Nämlich, dass Perkins scheinbar seine Hausaufgaben gemacht hatte, so tat er die Vertuschung der Informationen über das Verschwindens des Öltankers als einfache Imageschutzmassnahme der Firma ab und liess sich selbst mit der Frage über die Dinner Party für die Superschurkenelite nicht aus der Ruhe bringen. Für ihn stellte dies einen weiteren Beweis für die unglaubliche Barmherzigkeit von Chen dar, der den Schurken nur eine Alternative zum Gefängnis anbieten und diese für seine Sache, für den Frieden in dieser Welt, gewinnen wollte.
Im Nachhinein betrachtet, war es vielleicht keine so gute Idee gewesen, ihren Besuch vorher angekündigt zu haben, da man so genug Zeit hatte, sich entsprechend auf die beiden Teenager vorzubereiten und eine heile Welt zu simulieren. Trotzdem wurde Kim immer misstrauischer. Die Tatsache, dass Perkins ihre Fragen scheinbar erwartet hatte und dass sie, wie überraschenderweise auch Ron bemerkte, auf Schritt und Tritt von zwei Typen in schwarzen Anzügen und mit Hörgeräten verfolgt und überwacht wurden, bestätigte den Verdacht immer mehr. Auch wenn es zu keiner offenen Auseinandersetzung kam, Kim konnte die Feindseligkeit, die ihr und ihrem Freund entgegengebracht wurden, beinahe spüren. Die Kerle hatten alle was zu verbergen, ein weiterer, aber dieses Mal unangemeldeter Besuch schien unausweichlich.
Schliesslich brachte Perkins die Beiden zufrieden zum Ausgang, nachdem sie die Laborkittel zurück gegeben und ihre Sachen wieder vollständig zurück bekommen hatten. Gerade als sich Kim bedanken und verabschieden wollte, stolperte Ron, aus Tollpatschigkeit oder Müdigkeit oder vielleicht auch wegen Rufus, der in einem Anfall von geistiger Umnachtung zwischen den Füssen seines Herrchens herumturnte, über seine eigenen Füsse und riss den vollkommen überrumpelten Perkins zu Boden. Die Teenieheldin hielt sich beide Hände vors Gesicht und seufzte peinlich berührt auf, während ihr Freund, quer über dem Braunhaarigen liegend, und sein Opfer, das sich den Kopf rieb, laut aufstöhnten. Ron hatte der rothaarigen Teenagerin niemals gesagt, ob hinter diesem kleinen Unfall Absicht oder Zufall steckten, jedenfalls war es ihr möglich unbemerkt Perkins’ Sicherheitsbadge zu entwenden, als sie diesem, sich für den blonden Teenager entschuldigend, auf die Beine half.
„Ist ihr Freund immer so ... stürmisch?“ Kim horchte kurz auf und hob eine Augenbraue, ehe sie verlegen antwortete: „Das kommt hin und wieder vor, tut mir leid.“
Mittlerweile hatte sich auch Ron wieder aufgerappelt, Rufus mit einem bösen Blick angeschaut und gemeint: „Für diese Aktion gibt es eine Woche lang keine Nacos mehr, Kumpel.“
Beleidigt meckerte der Nacktmull aus Rons Tasche heraus und verschränkte seine Vorderläufe, während sich Kim nochmals bei Perkins bedankte und sich, dieses Mal ungestört, verabschiedete. Sie wollte so schnell wie möglich raus aus diesem Glaskasten, bevor ihr Gegenüber noch seinen Badge vermisste. Dementsprechend energisch stiess sie ihren, auf die Behandlung heftig reklamierenden Freund Richtung Ausgang.
„Moment, Miss Possible.“, schrie Perkins, sich mit der Hand auf den Kopf klatschend, den Beiden plötzlich hinterher. Kim zeriss es innerlich fast, als sie ihren Namen hörte, ihr Puls beschleunigte sich schlagartig. Sie brauchte einige Augenblicke, um sich zu sammeln, ein nettes Lächeln aufzulegen und sich umzudrehen. Zu ihrer Überraschung stand Perkins bereits bei ihr und streckte seine rechte Hand aus. Die Teenagerin verzog eine Miene und wollte, sich ertappt fühlend, schon nach dem Badge greifen, als der Kittelträger mit einem freundlichen Ton meinte: „Die Besucherausweise ... die brauch ich wieder.“
Kim wurde dermassen überrascht, dass sie nur ein verlegenes Kichern herausbrachte, während sie innerlich erleichtert aufatmen konnte. Sie händigte ihren Ausweis sofort aus und stupste ihren Freund an, der es ihr, mit einiger Zeitverzögerung, schliesslich gleich tat, worauf sie endlich erleichtert das Gebäude verlassen konnten.
Mit verschränkten Armen blieb Perkins im Eingang stehen und schaute den Beiden noch lange lächelnd nach, bis er sich umdrehte und sich seine Miene in eine böse grinsende Fratze wandelte. Er griff nach seinem Handy, drückte eine Taste und hielt es an sein rechtes Ohr, während er seine linke Hand in die Kitteltasche wandern liess. In einem bösartigen Ton sagte der Braunhaarige: „Es hat alles bestens geklappt ... Sie wird auf jeden Fall noch einmal vorbeischauen, dafür habe ich gesorgt.“

Der Nachtwächter gähnte herzhaft und blätterte in einer Zeitschrift, warf zwischen den Artikeln hin und wieder einen flüchtigen Blick auf die Überwachungsmonitore. Um sich den nächtlichen Aufenthalt angenehmer zu gestalten, hatte er die Beine hinter dem Empfangspult hochgelegt und auf dem Pult etwas ess- und trinkbares verteilt. Die Nächte in diesem Gebäude waren immer sehr ruhig und konnten deswegen sehr lange dauern. Der Uniformierte blickte auf seine Uhr, stand auf und streckte sich genüsslich.
„Ein Uhr, es ist Zeit.“, sprach er zufrieden mit seinem Kollegen, welcher, ebenfalls mit hochgelegten Beinen, döste, mit der rechten Hand seine Wärtermütze noch tiefer ins Gesicht zog und seinem Gegenüber schwach zuwinkte.
Der stehende Nachtwächter schnappte sich seinen Schlagstock und Taschenlampe und war im Begriff seine übliche Runde zu drehen, als ihn ein Piepen stocken liess. Er lauschte bewegungslos, bis er das Geräusch genau lokalisieren konnte, ging vorsichtig um das Empfangspult herum, blieb verwirrt beim silbrigen Papierkorb stehen, aus dem es ohne Unterlass weiterpiepte. Als sich auch noch der, mittlerweile aufgestandene, zweite Wächter dazugesellte, schüttete der Erste schliesslich den Inhalt des Korbes auf den Boden und wühlte darin herum, bis er das geräuschverursachende Objekt entdeckte.
Keinem der beiden Nachtwächter war aufgefallen, dass sich in dem Moment die Eingangstüre öffnete und sich, scheinbar ohne dass jemand eingetreten war, kurz darauf wieder schloss. Der zweite Uniformierte griff nach dem Kimmunicator, schaute verdutzt zu seinem Kollegen und drückte endlich den Empfangsknopf. Wade erschien grinsend auf dem Display, hob beide Hände, als wollte er sich ergeben und sagte gespielt ängstlich: „Ich ... ich ergebe mich, ihr habt mich erwischt.“
Kaum hatte der schwarzhaarige Junge diesen Satz ausgesprochen, wurde der erste Nachtwächter hinterrücks hart im Genick getroffen und ging bewusstlos zu Boden. Geschockt liess der Zweite den Kimmunicator fallen und rieb sich ungläubig die Augen. Da schwebte doch tatsächlich ein blauer Stab quer durch den Raum. Der Wächter vermochte es vor Erstaunen nicht einmal zu schreien. Noch bevor er sich wieder fassen konnte, wurde er durch einen präzisen Schlag auf sein Kinn ausgeknockt. Kim liess den Kampfstab wieder schrumpfen, band die beiden Wächter, Rücken an Rücken, hinter dem Empfangspult mit stabilem Klebeband zusammen, knebelte sie und hob schliesslich den Kimmunicator auf. Diesen hatte sie an diesem Nachmittag unauffällig in dem Abfallkorb versteckt, kurz bevor Hank Perkins sie und Ron abgeholt hatte. Über den Ronunicator war es dann ein Leichtes alle weiteren Schritte mit Wade zu planen und abzusprechen.
„Schön gemacht Wade.“, lobte sie den Jungen, worauf dieser knapp erwiderte: „Schon gut. Wo ist Ron?“ – „Er wartet draussen im Park.“ – „Gut, dann bis gleich, ich werde alles für den Datentransfer vorbereiten.“ Wade unterbrach die Verbindung mit ernster Miene.
Die Teenieheldin hatte sich schon längst wieder in Bewegung gesetzt, sie wollte die Sache so schnell wie möglich zu Ende bringen. Selbst getarnt war ihr nicht wohl, als sie wieder den verspiegelten Gang betrat. Sie beschlich ein eigenartig unheimliches Gefühls, als wenn sie etwas vergessen hätte. Sie hielt kurz inne, betrachtete ihr nicht vorhandenes Spiegelbild, bis sie eine der Türen öffnete und den riesigen, verdunkelten Raum, der sie sehr an die Kommandozentrale in Alaska erinnerte, betrat. Darin befanden sich gut und gerne dreissig Computer, die allesamt angeschaltet waren, einige rechneten, laut surrend, irgendwelche Daten durch, andere zeigten nur einen blauen Bildschirm, wodurch sie den Saal wenig erhellten und so die einzige Lichtquelle darstellten. Als die getarnte Teenagerin erstaunt einige Schritte vorwärts ging, stolperte sie beinahe über einen dicken Kabelstrang, der sich quer durch den Raum zog. Sie hatte so was noch nie gesehen, dementsprechend beeindruckt griff sie nach dem Kimmunicator und zeigte Wade, was sie vorgefunden hatte.
„Sieh dir das an Wade, die reinste Kommandozentrale.“, meinte sie nur. Ungeduldig und auch freudig erregt klingend gab der Junge zurück: „Worauf wartest du, steck mich schon endlich ein!“
Wade konnte es offensichtlich kaum erwarten seine Fühler auszustrecken, also tat Kim wie ihr befohlen, sie zog ein Verbindungskabel aus dem Kimmunicator heraus, steckte es am erstbesten Computer ein und setzte sich auf einen der unzähligen Bürostühle, während der schwarzhaarige Junge mit dem Datendownload begann. „Lehn dich zurück, das dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen.“

Zwei unendlich dauernde Stunden später fand sich Kim in einem geheimen Labor in der 50. Etage des ’C-Towers’ wieder. Neben vielen, für sie unbrauchbare Dateien, hatte Wade unter anderem eine verschlüsselte und offensichtlich sehr wichtige Datei namens ’Project Phoenix’ gefunden und war in dem Zusammenhang auch auf dieses geheime Stockwerk gestossen. Zwar musste man im Lift ein entsprechendes Passwort eingeben, um in diese Etage zu gelangen, aber war Wade erst einmal in einem System drin, stellte es für ihn keine grosse Herausforderung mehr dar, Kim sämtliche Türen und Schlösser zu öffnen. Es war die erste wirklich heisse Spur in diesem ganzen, vor Geheimnissen und doppelten Spielen überschäumenden Durcheinander.
Kim lauschte in den dunklen Raum hinein, blieb einige Momente still stehen, ehe sie vorsichtig aus der Liftkabine heraustrat. Nachdem die Lichter wieder automatisch angingen, blickte die Teenagerin auf einen langen Steg und links und rechts davon in diverse, voneinander nicht oder nur durch eine einfache Glasscheibe abgegrenzte Labors und Lagerräumen. Diese waren, wohl zur besseren Übersicht, gegenüber dem Zugangssteg um etwa einen Meter versenkt. Über Treppen konnte man bequem in die jeweiligen Bereiche gelangen.
Es war niemand zu sehen, also löste Kim ihre Tarnung. Langsam schritt sie den Steg entlang, während sie immer wieder nach links und rechts schaute, wobei ihr Blick an einem Regal voller Scharfschützengewehre hängen blieb, die fein säuberlich geordnet waren. Voller Verachtung dachte sie an die Nacht im Bueno Nacho vor wenigen Tagen zurück, als sie einige geöffnete, mit Nachtsichtfiltern gefüllte Kisten entdeckte. Angeekelt verzog sie eine Miene, wandte den Kopf ab und erblickte darauf links von sich einen riesigen grauen Container, der vom Boden bis zur Decke reichte, beschriftet mit grossen, roten Buchstaben. Die Teenieheldin stieg eine der Treppen herunter, ging neben unzähligen Laborgeräten vorbei, direkt auf den Metallbehälter zu und blieb davor stehen. Auf allen zugänglichen Seiten des Containers waren Rohre angebracht, um seinen Inhalt, durch betätigen der Hebel, in handliche Portionen teilen und auffangen zu können. Langsam drehte die rothaarige Teenagerin einen der Hebel von der Horizontalen in die Vertikale, worauf sich der, ihr wohlbekannte grüne Bioschleim unter einem ekligen Plätschern auf den Boden ergoss.
„Von wegen untergegangen, hm?“, sagte Kim in einem gewissen Unterton laut zu sich selber. Die rothaarige Teenagerin hatte genug gesehen, war froh, endlich die Gewissheit darüber zu haben, wer wirklich ihr Feind war, wer wirklich hinter der ganzen Sache steckte, und wollte sich zum Lift aufmachen, als ihr Blick ein weiteres Mal hängen blieb. Ganz hinten im Labor standen ein gutes Dutzend gläserne Retorten, die irgendwie an überdimensionierte Lavalampen erinnerten. Einige waren mit einer grünlich klaren Flüssigkeit gefüllt und von unten her mit einem giftgrünen Licht durchstrahlt. Kim schritt vorsichtig zwischen den Retorten hin und her, bis sie vor einer stehen blieb, welche zusätzlich einen weisslich glänzenden Klumpen enthielt. Die Teenagerin umkreiste den gläsernen Behälter einige Male und erschrak fürchterlich, als der Klumpen plötzlich anfing zu pulsieren und in einem Augenblick um einige Zentimeter wuchs. Sie verschränkte die Arme und rieb sich mit beiden Händen die Oberarme, ihr jagte ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken und ihr wurde schlecht.
Als sie sich umdrehte, erschrak sie erneut und stiess einen kurzen Schrei aus. Kim beruhigte sich zwar sehr schnell wieder, aber beim Anblick dieser, erst halb fertigen Shegodrohne, schlug der Teenagerin das Herz dennoch bis zum Hals. Lediglich der Kopf und Oberkörper der Drohne waren fertiggestellt, von den unfertigen Stellen her, zogen sich lange, grüne Fäden durch die Nährlösung. Kim stiess ein angewidertes Geräusch aus, ehe sie sich abwandte und sich schnell auf den Weg zurück zum Lift machte.
Ccorp. steckte also definitiv hinter den feigen Angriffen auf Ron und sie, steckte hinter der Verschwörung gegen Drakken und Shego. Kurz vor dem Lift wurde sie durch den Kimmunicator aus den Gedanken gerissen. Sie griff danach, drückte den Empfangsknopf, aber das Display blieb schwarz, was sich auch nach mehrmaligen Empfangsversuchen nicht änderte.
„Wade?“, fragte Kim beunruhigt. Die tiefe, künstliche Stimme, welche sich seiner statt meldete, liess das Blut in ihren Adern gefrieren: „Herzliche Gratulation, Miss Possible. Sie haben also mein kleines Geheimnis aufgedeckt. Wenn Sie sich beeilen, können Sie mir vielleicht noch entkommen.“
Schnell betrat die Teenagerin die Liftkabine und wollte den Knopf ins Erdgeschoss drücken, als sich die Person wieder meldete. „Ach, ich vergass, ...“, dabei stiess sie ein dumpfes, hässliches Lachen aus, „ ... sollten Sie tatsächlich versuchen zu fliehen, werde ich Ihren Freund eigenhändig töten.“
Das Herz der Teenagerin zog sich ein weiteres Mal zusammen, als Ron darauf kurz zu hören war und, dem Geräusch nach, durch eine schallende Ohrfeige unterbrochen wurde. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus, als ob ihr schlecht würde. „Ron, nein!“ Geschockt lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Kabinenwand, sehr bedacht darauf, nicht ihre Fassung zu verlieren, sie wollte erst gar nicht daran denken, was Chen schon alles mit Ron angestellt haben könnte. „Ich erwarte Sie auf dem Dach, Sie haben fünf Minuten.“, war es nach einer kurzen Pause zu hören, danach wurde die Verbindung unterbrochen.

Auf dem Dach angekommen, wurde Kim bereits erwartet: Vor der sich öffnenden Lifttür standen etliche Shegodrohnen dicht aneinandergedrängt und schienen die Teenieheldin mit ihren starren Augen durchbohren zu wollen. Mit Tränen in den Augen und doch böser Miene schrie sie auf ihre künstlichen Gegenüber ein: „Geht mir aus dem Weg!“
Als ob sie ihre Feindin verstanden hätten, machten sie der Teenagerin, ohne diese aus den Augen zu lassen, gebührenden Platz, worauf sie selbstbewusst voranschritt. Einige Meter vor ihr stand John Hench auf dem etwas erhöht gebauten, gut beleuchteten Helikopterlandeplatz, wie er einen Laptop nur mit der Linken hielt und grinsend mit der Rechten etwas eintippte. Sein weisser Laborkittel tanzte mit dem heftigen Wind.
„Aah, gerade richtig, Kleine.“, sagte er abfällig, als er Kim bemerkte, und schnippte mit den Fingern, worauf hinter dem Kittelträger zwei Shegodrohnen aus dem gelandeten Helikopter ausstiegen, dicht gefolgt von Ron, der soweit unverletzt schien, aber seiner Freundin, da er geknebelt und gefesselt worden war, nur einen traurigen Blick zuwerfen konnte. Schliesslich verliess Chen, mit seiner halb lächelnden, halb weinenden Maske, in seiner üblich eleganten Aufmachung den Hubschrauber als Letzter. Auf seinen Befehl hin, packten die beiden Drohnen Ron heftig an beiden Armen, beliessen es aber vorerst dabei.
Kim machte sich bereit jederzeit loszustürmen und ging in Kampfstellung, woraufhin sämtliche Drohnen, ebenfalls Kampfbereitschaft signalisierend, ihre Hände mit dem üblichen Zischen aufglühen liessen. Mit beiden Hände in den Hosentaschen, gab Chen wieder ein dumpfes Lachen von sich, während er an Hench vorbeiging und sich auf den Plattformrand setzte.
„Endlich treffen wir uns persönlich, Miss Possible, ich hab mich wirklich auf dieses Treffen gefreut.“, erklärte der Geschäftsführer erfreut klingend, wobei der Stimmverzerrer, den er wohl unter der Maske trug, den genauen Tonfall verfälschte. Jedenfalls gab Kim in einem sarkastischen Unterton nur ein knappes „Wirklich?“ zurück.
„Ja sicher, schliesslich sind Sie eine berühmte Persönlichkeit.“, antwortete Chen nickend, warf aber ein, „Allerdings muss ich sagen, ich bin ein wenig enttäuscht, ich habe mir mehr von Ihnen versprochen. Niemals hätte ich gedacht, dass Sie so bereitwillig in meine so offensichtliche Falle tappen würden.“
Immer noch in Kampfstellung verharrend, mittlerweile böse lächelnd, erwiderte die Teenagerin frech: „Dass ich es vielleicht auf diesen einen Moment angelegt haben könnte, kommt Ihnen nicht in den Sinn?“ Ihr Gegenüber hob leicht den Kopf, als ob er überrascht wäre, doch noch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr Kim fort: „Ich meine, Perkins hat mir seinen Badge praktisch auf dem Silbertablett präsentiert, dann der Einbruch, die überraschten Wärter, sämtliche Computer angeschaltet, aber unbewacht, die überdeutlichen Hinweise auf ihr Geheimlabor, alles in allem ist die ganze Sache viel zu einfach abgelaufen.“
Offenbar schämte sich der Filialleiter wegen seiner Fehlinterpretation, denn er verneigte sich ohne Worte leicht, ehe er beinahe sanft klingend meinte: „Es stimmt also, was über Sie erzählt wird, stilvoll, clever und zu allem entschlossen. Ich wünschte Sie würden für mich arbeiten.“ – „Vergessen Sies!“ - „Bei Big Daddy schienen Sie neulich noch ganz anderer Meinung zu sein, nicht?“
Chen hatte sie damals also doch bemerkt und offensichtlich seither überwachen lassen und versuchte jetzt jeden erdenklichen Trick, um Kim zu verunsichern. Es entsprach zwar durchaus der Wahrheit, dennoch verfehlte dieser Satz sein Ziel meilenweit. Der Filialleiter konnte ja nicht ahnen, dass die Teenieheldin ihre Fehler zu diesem Zeitpunkt längst eingesehen und hinter sich gelassen hatte. Sie ging nicht auf sein kleines Spielchen ein, sondern ergriff selbst die Initiative: „Wie wärs, wenn Sie Ron gehen lassen und mir dann einfach Ihr Gesicht zeigen würden, Sie Feigling?“
„Bedaure, meine wahre Identität muss gewahrt bleiben und was Sie beide anbelangt, ich kann Sie nicht laufen lassen, dafür wissen Sie zu viel.“, gab er ruhig zurück, worauf die Teenagerin lächelnd meinte: „Dann werde ich wohl selbst einen Weg finden müssen.“
Etwas überrascht von Kims Selbstbewusstsein stand Chen auf, streckte ungläubig beide Arme aus, um auf seine Shegodrohnen zu deuten und der Teenieheldin ihre Situation deutlich zu machen. „Bitte? Sämtliche Fluchtwege sind abgeschnitten, ein Entkommen ist unmöglich.“ – „Unmöglich? Haben Sie vergessen, wie ich heisse?“
Mit diesen Worten drehte Kim wieder den Knopf an ihrem Gürtel und verschwand vor den verblüfften Augen Chens und Henchs, dessen nerviges Grinsen augenblicklich aus seinem Gesicht wich und seine Kinnlade weit nach unten fiel. Verzweifelt tippte Letzterer wie ein Gejagter auf seiner Tastatur herum, während Chen lauthals auf ihn einschrie: „Schon wieder ein Hologramm?“
Auf das ahnungslose Schulterzucken seines Gegenübers schrie er weiter in der Gegend herum: „Wo ist Kim Possible? Findet sie! Findet sie sofort!“
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, wurde er und Hench nacheinander durch einen Fusstritt zur Seite geworfen. Der Maskenmann begriff am Schnellsten. Er hatte die Kleine von Anfang an unterschätzt.
„Der Junge!“, schrie er, während er sich hastig aufsetzte und seine Drohnen anwies, den blonden Teenager auf keinen Fall entkommen zu lassen. Die Erste liess von Rons Arm ab und stellte sich vor ihn, nur um durch den Laserlippenstift in zwei Hälften geteilt zu werden.
Inzwischen hatte Rufus die allgemeine Verwirrung dazu genutzt, der zweiten Drohne in den Fuss zu beissen, was dasselbe Resultat zur Folge hatte, wie damals bei Eric. Während die Shegodrohne langsam zusammenschrumpfte, konnte der Teenager spüren, wie jemand seine Fesseln löste, dann in einem Zug das graue Isolierband von seinem Mund zog und den, schlaff an Rons Schulter hängen gebliebenen Drohnenarm wegwischte. Schliesslich streckte Kim dem regungslosen blonden Teenager, der bei ihrem Angriff einfach nur die Augen geschlossen und den Kopf eingezogen hatte, ihren Rucksack hin und meinte schnell: „Da ist ein Fallschirm drin, zieh ihn an und spring.“
Er zögerte, vermutlich auch deshalb, weil er Kim nicht sehen konnte, aber vor allem weil der Fallschirm nur für eine Person ausgelegt war, und antwortete widerwillig: „Aber was wird aus dir?“ – „Ich komm klar, jetzt geh schon, geh!“
Wie es ausschaute, konnte sie ihren Freund überzeugen, denn er nahm den Rucksack, zwar immer noch zögernd, an sich und zog ihn an. Doch an der Dachkante angekommen, klatschte er sich mit der Rechten an die Stirn und blieb, ernst in den Abgrund herunterschauend, stehen.
„Worauf wartest du?“, fragte die Teenieheldin ungeduldig besorgt, aber sie verstand, als sie in seine glasigen Augen blickte und wusste, er würde mit ihr notfalls durch die Hölle gehen und lieber für sie sterben, als feige davonzulaufen, aber es lag längst nicht mehr in seiner Macht Kim umzustimmen. Sie hatte ihre Entscheidung, was geschehen sollte, falls sie jemals in die Situation kommen würde, zwischen Rons Leben und ihrem eigenen wählen zu müssen, lange vor diesem Moment getroffen.
Gerührt schaltete sie den Tarnmodus aus, umarmte den blonden Teenager und gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss. Mit Tränen in den Augen sagte sie dann leise: „Leb wohl, Ron.“
Dieser brachte nur noch einen fragenden Blick zustande, ehe Kim ihn sanft von der Dachkante stiess. Nach einem kurzen freien Fall mit dem Rücken voran, zog der Teenager endlich die Reissleine, während er sich die Seele aus dem Leib schrie. „Kim! Warum hast du das getan?“, schrie er seiner Freundin mit brechender Stimme nach und wollte es nicht wahr haben, obwohl auch er schon längst begriffen hatte, dass sie von Anfang an nicht damit gerechnet hatte, den ’C-Tower’ wieder lebend zu verlassen.
Beruhigt blickte die Teenieheldin auf den offenen Fallschirm, sah ihm noch kurz nach und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Hubschrauberplattform zurück. Mit gezücktem Kampfstab und ernster Miene schaute sie in einer stolzen Pose in die künstlichen Gesichter der Shegodrohnen, welche sie nach und nach umzingelten.
Schliesslich trat Chen zwischen zwei künstlichen Wesen hervor, rückte sich die Krawatte zurecht und wischte sich fluchend etwas Dreck vom Seidenanzug.
„Das war so rührend ...“, meinte der Filialleiter verachtend, „ ... es wäre besser gewesen, Sie wären gleich mitgesprungen, anstelle sich für Ihren Hanswurst zu opfern.“ Erst schüttelte die Teenieheldin nur den Kopf, meinte aber darauf grinsend: „Das geht über Ihr Verständnis hinaus, was?“
„Jetzt haben Sie mich aber erwischt.“ Sehr theatralisch fasste sich Chen mit beiden Händen an den Kopf und wandte diesen, als ob er sich schämte, von Kim ab, ehe er in hämisches Gelächter ausbrach. „Oh, bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht in Tränen ausbreche ...“, sagte der Filialleiter mit sarkastischem Unterton und fragte darauf, „Und nun? Wie solls weiter gehen?“ – „Jetzt bringen wir diese Sache endlich zu Ende.“
Die Teenieheldin liess den Stab in Kampfmodus wachsen und elegant durch die Luft kreisen und winkte Chen lächelnd zu sich, worauf dieser nickend mit den Fingern schnippte und auf Kim zeigte. Die Drohnen verstanden den Befehl und schleuderten aus der Distanz ihr Plasma auf die rothaarige Teenagerin, was diese dazu veranlasste, die Arme vor dem Kopf verschränkend, in die Knie zu gehen und ihren Schutzschild zu aktivieren. Noch ehe die Drohnen ihr Plasmafeuer unterbrachen, ging Kim, durch den entstandenen Rauch geschützt, zum Gegenangriff über und vermochte es einige künstliche Gegner in ihre Bestandteile zu zerlegen. Aber als sich der Rauch gelegt hatte, konnte die Teenieheldin erkennen, dass sich ihre Gesamtsituation keineswegs verbessert hatte. Da standen immer noch an die dreissig Shegodrohnen um sie herum.
Als sie ein weiteres Mal den Tarnmodus einschalten wollte, um sich ein wenig Zeit und Platz zu verschaffen, sprühte der Gürtel, zu Kims Überraschung, bläuliche Funken. Dabei hatte Wade sie noch vorgewarnt, dass ein zu häufiger Gebrauch der Tarnung eine Überlastung des ganzen Anzugs zur Folge haben könnte, was nun offensichtlich der Fall war, denn er verlor seinen bläulichen Glanz und wurde ganz matt. Mit einem voll funktionstüchtigen Anzug wäre es Kim vielleicht tatsächlich möglich gewesen, doch noch heil von diesem Dach runterzukommen, aber so verlor sie immer mehr an Boden. Bald wurde ihre numerische Unterlegenheit überdeutlich. Sie musste den Plasmaangriffen teilweise mit grossem Aufwand ausweichen, konnte sich dazwischen nur noch schlecht gegen die Schlagversuche wehren, wurde immer müder und geriet zusehends ausser Atem.
Dann geschah, was von Anfang an abzusehen war: Während ihr eine Drohne von vorne den Stab aus der Hand schlug, erwischte sie gleichzeitig eine Zweite mit den Krallen von hinten an der linken Schulter. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren linken Arm bis zu den Fingerspitzen. Unter einem lauten Aufschrei fiel Kim zu Boden, richtete sich mühsam wieder auf die Knie auf, während sie sich an ihre offene Schulter fasste und stöhnend die Zähne zusammenbiss. Die Drohnen stoppten daraufhin ihren Angriff und liessen von der Teenagerin ab.
„Sieht so aus, als wären Ihnen gerade die Optionen ausgegangen.“ Unter Chens spöttischen Worten und den starren Augen der anderen Drohnen, packte ein künstlicher Angreifer Kim an deren rechten Hand, schleifte sie brutal bis zur nächsten Dachkante, so dass sie sich weitere Schürfungen an den Beinen und Füssen zuzog, und hielt die Teenieheldin über den Abgrund. Diese schaute an der Glasfassade des Gebäudes herunter, auf den erleuchteten Vorplatz und in den dunklen Park.
Beinahe respektvoll klingend erklärte der Filialleiter: „Sie haben gekämpft wie eine wahre Heldin, das muss ich Ihnen lassen, aber auch alle guten Dinge haben irgendwann ein Ende.“
Mit einem gezückten Schnappmesser kam Chen auf die rothaarige Teenagerin zu, durchtrennte schliesslich den Gürtel des Kampfanzugs und warf ihn in den Abgrund. „Für alle Fälle, man kann ja nie wissen.“, meinte dieser zynisch, unter dem nervigen Kichern von Hench, als dieser seinem Boss den Kampfstab übergab. „Eine interessante Waffe haben Sie da. Es macht Ihnen sicher nichts aus, wenn ich sie an mich nehme.“, meinte er, ehe er sich, um den Schauplatz zu verlassen, umdrehte und auf den Helikopter zuging., „Sie entschuldigen mich, wichtige Geschäfte. Sie haben mich schon genug Zeit gekostet.“
Kim stöhnte einige Male vor Schmerzen laut auf und fragte ernst: „Wollen Sie mir zum Abschied nicht wenigstens Ihren Plan verraten?“
„Sie meinen, weil das jeder Verbrecher in einer solchen Situation tun würde? Tut mir leid, ich halte nichts von Schurkentraditionen, zu oft hat ein Schurke seine Pläne zu früh ausgesprochen, ausserdem nützt es Ihnen gar nichts, wenn Sie tot sind. Wenn wir schon davon sprechen, ich werde Ihnen Mr. Hench hier lassen. Er wird Ihren unrühmlichen Abgang aufnehmen und soll später bezeugen können, dass und wie Sie gestorben sind, schliesslich wollen all die Superschurken überzeugt sein, welche bald unter mir arbeiten werden.“, erwiderte er gelassen und hielt kurz inne, bis er fortfuhr, „Ach ja, was Ihr Helferlein anbelangt, er dürfte nicht weit kommen und um das Computergenie wird sich unser Mann in Middleton kümmern. Sie sehen also, Sie haben auf ganzer Linie versagt. Leben Sie wohl, Miss Possible.“ Mit diesen Worten stieg Chen in den Hubschrauber, der gerade vom Piloten gestartet wurde.
„Wohlan, bringen wir es hinter uns.“, meinte Hench vergnügt klingend, als er eine silbrige Digitalkamera aus seiner Manteltasche hervorzog und einige Fotos von Kims misslicher Lage schoss, dann gab er der Drohne kindlich kichernd ein Handzeichen.
Kims Gedanken kreisten um ihre Freunde, ihre Familie und um Ron. Sie lächelte und schwelgte in Erinnerungen. Ein ihr sehr bekanntes quiekendes Meckern liess sie plötzlich aufhorchen. Als sie die Augen öffnete, konnte sie überrascht Rufus sehen, der vorhin ebenfalls auf der Plattform geblieben und gerade drauf und dran war, der Shegodrohne in deren Ferse zu beissen. Mit grossen Augen streckte die Teenagerin geistesgegenwärtig sofort unter Schmerzen ihren linken Arm aus und schaffte es sich mit beiden Händen an der Dachkante festzuhalten, als die Drohne, aufgrund des Flüssigkeitsverlusts, ihre innere Spannung verlor und in sich zusammensackte.
Hench schrie überrascht, kreischte beinahe auf den Nacktmull ein und wollte ihn zu zertreten, während Kim krampfhaft versuchte Kim sich an der Dachkante hoch zu ziehen. Nach einem kurzen, vor allem für den Nacktmull sehr amüsanten Tanz, wurde es diesem schliesslich zuviel und er biss Hench heftig ins rechte Schienbein, welches der Kittelträger danach sofort anzog und sich, wie ein wildes Tier kreischend, fallen liess. Voller Genugtuung streckte Rufus dem Kittelträger die Zunge raus, jedoch währte seine Freude nur kurz, denn wie der Kleine erkannte, fand Kim an der Kante keinen richtigen Halt, rutschte immer mehr ab und einige andere Drohnen hatten die Geschehnisse bereits erkannt und kamen schnell auf die Gruppe zu. Verzweifelt hängte sich der Nacktmull an Kims rechten Zeigefinger und zog wie ein Verrückter daran, als die Teenagerin auch noch ihren kraftlosen und schmerzenden Arm wieder hängen lassen musste und sich nur noch mit einer Hand über dem Abgrund halten konnte.
„Schon in Ordnung Rufus. Bring dich in Sicherheit.“, meinte Kim ruhig und bekam ein schrilles „Niemals!“ zur Antwort. Als die Drohnen mit glühenden Händen die hängende Teenagerin erreichten, sprang der Nacktmull schreiend auf Kims Kopf und klammerte sich fest, während diese, ihr Schicksal annehmend, wieder ruhig die Augen schloss.

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