Kim Possible - Black Phönix - Kapitel 7

Kapitel 7 – … and saving the world

Schritte hallten durch einen, wie üblich dunkel gehaltenen, unheimlich anmassenden Korridor. Im Eiltem-po lief eine Gruppe bestehend aus den Gebrüder Hench und zwei Shegodrohnen, welche ihrem Herrn in unmittelbarer Distanz folgten, durch den Gang. Man konnte in den Gesichtern der beiden Welteneroberer deutlich die jeweilige Stimmungslage ablesen: Beide wirkten bestenfalls angeschlagen. John Hench hatte praktisch sein ganzes Leben diesem Projekt verschrieben und davon abhängig gemacht. Während er seine Gefühle mit einer zerstört betroffenen Miene offen zeigte, wie schwer für ihn das Scheitern der Weltübernahme und des gesamten Plans zu verkraften war, überspielte sein Bruder die eben erlittene Niederlage mit Hass und Verachtung. Wutentbrannt schnaufend bestimmte er das Tempo der gesamten Gruppe. In seiner unendlichen Ignoranz glaubte der Kittelträger sein Bruder würde ebenso unter den Folgen dieses Fehlschlags leiden und versuchte sein Gegenüber verbal zu beruhigen und gleichzeitig auch Trost zu finden. John Hench blickte schon seit jeher zu seinem Bruder auf. Umso tiefer sass der Schock, diesen geschlagen zu sehen.
An einer Durchgangstüre hielt der enttarnte Maskenmann schliesslich nachdenklich inne und betrachtete lange die weisse Maske in seiner Linken, ehe er langsam den Kopf zu seinem menschlichen Begleiter drehte. Ohne Vorwarnung packte er sein Gegenüber plötzlich am Kragen, drückte den Brillenträger heftig an die nächste Wand und zeigte diesem, wie falsch dessen vorherige Annahme gewesen war.
„Halt endlich die Klappe, das ist alles deine Schuld. Hast dus noch immer nicht verstanden?“, schrie Jack Hench mit vor Wut verengten Augen, als er endlich den wahren Grund seines Zorns Preis gab und den Oberkörper seines Bruders dabei immer wieder gegen die Wand schlug.
Dadurch wesentlich redebeeinträchtigt, stotterte der bleich gewordene Mann, der die Situation, seinen weit geöffneten Augen nach, tatsächlich nicht zu begreifen schien: „Aber Bruder, alles was ich getan ha-be, war zum Wohl deines Plans.“
„Du hättest nur Kim Possible erledigen sollen. Nichts mehr.“, zischte der Geschäftsführer giftig zurück und verstärkte den Druck auf Johns Brust, „Deinetwegen ist sie aber nach wie vor am Leben. Deinetwe-gen ist der Plan gescheitert. Du bist meine Zeit nicht wert, du Versager.“
Unter diesen Worten liess eine der beiden Shegodrohnen ihre künstlichen Hände aufglühen, schritt auf das Duo zu und näherte ihre krallenbesetzten Hände auf eine sadistisch langsame Weise dem Kittelträ-ger. Panik machte sich in dessen Augen breit, während er kläglich versuchte, sich aus seines Bruders Griff zu befreien.
„Bitte, gib mir eine Chance mich erneut zu beweisen. Ich tue alles, was du willst.“, bettelte er in verzwei-felter Tonlage. Dadurch anscheinend befriedigt, liess Jack endlich von seinem Bruder ab, strich diesem den zerknitterten Kittel an Schulter und Armen glatt und klopfte ihm einige Male beruhigend auf die Schul-ter. Dann hob er die eben fallen gelassene Maske auf, betrachtete sie wieder lange und wandte sich schliesslich unheilvoll lächelnd dem Brillenträger zu: „Natürlich kriegst du eine zweite Chance. Eine Sa-che kannst du noch für mich erledigen.“
---
Lavalampen? Der blonde Teenager blickte auf Lavalampen. Jedenfalls erinnerten ihn die riesigen, mit neongrünem Licht beleuchteten Röhren, welche von der Decke bis zum Boden reichten und zu hunderten in der lagerraumähnlichen Halle standen, stark daran. Da die überdimensionierten Glasröhren aber nicht gefüllt zu sein schienen und auch sonst relativ inaktiv aussahen, konnte Ron sich nicht vorstellen, wofür diese Dinger eigentlich gebraucht wurden. Sonderlich dekorativ waren sie sicher nicht. Eher unheimlich. Ihr Licht stellte die einzige Beleuchtung in der Halle und liess alles etwas seltsam erscheinen, wie wenn es nicht aus dieser Welt stammen würde. Aber vielleicht erschien Kims Freund auch nur alles seltsam, weil er sich die ganze Sache kopfüber anschaute. Offenbar hatte sich der Abstieg als trickreicher als ge-dacht entwickelt, ansonsten würde Ron nun nicht wenige Meter über dem Boden herumhängen, mit bei-den Beinen in den Leitersprossen verknotet. Als ob er in diesen Tagen nicht schon genug durchgemacht hätte. Zu allem Überfluss brachte er es nicht zu Stande, sich selbst aus seiner misslichen Lage zu befrei-en. Sich gegen die eigene Unfähigkeit gewehrt zu haben, bescherte ihm nur weitere Schmerzen. Also verschränkte er seine Arme, zog beleidigt einen Schmollmund und vertraute darauf, dass, wie üblich, irgendwer ihn da raus holen würde. Klettern war sowieso nie seine Stärke gewesen. Es erinnerte ihn zu sehr an Affen.
Ganz im Gegensatz dazu Rufus. Der kleine Kerl genoss es auch noch mit einem breiten Lächeln im Stile eines Feuerwehrmannes an der Holme herunter zu rutschen und sein Herrchen nach gelungener Lan-dung auf den nackten Hintern auszulachen. Entrüstet riss Ron seinen Mund auf, aber deutete lediglich wortlos mit beiden ausgestreckten Armen auf seine verknoteten Gliedmassen.
Scheinbar brauchte an dem Tag jeder eine Extraeinladung. Aus irgendeinem Grund hatte nämlich auch Kim es versäumt ihrem Freund zu helfen und hatte auch nicht auf dessen Hilferufe reagiert. Sie stand nur am Fusse der Leiter und schien abwesend, in Gedanken versunken. Allerdings sah es nur auf den ersten Blick so aus. Auf der Stirn der Teenagerin hatten sich feine Schweissperlen gebildet und sie atmete sehr schwer. Der Kampfstab glitt ihr aus der Hand. Schwach zitternd lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Leiter und streichelte sich sanft über ihren Magen. Vor ihrem geistigen Auge erschienen immer wieder Bilder eines Flammeninfernos über Middleton. Sie sah ihre Eltern und Brüder, wie deren verbrannte und regungslosen Körper vor ihrem Haus lagen. Allein der Gedanke daran machte die Teenieheldin ent-schlossener, als sie das jemals in ihrem Leben gewesen war. Und dennoch blieb dieses stechende Ge-fühl in der Magengegend. Ihre Angst davor zu versagen, äusserte sich also schon körperlich, ihre Nerven lagen blank. Sie fürchtete sich davor, dass sie ihre Nachlässigkeit vielleicht mit einem sehr hohen Preis bezahlen müsste.
Zu selbstsicher war sie gewesen, dachte nach Shegos Angriff, dass die beiden Henchs erledigt gewesen wären, und hatte ihnen keine Beachtung mehr geschenkt, was schliesslich zu deren Flucht führte. Der jahrelange Umgang mit vermeintlichen Superschurken hatte die Teenieheldin arrogant und selbstüber-heblich werden lassen. Sicher, die Welt war vorerst in Sicherheit, aber was nützte es ihr das Geheimnis rund um Ccorp. und Chen gelöst und die Menschheit vor einer Drohneninvasion gerettet zu haben, wenn es ihr nicht möglich war, ihre Liebsten zu beschützen?
Sollten die Gebrüder Hench damit durchkommen, würde Kim indirekt die Schuld dafür treffen. Das könnte sie sich selber niemals verzeihen. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen, worauf sich die rothaarige Teenagerin krampfartig krümmte und auf die Knie ging. Sie war nicht mehr fähig den abrupt stärker wer-denden Brechreiz zu unterdrücken und übergab sich. Hustend und dabei leise aufstöhnend versuchte sie sich zu beruhigen, aber ihr Magen drehte sich immer weiter und weiter. Stark keuchend wischte sie sich mit dem rechten Handrücken über beide Mundwinkel, während die Symptome langsam abzuklingen schienen. Wirklich besser fühlte sie sich in dem Moment aber nicht.
Ihr Freund hatte derweil ihren Schwächeanfall nicht bemerkt, da er wild gestikulierend auf den armen Rufus einredete, während sich dieser des blonden Teenagers Problem angenommen hatte und einge-hend das vor sich liegende Gewirr betrachtete.
Still griff Kim nach ihrem Kampfstab und blickte auf den Rücken eines weiteren Unsicherheitsfaktors. Shego hatte bereits einige Distanz zwischen sich und das Pärchen gebracht und schaute nun, mit in die Hüfte gestemmter Hand, auf eine halbfertige, künstliche Drohne. Der Anblick schien die Schwarzhaarige eigenartigerweise zu faszinieren. Eigenartig war auch, dass Kims Erzfeindin ohne Widerworte, ohne jegli-chen Einwand bereit war, den Beiden zu helfen. Mehr als seltsam, denn die Situation betraf sie eigentlich schon lange nicht mehr. Ihre Entscheidung war deshalb viel zu schnell getroffen worden. Der Rotschopf rätselte an tausend möglichen Gründen herum, aber sie kam nicht wirklich dahinter.
Sie wurde durch Ron aus ihren Gedanken gerissen, als dieser laut kreischend neben seiner Freundin aufschlug. Amüsiert hüpfte der Nacktmull seinem Herrchen nach und landete zufrieden auf dessen Kopf, während er ein stolzes „Tata!“ anfügte. Die Lösung des Problems hatte lediglich darin bestanden, einen Fuss des Teenagers anzuschubsen. Dummerweise hatte es Kims Helferlein ziemlich unerwartet getrof-fen, weshalb er sich nun sein Kreuz und Hinterkopf rieb.
„Alles in Ordnung?“, fragte er mit besorgter Stimme, als er seine Freundin am Boden kniend sah. Die rothaarige Teenagerin schreckte ertappt auf und stand sehr schnell wieder auf ihren Füssen. Ron sollte sie nicht so sehen. Am Ende würde sie ihn auch noch emotional herunterziehen und das durfte nun wirk-lich nicht passieren. Deshalb nickte sie schwach und zwang sich zu einem Lächeln, was ihr Gegenüber aber, seinem durchdringenden Blick nach zu schliessen, nicht überzeugte. Wie sollte es auch. Ron kann-te sie mittlerweile so viele Jahre, dass er durch ihre Lügen sehen konnte, wie durch gemeines Glas. Aus-serdem war sie eine lausige Lügnerin.
Peinlich berührt drehte sie ihren Kopf vom blonden Teenager weg und versuchte möglichst jeglichen Augenkontakt zu vermeiden. Ihr Blick wanderte zurück auf Shego. Als ob die Schwarzhaarige gespürt hätte, dass sie angestarrt wurde, hob sie in dem Moment ihren linken Arm und winkte ihre rothaarige Kontrahentin ungeduldig zu sich, allerdings ohne ihr das Gesicht zuzuwenden. Drohend schien sie ir-gendeine Stelle zwischen den gläsernen Retorten zu fixieren. Kim versuchte möglichst die unangenehme Vorahnung zu verdrängen, welche gerade in ihr aufkeimte.
„Wir haben ungebetenen Besuch.“, sagte sie ruhig zu ihrer Erzfeindin, als diese mitsamt Anhang aufge-schlossen hatte. Dabei deutete Shego mit einer leichten Vorwärtsbewegung ihres Unterkiefers in eine bestimmte Richtung zwischen den Geburtstätten, von woher eine gerade und immer grösser werdende Anzahl neongrüner Punkte regungslos zurückstarrten. „Wo ist der Ausgang?“
Vorsichtig, möglichst keine unnötig hastigen Bewegungen machend, deutete die Teenieheldin in Richtung ihres Fluchtwegs. Doch ein plötzlicher Aufschrei hinter ihnen, lenkte die Aufmerksamkeit beider Frauen auf Ron. Das Trio war in einen Hinterhalt geraten und das auch noch bereitwillig.
---
Schwebend trieb er durch einen stockdunklen, nie enden wollenden Raum. Im Hintergrund war das Rau-schen des Meeres zu hören, welches den Schwarzhaarigen ungemein beruhigte. War er tot? Das erste Mal seit Jahren hatte er keine spürbaren Schmerzen. Langsam wurde das Geräusch lauter, irgendwo vor dem Mantelträger erschien ein kleiner, heller Punkt. Etwa das Licht am Ende des Tunnels? Eigentlich glaubte er nicht an solche Dinge. Nicht dass er seit diesem üblen Zwischenfall vor fünf Jahren überhaupt noch an etwas glaubte. Doch während er sich der Lichtquelle unaufhaltsam näherte, kam auf einmal eine zweite hinzu. Dann nahmen die beiden Punkte die Form von grünen Flammen an, umkreisten sich, schienen miteinander zu tanzen oder zu spielen, bis sie auf den Mantelträger zuflogen, nun diesen um-kreisten und mit ihm tanzten. Dabei liessen sie den Mantel wehen, als ob dieser dem Spiel angehören wollte. Die Flammen verkleinerten den Radius ihrer Flugbahn immer mehr und trafen den Schwarzhaari-gen schliesslich, durchdrangen seinen Körper und trieben eine kalte Welle durch seine Eingeweide. Nur kurz verharrte er angespannt in seiner Position, bis er plötzlich zu fallen schien.

Schlagartig atmete er laut ein, wie wenn er aufgeschreckt worden wäre. Er schnappte nach Luft, liess aber die Augen geschlossen. Dann fuhr der Narbenträger langsam mit seiner rechten Hand zu seiner Schusswunde, während er den Mund weit öffnete, vermutlich um zu schreien, doch lösten sich sekunden-lang nur erstickte Laute, ehe er den unerträglichen Schmerz endlich lauthals herausbrüllen konnte. Selbst nachdem seine Stimme versagte, liess er den Mund weit offen. Nach einigen Minuten des Verharrens hatte er sich soweit erholt und genug Kraft gesammelt, um sich stöhnend auf seine unverletzte Seite zu drehen und mühsam in den Schneidersitz aufzusetzen, was ihn aber beinahe wieder das Bewusstsein hätte verlieren lassen.
Die linke Brusthälfte des Mantels glänzte matt vom halb getrockneten Blut. Seine linke, mit der dunkelro-ten Flüssigkeit getränkten Gesichtshälfte sorgte für einen eigenartigen Kontrast, da sonst jeglicher Farb-ton aus seinem Gesicht verschwunden war. Man hätte ihn für den Tod höchstpersönlich halten können, was, von einem gewissen Standpunkt aus gesehen, vielleicht gar nicht so abwegig wäre.
Vorsichtig griff er in eine der Manteltaschen und zog ein Feuerzeug, mitsamt Zigarette heraus, die er aber erst nach einigen abgebrochenen Versuchen vermocht hatte anzuzünden. Der Kerl zitterte am ganzen Körper, dieses Mal allerdings vor Kälte. Es gelang ihm kaum die etwas zerknitterte Kippe im Mund zu behalten. Hinzu kam, dass er nach jedem Zug husten musste. Erst dann merkte er, dass seine Hand-schellen gekappt worden waren und jetzt nur noch als unnötiger Schmuck um seine Handgelenke bau-melten, allerdings schenkte er dieser Tatsache nicht lange Aufmerksamkeit. Erschöpft legte er seine Ell-bogen auf die Oberschenkel und stützte so seinen, nach vorne geneigten Oberkörper ab.
Er hockte erst ein paar Sekunden in der Mitte des mittlerweile chaotisch anmassenden Zimmers, doch für ihn wirkte es wie eine Ewigkeit. Wegen dem Verlust jeglichen Zeitgefühls konnte er nicht genau sagen, ob er wirklich noch lebte. Den Schmerzen und seinen nach wie vor blutenden Wunden nach zu urteilen, tat er das noch sehr wohl, aber fühlte es sich nicht so an. Er kam sich innerlich so leer vor, so kalt.
„Wie ich diese Frau hasse.“, dachte er frustriert nach. Nur sie hielt ihn noch am Leben, liess ihn jeden verdammten Morgen auf ein Neues aufstehen. Sein Körper machte dies schon lange nicht mehr mit, wie die immer stärker werdenden Anfälle und die andauernde Kälte seit Jahren überdeutlich zeigten. Hier ging es schon lange nicht mehr um Rache und schon gar nicht um den blöden Vogel dort oben.
„Du hättest sie töten können in diesem Hotelzimmer, du hattest deine Gelegenheit, aber du musstest unbedingt noch ein Spiel daraus machen und sie leiden sehen wollen.“, gestand er sich in Gedanken selber ein, „Ich könnte mich ohrfeigen.“
In der Tat, es hätte damals ein Ende finden können. Nein, es hätte ein Ende finden müssen. In Gedanken zog er weiter selber über sich her: „Wie dämlich bin ich eigentlich? Jetzt spuck ich mir schon in die eigene Suppe.“
Am Liebsten wäre er in sein eigenes Schwert gehüpft. Nicht dass er sich diesen Schritt vorher nicht schon hundert Mal überlegt hätte, aber Selbstmord kam nicht in Frage, da er es für einen feigen Akt hielt. Dafür war sein verdammter Stolz ironischerweise viel zu gross.
„Stolz?“, fragte er sich mit ungläubigem Blick selber, „Ich dachte du glaubst nicht mehr an solcherlei Din-ge. Du widersprichst dir selber und machst absolut keinen Sinn mehr, weißt du das?“
Irgendwie konnte oder wollte der Schwarzhaarige nicht loslassen. Und er hasste sich selber dafür. Prak-tisch wohl noch mehr, als er Shego hasste. Und jedes Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Vorschlagham-mer, die vermutlich beste und einzige Chance auf Erlösung vertan zu haben. Langsam vergrub er seine Augen in seiner rechten Hand. Kurz darauf begannen seine Schultern eigenartig zu zucken, während er leise vor sich hin schluchzte und schliesslich in Tränen ausbrach. Alles kam in dem Moment wieder in ihm hoch, angestaute Emotionen übernahmen die Überhand. Unter dem Mantel, den Waffen und seiner grossen Klappe steckte nichts weiter als eine verzweifelte, verirrte und zutiefst verbitterte Seele. Er war nichts mehr, als ein Schatten seiner selbst. Alles hatte er in dieser Nacht vor fünf Jahren verloren, sie hatte ihm mit einem Streich alles geraubt. Sein Leben, seine Persönlichkeit, seine Bestimmung und zu-letzt seine Hoffnung und zugleich wurde sie dadurch seine Hoffnung, Bestimmung, seine Persönlichkeit und sein Leben. Sie zu töten würde gleichzeitig auch seinen Tod bedeuten und er wollte nichts sehnli-cher, als endlich sterben.
Aufgeschreckt durch Perkins, der gerade stöhnend neben dem Mantelträger vorbei robbte, wischte er sich augenblicklich die Tränen aus seinem Gesicht und schaltete, wie auf Befehl, seine Emotionen ab und versteckte sich hinter seiner geistigen Maske. Ein kleines, schadenfrohes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Scheinbar hatte sein Angriff von vorhin eine grössere Wirkung erreicht, als eigentlich beabsichtigt worden wäre. Im ersten Augenblick schaute er dem verletzten Kittelträger nur still zu, dann schien Scarfaces Körper wieder auf Autopilot zu stellen. Er nahm sein Schwert, richtete sich auf seine noch sehr wackligen Beine und stoppte Perkins, indem er wortlos neben dem Angeschlagenen in die Hocke ging und diesem die Klinge unter die Nase hielt.
„Das Kontrollzentrum für meinen Satelliten?“, fragte er mit beunruhigend ruhigem Tonfall. Mit der Antwort konnte sich der Schwarzhaarige stundenlanges Herumirren durch dieses blöde Gebäude sparen. Natür-lich kannte er sich hier noch von früher aus, aber die Hauptfiliale verfügte über viele grössere Räume, die den Ansprüche einer Kommandozentrale genügen würden, aber leider auch quer über den ganzen Kom-plex verteilt waren. Warum raten, wenn man auch fragen kann?
Perkins schluckte einmal schwer, ehe er eine Antwort herausbrachte: „Erdgeschoss, der ehemalige Kon-ferenzraum gegenüber des Haupteingangs.“
Wie bestellt stürmten in dem Moment mehrere Duzend Shegodrohnen durch die Eingangstüre, was den Narbenträger dazu veranlasste, Perkins am Kragen auf dessen Beine hochzuziehen und seine linke Hand über den Oberkörper des Braunhaarigen zu legen, während er ihm die Schwertklinge an die Kehle drückte. Doch Perkins zerstörte sofort schwach lächelnd jegliche Hoffnung auf einen Waffenstillstand: „Glauben Sie wirklich, dass sich die Dinger auch nur einen Deut um mich scheren?“
Es klang mehr wie eine Feststellung, als eine Frage, jedenfalls liess der Mantelträger unter einem ge-nervten Laut von seinem Opfer ab, stiess dieses von sich weg und ging unter Schmerzen in Kampfstel-lung, sein rechter Arm nach hinten ausgestreckt, die Schwertklinge rechts neben seinem Kopf in Richtung Angreifer gerichtet. Angeekelt spuckte er die halb gerauchte Zigarette aus. Als ob die künstlichen Ner-vensägen nicht schon genug Ärger bedeuteten, spürte der Schwarzhaarige eine grössere Erschütterung vom Raum unter diesem Zimmer, kurz darauf eine weitere, noch heftigere. Mit grösser werdenden Augen löste er seine Körperanspannung und drehte sich, mit nun offenem Mund, in Richtung der Quelle. Instink-tiv zog der Mantelträger seinen Kopf ein, schützte diesen mit beiden angelegten Armen, während er ver-suchte sich mit einem Sprung hinter Chens Chefpult zu verstecken. Er segelte noch durch die Luft, als ein Feuerball durch die Fluchtluke emporstieg und eine gewaltige Explosion den Raum auseinander riss.
---
Geschockt schaute Kim in das künstliche Gesicht einer Shegodrohne, welche Ron zu Boden gerissen hatte und diesen nun, argwöhnisch scheinend, energisch an einem Bein zu sich riss. Schreiend versuch-te Ron verzweifelt am glatten Laborboden Halt zu finden und der Drohne zu entkommen. Sofort aktivierte Kim den Kampfmodus ihres Stabes, aber bevor sie ihrem Freund zu Hilfe eilen konnte, wurde sie, von einem mächtigen Schlag getroffen, gegen eine Retorte geschleudert. Kampfstab und Kimmunicator flo-gen in hohem Bogen durch die Halle, als die rothaarige Teenagerin mit der linken Seite auf die Röhre auftraf, und blieben irgendwo liegen. Der Aufprall war heftig, drückte ihr die Luft aus den Lungen. Irgend-wie schaffte es die Teenieheldin dennoch auf ihren Beinen zu landen. Allerdings gaben diese, unter ei-nem starken Schwindelgefühl, augenblicklich nach und Kim brach atemlos vor dem Retortensockel zu-sammen.
Leicht benebelt musste sie mit ansehen, wie zwei weitere Drohnen aus dem Nichts auftauchten und She-go hinterrücks zu Boden rissen, wogegen sich die Schwarzhaarige noch im Fallen lauthals mit Händen und Füssen wehrte. Es war ihr möglich, einen der künstlichen Gegnern zu Fall zu bringen und dessen Kopf zwischen einer Retortenscheibe und ihrem Schuhabsatz mit einem harten und unglaublich schnel-len Fussstoss zu zerquetschen, wobei sie sich auch wieder von der zweiten Drohne lösen konnte.
Im Hintergrund war immer noch Rons Geschrei zu hören, dazwischen ab und an Geräusche, als ob Stoff zerrissen würde. „Ach Mann, nicht schon wieder meine Hose.“, jammerte der blonde Teenager von ir-gendwo her, bei diesen Lichtverhältnissen war nur noch schwer auszumachen, was Plastikhaufen und was menschlich war.
Ein wenig erleichtert, dass ihrem Freund scheinbar noch nichts Schlimmeres widerfahren war, versuchte Kim sich wieder aufzurichten. Vor Schmerzen kniff sie ein Auge zusammen, zog zischend wenig Luft durch ihre zusammengebissenen Zähne und legte sanft eine Hand auf die linke Seite, während sie sich erneut hinsetzen musste. „Kein Kampfstab, kein Kimmunicator und anscheinend ein paar angeknackste Rippen, na toll.“, dachte sie sarkastisch nach. Die Shegodrohne, welche die rothaarige Teenagerin vorhin unerwartet angegriffen hatte und sich nun vor ihr aufstellte, machte die ganze Sache nicht unbedingt einfacher und trotzdem lächelte Kim dem künstlichen Ding entgegen. „Ach komm schon, wie häufig hab ich dem Tod diese Woche nun schon ins Auge geschaut? Jetzt wird’s langweilig.“
Als ob die Drohen das verstanden hätte, liess sie ihre Arme hängen und schien zu schrumpfen, wie wenn sie sich wortwörtlich in Grund und Boden schämen möchte. Die grünäugige Teenagerin brauchte eine Weile um zu merken, dass ihr Gegenüber tatsächlich zusammenschrumpfte. Sie hob fragend eine Au-genbraue, bis Rufus auf der Drohne auftauchte, der Teenieheldin entgegensprang und ihr den verloren-geglaubten Kampfstab vor die Füsse legte, danach verschwand der Kleine wieder in der Dunkelheit.
Ron geriet inzwischen in arge Bedrängnis. So hatte er sich anfänglich immer wieder aus dem Griff der ersten Drohne befreien und dieser, alle paar Meter die Richtung wechselnd, knapp entfliehen können, doch wollte das Mistding einfach nicht locker lassen, bis es ihn endlich erwischt hatte. Auf dem Rücken liegend, musste auch er sich mit Händen und Füssen dagegen wehren, dass auf seinem Gesicht rumge-trampelt wurde. Unglücklicherweise gelang ihm das eher schlecht, da diese Drohnen um einiges schwe-rer und stärker waren, als das etwa bei Eric noch der Fall gewesen wäre. Auch liessen seine mystischen Affenkräfte auf sich warten, was den blonden Teenager aber nicht wirklich überraschte. Irgendwie hatte er die Sache um seine Kräfte nie richtig verstanden. Vermutlich war er nicht sauer genug oder dachte zuviel nach oder die Situation war ganz einfach nicht lebensgefährlich genug.
Letztere Vermutung bestätigend, war es schliesslich Rufus, der plötzlich mit einem grossen Satz über sein Herrchen hinweg angeflogen kam und der Shegodrohne ins künstliche Bein biss. Als sich Ron der sterbenden Drohne entledigte, posierte das rosa Nagetier angeberisch vor dessen Füssen herum und lenkte so die Aufmerksamkeit einiger frisch anrückenden, künstlichen Angreifer auf sich, ehe der Kleine unter neuerlichem Kampfgeschrei weiterstürmte.
Währenddessen hatte sich eine Übermacht kreisförmig um seine Freundin und Shego formiert. Böse liessen die beiden Frauen ihre Blicke über ihre Gegner wandern. Beide waren von dem, was sich ihnen bot, nicht sonderlich angetan.
„Wie ich das hasse.“, bellte Shego genervt in den Raum. Dass ein leicht frustrierter Unterton in ihrer Stimme lag, konnte sie nicht verbergen, immerhin war ihr Plasma praktisch wirkungslos und für jeden gefallenen Kollegen traten mindestens zwei neue ein.
Eben diese Aussicht machte auch Kim schwer zu schaffen. Selbst wenn sie alle Gegner restlos ausschal-ten könnten, was doch eher unwahrscheinlich war, wäre der entstandene Zeitverlust enorm. Um ihren hinten und vorn rebellierenden Magen zu beruhigen, entspannte Kim kurz ihren Körper, liess Schultern und Kopf hängen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Aufgeben? Die rothaarige Teenagerin ertappte sich tatsächlich bei diesem Gedanken. Vielleicht wäre es besser sich wieder gefangen lassen zu neh-men. Vielleicht würde das Hench von seiner Drohung abhalten. Sie ohrfeigte sich für diesen Gedanken-gang. Was würde man über ein solches Verhalten denken? Glaubte sie tatsächlich, ihre Familie wäre darüber erfreut? Sie würde keinem mehr in die Augen schauen können. Nicht ihrer Familie, nicht Ron, ironischerweise nicht einmal mehr Shego und schon gar nicht sich selbst. Denn die Erwartungen in die weltbekannte Teenieheldin Kim Possible waren klar.
Nachdenklich ging die Teenieheldin wieder in Kampfstellung. Schon wurde sie von einer ersten Drohne frontal angegriffen. Unbeeindruckt liess Kim ihren Kampfstab horizontal vor sich fallen und kickte ihn dem Angreifer entgegen. Auf Brusthöhe getroffen, torkelte das künstliche Ding rückwärts, während der blaue Stab durch die schwach elastische Drohnenhülle zur rothaarigen Teenagerin zurückgeworfen wurde. Gleichzeitig wehrte sie einen seitlich angreifenden Gegner ab, indem sie diesem, durch den Schwung einer schnellen Drehung um die eigene Achse, einen Fuss ins künstliche Gesicht platzierte. Hinterrücks fing Kim den Stab schliesslich wieder auf und kümmerte sich um den nächsten Plastikhaufen, während Shego ihrerseits mit einem Aufschrei einem ihrer künstlichen Angreifer entgegensprang und diesem ei-nen Schuhabsatz ins künstliche Auge bohrte. So riss sie den ausser Gefecht gesetzten Körper mit zu Boden, wo sie mit einem platschenden Geräusch in einer Pfütze landete.
Erstaunt schauten die zwei Frauen auf die stechend riechende Flüssigkeit, die eindeutig nicht von den zerstörten Drohnen stammen konnte. Als eine gläserne Retorte klirrend in sich zusammenbrach und ih-ren Inhalt in die Halle verschüttete, verstanden die Zwei. Shegos Fusstritt von vorhin hatte das Glas of-fenbar beschädigt und der Innendruck brachte es mit Verzögerung zum Bersten.
Die Schwarzhaarige rümpfte angewidert die Nase. Die Flüssigkeit erschwerte nicht nur das Atmen, son-dern fühlte sich selbst durch die Schuhe eigenartig kalt an. Für einen Augenblick stoppten die künstlichen Drohnen ihre Aktionen, wie wenn sie geschockt wären. Erst jetzt fiel Shego auf, dass ihre Angreifer hier zwischen den Retorten bei keiner Attacke ihr Plasma verwendet hatten, was eigentlich nur eines bedeu-ten konnte.
Geschockt bemerkte Kim das bösartige Grinsen, welches sich im Gesicht ihrer Erzfeindin abzeichnete. Hier würde gleich die Hölle ausbrechen. Mit verzweifelt grossen Augen streckte sie ihren Arm Richtung Shego aus. Ron und Rufus waren noch irgendwo in dieser Halle und könnten vom Feuer eingeschlossen werden. Doch kam sie nicht einmal ansatzweise dazu Shego aufzuhalten.
Besagte wich ruhig einer weiteren anrückenden Shegodrohne aus, verpasste ihr einen Schlag in den Rücken, als diese die Schwarzhaarige passiert hatte, sprang einer Nächsten auf den Oberkörper, stiess sich daran ab und überflog elegant eine weitere Angriffswelle. Noch bevor sie, trotz der hohen Absätze, wieder sicher auf den Füssen landete, hatte sie bereits eine Plasmasalve in die stinkende Brühe abge-feuert. Mit mehreren aneinandergehängten Rückwärtsüberschlägen brachte sie sich dann aus der Gefah-renzone, während sich zeitgleich die Dämpfe fauchend entzündeten. Mit unglaublicher Geschwindigkeit breiteten sich die orangen Flammen durch die Drohnenreihen aus genau auf Kim zu.
Gezwungenermassen musste die Teenieheldin einen künstlichen Gegner als Sprungbrett missbrauchen und sprang nun von einer Shegodrohne zur nächsten, wobei sie auf der Suche nach Ron ihre Augen über das Flammenmeer schweifen liess und gleichzeitig darauf achten musste, dass sie nicht von den künstlichen Dingern unter ihr zu Fall gebracht wurde. Angstschweiss stand ihr auf der Stirn, die Hitze und der aufsteigende Rauch waren kaum zum Aushalten. Immer wieder musste sie ihre brennenden Augen kurz schliessen und ihren Kopf mit beiden Armen vor einer aufzüngelnden Flamme schützen, ehe sie kurz nach einem Lebenszeichen ihrer Gefährten suchte. Aber ergebnislos. Schliesslich rutschte der Rot-schopf auf einer künstlichen Schulter aus und ging schmerzhaft zu Boden. Sie konnte sich zwar hustend wieder aufrichten, aber war sie mittlerweile von lodernden Flammen umgeben. Shegodrohnen konnte sie nicht mehr zur Flucht nutzen, diese schmolzen in der Hitze wie Wachsfiguren dahin. „Kim!“ Erschrocken drehte die Teenagerin ihren Kopf mit zusammengepressten Augen in Richtung des Ausgangs und er-blickte dort verschwommen ihren Freund mitsamt Rufus, die es irgendwie geschafft hatten nicht nur den Drohnen, sondern auch dem Feuer zu entkommen.
Gewohnt zuverlässig und dank einer guten Nase hatte das rosa Nagetier sein Herrchen zum Ausgang geführt und dabei sowohl den Kimmunicator gefunden, als auch grössere Zusammenstösse mit dem Feind vermieden. An ihrem Ziel angekommen, hatte Rufus den blonden Teenager dann energisch quie-kend und mit einem Vorderlauf auf das Feuer zeigend, auf den Rotschopf aufmerksam gemacht, die mit grössten Anstrengungen auf den Shegodrohnen herumturnte und schliesslich zu Fall kam. Der unmittel-bare Versuch Kim zu helfen, wurde durch Shego, die plötzlich zwischen den Retorten erschienen war, unterbunden, als das Helferlein drauf und dran war in die Flammen zu hüpfen. Selbst Rufus hatte die Sinnlosigkeit eines Eingreifens eingesehen und versuchte mit aller Macht sein Herrchen davon abzuhal-ten, indem er sich an dessen Hosenbein klammerte. Das Herz des blonden Teenagers zog sich zusam-men. Seine Freundin, seine Gefährtin durch die Höhen und Tiefen dieses Lebens schon wieder in einer solchen Situation zu wissen und wieder nichts dagegen tun zu können, brach ihm Besagtes. Er wehrte sich widerwillig gegen Shegos Griff, zappelte wie ein Fisch im Trockenen, während die Schwarzhaarige ihn erfolgreich vom Feuer wegschleifte.
Erleichterung war das Letzte, was die rothaarige Teenagerin fühlte, bevor unverhofft der Metallsockel der zerstörten Retorte durch die Flammen oder die ramponierte Elektronik, einige Meter entfernt, in einer mittelschweren Detonation in die Luft ging. Drohnen, welche noch nicht zu künstlichen Fackeln geworden sind und sich in der unmittelbaren Umgebung des Explosionsherd befanden, wurden ganz einfach in Stücke gerissen, andere durch herumfliegende Glas- und Metallteilchen durchbohrt und weitere Geburts-stätte wurden zerstört. Hinterrücks von der gewaltigen Druckwelle getroffen, wurde Kim schreiend in Richtung Ausgang geschleudert. Wie durch ein Wunder verfehlte sie die gläsernen Retorten, als die Tee-nieheldin mit, vor den Kopf gelegten Armen in hohem Bogen aus den Flammen gestossen wurde, auf der unverletzten Seite landete und noch eine kurze Distanz über den glatten Boden rutschte. In aller Eile rannte Ron zu seiner Freundin, die sich gerade stöhnend versuchte aufzurichten, zog ihren rechten Arm über seine Schulter und stützte sie.
Eine weitere Explosion erschütterte die Halle, brachte die beiden Teenager beinahe wieder zu Fall. Tor-kelnd erreichte das Pärchen zusammen mit Shego endlich den Ausgang. Nur wenige Augenblicke später zwang eine Stichflamme das Trio im wegführenden Korridor sich hinzuwerfen, als eine letzte Detonation die Halle und unmittelbar anliegende Räume gnadenlos auseinander riss.
---
Eigenartig emotionslos liess der Narbenträger seine Augen über den gut zwanzig Meter tiefer gelegenen, komplett zerstörten Raum schweifen. An einigen Stellen brannten noch stärkere Feuer. Überall stieg schwarzer Rauch auf und es roch nach verbranntem Plastik. Schwarze, hässlich aussehende Häufchen zeugten von der einstigen Existenz künstlicher Drohnen. Sein Mantel wehte schwach im Wind, warme Sonnenstrahlen trafen sein Gesicht, da die letzte Explosion den Gebäudekomplex nicht nur eine Seite, sondern auch ein Teil vom Dach gekostet hatte. Im Hintergrund heulte eine durchdringende Sirene in regelmässigen Abständen auf und draussen vor dem Gebäude waren panisch rennende Menschen zu sehen.
Er stand nur wenige Zentimeter vor dem Abgrund, da wo einst Chens Tisch gestanden und die teuren Bildschirme gehangen waren. Obwohl das halbe Zimmer zerrissen worden war, hatte der Schwarzhaari-ge es auf, für ihn, unerklärliche Weise geschafft, sich mit der schweren Tischplatte vor der Druckwelle zu schützen. Der Knall war gewaltig gewesen, ihm schmerzten immer noch die Ohren. Er spürte auch sonst jede Faser seines Körpers und rieb sich sanft die Stelle unterhalb der Schusswunde. Endlich entdeckte er sein Schwert zwischen all den Trümmerteilen, was er mit Flüchen kommentierte. Ein gewöhnlicher Ab-stieg war nicht mehr möglich, was den Mantelträger zusätzlich ohne Ende nervte. Hin und wieder ein klein wenig Unterstützung konnte doch wirklich nicht zuviel verlangt sein.
Ungeduldig den Schlag des künstlichen Mistkerls abwartend, der sich gerade vermeintlich lautlos hinter seinem Opfer aufrichtete, verschränkte Scarface seine Arme. Als die Attacke endlich kam, bückte sich der Schwarzhaarige pfeilschnell und holte so genug Schwung, um einen Überschlag über die Drohne hinweg auszuführen. Einmal gelandet, sprang er seinem künstlichen Kontrahenten in den Rücken, was er aber sofort bereute. Wie er mit grossen Augen feststellen musste, hatte er sich gerade zusammen mit seinem Angreifer über die ausgefranste Bodenkante hinaus gestossen. Die Welt schien für einen kurzen Moment still zu stehen, als sich der Narbenträger geistig für seinen nicht nachvollziehbaren Gedanken-gang an den Kopf fasste. „Ups!“, sagte er zu sich selber, dann konnte er ein lauter werdendes Pfeifen in den Ohren hören und Augenblicke später war alles vorbei.
---
Zwei Paar grüne Augen schauten sich gegenseitig an, das eine provozierend, das andere stinksauer zurückblickend. Tief hatte Kim ihre Fingernägel in Shegos Oberarme gebohrt, als die Teenieheldin wut-entbrannt auf ihre Erzfeindin losging, diese packte und mit dem Rücken gegen eine Wand drückte.
„Was sollte das eben?“, schrie sie Shego ins Gesicht. Als sie keine Antwort, sondern lediglich einen ste-chenden Blick erhielt, drehte sich die rothaarige Teenagerin mitsamt ihrem Opfer und schlug dieses heftig an die entgegengesetzte Wand, ohne dabei ihren Griff zu lockern. Ungeduldig setzte sie nach: „Ron hätte dabei sterben können, also was sollte das?“
Langsam aber sicher bereute Kim ihre Entscheidung die Schwarzhaarige mitgenommen zu haben. Diese ganze Aktion von vorhin war mal wieder typisch Shego. Ganz nach dem Motto, erst schiessen, dann fra-gen. In dieser Sache wollte sie der Schwarzhaarigen wirklich vertrauen können, diese Situation war sonst schon anstrengend genug, und nicht jeden ihrer Schritte überwachen müssen. Leider liessen solche Handlungen Shego weder vertrauenswürdig erscheinen, noch nahmen sie wenigstens ein Bisschen Druck von der rothaarigen Teenagerin. War ein klein wenig Teamgeist wirklich zuviel verlangt? Eigentlich könnte man doch meinen, da sie gemeinsam in dieser Sache steckten, würden sie auch gemeinsam ei-nen Weg finden wollen. Aber wieder wollte Shego alles auf eigene Faust erledigen, was wiederum be-deuten musste, dass die Schwarzhaarige der Teenieheldin nicht im Geringsten vertraute. So ungern Kim das auch zugeben musste, es verletzte sie zutiefst und stellte den eigentlichen Grund für ihren kleinen Ausraster.
Erneut schlug sie Shegos Oberkörper gegen die Wand. „Antworte mir!“ – „Vergiss es!“, schrie nun auch die Schwarzhaarige sauer wirkend, während sie den Spiess umkehrte und Kim einmal ihre eigene Medi-zin schlucken liess, was sie aber sofort zu bedauern schien und wandte sich nachdenklich und wortlos vom Rotschopf ab, als dieser, sich wieder an die Seite greifend und mit dem Rücken an der Wand ent-lang schleifend, in die Hocke ging.
Shego hatte keine Lust auf eine endlose Diskussion, denn dabei würde zwangsläufig der Grund ans Ta-geslicht kommen, warum sie hier mit Kimmie und Helferlein auf ein und derselben Seite stand. Denn das wäre mit Gewissheit die erste von vielen unangenehmen Fragen gewesen, die sich der Teenagerin auf-gezwängt hätten. Auch warum sie Helferlein gerade davon abgehalten hatte, sich in die Flammen zu stürzen, was sie definitiv nicht einmal sich selber erklären konnte. Sich zu öffnen würde bedeuten die gewaltige Lüge, aus der ihr Leben bestand, aus der Welt zu schaffen, angefangen mit den Unwahrheiten, die sie sich bezüglich ihres Stolzes selber vorlog. Shego wollte es der Teenieheldin nicht sagen. Und selbst das entsprach einer Lüge. Das pure Gegenteil war der Fall, ihr Herz schrie förmlich danach, end-lich alles loszuwerden. Sie wollte Kim sagen, dass sie aus Schuldbewusstsein hier stand, dass sie ver-zweifelt versuchte die Vergangenheit ungeschehen zu machen, dass sie nicht die Person war, für die sie sich jahrelang ausgegeben hatte. Und die grünäugige Teenagerin hätte es verstanden, aber die grundle-gende Gut-Böse Beziehung der Beiden, welche über die Jahre hinweg so gut funktioniert hatte, würde zerstört. Es würde dazu führen, dass Kimmie Shego nicht mehr als schurkisches Helferlein, sondern als Mensch ansähe. Die Schwarzhaarige war sich nicht sicher, ob das zu verkraften wäre.
„Weißt du, ich bin nicht dein Feind, Shego.“, sagte Kim in sanftem, aber auch belehrendem Tonfall und traf ihr Gegenüber damit innerlich, wider Erwarten, auf eine merkwürdig angenehme Art. Dennoch oder vielleicht deswegen wurden ihre Augen unbewusst immer grösser. Unter Berücksichtigung ihrer bisheri-gen Vergangenheit, im Speziellen des Diablozwischenfall, war diese Aussage mehr als einfach nur über-raschend gekommen. Und trotzdem war die Schwarzhaarige sprachlos und hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte.
„Ladies.“ Einerseits durch Ron, der sich ungeduldig wirkend zu seiner Freundin hinhockte und ihr den Kimmunicator überreichte, und andererseits durch Rufus, welcher sich ernst räusperte, wurden die bei-den Kontrahentinnen endlich daran erinnert, weshalb sie eigentlich hier waren. Leicht verstimmt schüttel-te der blonde Teenager seinen Kopf. Und da heisst es immer, er hätte Probleme sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Hin und wieder kreuzte das Trio verdutzt schauende Kittelträger, die sich panisch mit Ordnern und ande-rem Papierkram in Sicherheit bringen wollten. Nach einem letzten Blick auf den Gebäudeplan, schaltete Kim ihr blaues Gerät aus. Sie hatten endlich das Erdgeschoss erreicht. Die Kommandozentrale lag am Ende dieses Gangs, also beschleunigte die rothaarige Teenagerin noch einmal ihre Schritte, so dass Ron, der den beiden Frauen sowieso schon hinterher hechelte, das Tempo endgültig nicht mehr mithal-ten konnte. Wie nicht anders zu erwarten war, stellten sich der Gruppe in dem Moment zwei Shegodroh-nen, aus einem Seitengang tretend, in den Weg. Die beiden Erzfeindinnen stoppten abrupt.
„Hier muss irgendwo ein Nest sein.“, kommentierte Shego das Auftauchen der Plastikhäufen, die den engen Korridor praktisch ausfüllten, gewohnt sarkastisch.
Synchron zur Teenieheldin ging sie in Kampfstellung. Nicht so Ron. Wie ein Irrer rannte er weiter auf die künstliche Barrikade zu. Der blonde Teenager hatte definitiv genug. Er war sich ja Einiges gewöhnt, aber bisher wurde er nur herumgeschubst, getreten, geschlagen und gepeinigt und das weit über alle üblichen Masse hinaus.
Er nahm seinen Nacktmull in die rechte Hand und warf ihn den Drohnen entgegen. „Rufus, finden und zerstören!“ Nach einem kurzen und anscheinend höchst amüsanten Flug, landete das rosa Nagetier auf der künstlichen der einen Drohne und klammerte sich dort fest. Während der Nacktmull seinem Opfer die Sicht versperrte, streckte er der anderen frech die Zunge raus. Mit erhofftem Resultat: Die beleidigte Shegodrohne holte zum Schlag aus und schaltete statt Rufus seinen künstlichen Kameraden aus, der mit abgerissenem Kopf in Schlagrichtung durch den Gang geschleudert wurde. Geschickt war Rufus im letz-ten Augenblick der heranschnellenden Faust ausgewichen, flog nun der übrig gebliebenen Drohne ent-gegen und biss dieser, noch bevor er überhaupt landete, in die Nase. Sofort stiess er sich wieder mit seinen Hinterläufen von der sterbenden Drohne ab, fügte einen eleganten Rückwärtssalto an und landete schliesslich wieder sicher mit ausgestreckten Vorderläufen in Rons Hand, als der, ohne sein Tempo ver-langsamt zu haben, an den zerstörten, künstlichen Angreifern vorbei rannte.
„Dankeschön!“, quiekte Rufus, sich wie ein Leichtathletiker nach gelungener Kür verbeugend, in Kims Richtung. Ungläubig schaute vor allem Shego dem vermeintlichen Helferlein nach, bis sie fragend den Kopf zur Teenagerin drehte. Diese zuckte allerdings nur mit den Schultern und verzog ihren Mund zu einem leicht überraschten Lächeln.


Kurz darauf betrat Ron den Kommandoraum durch eine automatische Türe, die das übliche ’wusch’ ver-lauten liess. Der Anblick, welcher sich ihm bot, liess ihn kurz den Atem anhalten. Danach war es der feste Griff einer Shegodrohne, in die er hinterrücks hineingelaufen war, als er sich, um die eigene Achse dre-hend, in der Kommandozentrale herum schaute. Sie liess ihn gerade noch so atmen, während sie den blonden Teenager etwa einen Kopf breit hochhob. Rufus war beim Zusammenstoss von der Schulter seines Herrchens gefallen und war durch das Auftauchen einer zweiten Drohne zum Stillsitzen gezwun-gen.
Nur Sekunden später passierten auch Kim und Shego den Eingang und traten in den kreisrunden Saal. Obwohl die Beleuchtung im Raum sehr gut war, kam er Kim äusserst dunkel vor. Scharfe Kontraste zwi-schen Licht und Schatten schufen eine unheimliche, fast unheilvolle Atmosphäre und liessen ihn sehr kalt erscheinen. Der erste Eindruck verflog allerdings recht schnell, da die Kommandozentrale mehr dem chaotischen und heillosen Durcheinander glich, welches man in Zimmern von Teenagern vorfinden wür-de. Ungeachtet der Neuankömmlinge wirbelten Kittelträger und Wissenschaftler, aufgescheucht wie wilde Hühner, durch den Raum und trugen Laptops und Dokumente herum, wie wenn es kein Morgen mehr gäbe. Durch die Luft segelndes Papier rundete das Bild sehr schön ab.
Kurz blickte Hench, nun wieder hinter seiner albernen Maske versteckt, von seinem Laptop auf und fügte ein dumpfes Lachen an. Die Hektik um ihn herum schien ihn in keiner Weise aus der Ruhe zu bringen. Der Geschäftsführer stand an einer Art runder, riesiger Mittelkonsole, welche sehr einer griechischen Säule glich. Sie reichte bis zur Decke, wo sie durch dicke Kabelstränge mit ihrer Umgebung, den umlie-genden Rechnern und Computern, verbunden worden war. Gleich unterhalb der Decke hingen riesige Bildschirme, jede Menge Statusinformationen anzeigend. Auf dem verbreiterten Sockel, etwa auf Hüfthö-he, wurden etliche Laptops mit der Konsole verbunden. Kreisförmig um den Mittelteil wurden wie im ’C-Tower’ diese tribünenähnlichen Anbauten angeordnet.
Als Chen mit seiner Rumtipperei fertig war, trat er ein paar Schritte mit ausgestreckten Armen von der Mittelkonsole weg, jedoch ohne sich umzudrehen. Dann erschien auf einem der Bildschirme eine Satelli-tenaufnahme der Vereinigten Staaten, irgendwo war ein rot blinkende Zielpunkt mit ’Middleton’ ange-schrieben. In der unteren, rechten Ecke wurde der Countdown bis zur Erreichung der Zielkoordinaten angezeigt.
„Nicht dramatisch genug.“, murmelte der Maskenmann als Reaktion auf die, in der Tat etwas unscheinba-re Darbietung und aktivierte die Lautsprechercomputerstimme. Eine weibliche, sehr sympathische Stim-me leierte irgendeinen Standart Zielerfassungsschwachsinn ab und erklärte, dass noch etwas über zehn Minuten bleiben würden. Nun zufriedener agierend, schritt Chen zwischen seine beiden Drohnen und meinte amüsiert: „Viel besser, finden Sie nicht auch?“
Wie ärgerlich, nur ein paar Sekunden früher und es wäre nie soweit gekommen und Ron müsste nicht schon wieder als Geisel hinhalten. So nah waren sie diesem Mistkerl von Hench und doch so weit davon entfernt ihn zu fassen. Trotzdem ging Kim nicht auf die lächerliche Provokation ein, sie konzentrierte sich eher darauf, wie sie ihren Freund aus seiner erneut unbequemen Lage befreien könnte, ohne dass dieser ernsthaften Schaden nehmen würde. Shegos Gesichtsausdruck war unleserlich, gegen aussen hin neut-ral, doch in ihr drin musste es brodeln. Ihr aktiviertes Plasma sprach da eine äusserst deutliche Sprache. Aber sie hielt sich dieses Mal wohlüberlegt zurück, jedoch war sie ohne Zweifel bereit, jederzeit einen Angriff zu lancieren.
„Wenn ich Sie nun bitten dürfte, mir aus dem Weg zu gehen.“, fügte er, trotz der Stimmverzerrung ein-deutig enttäuscht klingend, an. Er deutete den beiden Frauen mit einer Handbewegung in Richtung Ein-gang, da es sich offenbar um den einzigen Fluchtweg handelte. Also gingen beide Gruppen vorsichtig und gesittet kreisförmig aneinander vorbei, so dass sie im Grunde einfach nur ihre ursprünglichen Positi-onen tauschten.
Nun mit dem Rücken zum Ausgang rief Chen der Teenieheldin siegessicher entgegen: „Ihren Freund nehme ich zu meiner Sicherheit mit. Vielleicht lass ich ihn laufen, aber das bezweifle ich doch sehr. Le-ben Sie wohl, Miss Possible.“
Während Kims Gegenüber seine Drohung aussprach, schien die rothaarige Teenagerin als Einzige zu bemerken, dass sich die eigentlich automatischen Eingangstüre scheinbar seit ihrem Eintreten nicht wie-der geschlossen hatte. Sie glaubte auch gesehen zu haben, dass sich an einem Türrahmen für einen kurzen Moment ein Schatten bewegt hatte. Schnell war sie Shego einen verstohlenen Blick zu, welche darauf zustimmend nickte. Sie hatte es also auch gesehen.
„Ich bezweifle sehr, dass Sie hier raus kommen.“, erwiderte der Rotschopf darauf eigenartig selbstbe-wusst, indem sie gespielt Henchs tiefe, künstliche Stimme nachahmte und offensichtlich dermassen gut traf, dass sich selbst Shego einen Lachausbruch nur knapp und mit sehr viel Mühe verkneifen konnte. Den Geschäftsführer erstaunte diese respektlose Geste umso mehr, schliesslich hatte er den Jungen in seiner Gewalt. Verwirrt stotterte er zurück: „Sie werden nichts unternehmen, sonst ...“ – „Oh, ich rede nicht von mir.“
Genau in dem Moment wurde die Drohne unmittelbar hinter ihm von einer Schwertklinge durchbohrt und kampfunfähig gemacht. Den Kopf herumwirbelnd, blickte Hench dann in den Lauf einer verkürzten Schrotflinte, der plötzlich auf der künstlichen Drohnenschulter zu liegen kam. In fester Erwartung eines solchen Vorgehens, hatten sich sowohl Shego, als auch Kim mit Sprüngen zur Seite aus dem Schussfeld gebracht. Zu recht, denn der Schütze fackelte nicht lange. Ohne Vorwarnung drückte dieser ab. Zur Überraschung des Maskenmanns streiften die Schrotkügelchen lediglich die rechte Seite seiner Maske, hinterliess dort einige tiefere Kratzer. Während der Geschäftsführer zurücktorkelte, schaute er auf die zweite, nun kopflose Drohne, welche auf der Stelle in sich zusammenbrach. Natürlich mit voller Wucht auf ihr bemitleidenswertes Opfer. Soviel zum Vorsatz, dass Ron sich nicht mehr hätte zum Affen machen lassen wollen. Währenddessen ging die erste Shegodrohne in die Knie und enthüllte den durch sie ver-borgenen Mantelträger.
Starr vor Schreck blickte Chen in die schwarzen, kalten Augen seines Gegenübers und glaubte den Teu-fel persönlich vor sich zu haben. Für ihn schien es unbegreiflich, dass der Schwarzhaarige nach wie vor lebte. Zum frischen, halb oder vollständig getrockneten Blut waren diverse Drohnenrückstände und Bio-massespritzer hinzu gekommen, die teilweise von seiner Kleidung tropften. Beim Aufprall vorhin war das künstliche Ding aus allen Nähten geplatzt. Extrem widerlich, aber es hatte seinen Zweck erfüllt oder we-nigstens zu einem Grossteil. Seine leicht gekrümmte Haltung konnte ja noch von der Schusswunde her-rühren, aber er hinkte schwach. Der Narbenträger selber kam sich wohl eher wie ein Sumpfmonster aus einem zweitklassigen Horrorfilm vor. Im Nachhinein betrachtet kam es auch mehr einem Witz gleich, eine Drohne als Fahrstuhl benutzt zu haben.
Ruhig warf der Schwarzhaarige seine Pumpgun zu Boden, spuckte in seinem Mund angesammeltes Blut respektlos vor die Füsse Chens und wischte sich mit der linken Hand übers Gesicht. Dann hob er, unter einem lauten Schniefen, beide Arme und zuckte mit den Schultern. Dem Maskenmann waren gerade sämtliche Alternativen und Fluchtwege ausgegangen.
„Sie sollten besser lernen zu zielen. Hier das Herz, da die Lunge, hier Magen, da Kopf ...“, verhöhnte Scarface sein Gegenüber, während er auf die jeweiligen Stellen zeigte, die der Geschäftsführer verfehlt hatte, wobei sich der Mantelträger bei der Lunge da nicht ganz so sicher war, und dann gespielt zögerlich anfügte, „Ich bin mir Schmerzen gewöhnt, Sie hingegen ...“
Blitzschnell zog er sein, immer noch in der Drohne steckendes Schwert hinaus, was den künstlichen Oberkörper nach vorn wegkippen liess, und stiess die Schwertspitze in Chens linke Schulter, bis diese von irgendeinem Knochen gestoppt wurde. So bugsierte er den nun aufheulenden Geschäftsführer an die nahegelegene Wand.
„Ausgespielt, Henchie.“, grinste der Narbenträger böse, während er seine Waffe ruckartig um neunzig Grad drehte und seinem Opfer einen weiteren Schmerzensschrei entlockte. Chen tanzten die Sterne vor den Augen, als er sich stöhnend krümmte. Für den Schwarzhaarigen musste das Musik in den Ohren sein.
Noch bevor Kim, die sich inzwischen aufmunternd um ihren Freund gekümmert hatte, dazwischengehen konnte, zog der Schwarzhaarige sein Schwert zurück und warf sein Gegenüber erbarmungslos an die gegenüberliegende Wand, wo dieser endlich wimmernd liegen blieb. Sich vor Erschöpfung vornüber leh-nend, versuchte sich der Mantelträger auf die gebogene Klinge zu stützen, was aber kaum funktionierte.
Die Teenieheldin stoppte erschrocken auf der Stelle, als auch ihre Augen die seinigen trafen. Mehr noch sie ging, verstört wirkend, gleich wieder ein paar Schritte zurück. Es war derselbe Gesichtausdruck, den sie vor dem Bueno Nacho bei ihm beobachten konnte. Diese unheimliche Verachtung, dieser feurige Glanz in seinen Augen versetzten die rothaarige Teenagerin in Angst und Schrecken und liessen wieder Erinnerungen an den getöteten Scharfschützen wach werden. Unfähig diese abzuschütteln, platzierte Kim beide Hände krampfartig um ihren Kopf und schüttelte diesen schwach.
„Bleibt nur noch eines zu tun.“, sagte der Narbenträger zufrieden und laut zu sich selber. Nachdem er sich kurz im Kommandoraum umgeschaut hatte und diesen für einen Showdown als gut genug befand, nicht dass es an sich nicht scheissegal war, wo und wann es enden würde, knickte sein Kopf weg von Kim, direkt in Shegos Richtung. Die Stimmung verdunkelte sich schlagartig und die Temperatur schien in einem Augenblick um mehrere Grad zu fallen. Auch die Schwarzhaarige wurde allein durch den Augen-kontakt zurückgedrängt. Shego stiess mit ihren Oberschenkeln hinterrücks an die Mittelkonsole und fiel zu Boden. Auf ihrem Hintern sitzend, versuchte sie dennoch die Distanz zwischen sich und dem Schwarzhaarigen vergrössern zu wollen, da sie sich verzweifelt mit Händen und Füssen weiter nach hin-ten weg schob.
Fassungslos hatte Kim ihre Erzfeindin beobachtet. So panisch und verzweifelt hatte sie diese noch nie gesehen. Die rothaarige Teenagerin konnte es sich nur ungefähr ausmalen, was Shego in diesem Mo-ment durchmachen musste, aber wenn er schon auf sie einen dermassen grossen Einfluss haben konn-te, dann musste die Schwarzhaarige richtige Todesqualen leiden.
Der Mantelträger setzte sich schwankend in Bewegung und liess regelmässig die Spitze seines Schwer-tes sanft auf den Boden fallen, wie wenn er einen Gehstock in der Hand halten würde. Am entstehenden Ton an sich war nichts bedrohliches, doch im Zusammenspiel mit dem Wissen, dass man sterben und dass er vom herannahenden Henker persönlich verursacht wird, brachte man Nerven zum Zerreissen. Im Moment spielte der Schwarzhaarige nur Spielchen, aber das wird sich sehr schnell ändern, dessen war Kim sich bewusst. Sie musste unbedingt eingreifen, doch ihre Beine versagten ihren Dienst. Es war nicht ihre Todesangst, mit ihr hatte sie in den Jahren ihres Heldentums umzugehen gelernt. Es waren diese schwarzen Augen, die sie verrückt machten. Die Computercountdownstimme holte sie aus ihrer gedank-lichen Abwesenheit. „Wann wurde ich zum Feigling?“, fragte sie sich selber, schloss ihre Augen und ball-te ihre Hände zu Fäusten, als sie wieder diese sterbenden Augen durch die blutverschmierte Stoffmaske sah und sich daran erinnerte, was sie sich in dieser Nacht geschworen hatte.
„Kontaktier Wade, er soll den Satelliten ausschalten.“, befahl sie Ron und warf ihm den Kimmunicator zu. „Aber KP ...“ – „Was auch geschieht, du bleibst hier.“, unterbrach sie den blonden Teenager und ging an ihm vorbei, „Das gilt auch für dich, Rufus.“
Ohne ihrem Freund eine Gelegenheit zu geben sie zu stoppen, sprang Kim mit einem gewaltigen Satz direkt vor die Füsse des Narbenträgers. Dieser wusste nicht, wie ihm geschah, so fixiert wie er auf Shego war, und hatte auch keine Chance dem gezielten Faustschlag in den Magen auszuweichen, geschweige denn abzuwehren. Schnell winkelte sie ihren rechten Arm an und verpasste ihrem Gegner einen Kinnha-ken mit dem Ellbogen und hebelte den Schwarzhaarigen damit aus. Dessen Kopf und Körper wurden, wenn auch nur wenige Zentimeter, regelrecht in die Luft gehoben. Reflexartig fing er mit einem Rück-wärtsüberschlag seinen Sturz ab und ging bei der Landung in die Hocke. Als er sich gleich wieder auf-richten wollte, verschwamm ihm alles vor den Augen und er musste sich mit einer Hand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der erlittene Schlag war also nicht nur schmerzhaft, sondern auch noch präzise angesetzt worden.
„Mach schon!“, schrie der Rotschopf ernst Ron entgegen, da dieser nur ungläubig und bewegungslos in ihre Richtung blickte. Ungläubig und erstaunt schaute auch Shego auf ihre Erzfeindin. „Kimmie?“, entglitt ihr unsicher klingend.
„Possible?“ Selbst der Narbenträger schien überrascht zu sein. Er hatte sich zwar mittlerweile wieder aufgerichtet, hielt aber doch zögernd wirkend seine Position. In der Tat hatte sie ihn mit der Aktion eher kalt erwischt. Nach allem, was er über die Beiden gehört hatte, nach sämtlichen gesammelten Informati-onen, insbesondere des Zwischenfalls mit den cybertronischen Robotern, wäre der Schwarzhaarige nie-mals auf die Idee gekommen, dass die eine für die andere einstehen würde.
„Was steht an, Kim?“, unterbrach endlich Wade die Gedankengänge sämtlicher Anwesender, als sein Kopf auf einem der riesenhaften Bildschirmen erschien. Er war also bereits im System, was die Teenage-rin ungemein beruhigte. „Alarmstufe rot hier. Fahr den Vogel runter.“, instruierte sie den schwarzhaarigen Jungen kurz und knapp, was dieser mit einem wie üblich selbstbewussten „Bin schon dabei.“ bescheinig-te, während er in irrsinnigem Tempo auf seiner Tastatur rumhackte. Da er unbefugt in das Programm von ’Phoenix’ eingedrungen war, aktivierte das System, wie erwartet, automatisch seine Schutzmassnahmen: Auf den Bildschirmen erschienen alle möglichen Satelliten und deren Umlaufbahnen über einer Weltkar-te. Wade musste den fraglichen Vogel suchen, um ihn eliminieren zu können. „Satellitensuchprogramm aktiviert.“ Innert weniger Sekunden hatte er hunderte Möglichkeiten auf einige wenige reduziert.
Scarface lächelte nur schwach und kommentierte das Vorgehen höchst amüsiert: „Ah, das Computerge-nie solls also richten. Ich enttäusche dich nur ungern, aber es wird nicht funktionieren.“ Natürlich wurde er ignoriert, was er wiederum mit einem frechen Grinsen quittierte.
„Wer nicht hören will ...“, sagte er ruhig mit zusammengekniffenen Augen, aber in uninteressierter Stimm-lage, als er sich wieder in Bewegung setzte, sich vor Kim positionierte und versuchte, an dieser vorbei zu kommen. Doch die rothaarige Teenagerin kopierte jede seiner Bewegungen spiegelverkehrt, so dass sie immer wieder direkt vor ihm stand. Unbeeindruckt täuschte der Mantelträger an, die Teenieheldin auf der rechten Seite zu passieren, wechselte dann aber mit einer schnellen Drehung um die eigene Achse die Richtung und konnte sein Gegenüber erfolgreich über die andere Seite hinter sich lassen. Kim rollte nur mit den Augen und führte, indem sie aus der Hocke genug Schwung holte, als direkte Gegenreaktion einen Rückwärtssalto über Scarfaces Kopf hinweg aus. Schon stand sie wieder vor dem Schwarzhaari-gen, dieses Mal streckte sie allerdings beide Arme weit von ihrem Körper weg. „Wenn er alberne Spiel-chen spielen will, bitte sehr.“, dachte sie.
Der Mantelträger hielt erneut verwirrt inne und schüttelte, ungläubig scheinend, schwach den Kopf, ob dem gezeigten Widerstand. Er wusste zwar, dass die Kleine über einen eisernen Willen verfügte, aber soviel Gegenwehr, in seinen Augen wohl mehr Sturheit, hatte er nicht erwartet.
„Hab ich dich!“, schrie Wade triumphal und lenkte damit den Narbenträger noch mehr ab. Während dieser unbewusst den Kopf zum Bildschirm drehte, worauf gerade die letzte verbleibende Satellitenumlaufbahn rot aufblinkte, liess Kim sich fallen, stützte sich mit der linken Hand ab und kickte dem Schwarzhaarigen in seine Beine, zog ihm diese unter dessen Körper weg und brachte ihn erbarmungslos zu Fall. Einmal unter einem dumpfen Laut aufgeschlagen, schrie der Gefällte vor Schmerzen auf. Jammernd und mit schmerzverzerrtem Gesicht griff er sich an seine Schusswunde.
„Ist das wieder deine Natur, die da unbewusst hochkommt?“, spottete er stöhnend in einem kindischen Ton. Effektiv versteckte er damit seine momentane Verunsicherung, denn, wie er sich selber eingestehen musste, verstehen konnte er die Beweggründe der Teenieheldin nicht wirklich und eine vernünftige Ant-wort schien nicht zu finden zu sein. Kim grinste zufrieden und stemmte beide Hände in die Hüfte, beugte sich vornüber, um Scarface in die Augen schauen zu können, ehe sie knapp antwortete: „Mein Traum ...“
Voller Genugtuung drückte Wade eine Taste seines Keyboards, die wohl irgendeine Auswirkung auf den Satelliten haben sollte, aber stattdessen wurde als unmittelbare Reaktion die Verbindung zum kleinen Genie getrennt und sowohl auf dem Display des Kimmunicator, wie auch auf jenen der Laptops schneite es nur noch.
„Ist das ein gutes Zeichen? Sagt mir, das ist ein gutes Zeichen.“, sagte Ron zitternd, mit böser Vorahnung auf den Laptop vor sich deutend, denn auf dessen Bildschirm erschien auf schwarzem Hintergrund ein Totenschädel, welcher in lächerlich hohem Tonfall ein durchgeknalltes Lachen zum Besten gab und da-bei seine knöcherne Hand in eindeutiger Gestik von sich wegstreckte. Nicht genug, tauchte auch erneut der Countdown auf den grossen Bildschirmen auf.
„Die Lache ist immer noch gut.“, lobte der Narbenträger unter einem schadenfrohen Kichern seine dama-lige Arbeit, welche selbst nach dieser langen Zeit immer noch bestens zu funktionieren schien. Jetzt end-lich hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden, vor allem jene von Kim. Diese begriff erst nach ein paar geschockten Augenblicken, was gerade geschehen war. Ihr frustrierter Gesichtsausdruck sprach Bände.
Zugegebenermassen, die Kleine hatte ihn am Wickel gehabt. Der Schwarzhaarige hatte sie unterschätzt, gewaltig unterschätzt, hatte sie für naiv gehalten und landete deshalb wortwörtlich auf der Schnauze. Dass sie entschlossen war und bis zum Äussersten gehen würde, musste Scarface gerade am eigenen Leib erfahren. Kein Wunder, dass all die Superschurken immer und immer wieder gegen sie verloren hatten. Wirklich absolut kein Wunder. Dank Wade hatte der Narbenträger nun aber wieder ein Ass im Ärmel.
„Ist es nicht witzig? Ich hab dich gewarnt, hab ich doch. Hätte man von vornherein auf mich gehört, hätten wir, ich korrigiere, hättet ihr wertvolle Zeit gespart. Aber nein, immer zuerst mit dem Kopf durch die Wand, was?“, sagte er mit bitter zynischem Unterton, sein kleines Psychospielchen aufziehend, während er sich aufsetzte und ruhig weiterfuhr, „Das Programm erkennt einen Hacker und leitet dessen Angriff einfach auf den, von ihm verwendeten Satelliten um. Mr. Load dürfte das Problem innerhalb der nächsten zehn Minu-ten wohl nicht mehr beheben können.“
Nachdem er aufgestanden war und sich soweit wieder gesammelt hatte fügte er drohend an: „Und jetzt geh mir aus dem Weg, es ist deine Zeit die abläuft.“ – „Vergiss es.“ – „Hab ich mir fast gedacht. Wie wärs dann stattdessen hiermit: Als geistiger Schöpfer von ’Phoenix’ habe ich ein, von anderen nicht änderba-res Passwort, was mir den absoluten Zugriff auf den Satelliten erlaubt. Ich könnte ihn abschalten, zerstö-ren, was immer du willst.“, nickte er gespielt freundlich und legte ein falsches Lächeln auf.
Er musste nicht weiterreden, Kim hatte absolut verstanden, worauf der Mistkerl hinaus wollte. Sie sollte Shego ihrem Schicksal überlassen, als Gegenleistung dafür würde der Schwarzhaarige ihre Liebsten retten. Kurz schwenkte ihr Kopf nach rechts unten. Es sah so aus, als ob sie sich das ganze durch den Kopf gehen lassen würde. Noch vor einer Woche wäre sie wohl wirklich auf ein solch perverses Angebot eingegangen. Ironischerweise war es genau der Typ ihr gegenüber, der sie von diesem Weg abgebracht hatte. Wie auch immer, sie wusste, was zu tun war. Diese Wahl war ebenfalls schon lange vor diesem Moment getroffen worden. Notfalls mit ihrem Leben, würde sie Shego beschützen. Bedingungslos, auf-richtig, wie es sich für eine Heldin ziemte. Egal, was die Schwarzhaarige in der Vergangenheit verbro-chen hatte, in genau diesem Moment zählte es kein bisschen. Sie hatte sich einst den Menschen ver-schrieben, die Hilfe brauchten. In diesem Augenblick war Shego nichts weiter, als ein solcher Mensch. Das machte einen Helden aus. Die Fähigkeit im richtigen Moment unterscheiden zu können, die Fähigkeit den Kopf eben nicht abzuwenden.
„Tick tack, tick tack, Possible. Je eher ich mit Sheg ...“ – „Wenn du mir das tatsächlich vorschlägst, hast du nie begriffen, was ein Traum wirklich bedeutet.“, unterbrach Kim die üblichen Sticheleien energisch. Dieser Satz traf ihn, und zwar gewaltig, wie ihr seine Körpersprache verriet. Die rothaarige Teenagerin hatte das Blatt soeben gewendet, wenigstens auf der psychologischen Ebene. Bisher hatte er ihr Eingrei-fen mehr als Spass betrachtet, nun wurde es nervig. Nicht nur, weil die rothaarige Teenagerin sich nicht hatte ködern lassen, sondern auch weil diese Antwort bedeutete, dass er gerade definitiv an ihr geschei-tert war. War dem Mädchen ein Menschenleben wirklich mehr wert, als ein ganzes Städtchen? Sie würde sich doch nicht ernsthaft für ihre Erzfeindin opfern wollen, oder?
„Ich werde nicht zuschauen, wie du wieder einen Menschen tötest. Dieses Mal nicht.“, ergänzte der Rot-schopf mit, vor Wut zusammengekniffenen Augen, die Befürchtungen des Narbenträgers bestätigend, „Kein Mensch verdient den Tod. Nicht Hench dort drüben, nicht Shego und nicht einmal du.“ – „Nette Worte, Kleine, ja wirklich. Aber das hier geht dich nun wirklich nichts an.“ – „Du irrst dich und zwar gewal-tig. In dem Moment vor dem Bueno Nacho, als du es hast persönlich werden lassen, seit diesem Moment geht es mich was an.“, gab die Teenagerin energisch zurück.
Im Wissen, dass es nicht viel Sinn machen würde, weiter zu diskutieren, liess Kim ihr rechtes Bein her-vorschnellen. Der Kick war nicht ohne und unglaublich schnell geführt, doch der Schwarzhaarige stoppte ihn lediglich mit der linken Hand kurz vor seinem linken Ohr. Dabei hatte er sich noch nicht einmal wirk-lich bewegt. Die Augen der Teenagerin wurden aus Überraschung kurz grösser, aber sie beruhigte sich sofort wieder. Sensei hatte sie davor gewarnt, dass ihr Gegenüber wahrscheinlich stärker wäre, als sie sich das vorstellen könnte. Unbeeindruckt schubste er Kims Fuss zurück, wobei sein überlegenes Grin-sen sein Gesicht wie eine Fratze aussehen liess, während sein Gemütszustand von genervt zu stinksau-er überging. Es wurde Zeit endlich ernst zu machen.
In der Zwischenzeit hatte sich Ron, nach Wades Fehlschlag, auf sein übliches Walten berufen und zu-sammen mit Rufus fieberhaft versucht auf ihre Art zu helfen. Er wusste ganz genau, dass das Leben seiner Familie auf dem Spiel stand und schien instinktiv zu wissen, was getan werden musste und war irgendwo zuversichtlich, dass sie es auch dieses Mal schaffen würden. Die Beiden hatten die Mittelkon-sole geöffnet, um eventuell das ganze System lahm zu legen. Die von Rufus zerbissenen Kabel sprachen für sich, der Erfolg leider nicht. Im besten Fall fiel mal ein Bildsschirm oder Laptop aus, nicht aber der Countdown, vom Satelliten ganz zu schweigen. Nach jedem durchtrennten Kabel schaute der blonde Teenager erwartungsvoll einige Sekunden auf den Bildschirm über sich und jedes Mal blieb der ver-dammte Zähler einfach nicht stehen. Während er seinen Nacktmull ermutigte, nicht aufzugeben und sich einen nächsten Kabelbaum vorzunehmen, erkannte er die Schwierigkeiten, in denen seine Freundin steckte.
Mit über dem Boden schleifender Klingenspitze m*******ierte der Mantelträger auf Kim zu und schrie ihr drohend entgegen: „Letzte Warnung. Aus dem Weg!“ Er wartete nicht einmal auf eine Antwort. Nur knapp konnte die Teenagerin einem von unten her geführten Hieb ausweichen. Sie musste ihren Oberkörper nach rechts wegdrehen, sich danach sofort unter einem weiteren, kräftigen Schlag wegbücken. Sie konn-te fühlen, wie die Klinge jeweils nur ha*******arf neben ihrem Kopf vorbeisegelte und dabei einen feinen, kaum hörbaren Ton in der Luft hinterliess. Wer in diesem Kampf die Fäden in der Hand hielt wurde recht schnell klar. Ihr Gegner trieb die rothaarige Teenagerin mit jedem Angriff mehr in die Defensive. Der letz-te Schlag hätte Kim halbiert, wenn sie sich nicht reflexartig mit beiden Beinen vom Schwarzhaarigen weggestossen und mit einem Rückwärtsüberschlag Platz verschafft hätte. Dank galt wieder einmal dem Cheerleadertraining und wenigstens hatte sie Scarfaces Aufmerksamkeit auf sich gezogen, so dass She-go vorerst in Sicherheit war. Das wars auch schon mit den Vorteilen. Trotz seiner Verletzungen schien der Narbenträger stärker und schneller denn je. Er griff gezielt an, koordinierte seine Aktionen darüber hinaus unheimlich schnell, aber keineswegs überhastet, was wiederum der Teenieheldin nicht den Hauch einer Chance auf einen Gegenangriff gab. Sie vermisste schmerzlich ihren Kampfstab, den sie dummer-weise vorhin in den Flammen verloren hatte, obwohl sie bezweifelte, dass sie einem voll ausgebildeten Schwertkämpfer damit das Wasser hätte reichen können. Im Nahkampf war er vielleicht zu schlagen, Kim konnte das ungefähr einschätzen, doch solange er sein Schwert benutzte, war sie ihm gnadenlos unter-legen.
Gerade war der Rotschopf einem Stoss wieder nur knapp entkommen, als ihr Gegner mit einem Bein in die Knie ging, mit der freien Hand einen ihrer Fussknöchel erwischte und die rothaarige Teenagerin von ihren Gliedmassen holte. Mit einem sofortigen Rückwärtspurzelbaum konnte Kim sich erneut aufrichten, was der Mantelträger auch erstaunlicherweise zuliess, immerhin hatte er so einen Vorteil verspielt, doch sie verstand sehr schnell, warum dieser keinen Angriff gestartet hatte. Sie schlug mit dem Rücken auf eine Wand oder einen Apparat auf und hatte keine Möglichkeit mehr zur Flucht. Die Teenieheldin hatte kaum Zeit diesen Umstand zu begreifen, schon stand der Schwarzhaarige leicht seitlich versetzt vor ihr, legte seine flache, linke Hand auf die Stelle gleich unterhalb Kims Halsansatzes, um sie gegen die feste Unterlage zu drücken, und führte den entscheidenden Schwertstoss auf ihren Bauch aus. Alles ging so furchtbar schnell, dass ihr Körper nur noch reflexartig reagieren konnte. Die Augen geschlossen, Bauch-muskeln, Arme und Beine waren in Erwartung der Klinge absolut angespannt.
Aber der tödliche Stoss kam nicht, erreichte sein Ziel nicht. Als Kim ihre Augen wieder öffnete, rechts von sich, nur wenige Zentimeter entfernt, Scarfaces Kopf erkannte, dann verwirrt auf dessen zitternden, rech-ten Arm schaute und schliesslich von hinten herab auf einen blondhaarigen Kopf blickte, wusste sie auch warum. Vor Schock brachte sie nur ein erstaunt besorgtes „Ron!“ heraus. Dieser schaute derweil nur grinsend auf die zitternde Klingenspitze vor seiner Nase. Um seine Freundin zu beschützen, hatte er sich heldenmutig dazwischen geworfen. Dass es ihm gelingen würde, die Klinge, kraftvoll zwischen beiden Handballen eingeklemmt, zu stoppen, hätte er sich wohl nicht einmal im Traum gedacht.
Überrascht blickte der Narbenträger auf den, vor ihm knienden Teenager herunter. Im ersten Augenblick vermochte es der Schwarzhaarige noch sein Schwert mitsamt dem Helferlein gegen dessen Freundin zu stossen, so dass Rons Hinterkopf schwach gegen Kims Magen gedrückt wurde, aber danach bewegte sich die Klinge keinen Zentimeter mehr, obwohl der Mantelträger das mit dem grössten vorstellbaren Kraftaufwand versuchte.
„Verdammt, Mystische Affenkräfte.“, dachte der Schwarzäugige, als er meinte, kurz einen blauen, hellen Schimmer in den ansonst braunen Pupillen Stoppables zu sehen. „Du hasts erfasst, Kollege.“ Immer noch grinsend schaute Ron zurück in die nun ängstlich wirkenden Augen seines Gegenübers, bevor er seine Hände langsam von seinem Gesicht wegbewegte und die Klinge schliesslich auch aus Kims Gefah-renzone brachte. Das Schwert bebte beinahe durch die einwirkenden Kräfte, da keiner der Beiden gewillt war, das gebogene Stück Metall loszulassen.
Kampfgeschrei und ein bekanntes Zischen lenkten schliesslich die Aufmerksamkeit des Mantelträgers auf Shego, welche sich endlich aufgerappelt hatte und nun, auf das Trio zustürmend, mit der linken Hand zum Schlag ausholte. Ihr Handschuh streifte die rechte Wange des Schwarzhaarigen, der gerade noch ausweichen konnte. Doch verlor er durch das Plasma geblendet die Orientierung und präsentierte durch das seitliche Ausweichmanöver seinen ungeschützten Oberkörper, was Shego wiederum eiskalt ausnut-ze. Nach einem heftigen Schlag, punktgenau auf seine rechte Schulter, liess er endlich den Schwertgriff los. Ron verlor aufgrund des plötzlich fehlenden Widerstands das Gleichgewicht und fiel schlagartig vorn-über. Er konnte seinen Sturz aber gerade noch so abfangen und sich auf den Knien halten. Shego drehte sich inzwischen um die eigene Achse und platzierte ihr ausgestrecktes, rechtes Bein quer über den O-berkörper und das Schlüsselbein ihres Gegners. Dieser wurde schreiend nach hinten geschleudert, schlug hart auf und rutschte noch einige Meter quietschend über den Boden. Stöhnend schüttelte der Schwarzhaarige mehrmals nacheinander den Kopf, blieb aber benebelt liegen.
Keuchend beobachtete Shego den Verletzten, machte aber keine Anstalten einen weiteren Angriff zu starten. Mit verschränkten Armen stellte sich Kim neben ihre Erzfeindin. Das siegessicher Lächeln wich jedoch schnell aus ihrem Gesicht, als sich der Mantelträger nach einer kurzen Ruhepause wieder regte und sich erst ununterbrochen kichernd, dann schwach lachend aufrichtete.
„Es nimmt kein Ende.“, murmelte Shego und sprach damit Kims Gedanken laut aus. Dieser Kerl schien unerschöpflich. Jeder andere wäre schon längst umgefallen und liegen geblieben. Unglaublich, dass er immer wieder die Kraft fand, um auf ein Neues aufzustehen.
Scarface rieb sich weiter lachend mit der linken Hand seinen Nacken, während der rechte Arm schlaff an seinem Körper runterhing. Sein Gegacker schlug in wahnsinniges Gelächter um, als er in einer Art Kampfstellung verblieb, beide Füsse weit auseinander, die Knie angewinkelt. Eigentlich sah es mehr da-nach aus, als ob der Schwarzhaarige Schwierigkeiten hätte, sich auf den Beinen zu halten. Mittlerweile liess er den ganzen Oberkörper, kraftlos wirkend, nach vorne hängen. Sein schwarzes Haar hing ihm tief ins Gesicht, verdeckte weite Teile seiner Fratze, nicht aber sein fettes Grinsen.
Shegos Augen verengten sich immer mehr. Als ihr Gegenüber auch noch den Mantel auszog, diesen unachtsam hinter sich warf und die linke Hand au seine ausgekugelte Schulter legte, liess die Schwarz-haarige ihr Plasma in beiden Händen erlöschen und sagte etwas traurig, beinahe flüsternd: „Es ist vor-bei.“
Mit dieser Bemerkung lenkte sie natürlich augenblicklich Kims Blick auf sich. Verwirrt fragte die rothaarige Teenagerin nach: „Vorbei?“ Sie konnte diesen Satz nicht verstehen, sie hatten doch gerade die Überhand gewonnen. Ausserdem war seine Schulter ausgerenkt. „Was redest du da? Zu zweit können wir ihn schlagen.“, widersprach der Rotschopf mit gehobenen Augenbrauen und versuchte, mit einer Hand auf den Mantelträger zeigend, weiter zu argumentieren, aber Besagter unterbrach sie.
„Weißt du, Shego, du hattest recht mit der Kleinen. Sie weiss wirklich nicht, wann man aufhören sollte.“, kommentierte der Schwarzhaarige schwach lächelnd, während Kims Augen immer wieder von Shego zum Narbenträger und zurück wanderten. Anscheinend hatte sie irgendwas verpasst.
„Du hast ja keine Ahnung.“, erwiderte Shego trocken. Darüber belustigt, schlug sich der Mantelträger mit der flachen Hand auf die ausgerenkte Schulter und renkte sich Besagte wieder ein, um der Teenieheldin zu zeigen, wie falsch sie mit ihrer Annahme lag, ehe er ruhig ergänzte, „Jetzt wäre kein schlechter Zeit-punkt, Shego.“
Noch bevor die rothaarige Teenagerin überhaupt verstehen konnte, worüber die Beiden sprachen, setzte die Schwarzhaarige ihren linken Zeigefinger auf Kims Genick und schickte eine kleine, konzentrierte Plasmakugel durch deren Körper. Augenblicklich ging die Teenieheldin in die Knie und kippte nach hinten weg. Ihre Arme und Beine fühlten sich sehr schwer an und zugleich als ob tausende von Nadeln gleich-zeitig durch sie getrieben würden. Sie versuchte ihren rechten Arm zu bewegen, was unvorstellbare Schmerzen nach sich zog.
„Kim!“, schrie Ron, als er angerannt kam, sich zu seiner Freundin hinkniete, deren Oberkörper bedacht aufrichtete und ihren Kopf an seine Brust anlehnte, damit dieser nicht nach hinten wegfallen konnte.
Die Teenagerin litt, sie wehrte sich krampfhaft gegen ihre Lähmung, sie wehrte sich gegen die Erkennt-nis, dass ihre Erzfeindin gar nicht lebend hier raus wollte. Das hatte der Narbenträger vorhin also ge-meint. Mit Tränen in den Augen schaute sie in die ebenfalls tränengefüllten, grünen Augen Shegos. Der verletzte, durchdringende Blick der Teenagerin, welcher nach dem „Warum“ fragte, quälte sie ohne Ende, erzwang förmlich jede einzelne Träne, welche nun über Shegos Wangen kullerten. Sie liess ihre Gedan-ken auf die stille Frage antworten. Weil sie zu stolz war, sich von der weltbekannten Kim Possible helfen zu lassen. Weil Shego es nicht wert war, für sie zu sterben, nicht einmal aus Selbstlosigkeit, was Kim aber zwangsläufig wiederfahren wäre und daneben hätte sie auch noch tausende andere dafür geopfert. Eher würde die Schwarzhaarige selber selbstlos. Keiner verdiente das Leben so sehr wie Kimmie. Auch wenn all dieses Beschützerdings die Schwarzhaarige, so ungern sie sich das auch eingestand, zutiefst rührte, sie hatte es ganz einfach nicht verdient.
Shego setzte sich langsam in Bewegung, warf Kim aber ein kurzes, ernstgemeintes Lächeln zu. „Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennen gelernt.“, meinte sie, bevor sie sich abwand-te.
Mit offenem Mund streckte die rothaarige Teenagerin ihren Arm aus, den stechenden Schmerz ignorie-rend. Zitternd löste sie sich von Ron, schaffte es aber nicht auf die Beine zu kommen. Jede Bewegung zog unweigerlich einen Schmerzensschrei nach sich. Immer wieder fiel sie auf ihre Knie, strauchelte, torkelte und immer wieder stand sie verzweifelt aufs Neue auf. Schliesslich verliess sie aber ihre Kraft endgültig und sie konnte sich nur noch am Boden kriechend vorwärts bewegen. Am Ende konnte auch sie ihre Tränen nicht mehr zurück halten, als sie erkannte, dass sie Shego nicht mehr erreichen würde. Fassungslos hielt Ron seine Position. Unfähig etwas zu unternehmen, die Situation überforderte den blonden Teenager überdeutlich, schaute seiner Freundin nur starr nach, jeder ihrer Schreie versetzte ihm einen Stich ins Herz, drohte dieses zu zerreissen.
Ungeduldig hatte der Narbenträger sich plötzlich vor der Schwarzhaarigen aufgestellt, verpasste ihr einen gezielten Schlag auf ihren Solarplexus und schleuderte sie von sich weg. Während Drakkens Helferlein sich, nach Luft schnappend, vom Rücken auf den Bauch drehte und mit geschlossenen Augen, am gan-zen Körper zitternd, auf dem eiskalten Boden liegen blieb, ging Scarface emotionslos erst an Kim, dann an Ron vorbei. Langsam griff der Mantelträger nach seinem Schwert, gleich neben Ron, hob es auf und betrachtete es lange nachdenklich. In ihm stieg dieses unheimlich befriedigende, warme Gefühl der Er-leichterung auf. Ähnlich wie Schmetterlinge im Bauch, ohne aber verliebt zu sein. Ihm wurde warm und kalt zur gleichen Zeit, während ihm immer wieder kalte Schauer über den Rücken liefen. Nur für eine kurze Zeit liess er sich treiben, wollte einfach nur den schönsten Moment aus fünf Jahren Verdammnis geniessen. Selbst seine Narben strahlten eine sanfte Kälte aus, wie wenn man dort kühlende Salbe auf-getragen hätte, schienen zu wissen, dass es dem Ende zuging.
Wie in Trance setzte er sich in Bewegung, wurde aber von Kim aufgehalten, die irgendetwas von bösen Geistern murmelte. Er glaubte es war an ihn gerichtet, deswegen blieb er stehen und blickte kalt auf den Rotschopf herunter. Die Teenieheldin lag flach auf ihrem Bauch, das Gesicht, auf der linken Hälfte lie-gend, zum Mantelträger gerichtet. Hin und wieder kullerte eine Träne über ihre Nase. Ihr glasiger Blick ging ins Leere, während sich ihre Lippen ab und zu still bewegten. Er konnte nicht verstehen, was die rothaarige Teenagerin von sich gab. Offenbar war sie total neben der Spur, weshalb der Narbenträger wieder auf Shego zusteuerte.
„Böse Geister können nur mit positiven Gedanken vertrieben werden.“, rezitierte sie den Sensei laut den-kend. „Positive Gedanken ...“, sagte Kim erneut, kopfschüttelnd. Sie war kampfunfähig, Shego hatte sich ergeben und Ron war kein Kämpfer, auch wenn er vorhin das Gegenteil bewiesen hatte. Die Teenagerin hatte keine Ahnung, warum ihr ausgerechnet genau hier zu genau diesem Zeitpunkt Senseis Worte wie-der im Kopf rumgeisterten. Wahrscheinlich wollte der alte Mann sie einfach zum Umdenken bewegen, was sie ironischerweise erst tat, nachdem sie sich dazu gezwungen sah.
„Denk nach, Possible. Kampf hilft uns nicht mehr weiter, also was ist mit positiven Gedanken gemeint?“, dachte sie angestrengt nach, bis ihre Augen auf einmal vor Überraschung wuchsen, „Moment, kann es sein ...“
Shego war ebenfalls kraftlos am Boden liegen geblieben. Sie zuckte kaum merklich zusammen, als der Narbenträger neben ihrem Kopf in die Hocke ging und ihr sanft mit der linken Hand übers Haar strich. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und mit jeder Sekunde, die mehr verstrich, drohte sie innerlich zu explodieren. Am Liebsten hätte sie ihre Todesangst laut raus-geschrieen, doch vor lauter Furcht brachte sie weder einen Mucks heraus, noch konnte sie ihre Arme und Beine bewegen. Zur Starre kam dann auch noch ein widerliches, feines Zittern am ganzen Körper. Ihre Gedanken kreisten ungeordnet, längst hatte sie jeglichen Fokus verloren. Hilflos wartete sie jetzt also nur noch auf ihr Ende.
Irgendwie wickelte der Mantelträger die schwarze Haarpracht nach und nach um sein Handgelenk und den Arm, platzierte sein linkes Knie zwischen Shegos Schulterblätter, presste seinem stöhnenden Opfer die Luft aus den Lungen, als er fast sein komplettes Gewicht auf das linke Bein verlagerte, und zog dann an den Haaren. Shegos Kopf wurde nach hinten gehoben, ihr Kinn einige Zentimeter über dem Boden. Unter einem erstickten Laut hielt der Schwarzhaarige ihr die Schwertklinge an die nun zugängliche Kehle.
Unbewusst entspannte sie sich ausgerechnet in dem Moment und erinnerte sich komischerweise an jene Zeit, bevor sie ihre Kräfte bekommen hatte, bevor das Schicksal laut an die Türe geklopft hatte. Die wahrscheinlich schönste und unbeschwerteste Zeit in ihrem ganzen Leben. Warum musste es nur soweit kommen? Vor Scham schloss sie ihre Augen, während ein paar Tränen bis zu ihrem Kinn liefen und von dort auf den Boden tropften.
Gerade als Scarface die Klinge ansetzen wollte, schrie Kim mit aller Macht dazwischen: „Shego, sag ihm, warum du ihn damals hast laufen lassen!“
Die Köpfe der beiden wanderten zur rothaarigen Teenagerin, welche es geschafft hatte, sich auf ihre Knie aufzurichten und krampfhaft zitternd versuchte darauf zu bleiben. Schwer atmend hielt sie sich ihre linke Seite, ihr Kopf vornüber hängend.
„Kimmie ...“ – „Bisher ist er immer davon ausgegangen, dass er dir vor fünf Jahren aus eigener Kraft ent-kommen ist, dass er ungeheures Glück hatte.“, doppelte Kim nach, ohne ihrer Erzfeindin die Chance eines Ausfluchtes zu erlauben, „Sag ihm, warum er damals wirklich entkommen konnte.“
Ein stechender Schmerz fuhr durch Shegos Rücken, als der Mantelträger über ihr das Gewicht nach vor-ne verlagerte, um ihr von oben her neugierig fragend in die Augen zu schauen. Am Anfang dachte Scar-face, dass die Teenieheldin nur Zeit schinden wollte, doch das Zögern der Schwarzhaarigen auf diese ungewöhnliche Bitte war Beweis genug, dass mehr dahinter steckte.
„Ich ...“, begann die Schwarzhaarige auf den bohrenden Blick, aber ihre Stimme brach, an dem Kloss in ihrem Hals. Warum war das mit der Wahrheit nur so schwierig für die Schwarzhaarige? Sie sammelte sich kurz und begann laut ausatmend von Neuem: „Ich hab dich entkommen lassen.“
„Ach? Und warum hättest du das tun sollen?“, fragte der Schwarzhaarige in einem ungläubigen Unterton. Sie konnte ihm ja viel erzählen, aber sie glaubte doch nicht wirklich, dass er ihr das einfach so abkaufte. Shegos Blick stoppte seine Gedanken postwendend.
„Jetzt sag mir nicht ...“, brachte er zögernd heraus, bevor auch seine Stimme vor Schock versagte. Ent-geistert, beinahe entsetzt starrte er in das traurige, hellgrüne Gesicht zurück, während ihn die Erkenntnis mit jedem Herzschlag wie ein fahrender Güterzug traf. Er schüttelte den Kopf, als ob er aus einem Alb-traum erwachen wollte, und schloss die Augen, um dem unangenehm ehrlichen Blick Shegos zu ent-kommen, doch vor seinem Geiste quälten ihn ihre Augen weiter.
„Aus Liebe ...“, dachte er ungläubig und schrie innerlich auf, „ ... bitte nicht!“ – „Seit ich meine Kräfte er-hielt, warst du der Erste, der mich nicht wie einen hellgrünen Freak behandelt hat. Du hast mich nicht als Objekt betrachtet, sondern als Menschen. Respektvoll hast du mich so akzeptiert, wie ich nun mal war.“, erklärte Shego mit einem kleinen, süssen Lächeln auf den Lippen, ehe ihre Stimme einen verzweifelten Ton annahm, „Ich ... ich habe nicht gewusst, was Hench mit dir vorhatte. Ich wurde erst während deiner Folter eingeweiht. Um dich dort rauszubringen, musste ich improvisieren ...“
Der Narbenträger unterbrach sie, indem er wieder stärker an ihren Haaren zog und ihr, zu Shegos Schock, das Schwert an die Kehle drückte. „Nein!“, schrie Kim lauthals, während Ron seine Augen schloss und den Kopf zur Seite drehte, als der Schwarzhaarige die Sache mit einer schnellen Handbe-wegung beendete. Kims Herz raste, als sie die Luft anhaltend auf den Mantelträger blickte, der nun von Shegos reglosem Körper abliess, sich vorsichtig aufrichtete und dabei seine linke Hand betrachtete. She-gos Gesicht war auf der rechten Wange zu liegen gekommen. Mit leicht geöffnetem Mund starrte sie ins Leere, ohne einen Mucks von sich zu geben.
Schliesslich liess Scarface das Büschel schwarzer Haare in seiner Hand direkt vor Shegos Gesicht fallen, was die Schwarzhaarige, nach endlos wirkenden Sekunden, dazu veranlasste einen tiefen Zug Luft zu holen. Weiter blieb sie aber einfach still liegen, vielleicht aus Erschöpfung, vielleicht aus unendlicher Er-leichterung. Sie wusste selbst nicht genau, was in dem Moment in ihrem Kopf abging.
„Du solltest mich wohl besser davon überzeugen, dass ich nicht gerade den grössten Fehler meines Le-bens begangen hab.“, meinte der Narbenträger ernst, als er an Shego vorbei, auf die Mittelkonsole zu-schritt. Über einen der noch laufenden Laptops stoppte er seinen Satelliten, vielleicht dreissig Sekunden vor Ablauf der Frist. Er achtete nicht wirklich auf das computergenerierte Gebrabbel. Countdown und Computerstimme verstummten augenblicklich und das Programm wurde heruntergefahren. Damit auch zukünftig kein Schaden mit ’Phoenix’ angerichtet werden konnte, fütterte er den PC mit einer CD, die er stets bei sich getragen hatte, implizierte er dem System einen Virus, der sämtliche Dateien unwiderruflich vernichten würde. Ohne Steuersystem würde der Satellit bald abstürzen und in der Atmosphäre verglü-hen.
Erleichtert ausatmend konnte sich auch Kim endlich fallen lassen, doch wurde ihr Oberkörper von Ron, welcher endlich dank Rufus aus seiner Starre erwacht war, sanft aufgefangen. Mit einem leisen „Danke.“ schmiegte sich die rothaarige Teenagerin erschöpft an ihren Freund. Mittlerweile konnte sie sich fast wieder schmerzfrei bewegen, aber ihre Gliedmassen kribbelten immer noch wie die Hölle.
„Stoppable, sorg dafür, dass Meister Sensei das bekommt.“ Beide horchten auf, als der Mantelträger sein Schwert, mit dem Griff voran, in ihre Richtung warf und es klirrend neben den Zwei zu Boden ging. Der Schwarzhaarige winkte erschöpft wirkend und setzte sich leicht gekrümmt in Bewegung. Er wollte nur noch raus aus diesem Saal, raus aus diesem Gebäude, raus aus seinem Leben. Wie bestellt meldeten sich nun auch wieder die Schmerzen seiner gesammelten Verletzungen, die Bilder vor seinen Augen wurden unscharf. Kein Wunder, der Adrenalinschub war vorüber. Er torkelte noch einige Meter, durch die Qualen immer mehr gekrümmt, ehe er dann vor dem Ausgang neben Hench zusammenbrach. Stöhnend robbte er sich zu Wand und richtete mit letzter Kraft seinen Oberkörper auf, um sich anzulehnen. Das alles, nur um der weltbekannten Nervensäge in die Augen schauen zu müssen, die ihm, gestützt durch ihren Freund, nachgegangen war und sich während seiner Anstrengungen neben ihn hingekniet hatte.
„Du kleines Biest.“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, als er aufblickte und nach einer Ver-schnaufpause weiter fuhr, „Du hast gewusst, dass ich so reagieren würde, hm? Woher ...“
„Es war irgendwie offensichtlich ...“, erwiderte sie, ebenfalls geschafft wirkend, wobei ’gehofft’ wohl das bessere Wort war, und fügte bescheiden an, „ ... und ich hatte ein Bisschen Hilfe.“
Die Teenieheldin hatte zugegebenermassen ewig gebraucht, um herauszufinden, dass mit ’positive Ge-danken’ tatsächlich das Naheliegendste gemeint war, nämlich positive Gedanken oder Gefühle. Basie-rend auf diesem vermaledeiten Satz zu vermuten, dass Shego den Schwarzhaarigen damals nicht aus Unfähigkeit, sondern wegen ihren Gefühlen ihm gegenüber hatte entkommen lassen, war auf den ersten Blick vielleicht etwas weit hergeholt. Aber es erklärte einiges. So auch das merkwürdige Verhalten der Schwarzhaarigen während des ganzen Morgens, das Kim zuerst auf diese Droge zurückgeführt hatte, und selbst Henchs Aussage, dass Shego dem Narbenträger das Leben geschenkt hätte, welche die Tee-nieheldin anfänglich für eine Lüge hielt und sich nichts weiter dabei dachte. Die rothaarige Teenagerin hatte hoch gepokert und gewonnen.
„Der Alte.“, bemerkte ihr Gegenüber schwach lächelnd mit halb geschlossenen Augen und erhielt ein zustimmendes Nicken. Scarface schüttelte erst lachend, dann hustend den Kopf und musterte anschlies-send sein Gegenüber lange mit halbgeschlossenen Augen. „Eines noch ...“, sagte er fast flüsternd und winkte die Teenieheldin zu sich, so dass er sich an ihrer Schulter bis zu ihrem Ohr hochziehen konnte, „Nicht unterbrechen, nur zuhören ...“
Ron hatte inzwischen Rufus und den Kimmunicator eingesammelt und war auf dem Weg zurück zu sei-ner Freundin, als die ersten Soldaten, die Umgebung sichernd, dicht gefolgt von Sanitätern und Polizei in Massen in den Kontrollraum stürmten. Kim tauchte plötzlich aus dem Durcheinander auf, griff nach Rons Hand und drückte diese ganz fest. Ihr Blick wirkte leicht verstört, aber vor allem erleichtert. Die Beiden waren wohl noch nie so froh darüber gewesen, eine Mission abgeschlossen zu haben, wie in dem Mo-ment. Ohne ein Wort auszutauschen, verliessen die beiden Teenager aneinander gelehnt, unter Rufus’ Führung den Saal. Es war höchste Zeit nach Hause zu kommen und mindestens zwei Tage durchzu-schlafen. Aber irgendwie konnte keiner der Zwei das Gefühl abschütteln, dass diese ganze Sache ein gewaltiges Nachspiel mit bitterem Nachgeschmack haben und noch lange nicht beendet sein würde.

Druckbare Version
Seitenanfang nach oben